Nigeria in der Krise: Der Aufholbedarf ist riesengroß
Mehrfach hat Nigeria das seit der Unabhängigkeit im Jahre 1960 Versäumte mit Macht nachholen wollen: 2003 verstieg sich seine damalige Regierung vor dem Hintergrund enormer Armut sogar zu einem Raumfahrtprogramm, das Nigeria mit Gewalt aus seiner jahrzehntelangen Stagnation in die Moderne katapultieren sollte. Angesichts der gegenwärtigen ökonomischen Befindlichkeit mutet der Anspruch des gerade von Außenminister Frank Walter Steinmeier bereisten Land, als Impulsgeber für den ganzen Kontinent zu fungieren, wie Größenwahn an.
Spätestens mit dem Absturz des Ölpreises vor zwei Jahren und dem damit verbundenen Niedergang seiner Wirtschaft ist deutlich geworden, dass die Realität eine ganz andere ist, schon weil das Land es seit Jahrzehnten versäumt hat, seine vollkommen vom Öl abhängige Wirtschaft auch nur ansatzweise zu diversifizieren. Die Halbierung des Ölpreises hat das Land, dessen Staatseinnahmen noch immer zu 75 Prozent vom Öl abhängen, jedenfalls tief ins Mark getroffen. Erschwerend kommt hinzu, dass seine Ölindustrie derzeit nur noch etwa 1,4 Millionen Barrel am Tag und damit fast ein Drittel weniger als noch vor zwei Jahren produziert. Ein Grund sind die fortgesetzten Sabotageakte militanter Gruppen im Nigerdelta, der Schatzkammer des Landes.
Symptomatisch für den Zustand des Landes ist auch der Zustand seiner Raffinerien. Sie sind seit langem derart marode, dass der weltweit achtgrößte Ölproduzent paradoxerweise auf teure Benzineinfuhren angewiesen ist. Schätzungen zufolge versickerten bis vor kurzem rund die Hälfte der Erdöleinnahmen in privaten Taschen - vermutlich Hunderte von Milliarden Dollar seit Entdeckung der Ölfelder im Nigerdelta in den frühen 1970er Jahren.
Die Folgen der einseitigen Ausrichtung sind verheerend: Nach einem Wachstum von fast 7% vor zwei Jahren (2014) prognostiziert der Internationale Währungsfonds nun ein Schrumpfen der nigerianischen Wirtschaft in diesem Jahr auf bis zu 2%. Dies wäre Nigerias erste ganzjährige Rezession seit 1991. „Die gesamte Wirtschaft wird von der Ölindustrie brutal nach unten gezogen“, sagt John Ashbourne von Capital Economics in London. „Jeder Zylinder seines Motors stottert.“
Anders als andere Ölländer wie Russland, Angola oder Kasachstan hatte sich die nigerianische Zentralbank noch bis Ende Juni verzweifelt an den Dollar geklammert. Als sie die Bindung Mitte Juni dann aber doch kappen musste, rauschte die Landeswährung Naira postwendend um 30% in die Tiefe - und hat sich seitdem kaum erholt. Inzwischen zählt der Naira hinter Venezuelas Bolivar zur weltweit schwächsten Währung in diesem Jahr.
Angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs hat die im April vergangenen Jahres neu ins Amt gewählte Regierung von Ex-General Muhammadu Buhari wieder einmal eine stärkere Diversifizierung der Wirtschaft versprochen. Fortan soll mehr Geld in die vernachlässigte Landwirtschaft, aber auch die völlig marode Infrastruktur fließen. Das nötige Kapital dafür will seine Regierung an den derzeit kaum an einem Engagement interessierten Finanzmärkten aufnehmen.
Vor der angestrebten Trendwende weg vom Öl zu mehr Vielfalt steht dem Land nach Ansicht von Experten wie Chris Becker von der südafrikanischen Investec-Bank jedoch ein langer, schmerzhafter Anpassungsprozess mit Inflationsraten von mehr als 20% und vermutlich viel politischer Unruhe ins Haus. Dies könnte auch die Flüchtlingsströme nach Norden weiter befeuern. Nach den vielen verschenkten Jahren seit der Unabhängigkeit ist der Aufholbedarf riesengroß, vor allem in der quasi nicht existenten Stromversorgung. Wer es sich leisten kann, wird in Nigeria zum Selbstversorger und legt sich einen Generator zu. Mehr als zwei Drittel der Elektrizität im Land werden heute irgendwo in Kellern und Hinterhöfen teuer produziert. Obwohl Nigeria inzwischen fast ebenso viele Einwohner wie Brasilien hat, erzeugt Afrikas größte Volkswirtschaft nur 4% des von Brasilien generierten Stroms und hat schon deshalb kaum eine Chance, so schnell wie es nötig wäre zum Rest der Welt aufzuschließen.
Wolfgang Drechsler, Kapstadt
Spätestens mit dem Absturz des Ölpreises vor zwei Jahren und dem damit verbundenen Niedergang seiner Wirtschaft ist deutlich geworden, dass die Realität eine ganz andere ist, schon weil das Land es seit Jahrzehnten versäumt hat, seine vollkommen vom Öl abhängige Wirtschaft auch nur ansatzweise zu diversifizieren. Die Halbierung des Ölpreises hat das Land, dessen Staatseinnahmen noch immer zu 75 Prozent vom Öl abhängen, jedenfalls tief ins Mark getroffen. Erschwerend kommt hinzu, dass seine Ölindustrie derzeit nur noch etwa 1,4 Millionen Barrel am Tag und damit fast ein Drittel weniger als noch vor zwei Jahren produziert. Ein Grund sind die fortgesetzten Sabotageakte militanter Gruppen im Nigerdelta, der Schatzkammer des Landes.
Symptomatisch für den Zustand des Landes ist auch der Zustand seiner Raffinerien. Sie sind seit langem derart marode, dass der weltweit achtgrößte Ölproduzent paradoxerweise auf teure Benzineinfuhren angewiesen ist. Schätzungen zufolge versickerten bis vor kurzem rund die Hälfte der Erdöleinnahmen in privaten Taschen - vermutlich Hunderte von Milliarden Dollar seit Entdeckung der Ölfelder im Nigerdelta in den frühen 1970er Jahren.
Die Folgen der einseitigen Ausrichtung sind verheerend: Nach einem Wachstum von fast 7% vor zwei Jahren (2014) prognostiziert der Internationale Währungsfonds nun ein Schrumpfen der nigerianischen Wirtschaft in diesem Jahr auf bis zu 2%. Dies wäre Nigerias erste ganzjährige Rezession seit 1991. „Die gesamte Wirtschaft wird von der Ölindustrie brutal nach unten gezogen“, sagt John Ashbourne von Capital Economics in London. „Jeder Zylinder seines Motors stottert.“
Anders als andere Ölländer wie Russland, Angola oder Kasachstan hatte sich die nigerianische Zentralbank noch bis Ende Juni verzweifelt an den Dollar geklammert. Als sie die Bindung Mitte Juni dann aber doch kappen musste, rauschte die Landeswährung Naira postwendend um 30% in die Tiefe - und hat sich seitdem kaum erholt. Inzwischen zählt der Naira hinter Venezuelas Bolivar zur weltweit schwächsten Währung in diesem Jahr.
Angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs hat die im April vergangenen Jahres neu ins Amt gewählte Regierung von Ex-General Muhammadu Buhari wieder einmal eine stärkere Diversifizierung der Wirtschaft versprochen. Fortan soll mehr Geld in die vernachlässigte Landwirtschaft, aber auch die völlig marode Infrastruktur fließen. Das nötige Kapital dafür will seine Regierung an den derzeit kaum an einem Engagement interessierten Finanzmärkten aufnehmen.
Vor der angestrebten Trendwende weg vom Öl zu mehr Vielfalt steht dem Land nach Ansicht von Experten wie Chris Becker von der südafrikanischen Investec-Bank jedoch ein langer, schmerzhafter Anpassungsprozess mit Inflationsraten von mehr als 20% und vermutlich viel politischer Unruhe ins Haus. Dies könnte auch die Flüchtlingsströme nach Norden weiter befeuern. Nach den vielen verschenkten Jahren seit der Unabhängigkeit ist der Aufholbedarf riesengroß, vor allem in der quasi nicht existenten Stromversorgung. Wer es sich leisten kann, wird in Nigeria zum Selbstversorger und legt sich einen Generator zu. Mehr als zwei Drittel der Elektrizität im Land werden heute irgendwo in Kellern und Hinterhöfen teuer produziert. Obwohl Nigeria inzwischen fast ebenso viele Einwohner wie Brasilien hat, erzeugt Afrikas größte Volkswirtschaft nur 4% des von Brasilien generierten Stroms und hat schon deshalb kaum eine Chance, so schnell wie es nötig wäre zum Rest der Welt aufzuschließen.
Wolfgang Drechsler, Kapstadt
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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