Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 73)
Autobiografie eines außergewöhnlichen Lebens in Namibia
Loslassen
Ich organisiere einen Garagenverkauf und verkaufe in kürzester Zeit meinen kompletten Haushalt, samt Schuhen und einigen Kleidern. Selbst mein Auto kann ich an den Mann bringen. Nun geht alles rasend schnell. Es bleibt mir keine Zeit zum langen Grübeln oder Nachdenken, ob es die richtige Entscheidung ist. Beim letzten Mal bin ich nochmal rückfällig geworden. Dieses Mal ist die Entscheidung endgültig.
Ich sitze nach wenigen Tagen bereits auf gepackten Kartons und einer fast leer geräumten Wohnung. Ich bin immer noch etwas posttraumatisch vom Garagenverkauf, bei dem teilweise 30 bis 50 Leute gleichzeitig durch meine Wohnung stapften, mit mir verhandelten, Sachen und Möbel aus der Wohnung schleppten und sich um die besten Stücke stritten. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, was hier noch so alles an den Mann und die Frau gebracht werden kann. Wer kauft schon in Deutschland zehn Jahre alte Möbel oder technische Geräte und zahlt dafür noch 20 bis 50 % des Neupreises? Ja, das ist wohl der Unterschied von einem Entwicklungsland zu einem Wohlstandsland wie Deutschland. Während wir trotz Wirtschaftskrise unsere Sachen auf den Sperrmüll geben, freut man sich im Entwicklungsland über Secondhand Möbel und Schuhe. Es bleiben immer noch 50 Kisten Gepäck übrig, die verschifft werden müssen. Dass ich in nur zehn Tagen meinen gesamten Abschied von Namibia organisiert bekomme, hätte ich nie gedacht. Ich lasse jedoch auch ein paar „Federn“. Ich ziehe mir einen Meniskusriss und einen Nabelbruch zu, wie ich später erfahren werde.
Abschiedsrituale
Sehr berührt mich der Abschied von meiner Klinik, meinen Patienten und meinen Kollegen. Abschied nehmen von Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind und von einer Arbeit die ich geliebt habe, fällt mir echt unglaublich schwer. Es rollen viele Abschiedstränen. Meine Doktorkollegen wollen mich ohne Abschiedsfeier nicht gehenlassen und laden mich in den Windhoeker Country Club Hotel zum Essen ein.
Die Frau vom Premierminister bringt mir zum Abschied auch noch ein paar traditionelle Geschenke aus ihrem Geburtsort vorbei.
Bevor es nun endgültig zurück geht nach Deutschland, reise ich sozusagen als Abschiedsurlaub in den Etoscha-Nationalpark. Seit neuestem ist der bisher geschlossene Westteil der Pfanne für Touristen geöffnet worden. Wildbeobachtungen genieße ich dort gemeinsam mit einem befreundeten Professor aus Leipzig, der hier gerade Urlaub macht. Die letzten drei Tage verbringe ich auf der Immanuel Lodge, 15 km außerhalb von Windhoek. Ein krönender Abschied von Namibia, wie ich finde.
Ich bestelle für mich und Angela einen Tisch im NICE Restaurant, wo ich ein letztes Mal die herrlichen kulinarischen Speisen Namibias essen möchte, bevor es dann morgen Richtung Deutschland gehen soll. Für den 11. September 2012 habe ich noch einen Rückflug nach Frankfurt bekommen. Alle anderen Flüge sind für die nächsten Wochen bereits ausgebucht.
Ohne Drama kann aber wohl auch diese Zeit nicht zu Ende gehen. Eine Krone bricht beim Biss ins Kudufleisch ab und muss sofort rausoperiert werden. Mein Mund-Kiefer-Gesichtschirurg gibt mir einen Notfalltermin und operiert den Zahn unter örtlicher Betäubung noch am gleichen Tag raus. Zumindest versucht er das. Die Wurzel bricht ab und der Doc bekommt sie nicht heraus. Da helfen Hammer und Meißel nur bedingt. Das ist das erste Mal, dass sich bei mir bei einem Zahnarztbesuch Angstschweißperlen auf der Stirn entwickeln. Nach über einer Stunde ist auch der Arzt schweißgebadet, aber die Wurzel ist raus. Es blutet wie verrückt und die Schmerzen sind nach dem Nachlassen der Betäubung unerträglich. Aber wie alles im Leben nimmt auch dieser Schmerz mit der Zeit ab.
Am nächsten Abend bringt mich Angela zum Flughafen. Jetzt heißt es endgültig Abschied nehmen. Ich weiß, dass es dieses Mal für immer ist. Hinter mir liegt ein besonderer Lebensabschnitt, der nun zu Ende geht.
Epilog
Ich gehe zurück. Nach Deutschland. Bewusst in die Arbeits- und Obdachlosigkeit. Eine Vernunftentscheidung. Aber ich nehme etwas mit. Etwas Großes. Eine Erkenntnis. Und eine Erinnerung. Die Erkenntnis, dass Schuld mehr binden kann als Liebe. Und das die Liebe auch durch den Tod nicht ausgelöscht werden kann. Und die Erinnerung an eine Zeit, die mich verändert hat, mich zu dem gemacht hat was ich heute bin – eine Frau, die sich ihrer selbst und der Gegenwart Gottes bewusst ist, die nicht perfekt sein muss und das Leben in allen seinen Facetten bejaht. Das Leben geht weiter - wie bisher auch ohne Heiligenschein.
Nachwort der Autorin
Jeder kann sich mit HIV infizieren. Auch ein Held.
Jacksons größte Heldentat war es vielleicht mit welcher Tapferkeit er seiner Aidserkrankung begegnet und mit welcher Würde er gestorben ist.
Die Botschaft seines Lebens war stets klar und deutlich– mit Liebe, Respekt und Wertschätzung jedem Menschen zu begegnen und friedvoll zusammenzuleben. Dabei spielt es keine Rolle welche Hautfarbe wir besitzen, ob wir arm oder reich, gesund oder krank sind oder welcher religiösen Gemeinschaft jemand angehört. Mit dieser Botschaft hat Jackson auch immer seine Autobiographie signiert. Seine Musik war und ist ein Appell an Toleranz und Mitmenschlichkeit.
Mit meinem Buch schließe ich mich seiner Botschaft an.
Kerstin van Wyk
Mit dieser Ausgabe schließt die Allgemeine Zeitung die Autobiographie von Kerstin van Wyk über ihre Zeit in Namibia. In der kommenden WAZon wird mit freundlicher Genehmigung der Namibia Wissenschaftlichen Gesellschaft Windhoek sowie von Dagmar Zumbrunn-Warncke das Buch „Briefe 1893 - 1904“ von Hans Warncke“ an dieser Stelle veröffentlicht.
Ich organisiere einen Garagenverkauf und verkaufe in kürzester Zeit meinen kompletten Haushalt, samt Schuhen und einigen Kleidern. Selbst mein Auto kann ich an den Mann bringen. Nun geht alles rasend schnell. Es bleibt mir keine Zeit zum langen Grübeln oder Nachdenken, ob es die richtige Entscheidung ist. Beim letzten Mal bin ich nochmal rückfällig geworden. Dieses Mal ist die Entscheidung endgültig.
Ich sitze nach wenigen Tagen bereits auf gepackten Kartons und einer fast leer geräumten Wohnung. Ich bin immer noch etwas posttraumatisch vom Garagenverkauf, bei dem teilweise 30 bis 50 Leute gleichzeitig durch meine Wohnung stapften, mit mir verhandelten, Sachen und Möbel aus der Wohnung schleppten und sich um die besten Stücke stritten. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, was hier noch so alles an den Mann und die Frau gebracht werden kann. Wer kauft schon in Deutschland zehn Jahre alte Möbel oder technische Geräte und zahlt dafür noch 20 bis 50 % des Neupreises? Ja, das ist wohl der Unterschied von einem Entwicklungsland zu einem Wohlstandsland wie Deutschland. Während wir trotz Wirtschaftskrise unsere Sachen auf den Sperrmüll geben, freut man sich im Entwicklungsland über Secondhand Möbel und Schuhe. Es bleiben immer noch 50 Kisten Gepäck übrig, die verschifft werden müssen. Dass ich in nur zehn Tagen meinen gesamten Abschied von Namibia organisiert bekomme, hätte ich nie gedacht. Ich lasse jedoch auch ein paar „Federn“. Ich ziehe mir einen Meniskusriss und einen Nabelbruch zu, wie ich später erfahren werde.
Abschiedsrituale
Sehr berührt mich der Abschied von meiner Klinik, meinen Patienten und meinen Kollegen. Abschied nehmen von Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind und von einer Arbeit die ich geliebt habe, fällt mir echt unglaublich schwer. Es rollen viele Abschiedstränen. Meine Doktorkollegen wollen mich ohne Abschiedsfeier nicht gehenlassen und laden mich in den Windhoeker Country Club Hotel zum Essen ein.
Die Frau vom Premierminister bringt mir zum Abschied auch noch ein paar traditionelle Geschenke aus ihrem Geburtsort vorbei.
Bevor es nun endgültig zurück geht nach Deutschland, reise ich sozusagen als Abschiedsurlaub in den Etoscha-Nationalpark. Seit neuestem ist der bisher geschlossene Westteil der Pfanne für Touristen geöffnet worden. Wildbeobachtungen genieße ich dort gemeinsam mit einem befreundeten Professor aus Leipzig, der hier gerade Urlaub macht. Die letzten drei Tage verbringe ich auf der Immanuel Lodge, 15 km außerhalb von Windhoek. Ein krönender Abschied von Namibia, wie ich finde.
Ich bestelle für mich und Angela einen Tisch im NICE Restaurant, wo ich ein letztes Mal die herrlichen kulinarischen Speisen Namibias essen möchte, bevor es dann morgen Richtung Deutschland gehen soll. Für den 11. September 2012 habe ich noch einen Rückflug nach Frankfurt bekommen. Alle anderen Flüge sind für die nächsten Wochen bereits ausgebucht.
Ohne Drama kann aber wohl auch diese Zeit nicht zu Ende gehen. Eine Krone bricht beim Biss ins Kudufleisch ab und muss sofort rausoperiert werden. Mein Mund-Kiefer-Gesichtschirurg gibt mir einen Notfalltermin und operiert den Zahn unter örtlicher Betäubung noch am gleichen Tag raus. Zumindest versucht er das. Die Wurzel bricht ab und der Doc bekommt sie nicht heraus. Da helfen Hammer und Meißel nur bedingt. Das ist das erste Mal, dass sich bei mir bei einem Zahnarztbesuch Angstschweißperlen auf der Stirn entwickeln. Nach über einer Stunde ist auch der Arzt schweißgebadet, aber die Wurzel ist raus. Es blutet wie verrückt und die Schmerzen sind nach dem Nachlassen der Betäubung unerträglich. Aber wie alles im Leben nimmt auch dieser Schmerz mit der Zeit ab.
Am nächsten Abend bringt mich Angela zum Flughafen. Jetzt heißt es endgültig Abschied nehmen. Ich weiß, dass es dieses Mal für immer ist. Hinter mir liegt ein besonderer Lebensabschnitt, der nun zu Ende geht.
Epilog
Ich gehe zurück. Nach Deutschland. Bewusst in die Arbeits- und Obdachlosigkeit. Eine Vernunftentscheidung. Aber ich nehme etwas mit. Etwas Großes. Eine Erkenntnis. Und eine Erinnerung. Die Erkenntnis, dass Schuld mehr binden kann als Liebe. Und das die Liebe auch durch den Tod nicht ausgelöscht werden kann. Und die Erinnerung an eine Zeit, die mich verändert hat, mich zu dem gemacht hat was ich heute bin – eine Frau, die sich ihrer selbst und der Gegenwart Gottes bewusst ist, die nicht perfekt sein muss und das Leben in allen seinen Facetten bejaht. Das Leben geht weiter - wie bisher auch ohne Heiligenschein.
Nachwort der Autorin
Jeder kann sich mit HIV infizieren. Auch ein Held.
Jacksons größte Heldentat war es vielleicht mit welcher Tapferkeit er seiner Aidserkrankung begegnet und mit welcher Würde er gestorben ist.
Die Botschaft seines Lebens war stets klar und deutlich– mit Liebe, Respekt und Wertschätzung jedem Menschen zu begegnen und friedvoll zusammenzuleben. Dabei spielt es keine Rolle welche Hautfarbe wir besitzen, ob wir arm oder reich, gesund oder krank sind oder welcher religiösen Gemeinschaft jemand angehört. Mit dieser Botschaft hat Jackson auch immer seine Autobiographie signiert. Seine Musik war und ist ein Appell an Toleranz und Mitmenschlichkeit.
Mit meinem Buch schließe ich mich seiner Botschaft an.
Kerstin van Wyk
Mit dieser Ausgabe schließt die Allgemeine Zeitung die Autobiographie von Kerstin van Wyk über ihre Zeit in Namibia. In der kommenden WAZon wird mit freundlicher Genehmigung der Namibia Wissenschaftlichen Gesellschaft Windhoek sowie von Dagmar Zumbrunn-Warncke das Buch „Briefe 1893 - 1904“ von Hans Warncke“ an dieser Stelle veröffentlicht.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen