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Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 69)
Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 69)

Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 69)

Autobiografie eines außergewöhnlichen Lebens in Namibia
Wiebke Schmidt
„Meine Patienten”

Da ist zum Beispiel Lydia. Sie steht kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes. Seit gestern weiß sie; dass ihr Mann sie mit seiner vorherigen Freundin betrügt. Und das bereits seit Monaten. Außerdem schlägt er sie. Bei einem ihr angeratenen HIV-Test kommt heraus, das sie positiv ist. Was soll sie nun tun? Ihren Mann verlassen? Oder soll sie sich weiter demütigen lassen. Aber wovon soll sie sich und das Kind dann ernähren? Und was ist, wenn das Kind auch noch HIV-positiv ist?

Marvin ist 14 Jahre alt. Er wird ganz allein mit dem Krankenwagen in unsere Klinik gefahren. Er friert und hat hohes Fieber. Marvin ist seit seiner Geburt HIV-positiv. Beide Eltern sind gestorben als es noch keine Medikamente gegen Aids gab. Seine Tante, die als Reinigungskraft arbeitet, hat den Jungen bei sich aufgenommen und kümmert sich um ihn so gut es geht. Es stellt sich heraus, dass die Aidsmedikamente nicht mehr richtig wirken. Zudem hat Marvin durch sein schwaches Immunsystem MDR TB bekommen, eine Form von TB, die recht schwer zu behandeln ist. Mindestens 18 Monate Krankenhausaufenthalt stehen dem Jungen bevor. Besuch erhält er kaum, da die Fahrkosten für die Familie kaum erschwinglich sind. Durch die täglichen schmerzhaften Antibiotikainjektionen wird er wahrscheinlich sein Gehör verlieren; ein Nebeneffekt der Medikation. Und wenn er endlich aus dem Krankenhaus entlassen wird, hat er wahrscheinlich nur noch ein oder zwei Jahre zu leben. Aber - Marvin beklagt sich nie.

Bei einem Hausbesuch erklärt mir Steven, dass er die TB-Medikamente nicht mehr nehmen wird. Er scherzt, dass er sich seinen Sarg selber kaufen wird. Er fühle sich besser. Er sei nun gesund. Von etwas anderem lässt er sich nicht überzeugen. Nur zwei Monate später wird er mit Atemnot in unsere Klinik eingeliefert. Eine Woche später ist er tot. Die Medikamente hätten ihn retten können.

Tom sitzt vor mir mit einer Schussverletzung in der Brust. Er hat sie sich selber zugefügt. Er wollte sich das Leben nehmen, da er Probleme mit seiner Freundin hat, die er zwar permanent betrügt und auch nicht wirklich liebt, aber trotzdem dazu führt, dass er sich das Leben nehmen will. Namibia hat die höchste Selbstmordrate in der Welt.

Drei 18-jährige Mädchen kommen in mein Büro. Seit Jahren gehen sie der Prostitution nach. Das ist in Namibia zwar verboten, aber eine andere Möglichkeit sehen sie nicht, um sich zu ernähren. Alle Drei sind HIV-positiv, haben bereits Aids und müssten ihre Medikamente regelmäßig nehmen, was sie aber nicht tun. Ohne die Medikamente werden sie allerdings kein halbes Jahr mehr leben. Das ist ihnen nicht wirklich bewusst.

Marlene betreibt einen Sheebeen, wo sie Alkohol herstellt und verkauft. Ihre Leberwerte weisen darauf hin, dass sie selbst ihr bester Kunde ist. Aber sie will aufhören zu trinken. Sie hat begriffen, dass es so nicht weitergeht.

Bei all diesen Fällen ist es meine Aufgabe, eine umfassende Anamnese zu erstellen, die Patienten und Klienten zu ermutigen ihre Medikamente einzunehmen, sie psychologisch zu betreuen, zu beraten, mit Familienangehörigen reden, Hausbesuche durchzuführen, aufzuklären und gemeinsam Lösungen für alle Probleme zu suchen. Das gelingt nicht immer, aber immer öfter.

Es ist einfach wunderbar zu erleben, wie eine verzweifelte Frau, die sich schon selbst aufgegeben hatte, bettlägerig ist, da sie die Aidsmedikamente nicht nimmt, und mit dem Tode ringt, nach einigen Wochen und einigen Gesprächen wieder Lebensmut fasst und das Krankenhaus verlassen kann. Wenn ich die Hoffnung in den Augen meiner Patienten neu sehen kann, weiß ich immer, dass mein Patient eine Chance hat. Eine Chance zu leben, und zu überleben.

Es gibt in meinem Arbeitsbereich jede Menge Herausforderungen. Aber genau das ist es was mir so gut daran gefällt.

Schicksalshafte Momente

Eine Herausforderung besonderer Art wartet auf mich. Schwester Anelie ruft mich zu sich. Sie kennt wirklich Hans und Frans. Außerdem kennt sie die familiären Verwandtschaftsverhältnisse der meisten Patienten. So eine Krankenschwester ist für eine Klinik wirklich Gold wert. „Kerstin, die Tante von Jackson sitzt weinend im Flur. Sie hat ihre Tochter her gebracht, die sehr krank ist. Ich glaube nicht, daß ihre Tochter überleben wird. Kannst du mal mit ihr reden und sie aufklären?”, bittet sie mich. Ich schaue mir als erstes ihre Tochter an. Sie ist im Endstadium der Aidserkrankung angelangt. Ihr Körper weist am ganzen Körper Kaposi-Tumore auf. So schlimm habe ich das noch nie gesehen. Ich setze mich zu ihrer Mutter. „Erst letztes Jahr haben wir meinen Neffen Jackson zu Grabe getragen. Es kann doch nicht sein, das all die jungen Menschen vor uns sterben. Das ist doch nicht richtig. Wir Alten müssen doch zuerst gehen”, sagt sie erschüttert. Mir stockt der Atem. Sie redet doch nicht etwa von „meinem” Jackson?” “Sie haben Recht. So sollte es nicht sein. Das ist die verkehrte Reihenfolge”, stimme ich ihr zu. Vorsichtig frage ich: „Woran ist denn ihr Neffe verstorben?” „An Kehlkopfkrebs. Sie kennen ihn bestimmt. Jackson Kaujeua, der Musiker”, beantwortet sie mir meine Frage. Wie bitte? Jackson soll an Kehlkopfkrebs verstorben sein? Das haben sie also den Verwandten gesagt. Wenn es um Aids geht, wird die wahre Todesursache meistens verschwiegen. In den Medien und sogar auf Wikipedia lautet Jacksons offizielle Todesursache Nierenversagen. Er hat dieses Geheimnis auch gut gehütet. Er hatte aus Angst vor Stigmatisierung, nicht den Mut in der Öffentlichkeit zu seiner Erkrankung zu stehen. „Nur die Wahrheit macht uns frei”, steht in der Bibel. Ich will dieses Lügengebäude nicht weiter aufrechterhalten. Das Bewahren von Jacksons Geheimnis und das damit verbundene Aufrechterhalten des Lügengebildes in der Öffentlichkeit sind mir immer sehr schwer gefallen. „Auntie” (Tante), beginne ich, „ich war die Partnerin von Jackson. Ich muss Ihnen etwas sagen. Jackson ist an genau der gleichen Krankheit gestorben an der Ihre Tochter erkrankt ist. Beide haben Aids. Ich fürchte, dass wir das Leben Ihrer Tochter auch nicht mehr retten können. Es tut mir sehr leid, Ihnen das jetzt sagen zu müssen. Aber ich finde, Sie haben ein Recht auf die Wahrheit. Es wird nicht mehr lange dauern. Vielleicht möchten Sie die verbleibenden Stunden noch nutzen, um sich zu verabschieden.” Sie schaut mich erstaunt an. Dann nimmt sie mich in den Arm. Sie fängt an zu weinen. Wir sind im Schmerz verbunden. Das spürt sie. „Danke”, höre ich sie in mein Ohr flüstern. Nur einen Tag später verliert auch ihre Tochter den Kampf gegen die Viren.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-12-26

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