Neue Hoffnung durch die Musik
20 Jahre sind vergangen, seit die gebürtige Schweizerin Lis Hidber ihr erstes Kunstzentrum (Arts Performance Centre, APC) in Namibia aufgebaut hat. Heute gibt es drei: In Oshikuku, Omagalanga und Tsumeb. In den Zentren bekommen junge Menschen, die meist aus schwierigen Familienverhältnissen stammen, Musik- und Malunterricht. Hidber bietet den Kindern und Jugendlichen eine Chance, etwas aus ihrem Leben zu machen - über den Weg der Kreativität.
Die sanften und hölzernen Klänge einer Marimba bahnen sich ihren Weg aus einer bunt bemalten Hütte nach draußen, aus einer anderen sind Flöten- und Violinentöne zu hören. Lis Hidber steht auf dem Gelände des APC in Tsumeb und lauscht der Musik ihrer Schüler. „Sie spielen mit so viel Gefühl und gehen völlig in der Musik auf, ich bin sehr stolz auf sie“, sagt die 69-Jährige.
Angefangen hat alles im Jahr 1990: Damals saß die gebürtige Schweizerin in Oshikuku unter freiem Himmel und spielte auf ihrer Gitarre. Neugierige Kinder und Jugendliche gesellten sich zu ihr und waren fasziniert von ihrem Spiel. „Sie haben gefragt, ob sie das auch lernen könnten“, erzählt Hidber. Sie sammelte daraufhin Marimbas, Gitarren und Flöten, um gemeinsam mit den jungen Menschen zu musizieren. Doch auf Dauer war der Platz unter freiem Himmel nicht ideal, zumal er neben dem örtlichen Krankenhaus lag. So wurde die Idee des ersten Kunstzentrums immer konkreter und 1993 schließlich umgesetzt.
Die Kirchengemeinde in Oshikuku stellte ein Stück Land zur Verfügung. „Wir sammelten dann Bierflaschen im Busch und bauten daraus zehn Hütten“, sagt Hidber. Das Material habe zwei Vorteile: Es sei nämlich nicht nur billig, sondern es habe zudem eine gute isolierende Wirkung. „So ist es im Sommer nicht zu heiß und im Winter nicht zu kalt.“ Die Flaschen wurden mit Zement vermauert und verputzt, die Dächer der Hütten mit Savannengras nach einheimischer Tradition gedeckt, und sogar ein Stromanschluss wurde gelegt. Am Ende wurde jede Hütte bunt und individuell bemalt - mit Motiven, die zur Funktion des jeweiligen Raumes passen.
Unterstützt wurde Hidber vom damaligen Missionsstationsleiter, dem ebenfalls in der Schweiz geborenen Hans Leu, und dem Fastenopfer Schweiz - einer katholischen Organisation, die mit dem gesammelten Geld aus der vorösterlichen Fastenzeit Projekte auf der Südhalbkugel unterstützt. Anfangs sei das Zentrum in Oshikuku noch „romantisch“ mit wenigen Schülern gestartet, so Leu. „Doch es wurden schnell mehr, so dass wir innerhalb kürzester Zeit täglich 30 bis 50 Kinder im Zentrum hatten.“ Das lag wohl nicht zuletzt an Hidbers Art, mit den jungen Musikern und Künstlern umzugehen: „Sie macht das wahnsinnig attraktiv und holt aus jedem das Beste heraus.“
So wurde das APC in Oshikuku schnell in der Region bekannt. Auch Kinder aus dem rund vier Kilometer entfernten Ort Omagalanga kamen, um Musik- oder Malunterricht zu erhalten. „Ich musste sie jedoch abends immer nach Hause fahren“, sagt Hidber. Daher entschied sie sich im Jahr 2001 dafür, ein weiteres Zentrum in Omagalanga aufzubauen. Es steht auf dem Gelände einer staatlichen Schule und wird heute auch von dieser geleitet.
Im Jahr 2003 folgte die Planung für APC Nummer drei. Die Stadt Tsumeb bat Hidber darum, auch dort ein Zentrum für Straßenkinder und arbeitslose Jugendliche aufzubauen. Dafür stellte er ein großes Grundstück zur Verfügung. Mitte 2004 begann Hidber mit dem Musik- und Malbetrieb im Freien, gleichzeitig begannen die Bauarbeiten für die ersten acht Rundhütten. Im Jahr 2005 wurden sie fertiggestellt.
In den Zentren können die Kinder und Jugendlichen selbst wählen, welches Instrument sie lernen wollen. Neben den Trommeln werden besonders die Saiteninstrumente am liebsten gespielt. Auch hoch im Kurs stehen Marimben. „Es sind sicherlich die warmen und harmonischen Klänge, welche den meisten der Waisenkinder und Jugendlichen das Gefühl von Zusammengehörigkeit und einem neuen Zuhause vermitteln“, sagt Hidber. Die Instrumente, vor allem die Flöten, bauten die Kinder Schüler anfangs selbst aus Bambusrohr. Heute sei dafür „einfach keine Zeit mehr“. Viele Instrumente, vor allem Harfen, Geigen und Celli, werden aus Europa gespendet. Zudem gibt es in Tsumeb eine APC-Musikinstrumente-Werkstatt, in der drei Jugendliche Saiteninstrumente, Marimben und Flöten herstellen und zudem Trompeten und Saxophone reparieren.
Die Kinder und Jugendlichen lernen in den APCs jedoch nicht nur das Spielen verschiedener Instrumente und das Malen. „Wir bringen ihnen auch elementare Dinge für das tägliche Leben bei, um ihnen eine Existenzgrundlage für die Zukunft zu bieten“, sagt Hidber. Sie sei sehr stolz darauf, dass bisher alle Jugendlichen einen Job finden konnten. „Sie arbeiten zum Beispiel am Kunstcollege, an der UNAM, als Layouter oder in der Navy-Band. Die besteht heute zu etwa 90 Prozent aus unseren Jugendlichen.“ Die Musik und auch die Malkunst hätten eine sehr positive Wirkung auf die Kinder: „Sie werden dadurch auch in der Schule besser und in ihrem Wesen offener für alles“, so Hidber.
Auch heute unterrichtet die 69-Jährige noch selbst. Derzeit läuft zum Beispiel in Tsumeb ein Workshop für Harfe und Trompete, den sie leitet. Wenn Hidber von „ihren Kindern“ spricht, merkt man als Zuhörer, wie viel ihr die Projekte persönlich bedeuten. „Ich bin einfach stolz auf sie. Und wir erreichen so viel. Ein Junge hatte zum Beispiel massive Probleme in der Schule und griff sogar seine Lehrerin tätlich an. Heute, nach drei Jahren im APC, spielt er im Yehudi-Menuhin-Jugendorchester in der Schweiz und hat sich ganz toll entwickelt. Wenn er Chello spielt, steckt er all sein Gefühl in die Musik und erreicht dadurch jeden Menschen.“
Generell werden die fortgeschrittenen Musiker häufig zur Bereicherung von Festen angefragt. So spielten zum Beispiel jüngst fünf Jugendliche bei der Unabhängigkeitsfeier der Schweiz am 1. August in Windhoek vier Stunden lang Schweizer-Ländler Musik. Das APC gelte in Namibia heute als „mustergültiges Entwicklungsprojekt“ und werde von der Regierung offiziell anerkannt. „Denn die Erfahrung hat gezeigt, dass dort, wo Jugendliche zusammen musizieren, die Stammeskämpfe sowie der Drogen- und Alkoholmissbrauch verschwinden“, sagt Hidber. „Die jungen Menschen bekommen endlich das Gefühl, jemand zu sein.“
Die Finanzierung der drei Zentren geschieht momentan jedoch noch hauptsächlich über Spenden des Unternehmens Omicron aus Österreich sowie von verschiedenen Kirchengemeinden und Privatpersonen aus der Schweiz. Für die Zukunft wünschen sich Leu und Hidber, dass noch mehr Unterstützung aus Namibia selbst kommt. Das Ministerium für Kultur ist schon auf die Projekte aufmerksam geworden. „Es unterstützt uns in verschiedener Hinsicht, zum Beispiel zahlt es das Gehalt für vier Musiklehrer in Oshikuku“, sagt Leu.
Der Aufbau weiterer APCs ist in Planung: Zum Beispiel bat Häuptling Munyela darum, in dem weit abgelegenen Onshunguluume ein Zentrum zu bauen. „Er ist sehr sozial eingestellt, er möchte den arbeitslosen Jugendlichen in seinem Dorf etwas Kreatives bieten“, sagt Hidber. Weitere Informationen über die APCs gibt es im Internet (www.apcnamibia-lis.ch).
Von Maike Geißler, Windhoek
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Allgemeine Zeitung
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