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Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 45)
Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 45)

Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 45)

Autobiografie eines außergewöhnlichen Lebens in Namibia
Wiebke Schmidt
Die Bundesregierung zahlt!

Eine andere Überraschung bringt ein Telefonruf mit sich. Als mein Handy eines Abends klingelt, meldet sich ein Abgeordneter der deutschen Linkspartei. Er hat meine Telefonnummer von einer Freundin von mir bekommen. Er fragt an, ob er mich zu einem Abendessen einladen dürfe und ich ihm bei der Gelegenheit helfen könnte, ein Gespräch mit dem Herero Chief zu übersetzen. Was tut man nicht alles für sein Vaterland! An dem Abend kann ich viel über die Reparationsvorstellungen der Hereros und Politik im Allgemeinen lernen. Zum Dank fürs Übersetzen drückt der äußerst sympathische Politiker mir ein paar Scheinchen in die Hand. Vom Deutschen Bundestag bin ich bisher auch noch nicht bezahlt worden!

Mit ein bisschen Luxus ins Neue Jahr!

Wieder nähert sich ein Jahr dem Ende zu. Dieses Mal fahre ich mit ein paar jungen Sozialarbeitern aus Deutschland in die Wüste, zum Quadbike und von da aus in die fünf Sterne Wellness Lodge La Mirage. Von weitem sieht sie aus wie ein paar vergessene große Bierdosen in der Wüste. Aber das Ambiente ist umwerfend. Im Whirlpool begrüßen wir das neue Jahr. Ich bin gespannt darauf, was es alles für mich bereithalten wird.

Schlimmer geht’s immer!

Es fängt mit traurigen Nachrichten an. Mein Vater, der seit Jahren an Lymphknotenkrebs erkrankt ist, ist ins Krankenhaus eingeliefert worden. Es geht im sehr schlecht. Als ich ihn an seinem Geburtstag am 6. Februar anrufe, um ihm zu gratulieren, habe ich den Eindruck, dass mein Vater nicht mehr lange leben wird. Ich bitte meine Mutter, dass sie meinen Vater nun endlich in einem Hospiz unterbringt, damit man sich dort wenigstens um eine vernünftige Schmerzbekämpfung kümmert. Ich buche einen Flug für Ende März. Ich möchte mich von meinem Vater verabschieden, solange er noch lebt. Am Abend bevor ich losfliege, teilt mir meine Mutter am Telefon mit, dass mein Vater verstorben ist. Ich komme drei Tage zu spät. Es tröstet mich ein wenig, dass ich meinem Vater vorsorglich einen Brief geschrieben habe, um mich bei ihm für alles zu bedanken für das was er für mich als Vater getan hat und was ich alles an ihm persönlich geschätzt habe. Es ist für mich wichtig, mich in irgendeiner Form noch persönlich von meinem Vater zu verabschieden. Meine Mutter berichtet mir, dass der Brief nur einen Tag vor dem Tod meines Vaters in Deutschland angekommen sei und sie ihm meine Zeilen vorgelesen habe. Selber lesen konnte er ihn nicht mehr, da in seinen Augen Tumore wucherten und er in den letzten Tagen seine Augen geschlossen hielt. Das habe ich vorher gar nicht bedacht. Mir ist es unangenehm, dass meine Mutter, die sehr persönlichen Worte an meinen Vater kennt. Aber ich bin froh, dass ich ausgesprochen habe was mir wichtig war. Und immerhin komme ich noch rechtzeitig zur Beerdigung.

Zufällig fliegt Angela auch nach Deutschland. Ihr Mann Gerson fährt uns am Abend zum Flughafen. Dort angekommen, erfahren wir, dass der Flug ausfällt. Wir sollen am folgenden Tag wieder kommen. Das darf nicht wahr sein. Ich muss heute fliegen, wenn ich noch rechtzeitig zur Beerdigung ankommen will. Resigniert fahren wir nach Windhoek zurück. Meine arme Mutter. Nun muss sie die Trauerfeier verschieben. Am nächsten Abend vertröstet Air Namibia uns erneut. Der Flieger ist kaputt und eine andere Maschine stehe nicht zur Verfügung. Wir hören das Gleiche wie am Vorabend. Wir sind fassungslos. Ich kämpfe mit den Tränen. Man bietet mir an, über verschiedene Länder zu reisen, um mein Ziel dann nach 36 Stunden zu erreichen. Als ob das eine Alternative wäre. Dann komme ich mit viel Stress genauso spät an als wenn ich die geplante Route am nächsten Tag fliegen würde. Uns bleibt nichts anderes übrig als erneut umzukehren. Meine Mutter ist dem Zusammenbruch nahe. Ich auch. Aber es hilft alles nichts. Am dritten Abend können wir tatsächlich losfliegen. Endlich. Nochmal hätte ich das auch nicht durchgestanden.

Als ich bei meiner Mutter in meiner Heimatstadt Altena ankomme, kann ich nur noch schnell unter die Dusche und dann geht es bereits los zur Trauerfeier. Mein älterer Bruder Rainer wartet bereits am Krematorium auf uns. Ansonsten sehe ich niemanden. Wir werden in einen weiß getünchten, schlichten Raum geführt. Ein einfacher schmaler Sarg ist vor den Stuhlreihen aufgebahrt. Davor steht eine einzige rote Rose in einer Vase. Wir müssen im falschen Raum sein. Der Sarg ist viel zu klein. Mein Vater ist um die 1,85 Meter groß und sehr kräftig gebaut. Er passt niemals in diese kleine Holzkiste hinein! Außerdem - wo sind die anderen Trauergäste? Wo ist der Pastor? Wo sind die Blumengestecke und Kränze? Wieso spielt im Hintergrund nicht leise beruhigende klassische Musik? Meine Mutter versichert mir, dass wir im richtigen Raum sind und mein Vater in dem Sarg liegen würde. Das kann ich bis heute nicht wirklich glauben. Ich hätte mich doch dazu entscheiden sollen, ihn mir nochmal anzusehen. Davon hat mir das Bestattungsinstitut aber ausdrücklich abgeraten. Jeder von uns sitzt still in seinen Gedanken verloren auf seinem Stuhl. Ich kann diese lieblose Atmosphäre kaum aushalten. Ich bin so erschüttert über diese armselige Trauerfeier, die so überhaupt nichts von einer würdevollen Feier hat, dass ich die Nähe meiner schweigenden Verwandten nicht länger ertragen kann. Ich bitte sie, mich einen Moment mit meinem Vater alleine zu lassen. Ohne weitere Worte verlassen sie den Raum. Ich bin mir noch nie so alleine vorgekommen. Ich bin so schockiert von den Ereignissen der letzten Tage und dem was sich hier gerade abspielt, dass ich noch nicht einmal in der Lage bin zu weinen. Ein anderes Gefühl ist viel übermächtiger. Wut. Ich bin wütend auf die Fluggesellschaft. Und ich bin noch viel wütender auf meine Mutter, die hier anscheinend an allem gespart hat, was auch nur ein bisschen das Gefühl von Würde und Respekt aufkommen lassen würde. Dabei habe ich Trost nötig. Ich weiß, dass meine Mutter keine große Rente hat, aber einen Pastor hätte sie wenigstens einbinden können. Der kostet schließlich nichts. Sie erklärt mir später, dass sie das nicht gewusst habe. Das glaube ich ihr sogar. Vielleicht ist man als Ehefrau in so einer Situation auch in einem Ausnahmezustand. Trotzdem wird mir diese „Trauerfeier“ für immer als die schlimmste meines Lebens in Erinnerung bleiben.

Zuckersüß und weltberühmt

Ich bin froh als ich nach Berlin weiterreisen kann, wo ich neben den Johannitern im Berliner Zoo „Knut“, den kleinen knuddeligen Eisbären sehen will. Weltweit herrscht ein unglaublicher Hype um diesen Fellknäuel. Auch heute sind hunderte von Fotografen und TV-Sender da, die um die besten Aufnahmen konkurrieren. Die Warteschlangen sind endlos. Wie gut, dass ich meinen Presseausweis dabei habe, so dass ich mich um ein Anstehen drücken kann. Als der Kleine mit seinem Ziehvater Thomas Dörflein die Bühne betritt, verstehe ich warum die ganze Welt so hin und weg ist von dem kleinen Bärchen. Er ist zuckersüß und einfach zum Verlieben drollig wie er so mit seinem Pfleger im Gehege herumtollt. Die beiden sind ein tolles Pärchen. Umso betroffener bin ich, als gerade mal ein Jahr nach meinem Besuch im Berliner Zoo, Knuts Pfleger an einem Herzinfarkt verstirbt.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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