Meine Zeit als Meme Ullie

Von Ulrike Keller, SwakopmundDie Ladys würden mich verschonen. Sie wechseln sich ab mit dem allmorgendlichen Gang zur kostenpflichtigen Wasserstelle. Alle Hütten im Swakopmunder Viertel DRC (Democratic Resettlement Community) haben weder fließend Wasser noch sind sie ans Stromnetz und die Kanalisation angeschlossen. Das betrifft auch das DRC Woman's Project, mitten in diesem Labyrinth der Armut gelegen. Hier darf ich als deutsche Journalistin Gast sein, zwei Wochen lang.An einem Tag will auch ich mal Wasser holen. Ich sattele die Schubkarre mit den großen Plastikeimern. Kapande Kaputeni, die künstlerische Leiterin des Projekts, begleitet mich netterweise – wohl mit einiger Vorahnung. Der Hinweg verläuft ohne Komplikationen. Schon beim Befüllen der Behälter komme ich jedoch an meine Grenzen. Ganz zu schweigen davon, das volle Exemplar in die Schubkarre zu hieven. Wäre ich doch in Deutschland nicht immer zu faul für Kraftsport! Kapande übernimmt. Aber ich möchte zumindest die Schubkarre steuern. Sie lächelt. Nach dem dritten Versuch anzufahren, rollt das gute Stück einige Meter durch den Sand, um sogleich stecken zu bleiben. Nix geht mehr. Bei Kapande natürlich schon. Gekonnt manövriert sie das Gefährt heraus und lässt mich die letzten Meter durchs Tor bewältigen. Der gute Wille war da.Mein Name erweist sich als unaussprechbare Hürde: Ulrike. Die Kurzfassung tut's auch: also Ulli(e). Und bald bin ich ohnehin Meme Ullie. Was als Jux zwischen Kapande – Meme Kapande – und mir beginnt, ist schnell die Standardanrede, die alle gebrauchen. Mir gefällt's.Kapande singt fast immer. Zuständig ist sie auch für den musikalischen Teil des täglichen Gebets vor dem eigentlichen Tagwerk. Für mich der schönste Moment des Tages. Der lebendigste. Voller Hingabe stimmt Kapande christliche Lieder an, die – anders als jene in deutschen Kirchen – fröhlich und leicht klingen. Die anderen Frauen singen und klatschen mit. Besonders aber gefällt mir an diesem Ritual der Gedanke, vor Arbeitsantritt bewusst für seinen Job zu danken. Das kenne ich aus Deutschland nicht, trotz der verbreiteten Arbeitslosigkeit. Diese Anregung nehme ich mit.Nach dem Gebet beginnen die Frauen mit den Perlenarbeiten, zurzeit superschicken Armbändern aus farbigen Glasperlen. Ich schaue zweimal hin, als ich auf dem Tisch ein Anwesenheitsbuch entdecke. Karin Amunjela, die resolute Chefin vor Ort, achtet sehr genau darauf, dass die 20 Ladys sich auch eintragen. Und zwar täglich. Fünf Arbeitstage im Monat dürfen sie unentschuldigt fehlen. Dann haben sie ihre Chance vertan und eine Anwärterin von der ellenlangen Warteliste rückt nach.Ins Leben gerufen hat das Projekt Anja Rohwer. Ehrenamtlich. Die finanzielle Basis bilden Spenden, ganz überwiegend aus Deutschland. Im fünften Bestehensjahr hat die 48-jährige Swakopmunderin nun die Leitung an die Frauen übergeben. Sie selbst bleibt Kontaktfrau für Spender und Behörden, ist weiterhin die Projektkoordinatorin, doch nimmt sich aus dem DRC-Alltag heraus. Von Anbeginn an war ihr Konzept das der Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei ahnte sie nicht, wie schnell das Projekt wachsen würde.Begonnen hat alles mit einer Suppenküche für Kinder in DRC. Dafür allein war Anja das Grundstück aber zu groß. Angesichts einer Arbeitslosenquote von rund 80 Prozent und dem hohen Anteil alleinerziehender Frauen in der Siedlung schien es ihr wichtig, den Müttern der hungrigen Kinder eine bezahlte Beschäftigung anzubieten. Eine mit ständigem Lerneffekt. So kam sie aufs Kunsthandwerk. Für die Kinder der Ladys eröffnete sie etwas später einen Kindergarten. Und zu diesem schließlich eine eigene Küche. Diese versorgt die 50 Kleinen täglich mit einer warmen, gesunden Mahlzeit. Künstlerin am Herd ist die 31-jährige Sharon Matamata, von allen Matamata genannt. Ihr ermöglichte das Projekt eine Ausbildung zur Köchin. Seitdem zaubert sie Gerichte wie Makkaroni oder Spinat mit Mieliepap. Das Gemüse stammt auch aus dem projekteigenen Garten. An den zwei Suppenküchentagen der Woche bereitet sie zusätzliche 180 Portionen vor.Wenn etwas übrig ist, nehme auch ich gern ein Schälchen. Lecker! Einmal helfe ich Matamata auch beim Aussortieren von Linsen. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Sie fragt mich nach neuen Rezepten. Da muss ich leider passen, was sie ziemlich verwundert. Die meiste Zeit male und bastle ich mit den Kindern: Löwen, Haie, Loks stehen hoch im Kurs. Generell muss ich einräumen: Ich bin hier die Lernende.Die Fingerfertigkeit der Ladys finde ich bemerkenswert. Das Schmucksortiment reicht von Halsketten über Fingerringe bis hin zum Ohrringen. Jede Kreation wird in limitierter Stückzahl gefertigt. Das Design entwickelt oft Anja, mal Karin oder Kapande. Als künstlerische Leiterin muss Kapande die Frauen für jede Produktreihe anlernen und ihre Arbeit betreuen. Mir stockt der Atem, als ich das erste Mal sehe, wie Kapande die Tagesleistung einer Frau wieder auftrennt. Aber die Qualitätskontrolle gehört dazu. Und wird akzeptiert. Denn die fertigen Schmuckserien kauft Anja den Frauen ab und bietet sie im eigens dafür eröffneten Geschäft „Kubatsirana – Helping Hands“ in Swakopmund an. „Vieles geht auch nach Deutschland“, erzählt sie. Die Ladys können auf diese Weise 500 bis 800 Namibia-Dollar pro Monat verdienen. Ein festes Gehalt erhalten neben den zwei Kindergärtnerinnen auch Kapande, Karin, Matamata und eine Hausmeisterin.Das Einkommen ist das eine. Was mich besonders beeindruckt, ist das Unterstützungsnetzwerk um das Projekt herum, das Anja Rohwer hier aufgebaut hat. Zweimal die Woche spendet ein Restaurant in Swakop seine unverarbeiteten Fischreste für die Frauen. Außerdem schaut vor Ort regelmäßig Krankenschwester Maria von der DRC-Krankenstation vorbei. Sie berät die Frauen zu Möglichkeiten der Verhütung, auch zum Schutz vor HIV. Die Zahl der Infizierten steigt ständig.In vielen Gesprächen erfahre ich, wie sehr das DRC Woman's Project das Leben der Frauen verändert hat. Matamata konnte mit ihren Kindern in ein Zimmer mit Strom und fließend Wasser umziehen. Seitdem hat sie sogar einen Kühlschrank, verrät sie stolz. Kapandes Familie konnte von ihrem Geld eine Behausung für Verwandte anbauen. Beide sind Anja unendlich dankbar für die Chance sich zu qualifizieren, für die Perspektive, die das Projekt ihnen gibt. Besser und besser möchte Kapande werden als Schmuckdesignerin, sagt sie, aber das Projekt verlassen, will sie nie.Erst im März wurde der neue Bibliothekscontainer eingeweiht. Mit Liebe zum Detail hat ihn Karin ausgestaltet. Doch darin finden nur sechs Kinder Platz. Zwei weitere gespendete Container hätte Anja noch in einem Lager stehen. Für sie ist es allerdings zu eng. „Was uns fehlt, ist Land“, sagt die Projektkoordinatorin. Doch sie hieße nicht Anja Rohwer, würde sie nicht bereits um eine Lösung verhandeln.Ich muss mehrere Anläufe unternehmen, bis ich sie am Ende der zwei Wochen zu einem Foto überreden kann. Sie agiert lieber im Hintergrund. Und immer wieder betont sie: „Das ist nicht mein Projekt. Es gehört den Frauen.“

Meine Zeit als Meme Ullie

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-26

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