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Nein heißt Nein!

Warum sich der gesellschaftliche Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt ändern muss
Anne Odendahl
Von Anne Odendahl

Wir sind bei einem Selbstverteidigungskurs von „Sister Namibia“. An einem Samstagvormittag sind rund 20 junge Frauen zusammengekommen, um sich im Ernstfall verteidigen zu können. „Was macht ihr, wenn ihr merkt, dass euch jemand verfolgt?“, fragt Vida de Voss die jungen Frauen, die in einem Kreis um sie herum sitzen. „Nach Hilfe rufen“ oder „weglaufen“, sind die Antworten. „Und wenn euch jemand bereits gepackt hat?“, fragt sie weiter. Schreien, treten oder beißen, lauten diesmal die Verteidigungsmaßnahmen, aber auch „vor Schreck erstarren“ oder „ich weiß es gar nicht“. „Ich will euch heute nicht beibringen, wie ihr euch mit Waffen oder Kampfkunst verteidigen könnt, sondern mit eurer Haltung, damit ihr nicht automatisch Opfer seid und auch keine werdet.“

Gewalt an Frauen und Männern

Häufig wird geschlechtsspezifische Gewalt (GBV: aus dem englischen: gender-based violence) mit Gewalt gegen Frauen gleichgesetzt. Human Rights Watch definiert GBV jedoch als „Gewalt an einem Individuum, männlich oder weiblich, basierend auf seiner oder ihrer spezifischen Geschlechterrolle in der Gesellschaft“. Diese Definition schließt auch die Gewalt gegen Jungen und Männer mit ein. Beispiele für GBV in Namibia sind häusliche Gewalt, Vergewaltigung und andere Formen des sexuellen Missbrauchs, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und Schule, einige Formen des Menschenhandels, erzwungene Prostitution, traditionelle Praktiken und frühe Ehen.

Gegen Diskriminierung

Die feministische Frauenrechtsorganisation Sister Namibia setzt sich für die Gleichberechtigung aller Geschlechter ein. Sister Namibia wurde 1989 am Vorabend der nationalen Unabhängigkeit gegründet, um Frauen eine Stimme über den Aufbau einer demokratischen postkolonialen Gesellschaft zu geben. „Ab 1999 begannen wir, unsere Projekte zu erweitern“, erklärt die Direktorin Vida de Voss, die auch den Selbstverteidigungskurs leitet. Zu diesem waren auch Männer eingeladen. „Wir haben uns von einem sehr feministischen Gründungsgedanken zu einer Organisation entwickelt, die für eine Gesellschaft kämpft, die alle Formen der Diskriminierung ablehnt.“

Hohe Dunkelziffer

Die beiden häufigsten Formen der geschlechtsspezifischen Gewalt in Namibia sind Vergewaltigung und häusliche Gewalt, die Frauen überproportional häufiger betreffen als Männer. Nach einem Bericht von UNAIDS, gab es durchschnittlich etwa 1075 Vergewaltigungen jährlich zwischen 2009 und 2012 – das sind nahezu drei am Tag. Die Autoren der Studie vermuten allerdings eine weit höhere Dunkelziffer: Aufgrund der Angst vor dem Täter, Familiendruck, gesellschaftlicher Stigmatisierung sowie der Selbstbeschuldigung werden viele Vergewaltigungen nicht angezeigt. In 93 Prozent der Fälle wurden Mädchen und Frauen vergewaltigt. Ein Drittel von ihnen ist jünger als 18 Jahre zum Tatzeitpunkt. Die überwiegende Mehrheit der Opfer häuslicher Gewalt sind ebenfalls Frauen.

Verstörende Einstellung

GBV tritt in allen sozioökonomischen Gruppen auf und ist durch verschiedene Faktoren bedingt wie ungleiche Machtverhältnisse, der geringe Status von Frauen, Traditionen und Glauben, Alkoholkonsum, Analphabetismus und begrenzte Bildung. Ein weiterer Grund für die in Namibia weitverbreitete GBV ist die kulturelle Akzeptanz von Gewalt. Mehr als ein Drittel der namibischen Männer hält es laut UNAIDS für gerechtfertigt, eine Frau bei bestimmten Gründen zu schlagen. Noch erschreckender ist das Ergebnis, dass genauso viele Frauen das ebenso sehen. Allerdings ist dies kein rein namibisches oder afrikanisches Problem. Mehr als ein Viertel der Befragten einer EU-Studie von 2016 denkt, dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung in bestimmten Fällen gerechtfertigt sein kann.

Bürgerengagement

An dieser Einstellung in Namibia will auch Salatiel Hamatwi arbeiten und die Menschen „wachrütteln“. Seiner Meinung nach, könne Namibia nicht vorankommen, wenn ein großer Teil der Bevölkerung in einem Teufelskreis häuslicher Gewalt eingesperrt sei. Deshalb hat der engagierte Bürger die Initiative „End Domestic Violence in Namibia“ gegründet und einen offenen Brief geschrieben, in dem er eine Kommunikationsstrategie präsentiert. „Häusliche Gewalt ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, sagt er. Wer als Außenstehender häusliche Gewalt mitbekomme, sollte auch Stellung beziehen. Am 30. Mai findet eine Konferenz zu diesem Thema im Goethe-Institut statt, bei der auch Hamatwi sprechen wird.

Das Schweigen brechen

Und genau das – selbst aktiv werden – ist das, was Sister-Direktorin de Voss den jungen Frauen im Kurs vermitteln möchte. „Ihr könnt lange darauf warten, dass die Kommune Straßenlaternen baut oder euer Freund oder Ehemann sich von selbst ändert“, sagt sie den Kursteilnehmerinnen. Sie zeigt ihnen auch Handgriffe und Techniken, die bei einem Angriff nützlich sein können. Aber es geht ihr fast weniger um die körperliche als um die mentale Selbstverteidigung. De Voss will ihnen beibringen, sich mutig zur Wehr zu setzen: Stark sein, um gar nicht erst Opfer zu werden und stark sein, wenn man kein Opfer mehr sein will. Den Mund bei Missbrauch aufzumachen. Das sei nie einfach, „aber redet mit jemandem, dem ihr vertraut“, ermutigt de Voss die Frauen. Auch Organisationen wie Sister Namibia könnten Kontakte zu Anlaufstellen vermitteln. Natürlich dürften Eltern, Lehrer oder die Regierung die Verantwortung nicht gänzlich abgeben, aber Selbstbestimmung sei der erste wichtige Schritt, damit eine Null-Toleranz-Einstellung gegenüber geschlechtsspezifischer Gewalt in Namibia erreicht werde.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-12-03

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