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Namibias Demokratie steht mit 18 Jahren auf dem Prüfstand

Mit der SWAPO als Befreiungsbewegung an der Macht etablierte sich eine nachkoloniale politische Ein-Parteien-Vorherrschaft, die unangefochten die Regierungsgewalt ausüben konnte. Eine nennenswerte Opposition war trotz mehrerer Parteien im Parlament weder numerisch noch ideologisch auszumachen. Oft waren der ethnisch-regionale Faktor und die Kritik an der SWAPO der einzige Unterschied. Ein grundlegend anderes Politikverständnis oder nennenswerte gesellschaftliche Alternativen wurden hingegen kaum formuliert.Politischer DiskursTrotz der öffentlichen Kontrolle durch die SWAPO kann sich Namibia eines relativ hohen Grades an Meinungsfreiheit rühmen. Die Printmedien sind dafür beredtes Zeugnis. Mehrheitlich im Privatbesitz, scheuen sie keinesfalls die Kritik an der Regierungspolitik. Sie bieten ein Forum, das politische Gegenentwürfe dokumentieren kann - so es sie denn gebe. Besonders interessant ist dabei die dezidierte Meinungsvielfalt in der staatlichen "New Era", die ein politisches Spektrum dokumentiert, das weit über die Parteilinie der SWAPO hinaus reicht und interne Differenzen verfolgen lässt.

Der SWAPO sind diese Zeitungen ein Dorn im Auge. Trotz der weitgehenden formalen Meinungsfreiheit gibt es zahlreiche Einschränkungen. Ein staatlicher Anzeigenboykott gegenüber dem "Namibian" bleibt bestehen. Zahlreiche SWAPO-Politiker verweigern Auskünfte gegenüber von ihnen als unliebsam eingestuften Medien oder Journalisten. Zu bestimmten Ereignissen werden nur die staatlichen Medienvertreter zugelassen oder eingeladen. Stimmen, die eine Einschränkung der Pressefreiheit fordern, mehren sich und reichen bis zum Parlamentspräsidenten und dem Premierminister. So sind die positiven Rangplätze eines Bertelsmann Indexes oder ähnlicher Skalen, die Namibia neben Mauritius, Botswana und Südafrika zu den Positivbeispielen auf dem afrikanischen Kontinent zählen, mit Vorsicht zu genießen.

Auch berücksichtigt ein solcher Kriterienkatalog, der die Freiheit zur Meinungsäußerung und Berichterstattung erfasst, kaum die Repressionsmaßnahmen gegenüber Jenen, die davon Gebrauch machen. Abweichende Meinungen werden nach wie vor nicht nur verbal abgestraft, sondern haben oftmals auch handfeste materielle Folgen für diejenigen, die direkt oder indirekt durch ihr Wohlverhalten vom Staat belohnt werden - sei es durch Aufträge oder durch die Anstellung im öffentlichen Dienst bzw. einem der (halb-)staatlichen Betriebe. Wird politische Opposition in organisierter Form deutlich, scheut die SWAPO vor Hexenjagden nicht zurück.

Erstmals wurde dies mit Gründung des Congress of Democrats (CoD) 1999 deutlich. Danach führte der SWAPO-interne Machtkampf um die Nachfolge Nujomas als Präsident Namibias Mitte 2004 zu der Isolierung und Abstrafung des Flügels um Hidipo Hamutenya. Die Folge wurde mit der Gründung der Rally for Democracy and Progress (RDP) manifest. Wenngleich deren langfristige Wirkung noch nicht vollständig abzusehen ist und der Grad an gesellschaftspolitischer Alternative fragwürdig bleibt (immerhin entstammt der harte Kern der RDP Teilen des ehemaligen Machtzentrums der SWAPO und war über sehr lange Zeit für deren Politik mitverantwortlich), hat sich damit nicht nur die Parteienlandschaft sondern auch der politische Diskurs markant verändert.

Die Dünnhäutigkeit politischer Funktionsträger gegenüber einer Kritik ist noch gewachsen. Aber auch der Grad an pluralistischer Berichterstattung selbst innerhalb des staatlichen Medienbereichs. Als prominentes Beispiel hierfür mag der Disput zwischen dem parteiunabhängigen, in Südafrika lebenden namibischen Akademiker Joe Diescho und dem auf dem SWAPO-Kongress neu gewählten Partei-Vizepräsidenten Hage Geingob gelten. Dieser war der erste Premierminister des Landes und wurde inmitten der dritten Legislaturperiode seines Amtes enthoben. Er leitete daraufhin eine Afrika-Einrichtung der Weltbank in Washington. Zur vierten Legislaturperiode kehrte er 2005 wieder als Hinterbänkler für die SWAPO ins Parlament nach Windhoek zurück. In der Zeitung "Die Republikein" wurde Joe Diescho Anfang dieses Jahres mit der Feststellung zitiert, Hage Geingob würde sich wie Theo Ben Gurirab (erster Außenminister des Landes und ab 2005 Parlamentspräsident) als politischer Opportunist verhalten. Während Gurirab dies ignorierte (obgleich er sich kurz zuvor als Kritiker der ungezügelten Medienfreiheit geoutet hatte), ließ sich Geingob bei einer SWAPO-Kundgebung im Norden des Landes zu der Bemerkung verleiten, Diescho sei eine intellektuelle Hure. Die fast zehnseitige Stellungnahme, die dazu von Diescho verfasst wurde (und die wiederum keinesfalls der feinen englischen Art entsprach) wurde in vollem Wortlaut nur von einer Zeitung veröffentlicht - der staatlichen "New Era".Wahlkampf bis Ende 2009Die neue Legislaturperiode und Amtszeit des Staatsoberhauptes beginnt mit dem Jahrestag der Unabhängigkeit im März 2010. Die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sollten turnusgemäß zum Jahresende 2009 stattfinden. Erstmals gab es bei den letzten Wahlen 2004 hinreichend Unstimmigkeiten, die zu einem gerichtlichen Nachspiel und der Neuauszählung der Stimmen für das Parlament führten - wenn auch zu keiner nennenswerten Änderung des Ergebnisses, das von mehreren Oppositionsparteien angezweifelt wurde. Mit der RDP wurde nun ein neues Panorama geschaffen, das bereits für erhebliche Unruhe sorgte.

Erstmals wird der SWAPO ihre unangefochtene Hochburg im Norden des Landes streitig gemacht. Mit den Funktionären der RDP schickt sich ein ethnisch-regionaler Machtfaktor im früheren Ovamboland an, die Hegemonie der SWAPO herauszufordern. Dies hat bereits zu rabiaten Reaktionen geführt. Zu den ersten politischen Opfern gehörten der Leiter der namibischen Wahlkommission und ein Teil seines Teams. Obgleich er in den vorherigen Wahlen eine eher dubiose und keinesfalls professionelle Loyalität gegenüber der SWAPO erkennen ließ und dennoch (bzw. wohl gerade deshalb) kurz darauf im Amt bestätigt wurde, hielten ihn Teile der SWAPO dafür verantwortlich, dass er seine Pflicht erfüllte und die RDP ordnungsgemäß als neue Partei registrierte. Er wurde Anfang März seines Amtes suspendiert.

Auch die Verbalradikalität, mit der einige der alt gedienten SWAPO-Scharfmacher unisono mit dem "jungen Gemüse" in der SWAPO-Jugendliga gegen alles zu Felde ziehen, das sich dem Verdacht des Sympathisantentums mit der RDP aussetzt, macht wenig Hoffnung was die Qualität und Form der politischen Auseinandersetzungen um die Wählerstimmen betrifft. Bei Wahlkampfveranstaltungen im Zuge zweier örtlicher Wahlen im Norden des Landes (von denen die erste in Omuthiya wegen Beanstandungen bezüglich der Wählerliste kurzfristig verschoben wurde) kam es nicht nur zu Handgreiflichkeiten zwischen SWAPO- und RDP-Anhängern, sondern sogar zum ersten Todesopfer am Rande der politischen Kampagnen. Auch zierten sich SWAPO-Funktionäre nicht, was die Tonart ihrer Agitation betraf. Der diesbezüglich notorisch vorbelastete Minister für Kommunal- und Regionalverwaltung Jerry Ekandjo - der seit dem letzten SWAPO-Kongress nun auch noch ausgerechnet Informationssekretär der Partei ist - beschuldigte in einer Wahlkampfveranstaltung Anfang März einmal mehr die Weißen und Buren allen Übels und forderte das Publikum auf, Oppositionspolitikern die Schwänze abzuschneiden. Damit nicht genug, lud er zu Gesängen ein, in denen die politischen Gegner, denen solche Sonderbehandlung zuteil werden sollte, namentlich benannt wurden.

Sehr zur Erleichterung der SWAPO hatte der erste Lackmustest hinsichtlich der Popularität der neuen Partei für diese einen negativen Ausgang. Die Lokalwahlen im ländlichen Eenhana bescherten der SWAPO Ende März einen überwältigenden Erfolg. Flugs erklärte RDP-Interimspräsident Hamutenya diesen mit der ländlichen Struktur und der gezielten Einschüchterungskampagne, die von der SWAPO gegenüber ihrer Klientel geübt wurde. Für die verschobene Kommunalwahl im Omuthiya prognostiziert er ein anderes Ergebnis, da die dortige Bevölkerung nicht zerstreut in ländlichen Gehöften lebe und sich nicht so leicht einschüchtern lasse.

Es bleibt abzuwarten, wie es künftig bei solchen Kräftemessen zugehen wird. Die Zeichen deuten in sehr unterschiedliche Richtungen. So bedient sich der Partei- und Staatspräsident Pohamba einer meist eher ausgleichenden Botschaft. Ungeachtet einiger für ihn eher ungewöhnlichen verbalen Ausrutscher, bei denen er in Wahlveranstaltungen die Drohgebärden seines Vorgängers Nujoma nachahmte, appelliert er meist an den Ausgleich und die Mäßigung. Die verirrten Schafe, die sich von der RDP zu deren Gefolgschaft verführen ließen, muntert er zur ungestraften Rückkehr in den Schoß der Partei auf. Jenseits dieser auf Versöhnung bedachten Rhetorik ist aber auch eine Verschiebung des Diskurses deutlich, wobei die SWAPO das Drohgespenst des Tribalismus in neuer Facon beschwört. Wurde der SWAPO bislang angelastet, sie werde durch die Ovambo-Dominanz ethnisch-regionalen Präferenzen huldigen, beschuldigt nunmehr die SWAPO die RDP-Funktionäre des latenten Tribalismus, indem diesen eine Kwanyama-Politik zugeschrieben wird. Damit erhält das Tribalismus-Argument eine neue substanzielle Dimension, die von der SWAPO gegen die Konkurrenz aus dem eigenen Lager gewendet wird. Mehrfach wurde bereits das Menetekel kenianischer Verhältnisse beschworen.

Der bereits zitierte Jerry Ekandjo hingegen verblüffte mit einer anderen Variante: Am 1. April nutzte er eine Beileidserklärung für die Familien zweier verstorbener SWAPO-Aktivisten dazu, den Wahlkampf für Namibias nächstes Parlament zu eröffnen. Als Ziel erklärte er, dass die SWAPO 71 der 72 Parlamentssitze erringen wolle. Der 72. sollte dem amtierenden RDP-Präsidenten und langjährigen Parteigenossen Hamutenya bleiben, den er gerne alleine im Parlament haben wolle. Dies war offensichtlich kein verunglückter Aprilscherz.

Vielleicht war die Anwesenheit des protokollarischen Staatsoberhauptes der Volksrepublik Nordkorea (der als Nummer 2 in der Staatsführung gilt) zu den Unabhängigkeitsfeiern am 21. März als höchster Vertreter einer ausländischen Regierung die Inspiration für ein solches Pluralismusverständnis. Die Erklärung der namibischen Regierung von Anfang April, dass es sich bei den Protesten in Tibet um die illegalen Sezessionsversuche des Dalai Lama handele und Namibia unverbrüchlich zur Einheit der Volksrepublik China stehe, die mit den Olympischen Spielen ein Fest des Friedens organisiere, vermag solche Tendenzen kaum zu entkräften und trägt wenig zur Vertrauensbildung bei. Bleibt zu hoffen, dass die politische Führung der SWAPO ebenso wie deren Anhängerschaft aus dem abschreckenden Beispiel des Nachbarlandes Simbabwe zu lernen imstande ist.


(Der Autor ist Direktor der Dag-Hammerskjöld-Stiftung in Uppsala/Schweden.
Er ist 1974 der SWAPO beigetreten.)

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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