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NUR 24 ZEILEN (20. Folge)
NUR 24 ZEILEN (20. Folge)

NUR 24 ZEILEN (20. Folge)

Eine wahre Geschichte über den Krieg, die Liebe und den langen Weg zurück nach Afrika
Claudia Reiter
Geschichte, südliches Afrika, II. Weltkrieg, Internierung, Kurt Falk, Erika von Wietersheim, Gefangenenlager, „nur 24 Zeilen“

HÖLLENSCHIFF DUNERA (Kapitel 8, Teil 1/5)

Eines Morgens, knapp eine Woche nach ihrer Ankunft im schottischen Greenock, es ist der 10. Juli 1940, werden alle Internierten früh um sieben geweckt und müssen mit ihren wenigen Habseligkeiten antreten. Die Internierten nehmen an, dass sie erneut verlegt werden sollen, und rätseln, in welches Lager man sie wohl bringen wird. Vor dem Lager stehen Lastwagen, und Soldaten befehlen ihnen, sofort einzusteigen. Sie fahren zum Bahnhof, dort werden sie in einen Zug verfrachtet. Mehrere Stunden rollen sie durch unbekannte Dörfer und Städte. Plötzlich fahren sie zu ihrem Entsetzen zum Ausgangshafen der Arandora Star. In diesem Moment könnte man im Zug eine Stecknadel fallen hören. Allen wird klar: schon wieder ein Dampfer! Im Hafen liegt ein 150 Meter langer Truppentransporter unter Dampf: die Dunera. Ein Lastwagen nach dem anderen hält vor dem Schiff, Tausende unfreiwillige Passagiere, die man in mehreren Internierungslagern in England aufgesammelt hat, steigen aus und werden wie eine Herde Schlachtvieh von fluchenden englischen Soldaten mit Gewehrkolbenstößen die wippende Gangway an Bord des Frachters getrieben. Rufe wie ,,Get a move on, you bastards!” und Tritte in den Hintern beschleunigen die Gangart. An Bord schubsen Wachsoldaten den ständig nachdrängenden Zug erschöpfter und eingeschüchterter Menschen nach einem für diese nicht erkennbaren Schema ins Vorderschiff, nach achtern und in den vorderen Teil des Mittelschiffs. Die Internierten dürfen, wenn sie überhaupt noch etwas besitzen, 40 Kilogramm an Gepäck mitnehmen. Doch gleich an Deck wird ihnen von den britischen Soldaten abgenommen, was sie an ihren Händen oder in ihren Taschen tragen – Ringe, Uhren, Geldbeutel, sogar ihre Dokumente und Papiere werden entweder einkassiert oder über Bord geworfen. Ein Internierter, René von Podbielski, hat das Manuskript eines Romans bei sich, an dem er jahrelang gearbeitet hat; ein Bewacher entreißt es ihm und wirft es über Bord. Mehrere Koffer werden mit Bajonetten aufgeschlitzt, Brieftaschen mit Fotos und letzten Lebenszeichen von Angehörigen herausgerissen und ins Hafenwasser geworfen. Die restlichen Koffer werden in einem ungeordneten Haufen in einer Ecke an Deck aufgestapelt, niemand darf sein Gepäck bei sich behalten. Nach der ersten Leibesvisite jagen die Soldaten alle Internierten hinunter in die Luken des Schiffes. Tief hinein in den Schiffsleib geht es ein erstes, ein zweites und noch ein drittes Deck hinunter in die Dunkelheit; die verrammelten Bullaugen lassen kein Tageslicht durch. Hier werden die Neuankömmlinge erneut gefilzt, es verschwinden weitere Uhren, Stifte, Taschenmesser und selbst Taschentücher in den Taschen der uniformierten Briten. Alsbald macht das Wort vom „Taschendieb-Kreuzer“ die Runde. In den Luken unter Deck werden die Gefangenen auch noch hinter Stacheldraht gesetzt, da man den gefangenen „deutschen Seeleuten“ weiterhin nachsagt, sie seien der vorigen Schiffskatastrophe nur durch ihr rücksichtsloses Verhalten entkommen. Vor den kläglichen Haufen der Geretteten der Arandora Star „Ihr seid deutsche Kriegsgefangene, ihr habt euch auf der Arandora Star gerettet, und zwar mit Gewalt. Das wird auf diesem Schiff nicht wieder passieren. Ihr werdet, falls das Schiff untergehen sollte, ohne Gnade mit ihm untergehen.“

Insgesamt hat man mehr als 2500 Internierte auf die Dunera getrieben, die höchstens für eine Truppenstärke von 1600 einschließlich der Crew ausgerichtet ist. Bereits am Abend heißt es: „Leinen los!“, und der Frachter nimmt Kurs auf die Irische See. Die Wachmannschaften hüllen sich über das Ziel der Reise in Schweigen. Schon gegen Mitternacht beginnen die Verhältnisse an Bord fast untragbar zu werden. Viele Männer werden seekrank, dürfen jedoch nicht an Deck. Da nicht genügend Aborte zur Verfügung stehen, tropft bald eine Mischung aus Erbrochenem und Urin aus den überfließenden Latrine-Eimern in die jeweils darunter liegenden Decks. In der Nacht werden Internierte weiterhin ausgeplündert. Wachmannschaften ziehen den schlafenden Gefangenen die Ringe von den Fingern, das Seifenwasser haben sie gleich mitgebracht. Immer wieder beschimpfen sie ihre Opfer als „deutsche jüdische Schweine“. Kurt und seine Kameraden erfahren erst später, dass über 2000 der mehr als 2500 Internierten und Leidensgenossen auf der Dunera keine deutschen oder italienischen Kriegsgefangenen, sondern deutsche jüdische und politische Flüchtlinge sind, die das nationalsozialistische Deutschland verlassen und in England Zuflucht gesucht haben. Warum werden sie deportiert und warum werden sie wie Kriegsgefangene behandelt? Kurt und die anderen, aber auch die Weltöffentlichkeit haben überhaupt nicht mitbekommen, was in den letzten Monaten in England geschehen ist. Es sind Ereignisse, die erst viele Jahre später öffentlich werden und bis heute wenig bekannt sind.

Schon vor Beginn des Krieges haben Tausende jüdische Deutsche und Österreicher sowie antifaschistische Italiener Zuflucht in England gesucht. Die Engländer nehmen die deutschen Juden jedoch keineswegs mit offenen Armen auf – einerseits, weil auch dort tiefverwurzelte antijüdische Ressentiments herrschen, andererseits, weil man Großbritannien nicht als Einwanderungsland sieht. Verfolgte Juden sind geduldet, aber nicht willkommen, und sie sollen so schnell wie möglich aus der englischen „Transitzone“ in ferne Teile des Empires verschifft werden.

Mit Beginn des Kriegs verschlechtert sich die Situation der jüdischen Flüchtlinge in England rapide. Nachdem Großbritannien Deutschland den Krieg erklärt hat, tritt umgehend ein Gesetz in Kraft, demzufolge alle auf der Insel lebenden Deutschen und Österreicher – egal ob Nazis oder Nazi-Gegner – sowie Einwanderer und Flüchtlinge aus Italien als enemy aliens, als feindliche Ausländer, zu behandeln sind. Die meisten werden zwar nicht sofort eingesperrt, doch werden ihre Freiheiten stark eingeschränkt. Sie haben zum Beispiel nachts Ausgangssperre und dürfen keine Autos, Fahrräder, Rundfunkgeräte und Fotoapparate besitzen. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich wird in England die Angst vor einer „Fünften Kolonne“ aus Nazi-Spionen geradezu panisch, jeder Nicht-Engländer ist verdächtig. „Collar the lot!”, ordnet Winston Churchill an, und über Nacht beginnen Masseninternierungen im ganzen Land. Innerhalb weniger Wochen werden fast 30000 Ausländer, ganz gleich ob politisch Verfolgte oder lang eingesessene Immigranten, darunter auch Frauen und Kinder, interniert und auf Sammellager in verschiedenen Gegenden des Landes verteilt. Eines dieser Sammellager ist Huyton, in der Nähe von Liverpool. Nach einigen Wochen des Wartens spricht sich unter den Internierten herum, dass sie – allerdings zunächst nur die Männer – auf mehreren Truppentransportern nach Kanada oder Australien deportiert werden sollen.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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