Mehr General als Sekretär: Dag Hammarskjöld (1905-1961):
Alle 16 Menschen an Bord fanden den Tod. Hammarskjöld war auf dem Weg zu einem kurzfristig anberaumten Treffen mit Moise Tshombe, dem Anführer der Sezessionsbewegung der kongolesischen Provinz Katanga. Sein Tod kam einigen der im früheren Belgisch-Kongo sich reichlich tummelnden Akteure westlicher Interessen (vornehmlich belgischer, französischer, britischer und US-amerikanischer Couleur) nicht ungelegen. Die Ursache des Absturzes ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Der offizielle Bericht der UNO-Untersuchungskommission lässt dies offen, auch wenn ein Pilotenfehler in den offiziellen Versionen als die wahrscheinlichste Erklärung gilt. Doch die Theorien, dass es sich dabei um ein absichtlich herbei geführtes "Unglück" handelte, erhielten unlängst aus aktuellem Anlass neue Nahrung und lassen sich keinesfalls zweifelsfrei zurück weisen.
Vom aufrechten Gang
Dag Hammarskjöld galt als unauffälliger und deshalb scheinbar "pflegeleichter" schwedischer Beamter. Er war als "Nobody" nach langem Tauziehen zwischen den Großmächten der Kompromisskandidat, auf den sich die einflussreichen Staaten im Kalten Krieg schließlich einigten. 1953 zum Nachfolger des unberechenbaren norwegischen Gewerkschaftsfunktionärs Trygve Lie gewählt, enttäuschte er die Erwartungen, als willfähriger Handlanger den Großmachtinteressen zu Diensten zu sein. Stattdessen erwies er sich als prinzipientreuer Mann von einem Höchstmaß an persönlicher Integrität und diplomatischer Finesse, der einzig den in der Charta der Vereinten Nationen definierten Grundwerten loyal verbunden war. Unbeeindruckt von der "politischen Räson" einer Realpolitik, die nur den Mächtigen zu Diensten gewesen wäre, widerstand er den Manipulationsversuchen und blieb stets nur dem Dienst an der gesamten Menschheit verpflichtet.
Auch ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod wird Hammarskjöld als der außergewöhnlichste Generalsekretär gepriesen, den die VN je hatten. "Mehr General als Sekretär" war eine gängige Einschätzung. Die Medien jener Zeit (für die er erstmals regelmäßige Pressekonferenzen als Teil der Berichtspflicht einführte) prägten das respektvolle Schlagwort "Leave it to Dag". Der schwedische Bürokrat war ein internationaler Beamter, der Standards setzte. Er steuerte die Institution durch die rauen Wasser des kalten Krieges und die Wellen der Veränderung, die über den afrikanischen Kontinent schwappten. Dem "Wind des Wandels" zollte er Anerkennung, indem er 1959/60 eine mehr als vierwöchige Reise in über 20 Länder Afrikas unternahm, um sich mit den Veränderungen direkt vertraut zu machen. - "Setz Dich auf den Boden und rede mit den Menschen" war der Rat, den er seinem Freund John Steinbeck bei einem Abendessen auf die Frage gab, was er denn während einer Weltreise tun solle.
1954 - nach einem Jahr im Amt - schloss Hammarskjöld sich der Ansicht an, die VN seien nicht gegründet worden, "um uns in den Himmel zu bringen, sondern vor der Hölle zu retten". Leider hat sich seither nicht viel geändert: Dieser Leitsatz passt noch immer.
Ein halbes Jahrhundert nach Hammarskjölds Tod sind viele den VN gegenüber skeptisch. Die Institution wird kaum für ihre Erfolge gelobt, sondern eher für Mängel und Versagen kritisiert. Die große Bandbreite an Abkommen, Konventionen, Resolutionen und anderen Programmen und Deklarationen, die in über 60 Jahren entstanden sind, zeigen, wie sehr die definierten Ziele der VN und die ernüchternde soziale und politische Realität auseinander klaffen. Aber wäre die Welt ohne diese Rahmenvorgaben ein besserer Ort? Wären wir besser dran ohne die VN?
Beispiele aus Afrika
Besonders diejenigen aus dem so genannten "globalen Süden", die dazu neigen, die Institutionen globaler Regierungsführung als Instrumente hegemonialer Interessen oder bestenfalls missliebige Einmischung in innere Angelegenheiten zu kritisieren, sollten sich klar machen, dass die Welt ohne die begrenzte Macht der UNO ein noch schlimmerer Ort wäre. Nehmen wir etwa das Beispiel südliches Afrika. Schon früh nutzten der UNO-Treuhandschaftsrat, der die Verwaltung der Mandatsgebiete vor deren Unabhängigkeit überwachte, und die Generalversammlung der VN ihre normative Macht, um die Apartheid in Südafrika als "Verbrechen gegen die Menschheit" zu brandmarken. Daraufhin verhängte der UN-Sicherheitsrat sein erstes Waffenembargo gegen das südafrikanische Minderheitsregime. Der UNO-Rat für Namibia und das UNO-Institut für Namibia wiederum spielten eine wichtige Rolle in der langwierigen Dekolonisierung unseres Landes und der Vorbereitung auf die Unabhängigkeit. Ohne die VN wären wir dieser ein großes Stück weiter entfernt geblieben, und die Wahlen im November 1989 wären ohne die Beteiligung der United Nations Transitional Assistance Group (UNTAG) - so sie überhaupt statt gefunden hätten - gewiss anders verlaufen. Dem UNO-Sondergesandten Martti Ahtisaari wurde nicht zuletzt wegen seiner Verdienste im Übergangsprozess zur Souveränität Namibias 2008 der Friedensnobelpreis verliehen. Auch andernorts spielten UNO-Organe und UNO-Sonderbeauftragte, die zunächst von Hammarskjöld als seine persönlichen Gesandten ernannt wurden, eine konstruktive Rolle bei der Beilegung von Konflikten. Viele Unabhängigkeitskämpfe hätten länger gedauert oder wären erfolglos geblieben, hätte die UNO sie nicht auf die globale Bühne gehoben. Dag Hammarskjöld war dabei keinesfalls der Einzige, der in Erfüllung der Dienste für die UNO seinen Tod fand.
UN-Friedensmission
Neben vielen anderen Neuerungen führte Hammarskjöld die Friedensmissionen ein. Er setzte sich gegen alle Widrigkeiten durch, als die so genannte Suezkrise 1956 ausbrach und hielt die Gelüste Frankreichs und Großbritanniens zur Aufrechterhaltung der Kontrolle über das ägyptische Territorium im Zaum. 1960 trug er entscheidend zur Mission im Kongo bei, der er letztlich sein Leben ließ. Das organisatorische Vorgehen bei Friedensmissionen, das er damals einführte, hat sich ebenso wie die damals geschaffenen Strukturen bis heute bewährt. Für ihn war es seinerzeit unabdingbar, dass die letztendliche Verantwortung für diese Einsätze beim Generalsekretär persönlich lag. Eine Delegierung an Andere wäre für ihn unvorstellbar gewesen, denn sie hätte die Unabhängigkeit der Weltorganisation kompromittiert.
Dennoch fand Hammarskjöld keine friedliche Lösung für den Kongo. Er starb in den frühen Morgenstunden des 18. September 1961 in der Nähe des Wracks. An der Stelle erinnert heute eine sorgfältig gepflegte Gedenkstätte an das traurige Ereignis, und Hammarskjöld bleibt unter der örtlichen Bevölkerung eine verehrte Persönlichkeit. Sein Engagement für Frieden und die Gleichberechtigung der Menschen und Völker wird noch immer geschätzt. Doch Hammarskjölds Versuch zur Beilegung der Kriegswirren scheiterte damals. Der Kongo wurde Opfer autokratischer Regierungen und blieb weiterhin von Gewalt zerrissen. Der bis heute in unterschiedlichen Formen andauernde Bürgerkrieg kostete Millionen das Leben und zerstörte die physische und geistige Gesundheit weiterer Millionen von Menschen. Frauen und Kinder litten oft besonders unter der Gewalt der Milizen, die vor systematischer Vergewaltigung und anderen Grausamkeiten nicht zurück schreckten. Die Zahl der Opfer ist mittlerweile die höchste seit dem zweiten Weltkrieg.
Auch wenn die UNO wie im Falle des Kongo nicht in der Lage ist, allen Katastrophen Einhalt zu gebieten, nimmt sie sich vieler Probleme an. Die Sicherheitsratsresolution 1325 vom Oktober 2000 ebnete den Weg für einen neuen Ansatz im Umgang mit Gender-Fragen. Die Sicherheitsratsresolution 1960 vom Dezember 2010 schuf neue Standards im Umgang mit systematischer Sexualgewalt in militärischen Konflikten. Vergewaltigung kann so als Kriegsverbrechen verfolgt werden. Das sollte der Menschheit als Leuchtfeuer dienen - und ist ein Beispiel für die Relevanz der Weltinstitution, zumindest was ihr juristisches und moralisches Gewicht betrifft.
Leider ist die Demokratische Republik Kongo nicht der einzige Ort, an dem es den VN nicht gelungen ist, Frieden zu schaffen. Die jüngsten Nachrichten über Hunger und Gewalt in Somalia sind nur ein weiteres Beispiel. Andererseits nehmen sich die VN zunehmend neuer Aufgaben an. Die Resolution 1962 des Sicherheitsrats zur Elfenbeinküste, die im Dezember 2010 verabschiedet wurde, und die im Februar und März 2011 verabschiedeten Resolutionen 1970 und 1973 zu Libyen haben in diesen Ländern ganz sicher etwas bewirkt. Langfristig könnte sich sogar herausstellen, dass sie einen neuen Standard gesetzt haben, wenn es um die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft geht, Menschen vor mörderischen Regierungen zu schützen.
Es ist wahr: Beide Fälle sind ungewöhnlich und bergen das Risiko, dass die Länder weiterhin einseitig aus Opportunismus und Vormachtstreben von Hegemonialinteressen ausgebeutet werden. Es gibt noch kein abschließendes Urteil über die Effektivität militärischer UNO-Interventionen gegen Diktatoren, die Grundrechte und Regeln verletzen. Die Täter berufen sich häufig auf die nationale Souveränität ihres Landes. Es ist jedoch offensichtlich geworden, dass dieses Prinzip ihnen nicht das Recht geben darf, ihr eigenes Volk abzuschlachten. Die mit den Verträgen von Rom und dem internationalen Strafgerichtshof geschaffenen neuen Realitäten und deren auch praktische Folgen haben einem abstrakten Rechtsprinzip wenigstens teilweise - und leider bislang nur allzu selektiv - Geltung verliehen. Das zeigt Wirkung unter den Despoten. Denn sie wissen, dass ihr Amt sie nicht mehr zwangsläufig davor schützt, zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Nationale Grenzen und globale Herausforderungen
In Zeiten bedrohlicher weltweiter Probleme sind die VN wichtig für globale Regierungsführung. Das UNO-System ergänzt die auf den Westfälischen Frieden basierende Ordnung der souveränen Nationalstaaten, die über bi- und multilaterale Beziehungen verbunden sind. Denn die größten Bedrohungen für die Menschheit - Klimawandel, Lebensmittelknappheit, organisiertes Verbrechen und Krieg, um nur einige zu nennen - machen nicht vor nationalen Grenzen halt.
Es lässt sich nur spekulieren, was Hammarskjöld angesichts der heutigen ökologischen Herausforderungen, dem internationalen Terrorismus und verschiedenen anderen, zu seiner Zeit noch unbekannten Phänomenen vorgeschlagen hätte. Sicher wäre er die Dinge auf seine Weise angegangen. Statt Polarisierung suchte er den Dialog. Und er besaß eine tiefe Liebe zu Natur, Kultur, Religion und den Künsten. Sein posthum als "Zeichen am Weg" veröffentlichtes Tagebuch eröffnete Einblicke in einen zutiefst religiösen Menschen, der eine von den Mystikern des Mittelalters inspirierte spirituelle Ethik als Leitbild seines Lebens und Wirkens hatte. Mit den Philosophien von Albert Schweitzer und Martin Buber war er seelenverwandt.
In einer Rede zum Thema "Asien, Afrika und der Westen", die er am 4. Mai 1959 in der Universität von Lund hielt, sagte Hammerskjöld: "Die Organisation, die ich repräsentiere..., basiert auf einer Philosophie der Solidarität." Empathie und Integrität sind weitere Werte, für die er einstand und nach denen er lebte. Er schuf einen moralischen Kompass für internationale Organisationen und Kriterien, an denen noch heute die Leistung der VN und ihrer führenden Mitarbeiter gemessen werden kann.
Eine Welt
Hammarskjöld zufolge sollten die VN bei ihrer Arbeit auf die Gemeinsamkeiten aller Menschen bauen. Im Februar 1956 sprach er vor dem Indian Council of World Affairs. Er war noch inspiriert von seiner Begegnung mit der südasiatischen Kultur, und so beschäftigte sich seine Rede mit der menschlichen Vielfältigkeit: "Unsere Welt von heute ist mehr denn je eine Welt. Die Schwäche des einen ist die Schwäche aller, und die Stärke des einen - und zwar nicht die militärische Stärke, sondern die richtige Stärke, die ökonomische und die soziale Stärke, das Glück der Menschen - ist indirekt die Stärke aller." Die Existenz und Arbeit der VN war für ihn eine Bestätigung, dass Menschen ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen und eine Welt schaffen können, in der alle in Würde leben.
Als kosmopolitischer Schwede glaubte Hammarskjöld an die VN als eine internationale Behörde, die von Machtinteressen unabhängig ist. Am 8. September 1961 wandte er sich zum letzten Mal an die Mitarbeiter des UNO-Sekretariats. Seine Worte sind auch heute noch relevant: "Es geht ums Prinzip: Soll das Sekretariat zu einem internationalen Sekretariat werden, mit der vollen Unabhängigkeit, die in Artikel 100 der Charta erläutert wird, oder soll es als zwischen den Regierungen vermittelndes - nicht internationales - Sekretariat verstanden werden, das nur die notwendigen administrativen Dienstleistungen für eine Konferenzmaschinerie bereit stellt? Das ist eine grundlegende Frage und die Antwort hat nicht nur Auswirkungen auf die Arbeit des Sekretariats, sondern auf die Zukunft der internationalen Beziehungen." Aus Hammarskjölds Sicht sollten die VN für diejenigen sprechen, deren Stimme sonst nicht gehört oder ignoriert wird.
Sein Erbe bleibt lebendig - nicht nur und nicht zuletzt deshalb, weil weiterhin Regeln zum Schutz der Menschenrechte erarbeitet und umgesetzt werden. Natürlich können uns normative Vorgaben allein nicht vor der Hölle schützen. Aber ohne diese in Konventionen verankerten Richtwerte sowie die Versuche ihrer wenigstens teilweisen Einhaltung wären wir der Hölle noch näher. Nein, die Vereinten Nationen sind weder perfekt noch haben sie die Welt in einen sicheren Ort verwandelt. Aber sie haben sie zu einem besseren Ort gemacht - und tun das auch weiterhin. Auch 50 Jahre nach dem Tod von UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld lebt sein Erbe weiter. Angesichts der überwältigenden globalen Herausforderungen braucht die Menschheit die Vereinten Nationen als eine Weltorganisation, die nicht nur Instrument mächtiger Interessen ist, sondern jenen Menschen eine Stimme verleiht, die sonst ungehört bleiben würden. Henning Melber
Der Autor ist Geschäftsführender Direktor der Dag-Hammarskjöld-Stiftung in Uppsala/Sweden und Research Fellow im Fachbereich Politische Wissenschaften der Universität Pretoria. Eine kürzere Fassung dieses Textes erschien auch in der September-Ausgabe der Zeitschrift "Entwicklung und Zusammenarbeit" (E+Z). Gemeinsam mit Manuel Fröhlich und Helmut Klumpjan verfasste er: "Dag Hammarskjöld (1905-1961). Für eine friedliche Welt - Ideen und Impulse des zweiten UN-Generalsekretärs" (Frankfurt/Main: Brandes & Apsel 2011).
Vom aufrechten Gang
Dag Hammarskjöld galt als unauffälliger und deshalb scheinbar "pflegeleichter" schwedischer Beamter. Er war als "Nobody" nach langem Tauziehen zwischen den Großmächten der Kompromisskandidat, auf den sich die einflussreichen Staaten im Kalten Krieg schließlich einigten. 1953 zum Nachfolger des unberechenbaren norwegischen Gewerkschaftsfunktionärs Trygve Lie gewählt, enttäuschte er die Erwartungen, als willfähriger Handlanger den Großmachtinteressen zu Diensten zu sein. Stattdessen erwies er sich als prinzipientreuer Mann von einem Höchstmaß an persönlicher Integrität und diplomatischer Finesse, der einzig den in der Charta der Vereinten Nationen definierten Grundwerten loyal verbunden war. Unbeeindruckt von der "politischen Räson" einer Realpolitik, die nur den Mächtigen zu Diensten gewesen wäre, widerstand er den Manipulationsversuchen und blieb stets nur dem Dienst an der gesamten Menschheit verpflichtet.
Auch ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod wird Hammarskjöld als der außergewöhnlichste Generalsekretär gepriesen, den die VN je hatten. "Mehr General als Sekretär" war eine gängige Einschätzung. Die Medien jener Zeit (für die er erstmals regelmäßige Pressekonferenzen als Teil der Berichtspflicht einführte) prägten das respektvolle Schlagwort "Leave it to Dag". Der schwedische Bürokrat war ein internationaler Beamter, der Standards setzte. Er steuerte die Institution durch die rauen Wasser des kalten Krieges und die Wellen der Veränderung, die über den afrikanischen Kontinent schwappten. Dem "Wind des Wandels" zollte er Anerkennung, indem er 1959/60 eine mehr als vierwöchige Reise in über 20 Länder Afrikas unternahm, um sich mit den Veränderungen direkt vertraut zu machen. - "Setz Dich auf den Boden und rede mit den Menschen" war der Rat, den er seinem Freund John Steinbeck bei einem Abendessen auf die Frage gab, was er denn während einer Weltreise tun solle.
1954 - nach einem Jahr im Amt - schloss Hammarskjöld sich der Ansicht an, die VN seien nicht gegründet worden, "um uns in den Himmel zu bringen, sondern vor der Hölle zu retten". Leider hat sich seither nicht viel geändert: Dieser Leitsatz passt noch immer.
Ein halbes Jahrhundert nach Hammarskjölds Tod sind viele den VN gegenüber skeptisch. Die Institution wird kaum für ihre Erfolge gelobt, sondern eher für Mängel und Versagen kritisiert. Die große Bandbreite an Abkommen, Konventionen, Resolutionen und anderen Programmen und Deklarationen, die in über 60 Jahren entstanden sind, zeigen, wie sehr die definierten Ziele der VN und die ernüchternde soziale und politische Realität auseinander klaffen. Aber wäre die Welt ohne diese Rahmenvorgaben ein besserer Ort? Wären wir besser dran ohne die VN?
Beispiele aus Afrika
Besonders diejenigen aus dem so genannten "globalen Süden", die dazu neigen, die Institutionen globaler Regierungsführung als Instrumente hegemonialer Interessen oder bestenfalls missliebige Einmischung in innere Angelegenheiten zu kritisieren, sollten sich klar machen, dass die Welt ohne die begrenzte Macht der UNO ein noch schlimmerer Ort wäre. Nehmen wir etwa das Beispiel südliches Afrika. Schon früh nutzten der UNO-Treuhandschaftsrat, der die Verwaltung der Mandatsgebiete vor deren Unabhängigkeit überwachte, und die Generalversammlung der VN ihre normative Macht, um die Apartheid in Südafrika als "Verbrechen gegen die Menschheit" zu brandmarken. Daraufhin verhängte der UN-Sicherheitsrat sein erstes Waffenembargo gegen das südafrikanische Minderheitsregime. Der UNO-Rat für Namibia und das UNO-Institut für Namibia wiederum spielten eine wichtige Rolle in der langwierigen Dekolonisierung unseres Landes und der Vorbereitung auf die Unabhängigkeit. Ohne die VN wären wir dieser ein großes Stück weiter entfernt geblieben, und die Wahlen im November 1989 wären ohne die Beteiligung der United Nations Transitional Assistance Group (UNTAG) - so sie überhaupt statt gefunden hätten - gewiss anders verlaufen. Dem UNO-Sondergesandten Martti Ahtisaari wurde nicht zuletzt wegen seiner Verdienste im Übergangsprozess zur Souveränität Namibias 2008 der Friedensnobelpreis verliehen. Auch andernorts spielten UNO-Organe und UNO-Sonderbeauftragte, die zunächst von Hammarskjöld als seine persönlichen Gesandten ernannt wurden, eine konstruktive Rolle bei der Beilegung von Konflikten. Viele Unabhängigkeitskämpfe hätten länger gedauert oder wären erfolglos geblieben, hätte die UNO sie nicht auf die globale Bühne gehoben. Dag Hammarskjöld war dabei keinesfalls der Einzige, der in Erfüllung der Dienste für die UNO seinen Tod fand.
UN-Friedensmission
Neben vielen anderen Neuerungen führte Hammarskjöld die Friedensmissionen ein. Er setzte sich gegen alle Widrigkeiten durch, als die so genannte Suezkrise 1956 ausbrach und hielt die Gelüste Frankreichs und Großbritanniens zur Aufrechterhaltung der Kontrolle über das ägyptische Territorium im Zaum. 1960 trug er entscheidend zur Mission im Kongo bei, der er letztlich sein Leben ließ. Das organisatorische Vorgehen bei Friedensmissionen, das er damals einführte, hat sich ebenso wie die damals geschaffenen Strukturen bis heute bewährt. Für ihn war es seinerzeit unabdingbar, dass die letztendliche Verantwortung für diese Einsätze beim Generalsekretär persönlich lag. Eine Delegierung an Andere wäre für ihn unvorstellbar gewesen, denn sie hätte die Unabhängigkeit der Weltorganisation kompromittiert.
Dennoch fand Hammarskjöld keine friedliche Lösung für den Kongo. Er starb in den frühen Morgenstunden des 18. September 1961 in der Nähe des Wracks. An der Stelle erinnert heute eine sorgfältig gepflegte Gedenkstätte an das traurige Ereignis, und Hammarskjöld bleibt unter der örtlichen Bevölkerung eine verehrte Persönlichkeit. Sein Engagement für Frieden und die Gleichberechtigung der Menschen und Völker wird noch immer geschätzt. Doch Hammarskjölds Versuch zur Beilegung der Kriegswirren scheiterte damals. Der Kongo wurde Opfer autokratischer Regierungen und blieb weiterhin von Gewalt zerrissen. Der bis heute in unterschiedlichen Formen andauernde Bürgerkrieg kostete Millionen das Leben und zerstörte die physische und geistige Gesundheit weiterer Millionen von Menschen. Frauen und Kinder litten oft besonders unter der Gewalt der Milizen, die vor systematischer Vergewaltigung und anderen Grausamkeiten nicht zurück schreckten. Die Zahl der Opfer ist mittlerweile die höchste seit dem zweiten Weltkrieg.
Auch wenn die UNO wie im Falle des Kongo nicht in der Lage ist, allen Katastrophen Einhalt zu gebieten, nimmt sie sich vieler Probleme an. Die Sicherheitsratsresolution 1325 vom Oktober 2000 ebnete den Weg für einen neuen Ansatz im Umgang mit Gender-Fragen. Die Sicherheitsratsresolution 1960 vom Dezember 2010 schuf neue Standards im Umgang mit systematischer Sexualgewalt in militärischen Konflikten. Vergewaltigung kann so als Kriegsverbrechen verfolgt werden. Das sollte der Menschheit als Leuchtfeuer dienen - und ist ein Beispiel für die Relevanz der Weltinstitution, zumindest was ihr juristisches und moralisches Gewicht betrifft.
Leider ist die Demokratische Republik Kongo nicht der einzige Ort, an dem es den VN nicht gelungen ist, Frieden zu schaffen. Die jüngsten Nachrichten über Hunger und Gewalt in Somalia sind nur ein weiteres Beispiel. Andererseits nehmen sich die VN zunehmend neuer Aufgaben an. Die Resolution 1962 des Sicherheitsrats zur Elfenbeinküste, die im Dezember 2010 verabschiedet wurde, und die im Februar und März 2011 verabschiedeten Resolutionen 1970 und 1973 zu Libyen haben in diesen Ländern ganz sicher etwas bewirkt. Langfristig könnte sich sogar herausstellen, dass sie einen neuen Standard gesetzt haben, wenn es um die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft geht, Menschen vor mörderischen Regierungen zu schützen.
Es ist wahr: Beide Fälle sind ungewöhnlich und bergen das Risiko, dass die Länder weiterhin einseitig aus Opportunismus und Vormachtstreben von Hegemonialinteressen ausgebeutet werden. Es gibt noch kein abschließendes Urteil über die Effektivität militärischer UNO-Interventionen gegen Diktatoren, die Grundrechte und Regeln verletzen. Die Täter berufen sich häufig auf die nationale Souveränität ihres Landes. Es ist jedoch offensichtlich geworden, dass dieses Prinzip ihnen nicht das Recht geben darf, ihr eigenes Volk abzuschlachten. Die mit den Verträgen von Rom und dem internationalen Strafgerichtshof geschaffenen neuen Realitäten und deren auch praktische Folgen haben einem abstrakten Rechtsprinzip wenigstens teilweise - und leider bislang nur allzu selektiv - Geltung verliehen. Das zeigt Wirkung unter den Despoten. Denn sie wissen, dass ihr Amt sie nicht mehr zwangsläufig davor schützt, zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Nationale Grenzen und globale Herausforderungen
In Zeiten bedrohlicher weltweiter Probleme sind die VN wichtig für globale Regierungsführung. Das UNO-System ergänzt die auf den Westfälischen Frieden basierende Ordnung der souveränen Nationalstaaten, die über bi- und multilaterale Beziehungen verbunden sind. Denn die größten Bedrohungen für die Menschheit - Klimawandel, Lebensmittelknappheit, organisiertes Verbrechen und Krieg, um nur einige zu nennen - machen nicht vor nationalen Grenzen halt.
Es lässt sich nur spekulieren, was Hammarskjöld angesichts der heutigen ökologischen Herausforderungen, dem internationalen Terrorismus und verschiedenen anderen, zu seiner Zeit noch unbekannten Phänomenen vorgeschlagen hätte. Sicher wäre er die Dinge auf seine Weise angegangen. Statt Polarisierung suchte er den Dialog. Und er besaß eine tiefe Liebe zu Natur, Kultur, Religion und den Künsten. Sein posthum als "Zeichen am Weg" veröffentlichtes Tagebuch eröffnete Einblicke in einen zutiefst religiösen Menschen, der eine von den Mystikern des Mittelalters inspirierte spirituelle Ethik als Leitbild seines Lebens und Wirkens hatte. Mit den Philosophien von Albert Schweitzer und Martin Buber war er seelenverwandt.
In einer Rede zum Thema "Asien, Afrika und der Westen", die er am 4. Mai 1959 in der Universität von Lund hielt, sagte Hammerskjöld: "Die Organisation, die ich repräsentiere..., basiert auf einer Philosophie der Solidarität." Empathie und Integrität sind weitere Werte, für die er einstand und nach denen er lebte. Er schuf einen moralischen Kompass für internationale Organisationen und Kriterien, an denen noch heute die Leistung der VN und ihrer führenden Mitarbeiter gemessen werden kann.
Eine Welt
Hammarskjöld zufolge sollten die VN bei ihrer Arbeit auf die Gemeinsamkeiten aller Menschen bauen. Im Februar 1956 sprach er vor dem Indian Council of World Affairs. Er war noch inspiriert von seiner Begegnung mit der südasiatischen Kultur, und so beschäftigte sich seine Rede mit der menschlichen Vielfältigkeit: "Unsere Welt von heute ist mehr denn je eine Welt. Die Schwäche des einen ist die Schwäche aller, und die Stärke des einen - und zwar nicht die militärische Stärke, sondern die richtige Stärke, die ökonomische und die soziale Stärke, das Glück der Menschen - ist indirekt die Stärke aller." Die Existenz und Arbeit der VN war für ihn eine Bestätigung, dass Menschen ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen und eine Welt schaffen können, in der alle in Würde leben.
Als kosmopolitischer Schwede glaubte Hammarskjöld an die VN als eine internationale Behörde, die von Machtinteressen unabhängig ist. Am 8. September 1961 wandte er sich zum letzten Mal an die Mitarbeiter des UNO-Sekretariats. Seine Worte sind auch heute noch relevant: "Es geht ums Prinzip: Soll das Sekretariat zu einem internationalen Sekretariat werden, mit der vollen Unabhängigkeit, die in Artikel 100 der Charta erläutert wird, oder soll es als zwischen den Regierungen vermittelndes - nicht internationales - Sekretariat verstanden werden, das nur die notwendigen administrativen Dienstleistungen für eine Konferenzmaschinerie bereit stellt? Das ist eine grundlegende Frage und die Antwort hat nicht nur Auswirkungen auf die Arbeit des Sekretariats, sondern auf die Zukunft der internationalen Beziehungen." Aus Hammarskjölds Sicht sollten die VN für diejenigen sprechen, deren Stimme sonst nicht gehört oder ignoriert wird.
Sein Erbe bleibt lebendig - nicht nur und nicht zuletzt deshalb, weil weiterhin Regeln zum Schutz der Menschenrechte erarbeitet und umgesetzt werden. Natürlich können uns normative Vorgaben allein nicht vor der Hölle schützen. Aber ohne diese in Konventionen verankerten Richtwerte sowie die Versuche ihrer wenigstens teilweisen Einhaltung wären wir der Hölle noch näher. Nein, die Vereinten Nationen sind weder perfekt noch haben sie die Welt in einen sicheren Ort verwandelt. Aber sie haben sie zu einem besseren Ort gemacht - und tun das auch weiterhin. Auch 50 Jahre nach dem Tod von UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld lebt sein Erbe weiter. Angesichts der überwältigenden globalen Herausforderungen braucht die Menschheit die Vereinten Nationen als eine Weltorganisation, die nicht nur Instrument mächtiger Interessen ist, sondern jenen Menschen eine Stimme verleiht, die sonst ungehört bleiben würden. Henning Melber
Der Autor ist Geschäftsführender Direktor der Dag-Hammarskjöld-Stiftung in Uppsala/Sweden und Research Fellow im Fachbereich Politische Wissenschaften der Universität Pretoria. Eine kürzere Fassung dieses Textes erschien auch in der September-Ausgabe der Zeitschrift "Entwicklung und Zusammenarbeit" (E+Z). Gemeinsam mit Manuel Fröhlich und Helmut Klumpjan verfasste er: "Dag Hammarskjöld (1905-1961). Für eine friedliche Welt - Ideen und Impulse des zweiten UN-Generalsekretärs" (Frankfurt/Main: Brandes & Apsel 2011).
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen