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Namibias vergessene Künstlerin wird 90: Ruth Wolter-Stijn

Wiebke Schmidt
Das Schwarz-Weiß-Bild einer Frau mit einem blonden, zum Dutt zusammengefassten Haarschopf und einem Meißel in der Hand, die das Holz in eine Skulptur mit einem eigenen Leben verwandelte, beeindruckte mich. Immer wenn ich eine Arbeit dieser Kalahari-Holzschnitzerin sah, fragte ich mich, was aus ihr geworden ist.

1997 erfuhr ich, dass sie Ende der 70er Jahre nach Südafrika gezogen war. Ich schrieb ihr einen Brief, in dem ich sie als Gast der Gondwana Collection nach Namibia einlud. Leider konnte sie es zu diesem Zeitpunkt nicht schaffen. Schließlich, zwanzig Jahre später, hatte ich die Gelegenheit, Ruth (heute Wolter-Stijn) in Südafrika zu besuchen. Sie wird morgen, am 28. April, neunzig.

Ich traf sie an einem warmen Herbsttag in ihrem Haus in Pretoria. Sie zauberte alte Fotos aus Kisten hervor und erzählte lebhaft die faszinierende Geschichte ihres Lebens, die sie auf eine Reise von ihrem Geburtsort Döbeln in der ehemaligen DDR zu einer Farm bei Gobabis und dann nach Kleinmond und Pretoria führte.

Geboren im April 1928, fühlte sie sich schon in jungen Jahren zur Kunst und zu Afrika hingezogen. Einer ihrer Onkel hatte Anfang des 20. Jahrhunderts Deutsch-Südwestafrika besucht. Sein Hut hing in ihrem Haus in Döbeln, eine allgegenwärtige Erinnerung an den riesigen Kontinent, auf dem wilde Tiere frei herumstreiften. Ihr Interesse wurde durch die Geschichten ihrer Mutter über die Afrikaerlebnisse des Onkels geschürt und durch ihren Vorschlag, sich dort eine Brieffreundin zu suchen.

Ruth begann einem Mädchen zu schreiben, das auf einer Farm in der Nähe von Gobabis lebte. Ihre Korrespondenz wurde durch den Krieg unterbrochen, aber danach wieder aufgenommen. Während dieser Zeit erlitt die Familie in Ostdeutschland unglaubliche Not, als russische Offiziere an ihre Tür klopften und ihren Vater mitnahmen. Sie haben ihn nie wieder gesehen. Ruth und ihre Mutter versuchten, über die Runden zu kommen und die schwierige Zeit nach dem Krieg zu überstehen. Sie erinnert sich, dass sie Puppen aus Pappmaché fertigten, um sie zu verkaufen und etwas Geld zu verdienen. Briefe ihrer Brieffreundin blieben damals aus, vermutlich als diese die Farm verließ.

Eines Tages erhielt sie zu ihrer Überraschung einen Brief von einem Gobabis-Farmer, einem Herrn Schroeder. Er schrieb, dass er ihre Briefe vermisse, die die Brieffreundin ihm gezeigt habe und die ihn an seine Heimat erinnert hätten. Ruth begann mit ihm zu kommunizieren, und er schickte ihnen wiederum Pakete mit Kaffee und Tabak, die sie gegen Lebensmittel eintauschen konnten. Später lud er sie ein, ihre schwierigen Verhältnisse in Europa zu verlassen und ihm auf seiner Farm an der Grenze zur Kalahari zu helfen. Er bot an, die Reisekosten zu übernehmen.

Es war nicht einfach, seine Einladung in der vom Misstrauen geprägten Nachkriegszeit im sowjetisch besetzten Deutschland anzunehmen. Zuerst schrieb Ruth an den Premierminister von Südafrika, Dr. DF Malan, und bat um Erlaubnis zur Einwanderung. Dann musste sie einen überzeugenden Grund finden, nach West-Berlin zu reisen. Sie nahm die Maismehlsäcke, die um die Essenspakete des alten Mannes gewickelt waren, färbte sie und nähte sich daraus ein Kleid. Dann ging sie zum Bürgermeister der Stadt und bat um Erlaubnis, für einen Film in Berlin vorzusprechen. Ihr Plan funktionierte. Ruth und ihre Mutter ließen all ihre weltlichen Habseligkeiten mit einer Notiz an eine Freundin zuhause zurück, zogen die Tür hinter sich zu und schauten nicht zurück. Sie reisten mit dem Flugzeug nach London, weiter ging es von Southampton mit dem Schiff nach Kapstadt. Das war im Jahr 1950, Ruth war 22 Jahre alt.

Die Überfahrt mit dem Schiff zog sich über drei Wochen. Es dauerte weitere drei Tage, bis sie Windhoek mit dem Zug erreichten und einen weiteren Tag bis zum Bahnhof von Gobabis. Dort wartete der alte Herr Schroeder auf sie.

Ruth und ihre Mutter gewöhnten sich schnell an das Farmleben. Während die Mutter dem von Arthritis geplagten Herrn Schroeder bei der Haus- und Gartenarbeit zur Hand ging, kümmerte sich Ruth um das Vieh und begann ihre Holzschnitzkarriere. Die folgenden 27 Jahre ihres Lebens verbrachte sie auf dieser Farm am Rande der Kalahari.

Sie entdeckte das im Norden gewachsene Dolfholz und verbrachte neben der Viehfarmerei ihre Zeit damit, dem Holz ihren ganz eigenen Zauber zu verleihen. Neben der Aufmerksamkeit, die sie bei Kunstliebhabern weckte, zog sie auch das Interesse von jungen Männern auf sich, die sich von der temperamentvollen, starken blonden Frau angezogen fühlten. Ein junger Mann, den sie bei einer Hou-Moed-Schulveranstaltung kennenlernte, beeindruckte sie. Doch er war bereits verlobt, also hielt Ruth ihn davon ab, sie auf der Farm zu besuchen. Sie ließ ihn sogar die 32 Meilen zurück nach Gobabis laufen, als er unerwartet auf einem Milchwagen auf der Farm eintraf. Ihre Wege trennten sich, als er sie in einem Brief über seine Heirat informierte. Sie hätte nie erwartet, dass sie sich fast drei Jahrzehnte später wieder kreuzen sollten.

Das Leben ging weiter. Ruth heiratete und bekam ein Kind. Herr Schroeder starb Mitte der 1960er Jahre und überließ ihr seinen Hof. Sie setzte ihr Kunsthandwerk fort, ihre Werke wurden von Banken, Versicherungen und Behörden gekauft. Sie erhielt dafür viel Anerkennung. Auf Anraten eines Regierungsbeamten erwog sie, nach Südafrika zu ziehen, wo der Markt größer war. Ihre Mutter plante unterdessen einen Besuch in Deutschland und buchte einen Flug. Vorher folgte sie einer Einladung von Freunden, sie in Kleinmond am Kap zu besuchen. Es gefiel ihr dort so gut, dass sie ihre Tochter anrief, um ihr zu sagen, dass sie ihren Flug abgesagt hatte. Vielleicht hatte da ein Engel seine schützende Hand im Spiel? Denn die Maschine, die sie eigentlich nach Deutschland bringen sollte, stürzte am 20. April 1968 kurz nach dem Start in Ondekaremba, außerhalb des Flughafens von Windhoek, ab.

Ruths Familie zog 1977 nach Südafrika und baute in Kleinmond ein Haus. Ruth machte Karriere, ihre kunstvollen Holzschnitzereien erschienen an den Wänden von Weingütern und Schulen sowie in privaten Sammlungen. Die Jahre vergingen und ihr Mann starb. Doch noch hatten sich in Ruths Leben nicht alle Kreise geschlossen. Sie traf Herman Stijn wieder, den ehemals jungen Mann aus Gobabis, dessen Frau inzwischen ebenfalls gestorben war. Herman, der das Design südafrikanischer Briefmarken koordinierte, suchte einen Künstler für eine Briefmarke zur Hundertjahrfeier. Er fand Ruth, und das Paar war nach 27 Jahren wieder vereint. Sie heirateten und Ruth zog mit ihm nach Pretoria.

Hier, in ihrem gemütlichen Zuhause, lernte ich diese bemerkenswerte Frau schließlich kennen. Nach zwei Hüftoperationen, einem Kampf gegen Krebs, einem kleinen Schlaganfall und einem erfüllten und produktiven Leben (ihre Arbeit umfasst mehr als tausend Stücke), ist sie voller Energie und Humor und strahlt immer noch die Schönheit und Vitalität aus, die man in ihrer Kunst so deutlich sehen kann.

Als Hobbyhistoriker, der immer auf der Suche nach wunderbaren Geschichten von Namibia und seinen Menschen ist, habe ich im Laufe der Jahre viele bemerkenswerte Menschen interviewt und viele Lebensgeschichten gehört. Ruths faszinierende Geschichte ist eine der schönsten.

Wir wünschen Ihr zu Ihrem neunzigsten Geburtstag alles Gute. Ich habe immer noch den Traum, sie zu einem Besuch in unser schönes Land zurückzubringen, wo sie viele Jahre verbrachte und so viel zur namibischen Kunstwelt beigetragen hat.


Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-12-03

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