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Nach Tulbagh kommt der Weihnachtsmann im Juni

Die mächtigen Gipfel der Winterhoek Berge tragen weiße Schneehauben, in den Kaminen flackern heimelige Feuer, der ganze Ort ist weihnachtlich geschmückt und festlich beleuchtet. In der historischen alten Hauptstraße ist der Weihnachtsmann mit seinem Sack voller Geschenke unterwegs.
'Tulbagh feiert Weihnachten im Winter!' verkünden Plakate. Europäer können daran nichts Ungewöhnliches erkennen. Im Winter? Na und?! Gefeiert wird am letzten Wochenende im Juni, denn dann ist Winter, dann liegt Schnee auf den Bergen und abends um sechs ist es bereits stockdunkel.

Restaurants, Cafés, Weingüter, Galerien, die attraktiven kleinen Läden - alle machen mit und servieren Weihnachtsmenüs nach traditionell englischer Art oder Glühwein, Sherry, Eggnog und heiße Schokolade mit Biß (Chilli). Anderswo gibt es Oliven und Wein zu kosten, Köstlichkeiten von der einheimischen Kimili Käserei, Honig und Dörrobst. Tulbagh schwelgt in vielen guten Dingen. Und die Suche nach Geschenken für das richtige Weihnachtsfest am Jahresende kann auch schon mal beginnen, denn an Kunsthandwerk und Geschenkartikeln herrscht kein Mangel. Katzenfreunde bleiben gleich bei Curious Cats hängen, einem Lädchen, dessen Sortiment ganz auf Geschenkartikel rund um die schnurrenden Pelznasen spezialisiert ist. Chocolatier Moniki wartet derweil mit Marzipankartoffeln und Baumschmuck aus belgischer Schokolade auf und mit handgefertigten Trüffelpralinen in immer neuen Variationen. Nicht nur mit eigenwilligen Füllungen wie Ingwer und Apfelsine, sondern auch Shiraz mit Pfeffer und Kristallsalz oder würziger Pinotage mit Chilli. Richtig heiß in der Kehle wird es denen, die sich zum feurigen Wettbewerb im Chilli-Essen melden, und abends geht im Festzelt beim 'Rock with Santa' die Post ab. Die Jüngsten vergnügen sich mit Hüpfburgen und Ponyreiten.
Ein Garten EdenTulbagh, rund 120 km nordöstlich von Kapstadt, liegt an keiner viel befahrenen Fernstraße, sondern gut versteckt am Ende eines lieblichen Tales, das von drei großen Bergketten fast gänzlich umringt wird. Die Winterhoek Berge erheben sich mehr als 2000 Meter hoch über den Meeresspiegel, nach Westen schließen sich die Obiqua-Berge an und im Osten das Witzenberg-Massiv. Nur nach Süden ist das Tal geöffnet. Südwestwinde bringen im Sommer Kühlung.

Auch hier herrscht typisches Mittelmeerklima mit heißen, trockenen Sommern und feuchten Wintern. An den Berghängen gedeihen wilde Kräuter, Proteen und andere Blumen, und das Tulbagh-Tal selbst ist ein riesiges Mosaik aus Weizenfeldern und Obstbaumplantagen: Massen von Pflaumen, außerdem Pfirsiche, Aprikosen, Nektarinen, Birnen, Kirschen. Auch ein Dutzend Weingüter befindet sich hier. Wein und Oliven werden in jüngster Zeit verstärkt angebaut. Dank der geschützten Lage und der unterschiedlichen Böden bietet Tulbagh sogar Anbaubedingungen, die zu den vielfältigsten und attraktivsten in der weinverwöhnten westlichen Kap-Region zählen. Da verwundert es nicht, dass Tulbagh-Weine immer wieder mit begehrten einheimischen und internationalen Preisen und Medaillien gekrönt werden.

Seit einigen Jahren hat Tulbagh auch eine eigene Weinroute. Zu den zwölf Mitgliedern gehören einige der altbekannten Namen: Drostdy-Hof etwa, oder Twee Jonge Gezellen. TJ besteht seit 1710 und ist vor allem für seine Cap Classique (die südafrikanische Champagner-Methode) Weine bekannt. Außerdem führte das Weingut vor knapp 30 Jahren die nächtliche Weinlese ein, die inzwischen viele Anhänger gefunden hat. De Oude Drostdy - die Alte Drostei, ehemals das Magistratsgericht von Tulbagh - lädt übrigens nicht nur zur Weinverkostung bei romantischem Kerzenschimmer ein, sondern ist auch ein Museum.
Die ganze Straße ein MuseumWie ein einziges Museum mutet die gesamte einstige Hauptstraße, die Kerk Straat (Kirchstraße), an. Am oberen Ende befindet sich die Niederländisch-Reformierte Kirche, mit deren Bau 1743 begonnen wurde, am unteren das dazu gehörige Pfarrhaus. Dazwischen reiht sich ein denkmalgeschütztes Haus an das andere, ganze 32 sind es, vor allem im schmucken kapholländischen und verschnörkelten viktorianischen Stil.

Bereits 1658, nur sechs Jahre, nachdem Jan van Riebeeck in der Tafelbucht an Land gegangen war, um eine Versorgungsstation zu gründen, drangen die Kundschafter der mächtigen Niederländischen Ostindien-Kompagnie (VOC) auch bis insTulbagh Tal vor. Zunächst wurde es nach einer einflussreichen Amsterdamer Familie 'Het Land van Waveren' genannt. Auch dieses Tal sollte landwirtschaftlich genutzt werden, um Proviant für die VOC-Schiffe zu liefern, die das Kap umrundeten.

Bald florierte auch der Handel mit Wildbret, Häuten und Fellen, Elfenbein. Nur wenige Generationen brachten es fertig, den Wildreichtum restlos auszubeuten. Was an wilden Tieren noch übrig blieb, wurde verdrängt. Vertrieben wurden auch die ursprünglichen Khoi- und San-Völker, und später die Menschen gemischtrassiger Herkunft. Jonker Afrikaner, der als der Gründer der namibischen Hauptstadt gilt, stammt aus der Umgebung von Tulbagh. Laut einer der Theorien über den Namen Windhoek nannte er seine Niederlassung nach den Winterhoek Bergen, an deren Fuße er seine Kindheit verbracht hatte.

Die ersten 14 Familien freier niederländischer Bürger und Hugenotten bekamen im Jahr 1700 im Tulbagh-Tal Land zugeteilt. Mit dem Bau der Kirche, die heute ebenfalls ein Museum ist, begann die Entwicklung des Ortes. 1804 wurde er als Stadt proklamiert und nach dem damaligen VOC-Gouverneur Rijk Tulbagh benannt.
Das große Beben Am späten Abend des 29. September 1969 wurden die Tulbagher von explosionsartigem Donnerhall aufgeschreckt, gefolgt von einem gewaltigen Grollen und Tosen. Fensterscheiben zersprangen, in Mauern taten sich Risse auf. Tulbagh wurde von einem Erdbeben der Stärke 6,4 auf der Richterskala (6,3 oder 6,5 laut anderen Quellen) erschüttert. Die Berghänge ringsum waren von unzähligen Bränden, ausgelöst durch Steinschlag, gespenstisch beleuchtet. Am nächsten Morgen lag das Tal unter einer dicken Wolke aus Rauch und Staub. Der ganze Ort glich einem Trümmerfeld, acht (nach anderen Quellen elf) Menschenleben waren zu beklagen. Viele Einwohner waren dem Tod wie durch ein Wunder entkommen. Monatelang lebten sie in Wohnwagen, Zelten und Notunterkünften, während Tulbagh wieder aufgebaut wurde. Die komplett restaurierte Kerk Straat ist das Schmuckstück, das von Besuchern ungläubig bestaunt wird. Einige Häuser werden weiterhin privat bewohnt, andere sind Museen, Pensionen, Cafés und Restaurants.

Die älteste Weinstube im Ort ist Paddagang aus dem Jahre 1821. Padda ist das afrikaanse Wort für Frosch, und das Restaurant heißt Paddagang, weil es an einem Laichweg zum Flüsschen Kleine Berg liegt. In alten Geschichten wird berichtet, dass sich die Frösche bei Hochwasser in den Weinkeller des weiträumigen Hauses flüchteten. Daraus entstand eine witzige Idee, die jeden Besucher unwillkürlich zum Schmunzeln bringt: Paddagang hat sein eigenes Weinetikett für Sorten, die Paddarotti, Paddapoort oder Paddaspring heißen. Die mit Frack, Zylinder und Spazierstock dargestellten Frösche auf dem Etikett sehen gediegen und behäbig aus wie bei Wilhelm Busch.

Ob schneebedeckte Gipfel im Winter, blühende Ostbäume und wilde Blumen im Frühjahr, ländliche Beschaulichkeit im klaren Licht der Sommersonne oder die Fülle herbstlicher Farben - Tulbagh ist zu jeder Jahreszeit ein verlockendes Ausflugsziel.
Wer sich Zeit nehmen kann, übernachtet in einer der attraktiven Unterkünfte und besucht tags darauf die anderen vier Orte der Gemeinde Witzenberg: die Obstmetropole Ceres im Nachbartal, Wolseley, Prince Alfred's Hamlet und vielleicht sogar Op-die-Berg. Letzteres muss man nicht unbedingt gesehen haben, aber der Gydo Pass - die Straße, die sich hinter Prince Alfred's Hamlet in zahlreichen Serpentinen am Hang des Skurweberg hinaufwindet - ist ein Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Und die Sicht ist natürlich ganz einmalig.
Wer dann immer noch Zeit hat, wählt nicht den schnellsten Weg zurück nach Kapstadt, sondern fährt von Wellington nach Paarl durch den wildromantischen Bain's Kloof Pass. Stellenweise scheint das schmale Sträßchen wegen eigenartiger, überhängender Sandsteinformationen noch enger zu werden. Es ist geteert, aber ansonsten immer noch der ursprüngliche Weg dicht neben der Schlucht, den der berühmte Andrew Geddes Bain, schottischer Straßenbauer par excellence, Mitte des 19. Jahrhunderts von Strafgefangenentrupps in die Bergwand hauen ließ.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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