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Lasst uns unsere Dekadenz!

Praktikant WAZon
Von Benjamin Schaller, Swakopmund


Eine kurzhaarige Frau mit Brillanten im Ohr und auffällig langen, knochig wirkenden Fingern, in denen sie eine Zigarette hält. Ihr Kopf ist nach links geneigt, wo sich ein Männerkopf ins Bild drängt. Der Blick des Herren mit buschigem Schnauzbart ist geradlinig und scheint auf den Mund der Dame zu fallen, die mit Lippenstift offenbar nicht sparsam umgegangen ist.


„Ich und Katja“ ist der Name dieses Bildes, das seit einer Woche im Woermann-Haus in Swakopmund zu sehen ist. Hinter dem Abbild der „Katja“ verbirgt sich Katja Lange-Müller, die erste Frau des deutschen Schriftstellers Heiner Müller. „Ich“ ist in diesem Falle der Grafiker Klaus Hentschel, der in der DDR aufgewachsen ist und im früheren sozialistischen Teil Deutschlands künstlerisch tätig war. Das gleiche gilt für alle anderen Künstler, deren Arbeiten unter dem Titel „25 years after the fall of the wall“ ausgestellt sind. Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Falls der Berliner Mauer stellte der Swakopmunder Franz Irlich Grafiken von verschiedenen DDR-Künstlern aus seinem Privatbesitz zur Verfügung. Noch bis zum 30. November sind in der Woermann-Galerie Werke unter anderem von Hanns Georgi, Andreas Drees oder Klaus Zylla zu sehen. Zur Eröffnung am vergangenen Samstag reiste auch der deutsche Botschafter Onno Hückmann an. „Kunst ist ein Produkt der Zeit, in der sie entsteht“, so Hückmann in seiner Eröffnungsrede. „Die Grafiken bieten uns Einblick in das Leben im Kommunismus, die Beschränkungen und Freiheiten, mit denen Kunstschaffende in der DDR konfrontiert waren.“


Der in Namibia geborene und aufgewachsene Kunstsammler Franz Irlich lernte das Leben in der DDR als Gastarbeiter kennen. Für zehn Jahre leitete er das Afrikahaus in Sedwitz in der sächsischen Schweiz. In dieser Zeit lernte er auch Klaus Hentschel kennen. „Wir haben schnell gemerkt, dass wir miteinander diskutieren können. Irgendwann ist daraus eine Freundschaft enstanden“, so Hentschel, der auf Einladung Irlichs nach Namibia reiste, ebenfalls eine Rede hielt und anschließend die Fragen der Ausstellungsbesucher beantwortete.


Die sächsische Herkunft ist Hentschel nur schwerlich anzumerken. „Meine Mutter sagte immer, wenn du etwas werden willst, dann musst du Hochdeutsch sprechen. Also hab ich das gelernt.“ Trotz der Bemühungen war das künstlerische Schaffen Hentschels auch von Rückschlägen geprägt. So wurde er 1982 mit einem Berufsverbot belegt. „Ich konnte es nicht mehr ertragen, nur irgendwelche Auftragsarbeiten zu machen. So schmutzig wollte ich mich nicht machen, dass ich anderen Leuten in den Arsch krieche. Das Problem war, ich hatte das dem Falschen gesagt.“ Sein damalig bester Freund hatte Hentschel bei der Stasi angeschwärzt. Der heute in Berlin lebende Künstler beschreibt eine Gesellschaft des Misstrauens, in der ein nahezu ständiger Verdacht bestand, dass ein Gegenüber vom „VEB Horch und Guck“, wie Hentschel die Staatssicherheit spöttisch bezeichnet, sein konnte. „Die DDR hat mich gelehrt, dass ich meine Freunde sehr vorsichtig aussuchen sollte. Später in der BRD konnte ich dann noch lernen, Leute abzuschütteln, sagen zu können, ,du bist ein Taugenichts, ich brauche dich nicht´.“


Die politische Situation in der DDR wirkte sich insbesondere in kreativen Varianten der Abstraktion aus. „Ich denke, in der DDR ist ein höherer und breiterer Grad von Abstraktion erreicht wurden als zur gleichen Zeit in der BRD. Dort plätscherte ja alles nur vor sich hin. Diese besondere Reibung, der wir uns ausgesetzt sahen, erschwerte zwar unsere Lebensumstände, ließ aber künstlerisch vieles entstehen. In gewisser Hinsicht war es ein Glücksfall für die Kunstszene.“ Hentschel beschreibt, dass er eine heute vorherrschende Belanglosigkeit erkenne, wodurch die kreative Entfaltung beschränkt sei. Verhältnisse wie in der DDR, in der Künstler die Abstraktion zu einem „hohen Grad an Perfektion getrieben“ hätten, seien laut Hentschel so nur schwerlich möglich. Eine „perfekte Abstraktion“ sei allerdings ohnehin nur ein theoretisches Gebilde. „Die gibt es nicht, Gott sei dank!“, sagt Hentschel. „Der ostdeutsche Künstler Horst Bartnig beschreibt dies als sein Problem. Er denkt, er habe mit 199 Strichen und 299 Gegenstrichen die perfekte Abstraktion geschaffen, und sieht dann, dass es den 300. Strich auch noch geben wird.“


Laut Hentschel verlief diese Entwicklung ohnehin vollkommen gegen die Pläne der Regierung. Gewünscht war eine Kunstszene, die für den einfachen Arbeiter leicht verständliche und verdauliche Werke schaffen sollte. „Man hat dem Arbeiter generell wenig zugetraut“, erklärt Hentschel. „Diese Ironie, diese Feinheit von Differenzierungen, das ging von uns Künstlern aus.“ Viele Künstler bezogen humanistische Positionen, thematisierten Landschaften, Stillleben oder private Szenen, um von der öffentlichen Wahrnehmung nicht komplett übergangen zu werden. Laut der Kunsthistorikern Dr. Jördis Lademann sei so eine „Poesie des Alltäglichen“ durch die ostdeutschen Künstler entstanden.


„Das Bild von Katja ist ein sehr gutes Beispiel“, sagt Klaus Hentschel. „Die Dekadenz, in der ich meine frühere Studienfreundin Katja dargestellt habe, war ja eigentlich nicht gewünscht. Aber wir wollten unsere Dekadenz einfach für uns behalten. Mein Gott, wir sind Künstler, bitte lasst uns unser Leben!“

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-25

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