Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 14)
Autobiografie eines außergewöhnlichen Lebens in Namibia
Schockierendes
Zu meiner Verwunderung machen mir immer mal wieder einige der Minister und Politiker, die ich im Laufe der Zeit kennenlerne, ganz offen „anzügliche“ Angebote. Einer dieser hochgestellten Persönlichkeiten lädt mich für zwei Wochen ins Nachbarland, nach Kapstadt, ein. Natürlich darf es auch gerne ein Doppelzimmer sein. Auf meine Frage hin, wie denn seine Frau darauf reagieren würde, wenn wir gemeinsam verreisen würden, lächelt er charmant und sagt, dass sie das ja nicht zu erfahren bräuchte. So entspannt sieht man hier im Land anscheinend eine Affäre. Solche Anzüglichkeiten kann ich gerade noch hinnehmen, auch wenn ich sie als grenzüberschreitend empfinde. Als einer dieser Herren jedoch sogar einmal in seinem Büro die Hosen runterlässt und mit erigiertem Penis vor mir steht, ist bei mir Schluss mit Lustig. Ich bin fassungslos. Ich lasse Bemerkungen über eine Anzeige wegen sexueller Nötigung fallen, was wiederum für Fassungslosigkeit auf Seiten des Ministers führt. Eine Ablehnung intimer Angebote scheint er anscheinend noch nicht erlebt zu haben. Die Hose ist dann jedoch ganz schnell wieder an. Und ich sehr schnell aus dem Büro heraus, dass ich nie wieder betreten werde.
Namibische Hochzeit
Am Wochenende sind Heidi und ich auf die Hochzeit unserer Mitarbeiterin Linda eingeladen. Es ist brütend heiß, aber das hindert unsere ebenfalls eingeladene Mitarbeiterin Mekukuye nicht daran, im langen Hererokleid, mit sechs Unterröcken, zu erscheinen. Während uns der Schweiß in Strömen am Körper herunterläuft, sehen wir nicht die kleinste Schweißperle auf ihrer Stirn. Faszinierend. Erstaunlich ist auch die Tischdekoration. Ganze gebratene Hühnchen stecken auf Flaschen. Finden wir witzig. In null Komma nix sind die Flattermänner in den Bäuchen der Gäste verschwunden. Überhaupt spielt Fleisch eine große Rolle auf den Namibischen Hochzeiten. Je mehr, desto besser. Dazu Alkohol. Auch hier gilt: Je mehr, desto besser. Leider gilt auch – je lauter die Feier, desto besser.
Linda ist als Braut wunderschön. Sie trägt ein afrikanisch wirkendes Brautkleid mit afrikanischem Hut. Wir freuen uns sehr für sie. Sie wird mit ihrem Mann, der bei der Botschaft als erster Sekretär arbeitet, ins Ausland gehen. Leider wird die Ehe nicht besonders glücklich. Laut Linda entwickelt sich ihr Mann zum notorischen Fremdgänger. Bis heute haben wir Kontakt zueinander. Sie wird noch einmal eine sehr spezielle Rolle in meinem Leben spielen.
Menschen mit Behinderungen
Durch das Projekt haben wir inzwischen viele behinderte Menschen ausfindig machen können. Tausende von Familien haben wir in den Häusern besucht und viel Überzeugungsarbeit geleistet. Nach einem Jahr haben die Menschen im Township Vertrauen zu uns gefasst und unsere Family Visitors betreuen um die hundert Familien.
Da ist zum Beispiel Gerson. Er ist ein 15-jähriger Junge, dessen Gehirn als Baby von Tuberkulose befallen wurde. Seitdem ist er hyperaktiv und war lange Zeit halbseitig gelähmt. Seine Eltern ketten ihn tagsüber im Hinterhof am Fuß an, damit er nicht ständig wegläuft. Läuft er weg, streunt er manchmal tagelang durch die Gegend. Er macht dann manchmal so „verrückte“ Sachen, dass die Leute in seiner Nachbarschaft versuchen ihn umzubringen. Oft kommt er mit Verletzungen nach Hause. Eine Schule zu besuchen ist aufgrund seines auffälligen Verhaltens derzeit unmöglich.
Frekkie ist ein Mann in den Vierzigern. Seit Jahren sitzt er in einem Rollstuhl vor dem Haus seiner Familie, wo den ganzen Tag über überhaupt nichts passiert. Oft wird er ohne Hilfe alleine zuhause gelassen. Verspürt er Harndrang, lässt der den Urin einfach an seinen nackten Beinen runterlaufen. Am Leben in der Familie nimmt er nicht teil. Vor ein paar Jahren haben ein paar junge Männer versucht, ihn zu „skalpieren”. Er konnte gerade noch gerettet werden. Er ist seitdem jedoch sprach- und körperbehindert. Da den Menschen nicht so ein hervorragendes soziales und Gesundheitsnetz zur Verfügung steht wie in Deutschland, sind Frekkies Gliedmaßen nun völlig versteift und verkrüppelt. Als wir ihn finden, läuft ihm der Eiter aus den Ohren. Dadurch ist er zusätzlich schwerhörig geworden. Für die Familie sind Arzt- und Fahrtkosten zum Hospital unerschwinglich.
Marlene ist neun Jahre alt. Sie sieht aus als sei sie erst drei Jahre alt. Sie leidet an einer Gehirnlähmung, wodurch sie körperlich und geistig schwerbehindert ist. Ihre Mutter trinkt und hat noch drei weitere Kinder von verschiedenen Männern. Sie ist nicht in der Lage, ihre Kinder zu versorgen. Darum kümmert sich jetzt, so gut sie kann, die Großmutter mit ihrer mageren Rente von ungefähr 30 DM, um die Kinder.
Moses ist um die 40 Jahre alt und vor einigen Jahren erblindet. Bei ihm wurde versäumt, seinen Augeninnendruck und seinen Blutdruck durch gute Medikation zu senken. Dadurch wurde der Sehnerv zerstört. Für die nötigen Medikamente war kein Geld vorhanden.
Else ist blind und auf einem Ohr taub. Das kommt daher, dass ihr Ehemann sie, als er mal wieder betrunken ist, so zuschlägt, dass ihre Augen und ihr Sehnerv dabei zerstört wurden. Sie lebt in einer ca. 2 m² „großen” Wellblechhütte. Dort gibt es weder Wasser noch Strom. Sie hat nur dann etwas zum Essen, wenn ihre Nachbarn sich erbarmen und ihr etwas von dem Wenigen abgeben, das sie selber haben. Alle ihre Familienangehörigen sind arbeitslos und können sie deshalb nicht unterstützen. Ihren Personalausweis hat sie verloren, so dass sie auch die monatlichen 160 N$ (ca. 16 DM) Behindertenrente nicht beantragen kann.
Ich bin von den Schicksalen und den Lebensumständen mit denen die Menschen im Township leben müssen oft erschrocken, tiefbewegt und manchmal auch verzweifelt, weil wir nur mit begrenzten Mitteln helfen können.
Ein weiterer Arbeitsbereich von mir ist die Beratung. Kürzlich suchte eine junge Krankenschwester Rat. Sie erzählt, dass ihre beiden jüngeren Schwestern an HIV erkrankt seien. Eine der beiden Schwestern sei schwanger und würde nun mit „fürchterlichen Mitteln“ versuchen, das Kind loszuwerden. Eine Abtreibung ist in Namibia gesetzlich verboten. Zudem würde sie mit etlichen Männern schlafen, in dem Bewusstsein sie mit dem tödlichen Virus anzustecken, damit sie nicht alleine sterben muss.
Wie verzweifelt können Menschen sein? Manchmal zweifele ich an der Effektivität meiner Arbeit. Kann ich hier wirklich etwas verändern? Ist nicht alles nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?
Zu meiner Verwunderung machen mir immer mal wieder einige der Minister und Politiker, die ich im Laufe der Zeit kennenlerne, ganz offen „anzügliche“ Angebote. Einer dieser hochgestellten Persönlichkeiten lädt mich für zwei Wochen ins Nachbarland, nach Kapstadt, ein. Natürlich darf es auch gerne ein Doppelzimmer sein. Auf meine Frage hin, wie denn seine Frau darauf reagieren würde, wenn wir gemeinsam verreisen würden, lächelt er charmant und sagt, dass sie das ja nicht zu erfahren bräuchte. So entspannt sieht man hier im Land anscheinend eine Affäre. Solche Anzüglichkeiten kann ich gerade noch hinnehmen, auch wenn ich sie als grenzüberschreitend empfinde. Als einer dieser Herren jedoch sogar einmal in seinem Büro die Hosen runterlässt und mit erigiertem Penis vor mir steht, ist bei mir Schluss mit Lustig. Ich bin fassungslos. Ich lasse Bemerkungen über eine Anzeige wegen sexueller Nötigung fallen, was wiederum für Fassungslosigkeit auf Seiten des Ministers führt. Eine Ablehnung intimer Angebote scheint er anscheinend noch nicht erlebt zu haben. Die Hose ist dann jedoch ganz schnell wieder an. Und ich sehr schnell aus dem Büro heraus, dass ich nie wieder betreten werde.
Namibische Hochzeit
Am Wochenende sind Heidi und ich auf die Hochzeit unserer Mitarbeiterin Linda eingeladen. Es ist brütend heiß, aber das hindert unsere ebenfalls eingeladene Mitarbeiterin Mekukuye nicht daran, im langen Hererokleid, mit sechs Unterröcken, zu erscheinen. Während uns der Schweiß in Strömen am Körper herunterläuft, sehen wir nicht die kleinste Schweißperle auf ihrer Stirn. Faszinierend. Erstaunlich ist auch die Tischdekoration. Ganze gebratene Hühnchen stecken auf Flaschen. Finden wir witzig. In null Komma nix sind die Flattermänner in den Bäuchen der Gäste verschwunden. Überhaupt spielt Fleisch eine große Rolle auf den Namibischen Hochzeiten. Je mehr, desto besser. Dazu Alkohol. Auch hier gilt: Je mehr, desto besser. Leider gilt auch – je lauter die Feier, desto besser.
Linda ist als Braut wunderschön. Sie trägt ein afrikanisch wirkendes Brautkleid mit afrikanischem Hut. Wir freuen uns sehr für sie. Sie wird mit ihrem Mann, der bei der Botschaft als erster Sekretär arbeitet, ins Ausland gehen. Leider wird die Ehe nicht besonders glücklich. Laut Linda entwickelt sich ihr Mann zum notorischen Fremdgänger. Bis heute haben wir Kontakt zueinander. Sie wird noch einmal eine sehr spezielle Rolle in meinem Leben spielen.
Menschen mit Behinderungen
Durch das Projekt haben wir inzwischen viele behinderte Menschen ausfindig machen können. Tausende von Familien haben wir in den Häusern besucht und viel Überzeugungsarbeit geleistet. Nach einem Jahr haben die Menschen im Township Vertrauen zu uns gefasst und unsere Family Visitors betreuen um die hundert Familien.
Da ist zum Beispiel Gerson. Er ist ein 15-jähriger Junge, dessen Gehirn als Baby von Tuberkulose befallen wurde. Seitdem ist er hyperaktiv und war lange Zeit halbseitig gelähmt. Seine Eltern ketten ihn tagsüber im Hinterhof am Fuß an, damit er nicht ständig wegläuft. Läuft er weg, streunt er manchmal tagelang durch die Gegend. Er macht dann manchmal so „verrückte“ Sachen, dass die Leute in seiner Nachbarschaft versuchen ihn umzubringen. Oft kommt er mit Verletzungen nach Hause. Eine Schule zu besuchen ist aufgrund seines auffälligen Verhaltens derzeit unmöglich.
Frekkie ist ein Mann in den Vierzigern. Seit Jahren sitzt er in einem Rollstuhl vor dem Haus seiner Familie, wo den ganzen Tag über überhaupt nichts passiert. Oft wird er ohne Hilfe alleine zuhause gelassen. Verspürt er Harndrang, lässt der den Urin einfach an seinen nackten Beinen runterlaufen. Am Leben in der Familie nimmt er nicht teil. Vor ein paar Jahren haben ein paar junge Männer versucht, ihn zu „skalpieren”. Er konnte gerade noch gerettet werden. Er ist seitdem jedoch sprach- und körperbehindert. Da den Menschen nicht so ein hervorragendes soziales und Gesundheitsnetz zur Verfügung steht wie in Deutschland, sind Frekkies Gliedmaßen nun völlig versteift und verkrüppelt. Als wir ihn finden, läuft ihm der Eiter aus den Ohren. Dadurch ist er zusätzlich schwerhörig geworden. Für die Familie sind Arzt- und Fahrtkosten zum Hospital unerschwinglich.
Marlene ist neun Jahre alt. Sie sieht aus als sei sie erst drei Jahre alt. Sie leidet an einer Gehirnlähmung, wodurch sie körperlich und geistig schwerbehindert ist. Ihre Mutter trinkt und hat noch drei weitere Kinder von verschiedenen Männern. Sie ist nicht in der Lage, ihre Kinder zu versorgen. Darum kümmert sich jetzt, so gut sie kann, die Großmutter mit ihrer mageren Rente von ungefähr 30 DM, um die Kinder.
Moses ist um die 40 Jahre alt und vor einigen Jahren erblindet. Bei ihm wurde versäumt, seinen Augeninnendruck und seinen Blutdruck durch gute Medikation zu senken. Dadurch wurde der Sehnerv zerstört. Für die nötigen Medikamente war kein Geld vorhanden.
Else ist blind und auf einem Ohr taub. Das kommt daher, dass ihr Ehemann sie, als er mal wieder betrunken ist, so zuschlägt, dass ihre Augen und ihr Sehnerv dabei zerstört wurden. Sie lebt in einer ca. 2 m² „großen” Wellblechhütte. Dort gibt es weder Wasser noch Strom. Sie hat nur dann etwas zum Essen, wenn ihre Nachbarn sich erbarmen und ihr etwas von dem Wenigen abgeben, das sie selber haben. Alle ihre Familienangehörigen sind arbeitslos und können sie deshalb nicht unterstützen. Ihren Personalausweis hat sie verloren, so dass sie auch die monatlichen 160 N$ (ca. 16 DM) Behindertenrente nicht beantragen kann.
Ich bin von den Schicksalen und den Lebensumständen mit denen die Menschen im Township leben müssen oft erschrocken, tiefbewegt und manchmal auch verzweifelt, weil wir nur mit begrenzten Mitteln helfen können.
Ein weiterer Arbeitsbereich von mir ist die Beratung. Kürzlich suchte eine junge Krankenschwester Rat. Sie erzählt, dass ihre beiden jüngeren Schwestern an HIV erkrankt seien. Eine der beiden Schwestern sei schwanger und würde nun mit „fürchterlichen Mitteln“ versuchen, das Kind loszuwerden. Eine Abtreibung ist in Namibia gesetzlich verboten. Zudem würde sie mit etlichen Männern schlafen, in dem Bewusstsein sie mit dem tödlichen Virus anzustecken, damit sie nicht alleine sterben muss.
Wie verzweifelt können Menschen sein? Manchmal zweifele ich an der Effektivität meiner Arbeit. Kann ich hier wirklich etwas verändern? Ist nicht alles nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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