Mariental nach der Flut: "Die Menschen sind so still wie der Ort"
76 Tage sind vergangen, seit Mariental nach der Öffnung der Hardapdamm-Schleusen von einer verheerenden Flutwelle überrollt wurde. Weit über 100 Häuser im so genannten "Unterdorf" standen unter Wasser, fast 80 Geschäfte, Läden oder Unternehmen wurden zerstört. Heute, 76 Tage später, ist es wieder still um den Ort geworden. Das Wasser ist längst abgeflossen, Hilfsorganisationen, Polizisten, Politiker und die Presse sind abgerückt, die Flut ist kaum noch Thema in der Öffentlichkeit. In Mariental sind Schlamm, Müll und Dreck weitgehend beseitigt. Doch die Flut hat Spuren hinterlassen, neben den noch sichtbaren im Ort vor allem auch unsichtbare: in der Seele der Menschen, die vom Wasser überrollt wurden.
"Totenstill" sei es seit der Flut im Ort, sagt Manfred Janik. Der 38-jährige Psychologe aus Windhoek betreut seit Jahren auch Patienten in Mariental, seinem Geburtsort, rund 200 sind es mittlerweile. Immer am letzten Donnerstag und Freitag eines Monats, also am "Pay Day", fährt Janik nach Mariental und empfängt in einem kleinen verschwiegenen Hinterzimmer einer Arztpraxis seine Klienten. 26 sind es an zwei Tagen, volles Programm für den Psychologen. "Vor der Flut war es immer laut, man hörte Schreien, Kreischen, Markttreiben, Leben. Neben der Arztpraxis war ein Gemüsemarkt, auf dem Basarstimmung herrschte. Der ist jetzt weg, es ist gespenstisch still, das Unterdorf ist grau vom feinen Lehmstaub - und leer." Dafür ist seine Praxis voll, die Zahl seiner Klienten ist nach der Flut noch einmal deutlich gestiegen. "Die Menschen kommen vielleicht nicht primär wegen der Flut, aber das Wasser hat sozusagen vieles hochgespült. Sie haben Angst, sind depressiv, haben viele Sorgen und Nöte." Aber auch seine Gesprächspartner hätten sich verändert, meint Janik: "Die Emotionen sind platt, die Menschen sind genauso still wie der Ort. Es gibt kaum noch Lachen, die Leute sind seltsam gedämpft."
"Die Emotionen sind platt"
Die 13 Stunden pro Tag sind gefüllt mit viel Leid. Persönlich von der Flut Betroffene erzählen dem Psychologen von ihren Erlebnissen und den Traumata, mit denen sie seit Ende Februar zu kämpfen haben. Viele waren nicht versichert gegen das, was kommen sollte und betrauern nun den unersetzlichen Verlust von Haus, Einrichtungsgegenständen und Haushaltsbedarf, von ganz persönlichen Dokumenten, Fotos und anderen Erinnerungsstücken. "Eine Frau und ihr Sohn haben verzweifelt versucht, wieder in ihr überflutetes Haus zurückzukehren, um Dinge zu retten, weil sie nicht versichert waren. Sie wurden von der Strömung erfasst und quer durch ihren Garten gespült, bis der Zaun sie aufgehalten und schlimmeres verhindert hat." Ein ebenso tragischer Fall war der eines Geschäftsehepaares: Sie selber hatten ihr Haus verlassen, sich ins Oberdorf gerettet und dort Unterkunft gefunden, während ihr Lastwagen und Pkw in der nassen Garage zurückblieben. Das Wasser löste einen Kurzschluss in dem Lastwagen auf, der ihre Fahrzeuge und ihre Geschäft - und damit ihre Lebensgrundlage - in Flammen aufgehen ließ. Ohnehin, so meint Janik, sei auch die Geschäftswelt im Unterdorf zerstört. Die Tankstelle und der dortige Fast-Food-Laden seien allerdings wieder in Betrieb, auch wenn es Tankstellenbesitzer gleich doppelt schwer getroffen habe: Nicht nur sein Unternehmen, sondern auch sein Haus hätten völlig unter Wasser gestanden. Das einzig verbleibende Geschäft liege im Oberdorf, viele selbst einfache Dinge für den normalen Alltagsgebrauch seien nicht mehr erhältlich. Der Ladenbesitzer sei seitdem völlig überfordert und überarbeitet - alle anderen von Janiks Klienten wiederum beschwerten sich über genau diesen Ladenbesitzer, weil der Service natürlich schlecht sei. "Es ist schlimm, dass sich offensichtlich auch nichts mehr bewegt", meint Janik, der als gebürtiger Marientaler immer wieder selbst tief betroffen ist von der Flut und ihren Auswirkungen. "Die Unternehmen, die von Tourismus profitieren, beeilen sich zwar mit der Wiedereröffnung, aber sonst ist alles tot. Ein Supermarkt soll im Juli oder August wieder eröffnen, ein anderer bleibt geschlossen. Auch das alteingesessene und geschichtsträchtige Sandberg-Hotel macht nicht mehr auf", berichtet Janik. "Und obwohl überall in den Häusern renoviert und gebaut wird, ist es so seltsam still, die Menschen erledigen einfach emotionslos diese Arbeiten." Seine Klienten berichten dem Psychologen teils von Chaos in den Häusern: "Bei einer Familie, die alle Fenster und Türen mit Silikon abgedichtet hatte, kam das Wasser durch den Boden, durch Dusche und Toiletten und spülte Berge von Sand und Lehm in die Zimmer, so schlimm, dass sie ihre Türen nicht mehr öffnen konnten." Bei andern wachse mittlerweile das Unkraut im feuchten Wohnzimmer.
Betroffen hat ihn auch die Geschichte der 78-jährigen Johanna Smit. Während seiner Aufenthalte in Mariental hatte der Psychologe früher oft die Nacht bei ihr verbracht. Die alte Dame hatte noch jede Flut in Mariental miterlebt. "Schon im Dezember hatte sie ihre Sachen in der Wohnung hochgestellt. Seitdem konnte sie sich nichts mehr kochen, hat von Brot, Obst und Konserven gelebt. Immer wieder habe ich zu ihr gesagt: ,Räum' doch Deine Sachen wieder zurück!`. Auch am 23. und 24. Februar - und einen Tag später kam die Flut." Die alteingesessene Dame konnte noch ein paar Töpfe retten, erlitt einen totalen Zusammenbruch. Ihre hochschwangere Tochter reiste aus Pretoria an, um beim Aufräumen zu helfen, und musste miterleben, wie viel Aggression direkt nach der Katastrophe in den Marientalern steckte: Aus dem Auto der Tochter wurden Pass, Flugticket und Geld gestohlen, als sie dies bei der örtlichen Polizei anzeigen wollte, wurde sie von einer - wie sie aussagte - "wilden Frau" angegriffen und eine Treppe herunter gestoßen. Bei der hochschwangeren setzten daraufhin die Geburtswehen ein. Frau Smit, die alte Dame, habe ihr Haus und Mariental mittlerweile verlassen und sei zu ihrer Tochter nach Pretoria gezogen, berichtet Janik.
Verdrängter Schmerz macht krank
Die meisten seiner Patienten sind Frauen, allerdings sitzen Manfred Janik auch immer wieder Männer gegenüber. "Auch die werden dann sehr emotional - vielleicht ist mein Hinterzimmer der einzige Ort, an dem sie das dürfen." Man habe ihm berichtet, dass es hauptsächlich Frauen waren, die direkt nach der Katastrophe in den nassen Straßen gestanden, geweint und sich umarmt hätten: "Die Männer haben offenbar nur derbe Witze gemacht. Allerdings haben mir später die Allgemeinärzte erzählt, dass nach der Flut viele Männer geradezu körperlich krank geworden sind." Dies sei bezeichnend: Wer den Schmerz in der Seele nicht zulasse, laufe Gefahr, physisch krank zu werden. Auch den umgekehrten Fall hat der Psychologe angetroffen. Eine krebskranke Frau mit Augenproblemen habe sich vom verdreckten Wasser einen Virus eingefangen, der ihre Sehschwierigkeiten noch verschlimmert habe: "Das zieht dann natürlich auch die Seele herunter." Selbst Helfer sind betroffen: Mindestens zwei Allgemeinärzte, die in Mariental auch für psychologische Beratung zur Verfügung stehen, wurden selber zu Flutopfern.
Erst in Janiks Praxis finden die Betroffenen oftmals die Möglichkeit, alles auszusprechen, was ihnen auf der Seele liegt. "Ich denke, dass fast alle meiner Klienten ein Trauma davon getragen haben. Was sie erlebt haben und nun verarbeiten müssen, ist einfach zu viel für sie. Es wird sehr lange dauern, sie daraus zu befreien", meint der Psychologe. Wichtig sei, dass die Menschen über ihre Erlebnisse sprächen, Erfahrungen austauschten und jemanden hätten, der ihnen zuhört. Oftmals sei das gegenüber einer fremden Person einfacher. "Ich versuche, mich in ihren Schmerz einzufühlen, mich sozusagen hineinzulegen, und ihnen Verständnis entgegen zu bringen!" Die teils schrecklichen Erlebnisse und die Spuren, die sie hinterlassen haben, zeigen sich in zahlreichen Symptomen: Angstzustände, Schlafstörungen und Essstörungen sind nur einige davon.
Reden gegen das Trauma
Während sich bei einigen der Schockzustand schneller löse, hätten andere mit dem so genannten "Post-Traumatic Stress Disorder" (PTSD) zu kämpfen. Von diesem Symptom spricht man, wenn nach ungefähr 30 Tagen nach dem traumatischen Erlebnis keine Besserung der seelischen Beschwerden auftritt. PTSD geht einher mit Depression, Angst, Aggressivität und Frust. Viele bekämen mittlerweile zudem schon Angst, erzählt Janik, wenn Wolken am Himmel über Mariental aufzögen, erschräken, wenn man sie laut anspreche. Oftmals sei dann eine pharmakologische Behandlung unumgänglich. Noch "helfen" sich nach Ansicht des Psychologen aber auch viele mit Verdrängung: "Sie erzählen sehr oft von Schicksal anderer, um nicht so sehr den eigenen Schmerz zulassen zu müssen."
Andere stünden seit der Flut in einem wahren Gefühlskonflikt: "Viele Leute haben noch Zweitfarmen in regenarmen Gebieten. Auf der einen Seite freuen sie sich über die guten Regenfälle und hassen sie andererseits doch, weil sie in Mariental alles kaputt gemacht haben." Eine große Verzweiflung sei zu spüren; vielen Betroffenen, die nicht versichert waren, fehle es jetzt an Geld. Man sieht, wie dem Psychologen all die Einzelschicksale nahe gehen, wie zum Beispiel das der sechsköpfigen Familie, deren Besitz bereits zum vierten Mal überspült und jetzt zerstört wurde. "Die Menschen sind so hilflos: Einige würden gerne ihre Häuser im Unterdorf verkaufen, aber bekämen natürlich nur ganz niedrige Preise dafür. Manche überlegen, nach Stampriet umzusiedeln und jeden Tag zu pendeln, andere würden Mariental am liebsten ganz verlassen", berichtet Janik.
"Jede Welt ist ganz klein geworden", sagt Janik und zitiert damit die Beobachtung einer Frau aus seiner Sprechstunde. Jeder wolle im Angesicht der Verwüstung und umgeben von Scherereien mit der Versicherung sich selber und seinen Besitz retten, überleben. Der Blick für den anderen sei da oftmals beschränkt. Es geht aber auch anders: Ein Mann, der selber mehrere Millionen Dollar Schaden zu beklagen hatte, so berichtet Manfred Janik, habe nach der Flut zahlreichen Betten für all diejenigen gekauft, die keine Versicherung hatten. Andere spenden Kessel, Toaster, Bügeleisen, denn so meint der Psychologe: "Kaffee, Brot und saubere Wäsche bleiben wichtig".
Von der Politik im Stich gelassen?
Der Psychologe sieht darüber hinaus aber auch Ursachen für Pessimismus, Frust und Ärger im Verhalten der Politik vor und nach der Flut: "Die Leute fühlen sich von der Regierung alleine gelassen und verschaukelt. Zuerst wurde ihnen gesagt, die Schleusenöffnung hätte keine schlimmen Konsequenzen, zwar müssten die Bewohner ihre Häuser verlassen, könnten aber nach wenigen Stunden zurückkehren. Keiner hat seine Habe gesichert oder Sachen gepackt. Auf viele wartete dann der totale Schock, als sie das Ausmaß der Katastrophe sahen. Später macht die Regierung Versprechungen und doch entsteht der Eindruck, dass nichts geschieht. Die Menschen wissen, dass noch viele Fluten kommen werden, sehen aber nicht, dass sie geschützt werden. Das macht hoffnungslos. Auch die Politisierung der Fluthilfe macht vielen zu schaffen. Sie wollen die Hilfe, wissen aber nicht, ob sie sich politisch korrekt verhalten." Das sorge für schlechte Stimmung und diese schlage sich dann auch im Ortsklima nieder: "Mittlerweile gibt es Streit in Dorfgemeinschaft und Stadtrat, weil viel Geld gesammelt wurde, aber nichts angekommen ist", berichtet Janik. "Und wer soll überhaupt wie viel Geld erhalten - manche hatten Versicherungen, manche nicht?!" Und irgendwie schwele da angesichts der Tatsache, dass drei Viertel der Betroffenen weiß seien, auch die nagende Frage im Raum, ob die Hilfe effektiver verlaufen wäre, wenn die Flut ein anderes Wohngebiet überrollt hätte.
Abends kriecht der Schmerz hoch
In etwa sechs Monaten erwartet Manfred Janik eine neue Welle von Patienten: "Die Leute sind jetzt noch damit beschäftigt, aufzuräumen, zu planen, wie sie ihre Häuser und Geschäfte renovieren, wo sie Geld herkriegen. Damit drücken sie ihre Emotionen zunächst weg. Aber abends, wenn sie im Unterdorf still ihre Haustüren hinter sich zu ziehen, dann kriecht der Schmerz hoch und sie müssen alleine um ihre erlittenen Verluste trauern." Andere wiederum verharrten noch immer in einer Wartestimmung. Da die Regenzeit noch bis Ende Mai dauern könne, hätten sie zu viel Angst, schon jetzt mit der Renovierung zu beginnen: "Das Wasser könnte ja nochmals wiederkommen."
Mindestens zwei Jahre werden noch vergehen, so Janik, bis die Betroffenen ihre Traumata einigermaßen überwunden haben könnten, zwei Jahre, die nach seiner Meinung aber immer wieder von Stimmungsschwankungen, Hochs und Tiefs geprägt sein werden. "Das gilt aber nur, wenn keine neue Flut kommt. Was dann passieren würde, mag ich mir jetzt gar nicht vorstellen". Doch selbst, wenn die seelischen Wunden geheilt sind, wird in Mariental nichts mehr sein, wie es mal war. "Die Identität der Menschen ändert sich durch ein solch einschneidendes Erlebnis", sagt Manfred Janik, "sie werden anders, irgendwie älter. Und auch der Ort hat sich durch diese Flut geändert: Mariental wird nie mehr so sein wie es mal war!"
"Totenstill" sei es seit der Flut im Ort, sagt Manfred Janik. Der 38-jährige Psychologe aus Windhoek betreut seit Jahren auch Patienten in Mariental, seinem Geburtsort, rund 200 sind es mittlerweile. Immer am letzten Donnerstag und Freitag eines Monats, also am "Pay Day", fährt Janik nach Mariental und empfängt in einem kleinen verschwiegenen Hinterzimmer einer Arztpraxis seine Klienten. 26 sind es an zwei Tagen, volles Programm für den Psychologen. "Vor der Flut war es immer laut, man hörte Schreien, Kreischen, Markttreiben, Leben. Neben der Arztpraxis war ein Gemüsemarkt, auf dem Basarstimmung herrschte. Der ist jetzt weg, es ist gespenstisch still, das Unterdorf ist grau vom feinen Lehmstaub - und leer." Dafür ist seine Praxis voll, die Zahl seiner Klienten ist nach der Flut noch einmal deutlich gestiegen. "Die Menschen kommen vielleicht nicht primär wegen der Flut, aber das Wasser hat sozusagen vieles hochgespült. Sie haben Angst, sind depressiv, haben viele Sorgen und Nöte." Aber auch seine Gesprächspartner hätten sich verändert, meint Janik: "Die Emotionen sind platt, die Menschen sind genauso still wie der Ort. Es gibt kaum noch Lachen, die Leute sind seltsam gedämpft."
"Die Emotionen sind platt"
Die 13 Stunden pro Tag sind gefüllt mit viel Leid. Persönlich von der Flut Betroffene erzählen dem Psychologen von ihren Erlebnissen und den Traumata, mit denen sie seit Ende Februar zu kämpfen haben. Viele waren nicht versichert gegen das, was kommen sollte und betrauern nun den unersetzlichen Verlust von Haus, Einrichtungsgegenständen und Haushaltsbedarf, von ganz persönlichen Dokumenten, Fotos und anderen Erinnerungsstücken. "Eine Frau und ihr Sohn haben verzweifelt versucht, wieder in ihr überflutetes Haus zurückzukehren, um Dinge zu retten, weil sie nicht versichert waren. Sie wurden von der Strömung erfasst und quer durch ihren Garten gespült, bis der Zaun sie aufgehalten und schlimmeres verhindert hat." Ein ebenso tragischer Fall war der eines Geschäftsehepaares: Sie selber hatten ihr Haus verlassen, sich ins Oberdorf gerettet und dort Unterkunft gefunden, während ihr Lastwagen und Pkw in der nassen Garage zurückblieben. Das Wasser löste einen Kurzschluss in dem Lastwagen auf, der ihre Fahrzeuge und ihre Geschäft - und damit ihre Lebensgrundlage - in Flammen aufgehen ließ. Ohnehin, so meint Janik, sei auch die Geschäftswelt im Unterdorf zerstört. Die Tankstelle und der dortige Fast-Food-Laden seien allerdings wieder in Betrieb, auch wenn es Tankstellenbesitzer gleich doppelt schwer getroffen habe: Nicht nur sein Unternehmen, sondern auch sein Haus hätten völlig unter Wasser gestanden. Das einzig verbleibende Geschäft liege im Oberdorf, viele selbst einfache Dinge für den normalen Alltagsgebrauch seien nicht mehr erhältlich. Der Ladenbesitzer sei seitdem völlig überfordert und überarbeitet - alle anderen von Janiks Klienten wiederum beschwerten sich über genau diesen Ladenbesitzer, weil der Service natürlich schlecht sei. "Es ist schlimm, dass sich offensichtlich auch nichts mehr bewegt", meint Janik, der als gebürtiger Marientaler immer wieder selbst tief betroffen ist von der Flut und ihren Auswirkungen. "Die Unternehmen, die von Tourismus profitieren, beeilen sich zwar mit der Wiedereröffnung, aber sonst ist alles tot. Ein Supermarkt soll im Juli oder August wieder eröffnen, ein anderer bleibt geschlossen. Auch das alteingesessene und geschichtsträchtige Sandberg-Hotel macht nicht mehr auf", berichtet Janik. "Und obwohl überall in den Häusern renoviert und gebaut wird, ist es so seltsam still, die Menschen erledigen einfach emotionslos diese Arbeiten." Seine Klienten berichten dem Psychologen teils von Chaos in den Häusern: "Bei einer Familie, die alle Fenster und Türen mit Silikon abgedichtet hatte, kam das Wasser durch den Boden, durch Dusche und Toiletten und spülte Berge von Sand und Lehm in die Zimmer, so schlimm, dass sie ihre Türen nicht mehr öffnen konnten." Bei andern wachse mittlerweile das Unkraut im feuchten Wohnzimmer.
Betroffen hat ihn auch die Geschichte der 78-jährigen Johanna Smit. Während seiner Aufenthalte in Mariental hatte der Psychologe früher oft die Nacht bei ihr verbracht. Die alte Dame hatte noch jede Flut in Mariental miterlebt. "Schon im Dezember hatte sie ihre Sachen in der Wohnung hochgestellt. Seitdem konnte sie sich nichts mehr kochen, hat von Brot, Obst und Konserven gelebt. Immer wieder habe ich zu ihr gesagt: ,Räum' doch Deine Sachen wieder zurück!`. Auch am 23. und 24. Februar - und einen Tag später kam die Flut." Die alteingesessene Dame konnte noch ein paar Töpfe retten, erlitt einen totalen Zusammenbruch. Ihre hochschwangere Tochter reiste aus Pretoria an, um beim Aufräumen zu helfen, und musste miterleben, wie viel Aggression direkt nach der Katastrophe in den Marientalern steckte: Aus dem Auto der Tochter wurden Pass, Flugticket und Geld gestohlen, als sie dies bei der örtlichen Polizei anzeigen wollte, wurde sie von einer - wie sie aussagte - "wilden Frau" angegriffen und eine Treppe herunter gestoßen. Bei der hochschwangeren setzten daraufhin die Geburtswehen ein. Frau Smit, die alte Dame, habe ihr Haus und Mariental mittlerweile verlassen und sei zu ihrer Tochter nach Pretoria gezogen, berichtet Janik.
Verdrängter Schmerz macht krank
Die meisten seiner Patienten sind Frauen, allerdings sitzen Manfred Janik auch immer wieder Männer gegenüber. "Auch die werden dann sehr emotional - vielleicht ist mein Hinterzimmer der einzige Ort, an dem sie das dürfen." Man habe ihm berichtet, dass es hauptsächlich Frauen waren, die direkt nach der Katastrophe in den nassen Straßen gestanden, geweint und sich umarmt hätten: "Die Männer haben offenbar nur derbe Witze gemacht. Allerdings haben mir später die Allgemeinärzte erzählt, dass nach der Flut viele Männer geradezu körperlich krank geworden sind." Dies sei bezeichnend: Wer den Schmerz in der Seele nicht zulasse, laufe Gefahr, physisch krank zu werden. Auch den umgekehrten Fall hat der Psychologe angetroffen. Eine krebskranke Frau mit Augenproblemen habe sich vom verdreckten Wasser einen Virus eingefangen, der ihre Sehschwierigkeiten noch verschlimmert habe: "Das zieht dann natürlich auch die Seele herunter." Selbst Helfer sind betroffen: Mindestens zwei Allgemeinärzte, die in Mariental auch für psychologische Beratung zur Verfügung stehen, wurden selber zu Flutopfern.
Erst in Janiks Praxis finden die Betroffenen oftmals die Möglichkeit, alles auszusprechen, was ihnen auf der Seele liegt. "Ich denke, dass fast alle meiner Klienten ein Trauma davon getragen haben. Was sie erlebt haben und nun verarbeiten müssen, ist einfach zu viel für sie. Es wird sehr lange dauern, sie daraus zu befreien", meint der Psychologe. Wichtig sei, dass die Menschen über ihre Erlebnisse sprächen, Erfahrungen austauschten und jemanden hätten, der ihnen zuhört. Oftmals sei das gegenüber einer fremden Person einfacher. "Ich versuche, mich in ihren Schmerz einzufühlen, mich sozusagen hineinzulegen, und ihnen Verständnis entgegen zu bringen!" Die teils schrecklichen Erlebnisse und die Spuren, die sie hinterlassen haben, zeigen sich in zahlreichen Symptomen: Angstzustände, Schlafstörungen und Essstörungen sind nur einige davon.
Reden gegen das Trauma
Während sich bei einigen der Schockzustand schneller löse, hätten andere mit dem so genannten "Post-Traumatic Stress Disorder" (PTSD) zu kämpfen. Von diesem Symptom spricht man, wenn nach ungefähr 30 Tagen nach dem traumatischen Erlebnis keine Besserung der seelischen Beschwerden auftritt. PTSD geht einher mit Depression, Angst, Aggressivität und Frust. Viele bekämen mittlerweile zudem schon Angst, erzählt Janik, wenn Wolken am Himmel über Mariental aufzögen, erschräken, wenn man sie laut anspreche. Oftmals sei dann eine pharmakologische Behandlung unumgänglich. Noch "helfen" sich nach Ansicht des Psychologen aber auch viele mit Verdrängung: "Sie erzählen sehr oft von Schicksal anderer, um nicht so sehr den eigenen Schmerz zulassen zu müssen."
Andere stünden seit der Flut in einem wahren Gefühlskonflikt: "Viele Leute haben noch Zweitfarmen in regenarmen Gebieten. Auf der einen Seite freuen sie sich über die guten Regenfälle und hassen sie andererseits doch, weil sie in Mariental alles kaputt gemacht haben." Eine große Verzweiflung sei zu spüren; vielen Betroffenen, die nicht versichert waren, fehle es jetzt an Geld. Man sieht, wie dem Psychologen all die Einzelschicksale nahe gehen, wie zum Beispiel das der sechsköpfigen Familie, deren Besitz bereits zum vierten Mal überspült und jetzt zerstört wurde. "Die Menschen sind so hilflos: Einige würden gerne ihre Häuser im Unterdorf verkaufen, aber bekämen natürlich nur ganz niedrige Preise dafür. Manche überlegen, nach Stampriet umzusiedeln und jeden Tag zu pendeln, andere würden Mariental am liebsten ganz verlassen", berichtet Janik.
"Jede Welt ist ganz klein geworden", sagt Janik und zitiert damit die Beobachtung einer Frau aus seiner Sprechstunde. Jeder wolle im Angesicht der Verwüstung und umgeben von Scherereien mit der Versicherung sich selber und seinen Besitz retten, überleben. Der Blick für den anderen sei da oftmals beschränkt. Es geht aber auch anders: Ein Mann, der selber mehrere Millionen Dollar Schaden zu beklagen hatte, so berichtet Manfred Janik, habe nach der Flut zahlreichen Betten für all diejenigen gekauft, die keine Versicherung hatten. Andere spenden Kessel, Toaster, Bügeleisen, denn so meint der Psychologe: "Kaffee, Brot und saubere Wäsche bleiben wichtig".
Von der Politik im Stich gelassen?
Der Psychologe sieht darüber hinaus aber auch Ursachen für Pessimismus, Frust und Ärger im Verhalten der Politik vor und nach der Flut: "Die Leute fühlen sich von der Regierung alleine gelassen und verschaukelt. Zuerst wurde ihnen gesagt, die Schleusenöffnung hätte keine schlimmen Konsequenzen, zwar müssten die Bewohner ihre Häuser verlassen, könnten aber nach wenigen Stunden zurückkehren. Keiner hat seine Habe gesichert oder Sachen gepackt. Auf viele wartete dann der totale Schock, als sie das Ausmaß der Katastrophe sahen. Später macht die Regierung Versprechungen und doch entsteht der Eindruck, dass nichts geschieht. Die Menschen wissen, dass noch viele Fluten kommen werden, sehen aber nicht, dass sie geschützt werden. Das macht hoffnungslos. Auch die Politisierung der Fluthilfe macht vielen zu schaffen. Sie wollen die Hilfe, wissen aber nicht, ob sie sich politisch korrekt verhalten." Das sorge für schlechte Stimmung und diese schlage sich dann auch im Ortsklima nieder: "Mittlerweile gibt es Streit in Dorfgemeinschaft und Stadtrat, weil viel Geld gesammelt wurde, aber nichts angekommen ist", berichtet Janik. "Und wer soll überhaupt wie viel Geld erhalten - manche hatten Versicherungen, manche nicht?!" Und irgendwie schwele da angesichts der Tatsache, dass drei Viertel der Betroffenen weiß seien, auch die nagende Frage im Raum, ob die Hilfe effektiver verlaufen wäre, wenn die Flut ein anderes Wohngebiet überrollt hätte.
Abends kriecht der Schmerz hoch
In etwa sechs Monaten erwartet Manfred Janik eine neue Welle von Patienten: "Die Leute sind jetzt noch damit beschäftigt, aufzuräumen, zu planen, wie sie ihre Häuser und Geschäfte renovieren, wo sie Geld herkriegen. Damit drücken sie ihre Emotionen zunächst weg. Aber abends, wenn sie im Unterdorf still ihre Haustüren hinter sich zu ziehen, dann kriecht der Schmerz hoch und sie müssen alleine um ihre erlittenen Verluste trauern." Andere wiederum verharrten noch immer in einer Wartestimmung. Da die Regenzeit noch bis Ende Mai dauern könne, hätten sie zu viel Angst, schon jetzt mit der Renovierung zu beginnen: "Das Wasser könnte ja nochmals wiederkommen."
Mindestens zwei Jahre werden noch vergehen, so Janik, bis die Betroffenen ihre Traumata einigermaßen überwunden haben könnten, zwei Jahre, die nach seiner Meinung aber immer wieder von Stimmungsschwankungen, Hochs und Tiefs geprägt sein werden. "Das gilt aber nur, wenn keine neue Flut kommt. Was dann passieren würde, mag ich mir jetzt gar nicht vorstellen". Doch selbst, wenn die seelischen Wunden geheilt sind, wird in Mariental nichts mehr sein, wie es mal war. "Die Identität der Menschen ändert sich durch ein solch einschneidendes Erlebnis", sagt Manfred Janik, "sie werden anders, irgendwie älter. Und auch der Ort hat sich durch diese Flut geändert: Mariental wird nie mehr so sein wie es mal war!"
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Allgemeine Zeitung
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