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Neues Gerangel um Afrikas Reichtum

Der britische Premierminister Harold MacMillan prägte in zwei Reden 1960 in Accra und Kapstadt mit Verweis auf die Dekolonisierungswelle auf dem afrikanischen Kontinent das Schlagwort vom Wind des Wandels ("Wind of Change"). Der entpuppte sich schon sehr bald als laues Lüftchen, das nach dem Transfer formaler politischer (Ohn-)Macht an die neuen nationalen Regierungseliten nichts Erhebliches an den global verankerten Strukturen der Ungleichheit änderte. Neue (Un-)AbhängigkeitenWie schon von Frantz Fanon in seinem fast gleichzeitig erschienenen Manifest "Die Verdammten dieser Erde" im Kapitel über die "Missgeschicke des nationalen Bewusstseins" angeprangert, erwiesen sich die afrikanischen Machthaber zumeist als willfährige Erfüllungsgehilfen der überkommenen politischen und wirtschaftlichen Interessen. Tanzten politische Führungspersönlichkeiten vereinzelt aus den Reihen oder ließen sich nicht am Gängelband führen, wurden sie einfach abserviert. Einzig die Polarisierung unter der geostrategischen Prämisse des Ost-West-Konflikts erlaubte Politikern die Wahl, mit welcher der beiden Supermächte sie es denn halten sollten, um sich die Rückendeckung für ihre kleptokratischen Diktaturen zu sichern. Diese manifestierten sich zumeist in Formen eines Pfründekapitalismus, der am Ausverkauf der Rohstoffe und damit der fortgesetzten Plünderung des Kontinents nichts änderte.

Bis zum Kollaps des sowjetischen Machtblocks und dem Ende des Kalten Krieges änderte sich wenig an dieser Konstellation. Inzwischen sind die Staaten Afrikas jedoch aus dem Schatten des einstigen Hinterhofs Europas getreten. Auch wenn sich dies in Ländern wie Frankreich noch nicht so ganz im Verständnis niedergeschlagen hat: Senegals Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit am Osterwochenende 2010 zeigten nicht nur in symbolischer Hinsicht anhand der monströsen, nordkoreanisch gestylten Megalomanie, dass eine neue Ära begonnen hat.
Wettlauf um Afrika Während die Berliner Afrika-Konferenz vor nunmehr über 125 Jahren der historische Bezugspunkt für das Schlagwort des kolonialen Wettlaufs um Afrika ("Scramble for Africa") war, haben sich mittlerweile neue außereuropäische Konkurrenten formiert, die um die Ressourcen in afrikanischen Staaten buhlen. Die BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien und China) sind nur die Spitze des Eisbergs. Mit der griffigen Umschreibung als eines "New Scramble for Africa" wird die Assoziation des aktuellen Prozesses mit der kolonialen Aufteilung des Kontinents hergestellt. Doch macht eine solche Übertragung nur Sinn, soweit sich dies auf die Konkurrenz um die indirekte Kontrolle über die Ressourcen des Kontinents bezieht. Die Formen der Interaktion hingegen haben sich durchaus gewandelt - nicht zuletzt durch den einleitend beschriebenen Umstand, dass die Gesellschaften Afrikas inzwischen von einheimischen Eliten repräsentiert werden. Dies impliziert eigene Verhandlungsmacht um die Formen und Bedingungen des neuzeitlichen Austauschs auf wirtschaftlicher, politischer und kultureller Ebene, wie sie einer Regierung in Aushandlungsprozessen zufällt.

Neue Partner - alte Geschäfte Die souveränen Staaten Afrikas bleiben jedoch gekennzeichnet von den strukturellen Erblasten und Defiziten einer außenorientierten Entwicklung, an der nur wenige einheimische - zumeist parasitäre - Nutznießer partizipieren. Die fulminante Expansionsstrategie Chinas, das binnen weniger Jahre zum zweitgrößten Handelspartner Afrikas aufstieg, hat zu zahlreichen Analysen und Einschätzungen geführt, in denen die europäischen und nordamerikanischen Initiativen nur noch selten überhaupt erwähnt bzw. kritisch hinterfragt werden.
Hinzu positionieren sich mit den anderen BRIC-Staaten, aber auch Südafrika sowie Südkorea, Türkei, Iran und weiteren sogenannte Schwellenländern aus dem ehemaligen Süden noch mehr Mitkonkurrenten um den begrenzten Zugang zu Märkten und natürlichen Ressourcen. Welche neue Allianzen dies zur Folge haben kann, zeigte Ende April 2010 der Staatsbesuch der iranischen Präsidenten Ahmadinejad beim simbabwischen Despoten Robert Mugabe, der schon vor Jahren seinen Machterhalt nicht zuletzt der Unterstützung aus China verdankte.

Vor allem Indien mausert sich im Windschatten der chinesischen Expansionsstrategie zu einem ernsthaften Anwärter auf einen Spitzenrang im Geschäftemachen mit Afrika. Dem kommt die Präsenz indischer einheimischer Eliten in der Geschäftswelt zahlreicher Länder im östlichen und südlichen Afrika zugute, auch wenn deren Ruf nicht immer besonders schmeichelhaft ist. Unlängst offerierte Indien der Regierung in Äthiopien ein Darlehen von 640 Millionen US$ über fünf Jahre zur Zuckerproduktion. Dies ist der bisher höchste Auslandskredit, den die Regierung in Neu Delhi je vergeben hat.
Land in Sicht?Besonders aktiv zeigt sich Indien auch im neuen Rush auf landwirtschaftlich nutzbares Land. Anfang 2009 verpachtete die Regierung Madagaskars an den südkoreanischen Multi Daewoo 1,3 Millionen Hektar für 99 Jahre. Die Empörung über diesen Ausverkauf führte zum Sturz der Regierung Ravolomanas. Sein Nachfolger Rajoelina erklärte den Deal für unwirksam und kündigte auch den Vertrag über 450000 Hektar mit dem indischen Konzern Varun International. Andernorts sind die Inder besser im (Land-)Geschäft: Die indische Regierung hat bislang mindestens 80 Firmen bei Landgeschäften in Afrika geholfen. Diese haben über drei Milliarden US-Dollar in Äthiopien, Kenia, Mosambik, Senegal und Madagaskar in Landgeschäfte investiert, die der Nahrungsmittelproduktion aber auch dem Anbau von Bio-Brennstoff dienen sollen. Der neue Öko-Imperialismus kommt nicht nur aus Europa.

Der indische Konzern Karuturi Global Ltd sicherte sich letztes Jahr 340000 Hektar in Äthiopien und erwarb Landrechte in Kenia (wo immer noch ein Großteil der Plantagenwirtschaft von britischen Interessen und deren lokalen Siedlernachkommen kontrolliert wird). China kaufte 2,8 Millionen Hektar in der DR Kongo. Der dortige Regenwald soll hauptsächlich der Palmölproduktion weichen. Die Regierung Mosambiks erlaubt für zwei Milliarden US$ die Ansiedlung von 10000 chinesischen Bauern. Peking stellte als zusätzlichen Anreiz drei Millionen Dollar an Militärhilfe bereit. Südkorea und die Vereinigten Arabischen Emirate tätigen Landgeschäfte im Sudan. Britische Multis investieren in Nigeria und Tansania, Angola, Mosambik und Äthiopien. Südafrikanische Farmer produzieren mittlerweile auch in West- und Ostafrika.

Laut Angaben des International Food Policy Research Institute in Washington sind seit 2006 etwa 15 bis 20 Millionen Hektar nutzbares Land Gegenstand von Transaktionen zugunsten ausländischer Interessen. Die meisten Landgeschäfte finden in Äthiopien, Ghana, Mali, Madagaskar, Mosambik, Sudan, der DR Kongo und Tansania statt.

Ist China eine Alternative?Chinas rasante Expansion in Afrika profitierte vom positiven Image chinesisch-afrikanischer Beziehungen seit der Afro-Asiatischen Gipfelkonferenz von Bandung, bei der sich 1955 die Bewegung der blockfreien Staaten formierte. Die Unterstützung der antikolonialen Befreiungskämpfe festigte seither die Reputation als soliden Bündnispartner. Chinesische Firmen fanden so wohlwollende Resonanz bei den hofierten Regierungen. Peking war dabei mit der Wahl der Geschäftsfreunde keinesfalls zimperlich: Sudan, Gabun, Äquatorialguinea, Simbabwe, Angola und diverse andere Diktaturen und Kleptokratien wurden unter Verweis auf die strikte Politik einer Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten zu den Einfallstoren der chinesischen Offensive, die sich vorrangig an den Öl- und Gasvorkommen sowie diversen anderen Metallen und Mineralien in diesen Ländern interessiert zeigte.

2006 machten diese drei Viertel aller Exporte Afrikas nach China aus, während in der Handelsbilanz umgekehrt derselbe Proporz aus chinesischen verarbeiteten Gütern und Maschinen bestand. Auch weiterhin ist der Appetit auf Energieressourcen größer als Hemmungen hinsichtlich der Wahl der Geschäftspartner, wie unlängst die chinesischen Geschäfte mit dem Regime in Guinea zeigten - unmittelbar nachdem dieses wahllos hunderte von Demonstranten massakrierte.

China gehört zu den größten Waffen- und Munitionsexporteuren der Erde und ist in den Lieferbedingungen keinesfalls zimperlich. 2008 dokumentierte dies spektakulär die Schiffsladung mit Rüstungsgütern, die für das Regime Mugabes zu einer Zeit unterwegs war, als dessen auf Staatsterror gründende Diktatur durch den Widerstand in der Bevölkerung ins Wanken geriet und die Dockarbeiter in den Häfen Mosambiks, Südafrikas, Namibias und Angolas sich aus Solidarität mit der Bevölkerung Simbabwes weigerten, die Ladung zu löschen.

Während afrikanische Regierungen meist den neuen potenten Partner und dessen Wirtschaftsinteressen mit offenen Armen empfangen, sind die Reaktionen aus der jeweiligen Bevölkerung erheblich gemischter. Chinesische Firmen, die oft nicht nur das Kapital und Know-how, sondern auch die ungelernten Arbeiter mit ins Land bringen, werden als Bedrohung der eigenen Existenz empfunden. Lokale Textilindustrien sind der Billigware aus China nicht gewachsen. Die heimische Bauindustrie kann den Offerten chinesischer Konkurrenz nicht entgegentreten. Sie unterliegt den staatlichen Arbeitsgesetzen und Mindestlöhnen. Diese werden von chinesischen Firmen häufig missachtet, damit sie die lokalen Baufirmen unterbieten können.

Afrikanische Kleinhändler sehen durch Chinaläden mit Billigwaren ihre kärglichen Verdienstmöglichkeiten schrumpfen und kämpfen ums schiere Überleben. In vielen Ländern gilt auf politisch-diplomatischer Ebene der neue Partner aus China als willkommene Alternative. Die Reaktionen in der Bevölkerung hingegen grenzen oftmals an Rassismus, da die chinesische Präsenz als Bedrohung der eigenen Lebensgrundlagen empfunden und erfahren wird.
Handlungsspielraum für Eliten Tatsächlich erweitert die neue Multipolarität den Handlungsspielraum zahlreicher afrikanischer Regierungen jener Länder, die natürliche Ressourcen von Interesse für die Industrieländer haben. Neben Öl und Gas sind das Uran, strategische Metalle und Mineralien. Durch neuen Wettbewerb werden alte Abhängigkeiten reduziert. Dies erlaubt Regierungen Afrikas, sich einer vermeintlichen oder realen politischen Bevormundung durch den Westen zu entziehen und stärkt das Selbstbewusstsein. Einer guten Regierungsführung ist dies aber keinesfalls unbedingt zuträglich.

Die angolanische Oligarchie konnte sich z.B. den Forderungen der westlichen multinationalen Ölgesellschaften nach Transparenz der Einnahmen aus der Ölförderung dadurch entziehen, dass sie neue Lieferverträge mit chinesischen Firmen schloss, die keine Fragen stellen. Nicht nur im Falle Simbabwes und des Sudans profitieren "Schurkenstaaten" von einer Geschäftsbeziehung, der Demokratie und Menschenrechte ziemlich schnuppe sind. Dies rechnet sich bislang aber meist nur aus der Sicht der ausländischen Partner und einer kleinen einheimischen Elite. Investitionen kommen hingegen kaum der Bevölkerungsmehrheit zugute. So sind diese Beziehungen keine wirkliche Alternative zu den überkommenen Abhängigkeitsverhältnissen und Machtstrukturen, die Afrikas Interaktion mit der restlichen Welt weitgehend charakterisieren.

Allerdings sollten westliche Staaten sich vor allzu voreiliger Kritik hüten: Der Doppelstandard, der Mobutu weitgehend ungeschoren ließ und Mugabe erst kritisierte, als dieser weiße Farmer enteignete, hat gewiss nicht dazu beigetragen, dass Chinas Eigeninteressen - oder die anderer Länder - mit besonderer Skepsis beäugt würden. Afrikanische Länder sind von Jenen, die an Beziehungen mit ihnen interessiert sind, eigentlich nichts anderes gewöhnt.

Nach Schätzungen des US-amerikanischen Forschungsinstituts Global Financial Integrity fand seit 1970 ein Finanztransfer von Afrika in des Rest der Erde von mindestens 1,8 Trilliarden US$ statt. Die Folgen der viel beschworenen Korruption machen in diesen Berechnungen nicht mehr als 3% aus. Den Löwenanteil stellen mit geschätzten 60 bis 65 Prozent Steuerflucht und Preistäuschungen im Welthandel dar. Die restlichen 30 bis 35 Prozent sind weitgehend das Ergebnis von illegalem Handel. Die Hauptnutznießer dieser Form der "sanften Plünderung" sind die westlichen Finanzinstitutionen geblieben.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-24

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