Namibia-Thema füllt einen Abend im Deutschen Historischen Museum

Am feuchtkalten Montagabend des 20. März war der Saal des Zeughauskinos im Deutschen Historischen Museum, Berlin, Unter den Linden, fast gänzlich mit einem deutschen Publikum gefüllt, das durchgehend durch gemeinsames Interesse mit unterschiedlichen Sichtweisen zum Kolonialkrieg 1904 - 1908, jetzt oft Genozid genannt, im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika vereint war. Es waren nur wenige Namibier anwesend. In der Podiumsdiskussion standen vor allem der derzeitige Dialog und die Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia über den Fragenkomplex der Aufarbeitung der Geschichte zu einem gemeinsamen Text im Mittelpunkt, auf dem die Regierungen in Berlin und Windhoek die Aspekte Genozid, Entschuldigung und Reparation einvernehmlich und abschließend behandeln wollen. Der Vertreter der deutschen Regierung im Kolonialdialog mit Namibia, Ruprecht Polenz, machte es im Verlauf der Diskussion deutlich, dass vor der diesjährigen Bundestagswahl nicht mehr mit einem Abschluss der Verhandlungen zu rechnen sei, was die deutsche Seite früher offensichtlich erhofft hatte. Ferner erklärte Polenz zum Stand der Verhandlungen mit seinem namibischen Gegenpart, Dr. Zedekia Ngavirue, dass folgende vier Punkte auf dem Tisch lägen: 1.Finanzmittel sollen bereitgestellt werden, um das Vorkaufsrecht der Regierung auf Farmen zu stärken, die im Rahmen der Vorgabe „williger Käufer, williger Verkäufer“ auf den Markt kommen. 2.Direkte Unterstützung für Schulwesen und andere Bildungsbereiche. 3.Die Verhandlungen betreffen auch die Energieversorgung für entlegene Dörfer und Gemeinschaften. 4.Des Weiteren will sich die deutsche Seite am Bau erschwinglicher Wohnungen beteiligen. Solange die anvisierte Zukunfts-Stiftung (Particular Affected Community Trust) noch nicht feststehe, sei es nicht sinnvoll, über die Verwendung der Mittel zu diskutieren, so der deutsche Unterhändler. Polenz ist zuversichtlich, dass Deutschland vor dem Hintergrund der Versöhnung mit Israel, Tschechien und Frankreich seit 1945 auch in Namibia vorankommen könne. „Wir wollen eine gemeinsame Sprache finden, aber kein neues Geschichtskapitel schreiben“, erklärte er auf eine Frage aus dem Publikum. Der Fragesteller wollte wissen, wofür Deutschland sich entschuldigen solle. Eine Entschuldigung werde folgen, entgegnete Polenz. Das „Wie“ sei noch Gegenstand der Verhandlung. Er hält es für entscheidend, dass eine Entschuldigung von der anderen Seite angenommen wird. Zu der wiederholten Forderung, dass Ovaherero und Nama direkt am Verhandlungstisch beteiligt sein sollten („nicht über uns ohne uns“) reagierte Polenz mit der ebenso oft wiederholten Stellungnahme, dass jede Seite in der Verhandlung ihre eigene Delegation zusammenstelle. Das Argument des Entwicklungssoziologen Reinhart Kössler, dass das Kaiserreich ursprünglich mit getrennten namibischen Volksgruppen/Stämmen Schutzverträge ausgehandelt habe und diese Gruppen daher als völkerrechtliche Subjekte auf direkte Beteiligung pochen könnten, ließ Polenz für die deutsche Seite nicht gelten, weil Namibia von einer frei gewählten, anerkannten Regierung regiert werde. Die Forderung nach direkter Beteiligung, auch vom deutschsprachigen Herero-Aktivisten Israel Kaunatjike vorgebracht, erhielt von einem Teil des Publikums regen Applaus. Polenz betonte, dass er bei seinen drei Namibia-Besuchen die Gebiete betroffener Nachfahren besucht habe. Am Ende müsse jeder inbegriffen sein, um Zustimmung zu erzielen. „Es geht um Heilung der Wunden, vor allem der Betroffenen… Wir können von Berlin aus der namibischen Regierung nicht vorschreiben, wer in die Verhandlungen eingebunden wird.“ Er informierte auch über die direkte Rolle, die Vizepräsident Dr. Nickey Iyambo bei den Verhandlungen übernommen hat. Über deutschsprachige Namibier befragt, sagte Polenz, er kenne keine Statistik, aber sie gehörten zum Land. Kolonialmächte Zur Frage eines „deutschen Sonderwegs“ im Kolonialismus entgegnete Jonas Kreienbaum (Universität Rostock), das Kolonialprojekt sei mit anderen Mächten vernetzt gewesen, zum Beispiel mit dem britischen Kolonialreich, wo Konzentrationslager üblich waren. Ob die Bundesregierung beim Thema Versöhnung und Wiedergutmachung von vor über 100 Jahren auf Beispiele anderer ehemaliger Kolonialmächte zurückgreife und ob der Blick auf diese Mächte helfen könne, wollte Moderator Asel wissen. Darauf Polenz: „Man begibt sich auf ein Gebiet, wofür es keinen bekannten anderen Vorgang gibt. Und es hat noch keiner darüber bei uns nachgefragt.“ Er sieht Vorteile in dem Vorgang, den Deutschland in der Sache verfolge. Polenz ging auf die jüngste Hereroklage in den USA nicht ein, die der Moderator erwähnte. Auch die DDR-Kinder gehörten nicht zum behandelten Komplex, erwiderte er auf eine Publikumsfrage. Eberhard Hofmann, Berlin Einzelne Zitate von Teilnehmern:Kößler: „Ohne Völkermord gäbe es auf der 40 km langen Strecke zum Windhoeker Flughafen (Hosea Kutako) heute kein kommerzielles Farmgebiet.“ Nach langer kolonialer Amnesie (Gedächstnisverlust) der Deutschen erhalte das Thema nun etwas mehr Aufmerksamkeit, in einer Tageszeitung wenigstens „mit einer kleinen Meldung auf Seite 8“. Larissa Förster: „Seit 2004 hat das Interesse an postkolonialer Geschichte zugenommen. Schüler befragen mich über Genozid. Lehrer behandeln das Thema jetzt häufiger und bitten um Kontakte.“ Jonas Kreienbaum: „Namibia steht in der internationalen Forschung stark und regelmäßig im Vordergrund. 80 bis 90 Prozent der Studierenden haben dennoch noch nie etwas davon gehört.“ Israel Kaunatjike: „Ich bin ein Opfer des Völkermords. Ich habe auch deutsches Blut.“ - „Deutschsprachige Namibier leben in einer Parallelgesellschaft. Bei einer Verfilmung sind sie davongelaufen.“ Ruprecht Polenz: „Reparation ist ein Rechtsbegriff. Den wollen wir nicht. Es ist eine politisch-moralische Frage.“ - „Das, was man gut meint, ist nicht leicht, dass es so verstanden wird.“ Teilnehmer der Podiumsdiskussion:Im Deutschen Historischen Museum (Zeughaus, Berlin, Unter den Linden) ist aktuell die Ausstellung „Deutscher Kolonialismus - Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart“ zu sehen, vom 14. Oktober 2016 bis zum 14. Mai 2017. Die rund 500 Exponate von Missionaren, Beamten, Militärs, Siedlern oder Kaufleuten betreffen alle ehemaligen deutschen Kolonien. Am Montag, 20. März 2017, veranstaltete das Museum dazu im gleichen Hause mit folgenden Teilnehmern ein Kolonialsymposium (Lokal: Zeughauskino), Berlin, zu dem Thema: „Entschuldigen? Entschädigen? Gemeinsam erinnern? Wie geht die Debatte über den deutschen Kolonialismus weiter?“ Moderation: Harald Asel, Inforadio, Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) Geladene Referenten, in der Reihenfolge der Sitzordnung: Larissa Förster, Humboldt-Universität zu Berlin, Wiss. Mitarbeiterin am Institut für Europäische Ethnologie Ruprecht Polenz, Offizieller Vertreter der deutschen Bundesregierung im Dialog mit Namibia über den Fragenkomplex Genozid, Entschuldigung und Reparation an den Herero und Nama Israel Kaunatjike, Herero-Aktivist in Deutschland, Berlin Reinhart Kößler, Entwicklungsoziologe mit Schwerpunkt Südliches Afrika, ehem. Direktor am Arnold-Bergsträsser-Institut für kulturwissenschaftliche Forschung in Freiburg/Breisgau Jonas Kreienbaum, Universität Rostock, Assistent am Lehrstuhl für Europäische und Neuste Geschichte Die Teilnahme des Publikums war durch vorherige Anmeldung geregelt.

Namibia-Thema füllt einen Abend im Deutschen Historischen Museum

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-18

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