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Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 27)
Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 27)

Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 27)

Autobiografie eines außergewöhnlichen Lebens in Namibia
Wiebke Schmidt
Millenniumsfeier

An Sylvester wurde ich von der Finnischen Botschaft zur Sylvesterfeier eingeladen. Zur Jahrtausendwende werden die spektakulärsten Ereignisse erwartet - Weltuntergang, Flugzeugabstürze, Atomkrieg, Wiederkunft Jesu. Ich erwarte nur eine nette Party mit leckerem Essen in der Residenz der Botschaft. Aber es wäre schön, wenn mich jemand begleiten würde. Seit einem Monat ist Johan van Wyk in meine Straße gezogen. Er ist der Ex-Freund der Witwe von Paul Heester. Ich bin ihm schon des Öfteren begegnet. Bei Feiern und auch in der Blindenschule. Und seit er um die Ecke wohnt, schlendert er fast täglich bei mir vorbei, um Hallo zu sagen. Aus dem Hallo wird mit der Zeit meistens ein ausgiebiges gemeinsames Frühstück oder Kaffeetrinken. Ich freue mich über die Besuche, da ich nach meiner O.P noch recht viel das Bett hüte und mir recht langweilig ist. Alle Freunde und Bekannte sind bereits verreist. So sind Johans Besuche eine willkommene Abwechslung. Außerdem ist er ganz witzig. Als er hört, dass ich von der Botschaft eingeladen bin, bietet er sich sofort als Begleiter an. Warum nicht? Die Residenz liegt wunderschön auf einem Berg und hat eine großartige Aussicht auf die Stadt. Ich kann mir keinen schöneren Ort vorstellen, an dem ich das neue Jahrtausend begrüßen möchte. Johan ist beeindruckt von dem luxuriösen Ambiente. Es wird ein herrlicher Abend mit Musik, Tanz und leckerem Essen. Das Feuerwerk bleibt aus, da es nur an bestimmten Stellen im Land erlaubt ist zu Böllern. Um Mitternacht versucht mich Johan beim obligatorischen Sektanstoßen zu küssen. Ich schiebe das auf seinen erhöhten Alkoholkonsum. Seine Annäherungsversuche sind von wenig Erfolg gekrönt. Aber das tut seiner guten Laune keinen Abbruch. Wir feiern bis zum frühen Morgen. Das einzige was nach Mitternacht in Windhoek noch an den Millenniumswechsel erinnert, ist die riesige Millenniumuhr in der Innenstadt. Auf ihr brennt eine „Ewige Flamme”. Sie wurde extra aus Amerika eingeflogen. Für was ein Entwicklungsland so alles Geld übrig hat.

Anstrengende Reise

Eigentlich wollten zwei Praktikanten meiner Missionsgesellschaft, die in Okahandja eingesetzt sind, und ich in den Caprivi reisen. Das trauen wir uns jetzt aber nicht. Unsere Planänderung heißt Epupafälle. Als Johan hört, dass ich wegfahren werde, will er unbedingt mit. Er bietet sich als Chauffeur an. Erst bin ich dagegen, aber dann denke ich, dass ein zweiter Fahrer gar nicht so schlecht ist. Seit Monaten regnet es heftig in Namibia. Vielleicht müssen wir reißende Flüsse auf unserer Reise überqueren. Da wäre ein Namibiakundiger nicht schlecht. Also nehme ich ihn kurzfristig mit auf die Reise. Ob das eine gute Entscheidung ist, wird sich noch herausstellen. In Okahandja steigen die beiden Praktikanten zu. Schon bald stelle ich fest, dass der junge Mann schizophren ist. Mich stört weniger seine Schizophrenie als das T-Shirt, das er während der ganzen Woche nicht wechselt. Johan unterhält uns mit der Erzählung von deutschen Märchen - auf Afrikaans vorgetragen. Großartig! Wir haben viel Spaß zusammen. Johan erweist sich als geschickter Autofahrer, Zeltaufbauer und Feuermacher. Mir gefällt seine praktische Art. Nach drei Tagen merke ich, dass auch mit dem Mädel etwas nicht stimmt. Sie hat irgendein psychisches Problem. Die Situation eskaliert als sie auf dem Waterbergplateau einen Herzanfall hat. Ich vermute eher, dass er vorgetäuscht ist. Es ist gar nicht so einfach sie von dem Berg herunter zu bekommen. Außerdem will sie ständig bei Johan im Zelt übernachten. Irgendwann reicht mir ihr merkwürdiges Verhalten, das täglich seltsamer wird. Ich stelle sie zur Rede. Dann rückt sie mit der Sprache heraus. Sie hatte eine Affäre mit ihrem verheirateten Chef. Leider wurde sie auch schwanger. Ihr Chef hat sie zu einer Abtreibung gedrängt. Seitdem fühle sie sich innerlich leer und müsse zwanghaft mit Männern schlafen. Sie gibt zu, dass sie unbedingt mit Johan ins Bett will. Johan berichtet mir, dass sie ihm heimlich im Auto Kondome zugeschoben hat. Das scheint ihn ganz schön zu verwirren. So ein offensichtliches Angebot zum Beischlaf von so einem jungen Mädchen bekommt er sicherlich auch nicht alle Tage. Aber sie hat natürlich auch gemerkt, dass er eigentlich was von mir will. Ich rate ihr dringend, sich in psychologische Behandlung zu begeben. Ich habe keine Lust mehr, weiter zu reisen. Das ganze Drumherum ist mir zu anstrengend. Ich beschließe, die Reise zu beenden und nach Windhoek zurück zu fahren. Ich bin froh, wieder daheim zu sein. So nervig die Reise teilweise war, so muss ich doch zugeben, dass mir die Gegenwart von Johan gut gefallen hat.

Neue Liebe?

Habe ich mich etwa in ihn verliebt? Das kann doch nicht sein. Johan spürt jedoch sofort, dass sich zwischen uns etwas verändert hat. Nun überrascht er mich mit einem Heiratsantrag. Er scheint tatsächlich eine ernsthafte Beziehung mit mir zu wollen. Auch wenn ich das mit dem Heiratsantrag etwas übertrieben finde. Ich bin inzwischen 34 Jahre alt und sehne mich nach einer bodenständigen, festen Beziehung. Könnte Johan der Richtige dafür sein? Noch kenne ich ihn nicht gut genug. Aber ich kann nur herausfinden ob er der geeignete Partner ist, wenn ich einer Freundschaft zustimme. Ich will uns eine Chance geben. Johan ist überglücklich. Wir treffen uns von nun an häufiger, reden viel zusammen. Ich merke, dass Johan auch so einige Macken hat. Er hat bereits als 17-jähriger als Soldat im Unabhängigkeitskrieg gekämpft. Als gebürtiger Südafrikaner hat er gegen Namibia gekämpft, dem Land in dem er heute lebt. Er hat unaussprechliche Dinge gesehen und erlebt. Daran hat seine Seele Schaden genommen. Er wacht noch heute nachts des Öfteren auf, geplagt von Albträumen, sogenannten „Flash Backs”. Das macht mir ein wenig Sorgen. Aber ansonsten scheint er ganz stabil zu sein. Allerdings ist er bereits geschieden und hat zwei jugendliche Kinder. Dieser Umstand wird weder meinen Eltern noch meiner Missionsgesellschaft gefallen. Aber welcher Mann ist schon perfekt? Außerdem muss ich ja mit den Macken meines Partners leben und zurechtkommen.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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