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Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 25)
Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 25)

Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 25)

Autobiografie eines außergewöhnlichen Lebens in Namibia
Wiebke Schmidt
Leben im Alter

Inzwischen ist auch Eddy wieder aus Pietermaritzburg zurückgekehrt. Mit all den neu gewonnenen Anregungen können wir im eigenen Projekt neu durchstarten. Eddy übernimmt die Leitung des Augen-Präventionsprogramms. Bei dem Besuch in dem einzigen Altenheim für schwarze Einwohner das mir bekannt ist, stellen wir bei 28 von 30 Bewohnern den Grauen Star fest. Die Augenuntersuchung ist ganz einfach. Man leuchtet der jeweiligen Person mit einer Taschenlampe in die Pupille. Leidet jemand am Grauen Star, zeigt sich eine Trübung in der Pupille. Allerdings muss der Katarakt „reif“ sein, bevor operiert werden kann. Wenn jemand die drei großen Finger einer Hand auf sechs Meter Entfernung nicht mehr erkennen kann, ist er/sie nach der Definition der Weltgesundheits-Organisation blind. Dann erst werden unsere Klienten ins Krankenhaus zur Operation überwiesen.

Im Übrigen sind wir schockiert unter welchen Umständen, die alten Menschen im Altenheim leben. Die Räume sind nur ungefähr zwei Quadratmeter groß. Die Matratze liegt meistens auf dem nackten, kalten Boden. Außerdem sind die alten Leute für die winterlich kalten Klimaverhältnisse viel zu dünn bekleidet. Viele haben auch keine richtigen Decken zum Zudecken. Es fehlt an allem. Manche Bewohner haben noch nicht einmal Seife, Handtuch und Waschlappen. Ich nehme mir vor, die Presse zu bitten einen Zeitungsartikel über die Lebensumstände der alten Menschen zu schreiben. Die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ schreibt einen herzerweichenden Artikel. Daraufhin melden sich viele Spender, die die Not der Alten durch Kleidung, Lebensmittel und Kosmetikartikel helfen wollen zu lindern. Damit das Personal mehr Zeit hat sich um die Belange der Bewohner zu kümmern, spendet sogar ein Leser eine fabrikneue Waschmaschine. Ein Anderer spendet einen Rollstuhl.

Tod eines Familienangehörigen

Angesichts dieses Elends kommt mir eigenes Leid manches Mal klein und nichtig vor. In der Nacht geht es mir irgendwie nicht gut, ohne dass ich sagen könnte, was nicht in Ordnung ist. Dabei habe ich einen Moment lang das Gefühl zu sterben. Und dann ist plötzlich alles wieder gut. Ich gehe am nächsten Morgen wie gewohnt zur Arbeit, fühle mich dann aber dann wieder so schlecht, dass ich etwas früher nach Hause gehe. Vielleicht muss ich mich einfach nur mal ein bisschen ausruhen. Als ich zur Tür reinkomme, sehe ich meinen Anrufbeantworter rot blinken. Meine Mutter. Sie bittet mich, umgehend zurückzurufen. So wie sie das sagt, ist mir sofort klar, dass jemand gestorben sein muss. Aber wer? Mein Vater? Das wäre am Naheliegensten, da er seit einigen Jahren an Lymphknotenkrebs erkrankt ist. Mein Herz klopft vor Aufregung ganz schnell. Ich wähle die Nummer meines Elternhauses. Mein älterer Bruder Rainer hebt ab. Nun bin ich mir fast sicher, dass mein Vater verstorben ist. Ich sage ohne Umschweife: „Rainer, wer ist gestorben? Papa?“ Mein Bruder ist verdutzt, dass ich weiß, dass jemand aus der Familie verstorben sein muss, da meine Mutter das bisher mit keinem Wort erwähnt hat „Nun sag schon!“, dränge ich meinen Bruder. Seine Antwort ist schlicht: „Uwe“, sagt er, „dein Zwillingsbruder“.

„Das ist ein schlechter Scherz“, sage ich, „woran soll Uwe denn so jung verstorben sein?“ „Das weiß man noch nicht. Er lag einfach tot in seiner Wohnung. Ich habe ihn gesehen“, sagt er ganz leise. Ich glaube, ihn weinen zu hören. In dem Moment realisiere ich, dass er die Wahrheit spricht, die meinen Verstand bisher nicht wahrhaben wollte. Mein Zwillingsbruder ist tot. Mein Gehirn weigert sich, diese Nachricht an mich heranzulassen. Ich werde ohnmächtig. Als ich wieder zu mir komme, rufe ich nochmals Zuhause an und spreche mit meiner Mutter. Später einmal wird sie mir erzählen, dass sie meinen Schrei durchs Telefon bis an die Wohnungstür gehört hat, so laut hätte ich geschrien. Ich kann mich noch nicht einmal daran erinnern, dass ich überhaupt geschrien habe. „Ein Kind zu verlieren ist das Schlimmste“, sagt sie. Auch mein Schmerz ist grenzenlos. Meine Mutter bittet mich, den nächsten Flieger zu nehmen, um an der Beerdigung teilzunehmen. Ich verspreche, mich am nächsten Tag um einen Flug zu kümmern, und mich dann nochmal zu melden. Meine Kollegen kommen sofort alle vorbei, als sie die Todesnachricht hören. Sie wollen mir beistehen, mich trösten. Mein Zwillingsbruder ist tot, ein Teil von mir wurde heute von mir abgeschnitten. Da tröstet mich überhaupt nichts. Ich will alleine sein. Für den nächsten Tag nehme ich mir frei. Ich fahre erst einmal ins Craft Cafe, um zu frühstücken. Ich bin zu lustlos und antriebsarm, um mir selber etwas zuzubereiten. Während des Frühstücks merke ich wie mir komisch wird. Ich habe das Gefühl, das alles um mich herum in Zeitlupe verläuft. Ich entdecke einen Angestellten der Deutschen Botschaft, den ich erst gestern kurz kennengelernt habe. Mit letzter Kraft schleppe ich mich zu ihm und bitte ihn, mich ins Krankenhaus zu fahren. Was er umgehend, wenn auch etwas verdattert, macht. Er kümmert sich auch um mein Auto, stellt sicher, dass mein Hausarzt ins Krankenhaus kommt und sich um mich kümmert. Er ist eine großartige Hilfe. Ich muss ein paar Tage im Krankenhaus bleiben. Mein Blutdruck ist instabil, ich habe anfallsweise Tachykardien. Man checkt mich durch, findet aber erst einmal nichts. Man kommt zu dem Ergebnis, dass mein Zusammenbruch psychischer Natur sein muss. Der Verlust des Bruders. Ein paar Monate später ist klar, dass sie nur bezüglich der Tachykardien Recht behalten würden.

„Fiese Würmchen“

Meine Mutter bangt im fernen Deutschland jetzt auch noch um mein Leben. Wie es ihr emotional gehen muss, kann ich nur ahnen. An der Beerdigung kann ich nicht teilnehmen. Ich beschließe, im Projekt erst noch klar Schiff zu machen und dann nach Deutschland zu fliegen. Meine Missionsgesellschaft hält einen Check-up in der Tropenklinik in Tübingen für notwendig. Nach fast drei Jahren Missionsarbeit steht mir ohnehin ein längerer Heimaturlaub zu. Einen Monat nach dem Tod meines Bruders steige ich wieder mal in einen Flieger. Es wird nicht das einzige Flugzeug sein in das ich in den nächsten Wochen steige, da ich eine Europareise geplant habe. Deutschland, England, Finnland, Estland, Russland und Island stehen auf meinem Reiseplan. Ich bin von verschiedenen Botschaften, Organisationen und Freunden eingeladen worden. Vielleicht brauche ich auch einfach Ablenkung, um den Herzschmerz nicht so zu spüren.

Die tropenärztliche Untersuchung ergibt erst einmal gar nichts. Auch wenn die Ärzte mich von Kopf bis Fuß auf die unglaublichsten und unaussprechlichsten Krankheiten untersuchen. Ich erinnere mich jetzt jedoch wieder an meine Badetage am Lake Kariba und bitte die Ärzte, mich auch mal auf Bilharziose zu testen. Volltreffer! Ich habe mich tatsächlich angesteckt. Die Antikörper im Blut sind extrem hoch. Ich muss weitere Untersuchungen über mich ergehen lassen. Blasen- und Darmspiegelung, Biopsien. Ich bekomme eine einwöchige Chemotherapie. In den nächsten zehn Jahren wiederholt sich diese Prozedur jedes halbe Jahr. Mir ist dabei dermaßen schwindelig und übel, dass ich die Woche im Bett verbringen muss. Die Würmchen sind hartnäckig und lassen sich nur schwer bekämpfen. Nach 15 Jahren habe ich das erste Mal keine hohen Antikörper mehr im Blut. Es finden sich derzeit auch keine Eier mehr im Darmgewebe. Nun weiß ich endlich warum mir nach dem Tod meines Bruders so komisch war. Ich befand mich in der akuten Phase der Erkrankung.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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