Nigeria: Entwicklungs-Überholspur mit vielen Hürden
Nigeria befindet sich auf dem Sprung nach ganz vorne. Dies glaubt zumindest Jeffrey Sachs, der bekannte Harvard-Entwicklungsökonom und Berater von UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon. Unterstützung erhält er dabei von der Investmentbank Goldman Sachs, die den westafrikanischen Ölstaat bis 2030 wirtschaftlich unter den zwölf größten Volkswirtschaften der Welt ansiedelt.
Die positiven Szenarien dürften auch erklären, warum Nigeria, zusammen mit Angola, zuletzt zum neuen Favoriten der deutschen Politik und Wirtschaft geworden ist - und beide Länder in der vergangenen Woche von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer Stippvisite bedacht wurden. Auf der letzten Station ihrer dreitägigen Afrikasafari war Merkel in Nigerias Hauptstadt Abuja, wo sie den Sitz des regionalen Wirtschaftsbundes Ecowas besucht und das vierte deutsch-nigerianische Wirtschaftsforum eröffnet hat. Daneben stand ein Besuch bei Staatschef Goodluck Jonathan auf dem Programm.
Der erst vor drei Monaten im Amt bestätigte Präsident wird es nicht leicht haben, das seit der Unabhängigkeit vor 50 Jahren ethnisch wie religiös tief gespaltene Land zusammenzuführen. Symptomatisch dafür ist die jüngste Eskalation der Spannungen zwischen Christen und Muslims in der Stadt Maiduguri im Nordosten des Landes. Nachdem es bereits Ende letzten Jahres und zu den Wahlen zu einigen Terrorakten gekommen war, sind dort in den letzten vier Wochen bei Anschlägen mutmaßlicher Islamisten mehrere Dutzend Menschen getötet worden. Verantwortlich ist die radikalislamische Sekte Boko Haram, deren Mitglieder den westlichen Lebensstil grundsätzlich ablehnen. Die Gruppe, die sich selbst als "nigerianische Taliban" bezeichnet, hat in den vergangenen zwei Jahren Polizeistationen und Kirchen angegriffen. Ihre Führung verlangt, die im Norden Nigerias geltenden islamischen Schariagesetze auf das ganze Land auszudehnen. Nach Schätzungen des Roten Kreuzes sind seit 2001 über zehntausend Menschen bei immer neuen Pogromen zwischen Christen und Muslims in Nigeria getötet worden.
Was von außen betrachtet wie ein Krieg der Religionen aussieht, ist oftmals nichts anderes als ein Kampf um die knappen Ressourcen. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas hat nach der langen Herrschaft des Militärs zwar seit 1999 wieder eine gewählte Regierung, doch gibt es noch immer keine staatlichen Institutionen, die die Konflikte der mehr als 250 Volksgruppen kanalisieren und entschärfen könnten.
Vor allem wirtschaftlich ist der Aufholbedarf nach den vielen verschenkten Jahren riesengroß. Ganz obenan steht die katastrophale Elektrizitätsversorgung. Viele Nigerianer klagen über permanente Stromausfälle. Wer es sich leisten kann, wird deshalb zum Energieselbstversorger und legt sich einen Generator oder ein Bohrloch zu. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine höhere Dichte an Kleingeneratoren. Zweidrittel der nigerianischen Elektrizität wird heute in Kellern und Hinterhöfen produziert.
Gegenwärtig erzeugt Nigeria für seine fast 150 Millionen Einwohner kaum 4000 Megawatt Strom im Jahr - das entspricht kaum einer deutschen Großstadt wie Köln. Das ebenfalls von Stromausfällen geplagte Südafrika produziert mit 42000 Megawatt mehr als das Zehnfache - für weniger als 50 Millionen Einwohner.
Nigerias Industrieverband macht seit langem die chaotische Stromversorgung und die ausgebliebenen Investitionen in den 90er Jahren für die sinkende Industrieproduktion verantwortlich. So begründete die Reifenfirma Dunlop das Aus für ihre Produktion in Nigeria mit den hohen Energiekosten. Dabei ist das Problem nicht neu: Seit Jahren stagniert der Ausbau der Stromversorgung. Umso skeptischer bleiben viele Nigerianer gegenüber den Plänen der Regierung, in den nächsten zehn Jahren 35 Milliarden US-Dollar in ein gigantisches Privatisierungsprogramm des Stromsektors zu stecken. Zwar gelten Geschäfte in Nigeria als lukrativ, doch sind sie gleichzeitig schon wegen der nun stärker bekämpften aber noch immer erschreckend hohen Korruption oft hochriskant.
Auch andere Zahlen belegen die Kluft zwischen den großen Plänen und der Realität: Auf der einen Seite ist das Land mit derzeit 2,2 Millionen Barrel am Tag der weltweit siebtgrößte Ölproduzent und scheffelt jährlich Milliarden an Petrodollars. Auf der anderen Seite befinden sich seine Raffinerien in einem derart maroden Zustand, dass das Land auf Benzineinfuhren angewiesen ist. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 60 Prozent der Erdöleinnahmen in privaten Taschen verschwinden.
Trotz des guten Willens der neuen Regierung deutet bislang wenig auf den von Jeffrey Sachs beschworenen Mega-Aufschwung hin. Nach Prognosen der UNO wird die Wirtschaftsmetropole Lagos, in der mehr als die Hälfte der nigerianischen Wirtschaft außerhalb des Erdölsektors angesiedelt ist, in den nächsten fünf Jahren auf über 15 Millionen Menschen anwachsen. Das Ungetüm versinnbildlicht das Grundproblem Afrikas: Wachstum ohne echte Entwicklung.
Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960 hat sich Nigerias Bevölkerung fast vervierfacht. Und bis zum Jahr 2050 ist laut UNO-Projektionen mit einem weiteren starken Anstieg um 130 Millionen auf dann rund 300 Millionen zu rechnen. Gegenwärtig sind 42% der Nigerianer jünger als 15 Jahre und nur drei Prozent über 65 Jahre - eine für Afrika typische Struktur, die viele der erzielten Fortschritte gleich wieder zunichte macht. Mehr als 80% der Bevölkerung hatten 2004 nach Schätzungen der UNO über ein verfügbares Einkommen von nur zwei Dollar am Tag. Ermutigend ist jedoch, dass die jüngsten Wachstumsraten nicht nur wie bisher auf den hohen Öleinnahmen fußten, sondern mehr als bisher vom Wachstum des Bankwesens und der Telekommunikation getragen werden.
Die positiven Szenarien dürften auch erklären, warum Nigeria, zusammen mit Angola, zuletzt zum neuen Favoriten der deutschen Politik und Wirtschaft geworden ist - und beide Länder in der vergangenen Woche von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer Stippvisite bedacht wurden. Auf der letzten Station ihrer dreitägigen Afrikasafari war Merkel in Nigerias Hauptstadt Abuja, wo sie den Sitz des regionalen Wirtschaftsbundes Ecowas besucht und das vierte deutsch-nigerianische Wirtschaftsforum eröffnet hat. Daneben stand ein Besuch bei Staatschef Goodluck Jonathan auf dem Programm.
Der erst vor drei Monaten im Amt bestätigte Präsident wird es nicht leicht haben, das seit der Unabhängigkeit vor 50 Jahren ethnisch wie religiös tief gespaltene Land zusammenzuführen. Symptomatisch dafür ist die jüngste Eskalation der Spannungen zwischen Christen und Muslims in der Stadt Maiduguri im Nordosten des Landes. Nachdem es bereits Ende letzten Jahres und zu den Wahlen zu einigen Terrorakten gekommen war, sind dort in den letzten vier Wochen bei Anschlägen mutmaßlicher Islamisten mehrere Dutzend Menschen getötet worden. Verantwortlich ist die radikalislamische Sekte Boko Haram, deren Mitglieder den westlichen Lebensstil grundsätzlich ablehnen. Die Gruppe, die sich selbst als "nigerianische Taliban" bezeichnet, hat in den vergangenen zwei Jahren Polizeistationen und Kirchen angegriffen. Ihre Führung verlangt, die im Norden Nigerias geltenden islamischen Schariagesetze auf das ganze Land auszudehnen. Nach Schätzungen des Roten Kreuzes sind seit 2001 über zehntausend Menschen bei immer neuen Pogromen zwischen Christen und Muslims in Nigeria getötet worden.
Was von außen betrachtet wie ein Krieg der Religionen aussieht, ist oftmals nichts anderes als ein Kampf um die knappen Ressourcen. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas hat nach der langen Herrschaft des Militärs zwar seit 1999 wieder eine gewählte Regierung, doch gibt es noch immer keine staatlichen Institutionen, die die Konflikte der mehr als 250 Volksgruppen kanalisieren und entschärfen könnten.
Vor allem wirtschaftlich ist der Aufholbedarf nach den vielen verschenkten Jahren riesengroß. Ganz obenan steht die katastrophale Elektrizitätsversorgung. Viele Nigerianer klagen über permanente Stromausfälle. Wer es sich leisten kann, wird deshalb zum Energieselbstversorger und legt sich einen Generator oder ein Bohrloch zu. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine höhere Dichte an Kleingeneratoren. Zweidrittel der nigerianischen Elektrizität wird heute in Kellern und Hinterhöfen produziert.
Gegenwärtig erzeugt Nigeria für seine fast 150 Millionen Einwohner kaum 4000 Megawatt Strom im Jahr - das entspricht kaum einer deutschen Großstadt wie Köln. Das ebenfalls von Stromausfällen geplagte Südafrika produziert mit 42000 Megawatt mehr als das Zehnfache - für weniger als 50 Millionen Einwohner.
Nigerias Industrieverband macht seit langem die chaotische Stromversorgung und die ausgebliebenen Investitionen in den 90er Jahren für die sinkende Industrieproduktion verantwortlich. So begründete die Reifenfirma Dunlop das Aus für ihre Produktion in Nigeria mit den hohen Energiekosten. Dabei ist das Problem nicht neu: Seit Jahren stagniert der Ausbau der Stromversorgung. Umso skeptischer bleiben viele Nigerianer gegenüber den Plänen der Regierung, in den nächsten zehn Jahren 35 Milliarden US-Dollar in ein gigantisches Privatisierungsprogramm des Stromsektors zu stecken. Zwar gelten Geschäfte in Nigeria als lukrativ, doch sind sie gleichzeitig schon wegen der nun stärker bekämpften aber noch immer erschreckend hohen Korruption oft hochriskant.
Auch andere Zahlen belegen die Kluft zwischen den großen Plänen und der Realität: Auf der einen Seite ist das Land mit derzeit 2,2 Millionen Barrel am Tag der weltweit siebtgrößte Ölproduzent und scheffelt jährlich Milliarden an Petrodollars. Auf der anderen Seite befinden sich seine Raffinerien in einem derart maroden Zustand, dass das Land auf Benzineinfuhren angewiesen ist. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 60 Prozent der Erdöleinnahmen in privaten Taschen verschwinden.
Trotz des guten Willens der neuen Regierung deutet bislang wenig auf den von Jeffrey Sachs beschworenen Mega-Aufschwung hin. Nach Prognosen der UNO wird die Wirtschaftsmetropole Lagos, in der mehr als die Hälfte der nigerianischen Wirtschaft außerhalb des Erdölsektors angesiedelt ist, in den nächsten fünf Jahren auf über 15 Millionen Menschen anwachsen. Das Ungetüm versinnbildlicht das Grundproblem Afrikas: Wachstum ohne echte Entwicklung.
Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960 hat sich Nigerias Bevölkerung fast vervierfacht. Und bis zum Jahr 2050 ist laut UNO-Projektionen mit einem weiteren starken Anstieg um 130 Millionen auf dann rund 300 Millionen zu rechnen. Gegenwärtig sind 42% der Nigerianer jünger als 15 Jahre und nur drei Prozent über 65 Jahre - eine für Afrika typische Struktur, die viele der erzielten Fortschritte gleich wieder zunichte macht. Mehr als 80% der Bevölkerung hatten 2004 nach Schätzungen der UNO über ein verfügbares Einkommen von nur zwei Dollar am Tag. Ermutigend ist jedoch, dass die jüngsten Wachstumsraten nicht nur wie bisher auf den hohen Öleinnahmen fußten, sondern mehr als bisher vom Wachstum des Bankwesens und der Telekommunikation getragen werden.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen