Missionarin ohne Heiligenschein
Autobiografie eines außergewöhnlichen Lebens in Namibia (Teil 4)
Neue Aufgabe
Am dritten Oktober wird der Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Das gilt auch für die um 20 000 Mann/Frau starke deutsche Bevölkerung in Namibia, die sich seit der Kolonialzeit Anfang des 19. Jahrhunderts in Namibia angesiedelt haben. Soldaten der deutschen Schutztruppe haben abenteuerlustige deutsche Frauen geheiratet. Die Frauen wurden nach Namibia verschifft. Sie kamen in Swakopmund am Atlantischen Ozean an und heirateten ihren ihnen noch unbekannten Soldaten. Nach Ende der Kolonialzeit 1914 ließen sie sich häufig als Farmer nieder. Noch heute gehört die meiste Landfläche Ausländern. Was immer wieder zu Konflikten führt. Im Nachbarland Simbabwe wurde das Problem mit Gewalt gelöst. Die weißen Siedler verjagt, ermordet, ihre Häuser niedergebrannt. In Namibia will man die Landfrage friedlich lösen.
Heidi und ich sind von der Deutschen Botschaft zu den Feierlichkeiten in die Residenz des deutschen Botschafters eingeladen worden. Die Residenz liegt wunderschön auf einer Anhöhe im Stadtteil Klein-Windhoek. In diese Wohngegend schaffen es nur diejenigen, die einen gutbezahlten Job haben. Da fällt dann jeder zweite Namibier bereits raus. Sie haben gar keine Arbeit. Sie leben von der Gnade ihrer Verwandten, vom Diebstahl oder dem Abfall, den die Reichen wegwerfen. Rubbish Diving, im Müll tauchen, ist die moderne Wortschöpfung für diese Art der Essensbeschaffung.
Ein tropischer Garten mit Swimmingpool und unglaublicher Aussicht gehören zum Anwesen. Alles ist Luxus pur. Nach persönlicher Begrüßung durch das Botschafterehepaar werden wir weiteren Leuten und Kollegen vorgestellt. Ein deutscher Gast beglückwünscht Heidi dazu, aus Österreich zu kommen, dem Land in dem „unser Führer” geboren wurde. Wir fühlen uns von der Bemerkung so überrumpelt, dass uns nichts Besseres einfällt, als diesen Tabubruch zu ignorieren.
„Na, da ist ja unsere neue Projekt-Managerin, auf die wir so lange gewartet haben”, begrüßt mich Günther, ein deutscher Kollege. Am Akzent höre ich, dass er aus Süddeutschland kommt. Mit seiner offenen Art ist er mir auf Anhieb sympathisch. Im Hintergrund wird die Nationalhymne von Namibia angestimmt. Eine dunkelhäutige Bedienung serviert Champagner und Häppchen. Lecker.
Ich halte das mit der Projektleitung für einen Scherz. Und frage flüsternd mal nach. „Günther, da hast du wohl was falsch verstanden. Ich bin nur die Sozialpädagogin.“ „Ja, weißt du denn nicht, dass sich inzwischen alles geändert hat?”, fragt mich Günther. „Du sollst ein neues Projekt aufbauen. Das mit der Resozialisierung der Heimbewohner hat sich erledigt. Die Spender haben andere Pläne.”
Aha. So läuft hier also interkulturelle Kommunikation ab – Man redet also nicht über neue Pläne. Sowas wird über Gerüchte gestreut. Na toll. Projektleitung. Welches Projekt denn überhaupt?
Die deutsche Nationalhymne wird angestimmt. Ich stelle fest, dass ich nur die erste Strophe kann. Peinlich. Es folgt eine Ansprache. Langweilig. Na, gehört wohl dazu. Das gibt dem Ganzen zumindest einen offiziellen Anstrich. In den folgenden Jahren wird die Einladung in die Botschaft zum festen Termin in meinem Kalender.
Ich nehme mir vor, morgen mal ein ausführliches Gespräch mit der Heimleitung anzuberaumen.
CBR – Community Based Rehabilitation – ist nun das neue Schlagwort. „Du sollst Mitarbeiter ausbilden und im Township Katutura arbeiten”, informiert mich Jannie. „In drei Wochen fliegst du nach Tansania. In Dar-Es-Salam wirst du sechs Wochen lang zum CBR-Manager ausgebildet. Dafür brauchten wir auch deinen Pass bei der Ankunft. Du hast bereits dein Visum. Nächste Woche sollst du noch an einem einwöchigen Kursus über Kommunikationstechniken teilnehmen. Da musst du auch eine Abschlussprüfung machen, um das Zertifikat zu erhalten. Danach hast du die Projektleitung für das neue CBR-Projekt „Onyose”. Ein Herero-Wort für Stern.” Gefällt mir. Alle anderen Neuigkeiten gefallen mir weniger bis gar nicht.
Ich bin gerade erst in Afrika angekommen und soll schon wieder los in ein anderes afrikanisches Land? Schon wieder in ein Flugzeug steigen? Und was ist überhaupt CBR? Und dann noch ein Seminar. Eines ist sicher – über Arbeitsmangel werde ich mich hier sicherlich nicht beklagen. Meine prophetischen Gedanken sollten sich bewahrheiten. Meine Arbeitsstunden werden in den nächsten Jahren täglich zwischen zehn und achtzehn Stunden liegen.
Und nun habe ich auch noch die Leitung für ein Projekt, von dem ich noch nicht mal den Hauch einer Ahnung habe, wie es aussehen soll. Ich überlege ernsthaft, ob ich mein Abenteuer Afrika hier abbrechen soll. Ich kann kein Englisch und eine Projektleitung traue ich mir erst recht nicht zu. Aber – ich war noch nie ein Mensch der leicht aufgegeben hat. Außerdem wird sich Gott schon was dabei gedacht haben, wenn er mich hierher geschickt hat. Ich bleibe.
Die wenigen Wochen bis zu meinem Abflug nach Tansania sind für Heidi angefüllt mit Lernen und Prüfungen. Sie besteht alles mit Bravour. Heidi spricht mit den Patienten während der Prüfung fließend Afrikaans. Die Prüfer sind sprachlos und unglaublich beeindruckt, dass jemand das nach nur drei Wochen büffeln so hinkriegt. Und dann auch noch auf Afrikaans. Die Kosten für den aus Südafrika eingeflogenen Übersetzer hätten sie sich sparen können.
Ich bestehe inzwischen auch meine Abschlussprüfung des Kommunikationskurses. Zudem kümmere ich mich um die Planung und Inhalte eines sieben-wöchigen Trainingskurses.
Eines Abends habe ich die entscheidende Idee. Ich werde die neuen Mitarbeiter, die sogenannten Family Visitors, in den ADL‘s, den Aktivitäten des täglichen Lebens, ausbilden. Essen und Trinken, Schlafen, Kommunizieren, Bewegung sind einige der ADL‘s. Die habe ich während meiner Krankenpflegeausbildung gelernt. Das muss noch auf Behinderungen angepasst und die Inhalte „nur” noch kreativ aufgepeppt werden. Ich bin erleichtert, dass mir was Sinnvolles eingefallen ist.
Aus den Vorstellungsgesprächen suche ich mir fünfzehn Trainingskursteilnehmer aus, von denen ich später dann vier als Family Visitors anstellen werde. Dann heißt es Koffer packen.
Am dritten Oktober wird der Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Das gilt auch für die um 20 000 Mann/Frau starke deutsche Bevölkerung in Namibia, die sich seit der Kolonialzeit Anfang des 19. Jahrhunderts in Namibia angesiedelt haben. Soldaten der deutschen Schutztruppe haben abenteuerlustige deutsche Frauen geheiratet. Die Frauen wurden nach Namibia verschifft. Sie kamen in Swakopmund am Atlantischen Ozean an und heirateten ihren ihnen noch unbekannten Soldaten. Nach Ende der Kolonialzeit 1914 ließen sie sich häufig als Farmer nieder. Noch heute gehört die meiste Landfläche Ausländern. Was immer wieder zu Konflikten führt. Im Nachbarland Simbabwe wurde das Problem mit Gewalt gelöst. Die weißen Siedler verjagt, ermordet, ihre Häuser niedergebrannt. In Namibia will man die Landfrage friedlich lösen.
Heidi und ich sind von der Deutschen Botschaft zu den Feierlichkeiten in die Residenz des deutschen Botschafters eingeladen worden. Die Residenz liegt wunderschön auf einer Anhöhe im Stadtteil Klein-Windhoek. In diese Wohngegend schaffen es nur diejenigen, die einen gutbezahlten Job haben. Da fällt dann jeder zweite Namibier bereits raus. Sie haben gar keine Arbeit. Sie leben von der Gnade ihrer Verwandten, vom Diebstahl oder dem Abfall, den die Reichen wegwerfen. Rubbish Diving, im Müll tauchen, ist die moderne Wortschöpfung für diese Art der Essensbeschaffung.
Ein tropischer Garten mit Swimmingpool und unglaublicher Aussicht gehören zum Anwesen. Alles ist Luxus pur. Nach persönlicher Begrüßung durch das Botschafterehepaar werden wir weiteren Leuten und Kollegen vorgestellt. Ein deutscher Gast beglückwünscht Heidi dazu, aus Österreich zu kommen, dem Land in dem „unser Führer” geboren wurde. Wir fühlen uns von der Bemerkung so überrumpelt, dass uns nichts Besseres einfällt, als diesen Tabubruch zu ignorieren.
„Na, da ist ja unsere neue Projekt-Managerin, auf die wir so lange gewartet haben”, begrüßt mich Günther, ein deutscher Kollege. Am Akzent höre ich, dass er aus Süddeutschland kommt. Mit seiner offenen Art ist er mir auf Anhieb sympathisch. Im Hintergrund wird die Nationalhymne von Namibia angestimmt. Eine dunkelhäutige Bedienung serviert Champagner und Häppchen. Lecker.
Ich halte das mit der Projektleitung für einen Scherz. Und frage flüsternd mal nach. „Günther, da hast du wohl was falsch verstanden. Ich bin nur die Sozialpädagogin.“ „Ja, weißt du denn nicht, dass sich inzwischen alles geändert hat?”, fragt mich Günther. „Du sollst ein neues Projekt aufbauen. Das mit der Resozialisierung der Heimbewohner hat sich erledigt. Die Spender haben andere Pläne.”
Aha. So läuft hier also interkulturelle Kommunikation ab – Man redet also nicht über neue Pläne. Sowas wird über Gerüchte gestreut. Na toll. Projektleitung. Welches Projekt denn überhaupt?
Die deutsche Nationalhymne wird angestimmt. Ich stelle fest, dass ich nur die erste Strophe kann. Peinlich. Es folgt eine Ansprache. Langweilig. Na, gehört wohl dazu. Das gibt dem Ganzen zumindest einen offiziellen Anstrich. In den folgenden Jahren wird die Einladung in die Botschaft zum festen Termin in meinem Kalender.
Ich nehme mir vor, morgen mal ein ausführliches Gespräch mit der Heimleitung anzuberaumen.
CBR – Community Based Rehabilitation – ist nun das neue Schlagwort. „Du sollst Mitarbeiter ausbilden und im Township Katutura arbeiten”, informiert mich Jannie. „In drei Wochen fliegst du nach Tansania. In Dar-Es-Salam wirst du sechs Wochen lang zum CBR-Manager ausgebildet. Dafür brauchten wir auch deinen Pass bei der Ankunft. Du hast bereits dein Visum. Nächste Woche sollst du noch an einem einwöchigen Kursus über Kommunikationstechniken teilnehmen. Da musst du auch eine Abschlussprüfung machen, um das Zertifikat zu erhalten. Danach hast du die Projektleitung für das neue CBR-Projekt „Onyose”. Ein Herero-Wort für Stern.” Gefällt mir. Alle anderen Neuigkeiten gefallen mir weniger bis gar nicht.
Ich bin gerade erst in Afrika angekommen und soll schon wieder los in ein anderes afrikanisches Land? Schon wieder in ein Flugzeug steigen? Und was ist überhaupt CBR? Und dann noch ein Seminar. Eines ist sicher – über Arbeitsmangel werde ich mich hier sicherlich nicht beklagen. Meine prophetischen Gedanken sollten sich bewahrheiten. Meine Arbeitsstunden werden in den nächsten Jahren täglich zwischen zehn und achtzehn Stunden liegen.
Und nun habe ich auch noch die Leitung für ein Projekt, von dem ich noch nicht mal den Hauch einer Ahnung habe, wie es aussehen soll. Ich überlege ernsthaft, ob ich mein Abenteuer Afrika hier abbrechen soll. Ich kann kein Englisch und eine Projektleitung traue ich mir erst recht nicht zu. Aber – ich war noch nie ein Mensch der leicht aufgegeben hat. Außerdem wird sich Gott schon was dabei gedacht haben, wenn er mich hierher geschickt hat. Ich bleibe.
Die wenigen Wochen bis zu meinem Abflug nach Tansania sind für Heidi angefüllt mit Lernen und Prüfungen. Sie besteht alles mit Bravour. Heidi spricht mit den Patienten während der Prüfung fließend Afrikaans. Die Prüfer sind sprachlos und unglaublich beeindruckt, dass jemand das nach nur drei Wochen büffeln so hinkriegt. Und dann auch noch auf Afrikaans. Die Kosten für den aus Südafrika eingeflogenen Übersetzer hätten sie sich sparen können.
Ich bestehe inzwischen auch meine Abschlussprüfung des Kommunikationskurses. Zudem kümmere ich mich um die Planung und Inhalte eines sieben-wöchigen Trainingskurses.
Eines Abends habe ich die entscheidende Idee. Ich werde die neuen Mitarbeiter, die sogenannten Family Visitors, in den ADL‘s, den Aktivitäten des täglichen Lebens, ausbilden. Essen und Trinken, Schlafen, Kommunizieren, Bewegung sind einige der ADL‘s. Die habe ich während meiner Krankenpflegeausbildung gelernt. Das muss noch auf Behinderungen angepasst und die Inhalte „nur” noch kreativ aufgepeppt werden. Ich bin erleichtert, dass mir was Sinnvolles eingefallen ist.
Aus den Vorstellungsgesprächen suche ich mir fünfzehn Trainingskursteilnehmer aus, von denen ich später dann vier als Family Visitors anstellen werde. Dann heißt es Koffer packen.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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