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Löwen hautnah erleben

Stundenlang holperten wir durch das unwegsame Damaraland, um zu Dr. Flip Stander zu gelangen, der am Ende der Welt wohnt und arbeitet. Meine Augen ruhten auf dem Basaltgestein und den riesigen Flächen zu beiden Seiten der Schotterstraße, während meine Gedanken um Flip kreisten und um das Erlebnis, auf das wir uns schon seit Wochen gefreut hatten: die Arbeit an Löwen in freier Wildbahn. Sobald wir das Auto für einen Augenblick verließen, umfing uns die Gluthitze wie ein Wall. Der August kann heiß sein in Namibia. Nicht eine einzige Zikade traute sich in den gleißenden Nachmittag.

Der lange Weg erzwang einige Stopps. Wir staunten immer wieder über die Vielfalt von Lebewesen am Straßenrand: Käfer, eigentlich Mini-Dinosaurier, die sich in Sicherheit brachten und -zig Krabbeltiere, die die Aufmerksamkeit meines 12-jährigen vom Gameboy ablenkten. Russell, unser Führer auf dieser Abenteuerreise, entdeckte sogar ein Nest mit Sandhuhnküken, deren perfekte Deckfarbe sie für uns andere unsichtbar gemacht hatte. Die ängstlichen Eltern stimmten ein lautes Geschrei an und führten uns in einer meisterhaften Darstellung schwer verwundete Vögel vor. Sie hätten unbedingt einen Oscar gewonnen wie meine 15-Jährige, die auch vom Glitzerruhm träumt, mit Neid feststellte. Eine leichte Brise, die nicht ausreichte, unsere schweißnassen Hemden zu trocknen, bewegte das gelbe Gräsermeer.

Die Landschaft war hart, unerbittlich und atemberaubend. Unsere Weiterfahrt wurde von nervösen Springböcken argwöhnisch beäugt. Gemsböcke standen schemenhaft und still in der diesigen Hitze und wandten sich dann ruckhaft um und folgten einer Herde Zebras, die sich in die unendliche Weite verlor. Die donnernden Hufe hinterließen ein tiefes Schweigen über dem Geröll.
Das LöwenteamEndlich verließen wir den Weg, auf dem wir gekommen waren, und bogen in eine kleine Seitenspur und da war er mit seinem Auto, im Schatten eines Kameldornbaums. Russell und Flip Stander waren jahrelang Kollegen im Naturschutz gewesen und daraus hatte sich eine feste Freundschaft entwickelt. Für uns war er der Löwenmensch, ein Wissenschaftler, der sich den Angriffen von Zecken und Moskitos aussetzt und der sich zu Fuß, im Flugzeug und im Auto durch sein Gebiet bewegt.

Sein Auto ist ein hochbetagtes Allradfahrzeug, das mit Schnur und Spucke zusammengehalten wird oder was immer sonst zur Verfügung steht. Viel ist das nicht und die Zivilisation ist hunderte von Kilometern weit weg. Extreme Temperaturschwankungen, Micro-Light-Abstürze, Malaria und haarsträubende Erlebnisse mit wilden Tieren, die die meisten Leute nur aus dem Fernsehen kennen, bestimmen für ihn den Alltag. Wie seine Katzen scheint er neun Leben zu haben. Seine sonnengegerbte Haut ist wie die eines Kriegers mit Schrammen und Narben bedeckt. Dieser in Cambridge promovierte Gelehrte ist eine leibgewordene Legende und ein wichtiges Mitglied des namibischen Natur- und Umweltschutzes. In dieser Einöde ist er zu Hause und hat sich die Wüste und die vertrocknete gelb-graue Landschaft zu eigen gemacht.
Das Desert-Lion-ProjektStrahlend blaue Augen blinzeln ein Willkommen, als wir uns zu ihm unter den Baum gesellen. Das Desert Lion Conservation Project ist aus Flips Sorge um das Bestehen der Wüstenlöwen entstanden, dieser Tiere, die sich auf einmalige Weise den widrigen Umständen unter denen sie leben, angepasst haben. Das Projekt befasst sich auch seit Jahren mit dem ständigen Konflikt zwischen Raubtieren und Menschen, die mit ihren Ziegen und Donkeys hier im Kunenegebiet ein karges Leben fristen. Flips Leidenschaft verlangt ihm große Opfer ab, doch er lässt sich nicht von seinem Weg abbringen.Die Safari beginntAuch der nächste Tag war heiß. Wir packten die Autos unter einem klaren Himmel: das Gewehr mit den Pfeilen, die Betäubungsmittel, das Brenneisen, Logbuch, Proviant, Zelte und Schlafrollen. Flip führte unsere kleine Karavane an. Die Fahrzeuge quälten sich im Schneckentempo über eine felsige Piste und wir sperrten die Augen auf bis zum Gehtnichtmehr. Jede kleinste Bewegung von einer Antilope, einem Strauß, einem Zebra oder einem Vogel ließ uns zusammenfahren. Überall meinten wir, Löwen zu sehen.

Wir fanden Spuren - auch schwarze Nashörner leben in dem Gebiet! Wir sahen die Losung von Elefanten, begegneten Giraffen, Wildebeestern und sonst allerlei Wild, das sich spärlich in der Wüste ernährt. Die Spannung erreichte fast den Siedepunkt, als Flip abdrehte und einen Hügel hinaufholperte. Wir folgten ihm und ich war überzeugt, dass er etwas endeckt hatte, als er aufs Dach seines Autos stieg und einen antennenartigen Gegenstand in alle Richtungen schwenkte. Die Telemetrie ergab jedoch nichts, nicht einen Blip.

Die Reise ging weiter. Stopp! Löwenspuren! Genau die, die wir gesucht hatten. Aber sie waren schon mehrere Tage alt. Also weiter. Wieder Stopp! Telemetrie. Nichts! Wir gingen ein paar Schritte bis zu einem Wasserloch. Das Rietbett raschelte im Wind. Adrenalin pumpte in meinen Adern. Und da waren sie, die Spuren. Und Kot! Diese Mal waren sie nur einen Tag alt, aber es waren nur Spuren, keine Löwen.
Die Spur der LöwenEine Löwenjagd ist Glückssache und es gibt keine Garantien. Wir hatten Glück. Unsere Suche wurde mit dem deutlichen Blip von XPL - die Kode der Wüstenlöwen in dieser Gegend - 33 belohnt. Dann meldete sich XPL34. Ihm folgte XPL35. XPL 17 hatte Junge und war auch in der Nähe, während XPL22 sich mit ihren Jungen von der Gruppe getrennt hatte. Das Nichts hatte plötzlich einen Namen: die Höhle des Löwen! Und wir befanden uns mittendrin.

Die unwiderleglichen Beweise der Telemetrie hatten die Spannung bis zum Zerreißen gesteigert. Ich ermahnte die Kinder, nahe beim Auto zu bleiben, was den Männern nur ein amüsiertes Lachen entlockte. Jetzt, wo wir wussten, wo die Löwen waren, stellte ich meine Motive in Zweifel. Warum tat ich das? Was, wenn die Kinder verletzt würden oder noch Schlimmeres passierte? Warum war ich nicht mit einem Besuch an einer Wasserstelle in der Etoschapfanne zufrieden gewesen? Übers Internet oder dank der modernen Technologie wäre es möglich gewesen, eine Spende für dieses Projekt zu machen ohne mich und die meinen buchstäblich in die Höhle des Löwen zu begeben. Was suchten wir Großstadtpflanzen hier im afrikanischen Busch? Ich wusste es wirklich nicht, aber es gab kein Zurück! Und eigentlich wollte ich das auch gar nicht.

Es war heiß und das Quecksilber stieg. Wir parkten unter einem Felsüberhang und nahmen ein leichtes Mittagsmahl zu uns. Wir mussten auf die kühlere Tageszeit warten und dieses Warten erschien mir endlos.
"Dich haben wir"Doch dann kam Leben in Flip - es ging los. Wir bekamen unsere Anweisungen, der Köder wurde festgebunden und die Fahrer setzten sich hinters Steuer. Langsam und mühselig folgten wir Flip durch das trockene Flußbett. Russell musste mehrmals aussteigen um trockene Zweige zurückzubiegen oder Baustämme fortzurollen. Der Tag ging zu Ende und die Schatten wurden länger. Es roch nach trockenem Gras, Staub und Schweiß. Außer den Motoren hörte man nichts. Eine gespenstige Stille. Flip hielt plötzlich an. Es war soweit. Mein Herz schlug bis zum Hals. Flip winkte uns, zurückzubleiben und ich hörte Russell "Dich haben wir" hauchen.Löwen in SichtNervös suchten meine Augen das Gras vor uns ab. Dann sah ich sie: zwei Paar runde Ohren und die Kronen gelb-brauner Mähnen. Mit Hilfe des Fernglases sahen wir, dass uns die Augen wach und aufmerksam beobachteten!

Flip kroch ein wenig nach vorn und die beiden Löwen standen auf. Ewas weiter links war eine Löwin mit ihren verspielten Jungen und auch sie zeigte mit dem peitschenden Schweif, dass sie genau wusste, dass wir da waren. Aus dem Busch tauchte eine junge Löwin auf, die sich zu der Mutter mit den Jungen gesellte. Mich faszinierte die Verspieltheit der Löwinnen mit den Kleinen und ich vergaß für einen Augenblick meine Umwelt bis meine Tochter mich mit ihrer Unruhe wieder ansteckte. Noch ein dritter Löwe erschien - wie die beiden anderen ein mächtiges Tier. Nun standen sie auf und liefen direkt auf uns zu. Ich konnte nicht anders - war es reiner Instinkt - ich rollte sofort das Fenster hoch. Wie nie war ich mir ihrer Urkraft bewusst und des beherrschenden Triebs zu töten.

Die Arbeit beginntFlip war absolut Herr der Lage. Er warf den Köder aus und es entstand das vollkommene Chaos. Die Tiere warfen sich aufs Fleisch und vergaßen die Welt um sich. Wir Menschen waren nur noch nichtige Statisten in diesem Wirbel aus Gier und Macht. Jeder war sich selbst der nächste und in dieses Tohowabu schoß Flip seinen Pfeil. XPL34 protestierte laut und wütend. Er war aber von dem üppigen Mahl so erregt, dass nichts passierte und Flip einen zweiten Pfeil abschoß. Eine der Löwinnen führte einen Scheinangriff aus, und während das Betäubungsmittel langsam auf XPL34 zu wirken begann, zogen sich die anderen Löwen etwas zurück - unter Mitnahme des Löwenanteils der Beute. Die Nacht war wieder still.

Der junge Löwe - 190 Kilo Muskeln mit offenen gelben Augen - blieb bewegungslos liegen. Jetzt wirkte er erschütternd hilflos und verwundbar. Er musste woanders hin. Der Dickbusch verwehrte jede Aussicht und die Löwen trieben sich störend in unmittelbare Nähe herum. Mir wurde das Fernglas in die Hand gedrückt mit der Instruktion, ein Auge auf die Raubtiere zu halten, während Flip, Russell und meine Kinder das bewusstlose Männchen aufs Auto hieften. Mein Sohn hatte buchstäblich die Katze beim Schwanz, als der König der Tiere ein Lüftchen ließ, worüber die Männer sich köstlich amüsierten und unser Teenager entsetzt die Nase rümpfte!

Die Zusammenarbeit löste alle Spannungen und auch ich konnte das Erlebnis genießen. Ich war jetzt Teil einer Parallelwelt zu meiner eigenen Großstadtexistenz und mir wurden ganz neue Einsichten zuteil. Dieses Abenteuer ging weit über unsere Erlebniswelt hinaus.

In sicherem Abstand von den anderen Löwen befassten wir uns mit XPL34: Zähne und Schwanzklaue, Körpermaße und Blutbeschaffenheit wurden gemessen und aufgezeichnet. Flip und Russell machten die Messungen, die dann von meiner Tochter, die im Schneidersitz vor dem Versuchsobjekt hockte, genau aufgeschrieben wurden. Der Zwölfjährige stand Wache mit der Taschenlampe in der Hand. Nach dem Brennen zum Kennzeichnen des Tieres roch es nach versengtem Fell.
Faszination NaturDie ganze Zeit über versuchte ich meiner Emotionen Herr zu werden. Schon, dass ich diesen Löwen berühren konnte, war eine unglaubliche Erfahrung. Es berührte mich zu tiefst, dass es mir vergönnt war und das bei einem Tier, das noch wahrhaft in Freiheit lebt. Ich nahm den dumpfen Geruch der Raubkatze in mich auf und schnitt ein paar Haare der Mähne ab, um sie zu bewahren. Wir verließen ihn dann, damit seine Brüder ihn finden konnten.

Spät abends auf meinem Lager bewunderte ich den Sternenhimmel durch die offene Klappe meines Zeltes und lauschte dem entfernten Gebrüll der Löwen. Zum ersten Mal fühlte ich mich eins mit der Natur. Ich war glücklich und erfüllt denn ich wusste, dass wir mit unserer Anwesenheit in dieser Wildnis einen wichtigen Beitrag lieferten zum Erhalt dieser Welt. Die Freiheit dieser Löwen musste um jeden Preis gewährleistet werden. Bettina Meinert

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-12-26

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