NUR 24 ZEILEN (22. Folge)
Eine wahre Geschichte über den Krieg, die Liebe und den langen Weg zurück nach Afrika
Geschichte, südliches Afrika, II. Weltkrieg, Internierung, Kurt Falk, Erika von Wietersheim, Gefangenenlager, „nur 24 Zeilen“
HÖLLENSCHIFF DUNERA (Kapitel 8, Teil 3/5)
Der Kapitän gibt der Dunera noch einen gehörigen Vorsprung, dann lässt er auftauchen. Die Matrosen lassen das Schlauchboot aufs Wasser und greifen drei Koffer auf. Der Kapitän öffnet selbst den ersten. Er muss den Deckel aufbrechen. Er wirft die Wäsche, die schon mit Wasser durchtränkt ist, heraus. Mittendrin liegt ein Bündel Briefe. Es ist noch halbwegs trocken. Briefe in deutscher Sprache! In allen drei Koffern liegen Briefe deutscher Internierter von ihren Angehörigen.
Ungefähr 20 Koffer werden aufgefischt, und auf dem U-Boot festigt sich die Vermutung, dass die Dunera, ähnlich wie vor drei Wochen die versenkte Arandora Star, ein Gefangenentransporter sein könnte. Die Mannschaft beschließt, der Dunera ab sofort Geleitschutz gegen weitere Torpedierungen zu geben und das Schiff durch die Gefahrenzone zu bringen. So hängt sich das deutsche U-Boot an die Dunera, damit sie ungefährdet die freien Gewässer erreichen kann.
Das Todesschiff wurde zum Schutzengel.
Nach dem Schrecken des misslungenen Torpedoangriffs geht das eintönige Leben an Bord weiter. Kurt schreibt: Auf Verlangen des Schiffsarztes sollten die Internierten wenigstens ab und zu frische Luft bekommen und einige Zeit auf dem Deck herumlaufen. Morgens wurden wir also geweckt und an Deck gejagt. Dort gab es ein regelmäßiges Spießrutenlaufen: Die Soldaten standen zu beiden Seiten des Decks mit aufgepflanzten Bajonetten und stießen, stachen und schubsten uns vorwärts, begleitet von Schmäh- und Schimpfworten und dem nun schon vertrauten ‚Geta-move-on, you bloody bastards!’ Wer sich nicht schnell genug bewegte, dem wurde mit der Spitze des Bajonetts energisch nachgeholfen. Dieser ‚Frühsport‘ dauerte jeweils eine halbe Stunde und wurde abends wiederholt. Auf diese Weise kamen wir wenigstens zwei Mal am Tag aus unseren engen Räumen heraus an die Seeluft. Manchmal wurde der Frühsport auch mittags angesetzt, und zwar dann barfuß, damit die schlafenden Offiziere nicht geweckt würden.
Einmal warf ein Unteroffizier eine leere Bierflasche zwischen die herumtrabenden Männer. Die Flasche zersplitterte und die Internierten wurden zum Gaudi der Wachmannschaft gezwungen, über die Scherben zu laufen. Weder der Kommandant des Truppentransporters, Lieut.-Col. William Scott, noch First Lieut. O‘Neill hinderten ihre Mannschaften daran. Beide akzeptierten und ermutigten sogar offen die brutale Behandlung der Internierten. „Nach vielen Wochen dieser Triezerei geschah es, daß einer der Internierten, ein älterer Jude namens Jakob Weiß, diese Behandlung nicht länger ertragen konnte, zumal man ihm sein Einreisevisum nach Argentinien, wohin er nach Kriegsende zu reisen hoffte, genommen, zerrissen und die Fetzen über Bord geworfen hatte. Mit einem ‚Goodbye!‘ sprang er kühn über Bord und verschwand in den Wellen. Der Transporter drehte eine kurze Wenderunde und erklärte ihn dann für verschollen.“
Auf der Arandora Star haben die Internierten trotz der Enge der Kojen und der Überbelegung des Schiffs die englische Mannschaft, die aus Marinesoldaten bestand, als höflich und fair erlebt. Die Mannschaft der Dunera ist dagegen undiszipliniert, wenig umgänglich, sadistisch und brutal – und zum Teil extrem antisemitisch eingestellt. Bald spricht sich herum, dass die meisten von ihnen begnadigte Strafgefangene sind, darunter Diebe und Gewaltverbrecher, die man zur Bewährung freigelassen hat – auch Soldiers of the King’s Pardon genannt. Den Juden an Bord geht es besonders schlecht, vor allem denjenigen, die immer noch Gold oder Wertsachen bei sich haben. Es geschieht immer wieder nachts, dass die Wachmannschaften zu ihnen kommen und sie zwingen, ihnen diese zu übergeben.
Schon im Emigrantenlager in England hat sich unter einem Dr. Eichenberg eine Lagerführung gebildet. Am dritten Tag der Fahrt geht dieser zusammen mit einem Professor G. Erler und einem Jerry von Grünewaldt zum Kommandanten, um sich als Abgesandter der Gefangenen wegen der Plündereien zu beschweren und eine Verbesserung der Unterbringung zu erreichen. Als sie zum Intelligence Officer auf dem Schiff vorgelassen werden, gibt es jedoch eine böse Wiederbegegnung. Dieser ist nämlich kein anderer als der Schweizer Offizier Captain Brandt, der in England im Race Course in Lingfield für den angestifteten Brand der Gefangenen, die nach dem gescheiterten Tunnelbau in Isolationshaft saßen, Rede und Antwort stehen musste. Er hat den für ihn peinlichen Vorfall nicht vergessen, erkennt die Gefangenen sofort wieder, und seine Chance, sich an ihnen zu rächen, ist gekommen. Statt die drei Männer anzuhören, lässt er sie sofort wegen Anstiftung zur Meuterei festnehmen und zu 28 Tagen Einzelhaft verurteilen. Die drei Männer müssen ihre Haft in winzigen Zellen tief im Schiffsboden absitzen, die an der einen Seite noch durch die schräge und nasse Schiffswand begrenzt werden. Es ist dunkel, nur das Licht einer Birne im Gang schimmert durch die Ritzen. Damit der hineingestellte, nur einmal am Tag geleerte Latrineneimer nicht umfällt, sitzen sie bei Seegang Tag und Nacht in einer Ecke ihrer Zellen auf dem rohen Deck und halten ihn mit einem Arm fest; nur bei ruhiger See können sie sich auf den Boden legen und die Turnschuhe als Kopfkissen benutzen. Durch Schreien an der Schiffswand können sie sich mühsam verständigen. Um sich die lange, dunkle Zeit zu vertreiben, ritzen sie Schachbretter auf den Boden und spielen Schach mit Figuren, die sie aus gekautem Brot geknetet haben.
Die unfreiwilligen Passagiere werden weiterhin nicht informiert, wohin die Deportation geht, und sie spekulieren endlos darüber. Die meisten tippen auf Kanada. Als es aber immer heißer wird und nach vierzehn Tagen immer noch kein Land in Sicht ist, nehmen sie an, dass sie sich Richtung Süden entlang der afrikanischen Westküste bewegen. Offensichtlich kommt Kanada nicht mehr in Frage, wie die Seeleute auch schon am Kurs festgestellt haben. Nun tippt man auf Australien.
HÖLLENSCHIFF DUNERA (Kapitel 8, Teil 3/5)
Der Kapitän gibt der Dunera noch einen gehörigen Vorsprung, dann lässt er auftauchen. Die Matrosen lassen das Schlauchboot aufs Wasser und greifen drei Koffer auf. Der Kapitän öffnet selbst den ersten. Er muss den Deckel aufbrechen. Er wirft die Wäsche, die schon mit Wasser durchtränkt ist, heraus. Mittendrin liegt ein Bündel Briefe. Es ist noch halbwegs trocken. Briefe in deutscher Sprache! In allen drei Koffern liegen Briefe deutscher Internierter von ihren Angehörigen.
Ungefähr 20 Koffer werden aufgefischt, und auf dem U-Boot festigt sich die Vermutung, dass die Dunera, ähnlich wie vor drei Wochen die versenkte Arandora Star, ein Gefangenentransporter sein könnte. Die Mannschaft beschließt, der Dunera ab sofort Geleitschutz gegen weitere Torpedierungen zu geben und das Schiff durch die Gefahrenzone zu bringen. So hängt sich das deutsche U-Boot an die Dunera, damit sie ungefährdet die freien Gewässer erreichen kann.
Das Todesschiff wurde zum Schutzengel.
Nach dem Schrecken des misslungenen Torpedoangriffs geht das eintönige Leben an Bord weiter. Kurt schreibt: Auf Verlangen des Schiffsarztes sollten die Internierten wenigstens ab und zu frische Luft bekommen und einige Zeit auf dem Deck herumlaufen. Morgens wurden wir also geweckt und an Deck gejagt. Dort gab es ein regelmäßiges Spießrutenlaufen: Die Soldaten standen zu beiden Seiten des Decks mit aufgepflanzten Bajonetten und stießen, stachen und schubsten uns vorwärts, begleitet von Schmäh- und Schimpfworten und dem nun schon vertrauten ‚Geta-move-on, you bloody bastards!’ Wer sich nicht schnell genug bewegte, dem wurde mit der Spitze des Bajonetts energisch nachgeholfen. Dieser ‚Frühsport‘ dauerte jeweils eine halbe Stunde und wurde abends wiederholt. Auf diese Weise kamen wir wenigstens zwei Mal am Tag aus unseren engen Räumen heraus an die Seeluft. Manchmal wurde der Frühsport auch mittags angesetzt, und zwar dann barfuß, damit die schlafenden Offiziere nicht geweckt würden.
Einmal warf ein Unteroffizier eine leere Bierflasche zwischen die herumtrabenden Männer. Die Flasche zersplitterte und die Internierten wurden zum Gaudi der Wachmannschaft gezwungen, über die Scherben zu laufen. Weder der Kommandant des Truppentransporters, Lieut.-Col. William Scott, noch First Lieut. O‘Neill hinderten ihre Mannschaften daran. Beide akzeptierten und ermutigten sogar offen die brutale Behandlung der Internierten. „Nach vielen Wochen dieser Triezerei geschah es, daß einer der Internierten, ein älterer Jude namens Jakob Weiß, diese Behandlung nicht länger ertragen konnte, zumal man ihm sein Einreisevisum nach Argentinien, wohin er nach Kriegsende zu reisen hoffte, genommen, zerrissen und die Fetzen über Bord geworfen hatte. Mit einem ‚Goodbye!‘ sprang er kühn über Bord und verschwand in den Wellen. Der Transporter drehte eine kurze Wenderunde und erklärte ihn dann für verschollen.“
Auf der Arandora Star haben die Internierten trotz der Enge der Kojen und der Überbelegung des Schiffs die englische Mannschaft, die aus Marinesoldaten bestand, als höflich und fair erlebt. Die Mannschaft der Dunera ist dagegen undiszipliniert, wenig umgänglich, sadistisch und brutal – und zum Teil extrem antisemitisch eingestellt. Bald spricht sich herum, dass die meisten von ihnen begnadigte Strafgefangene sind, darunter Diebe und Gewaltverbrecher, die man zur Bewährung freigelassen hat – auch Soldiers of the King’s Pardon genannt. Den Juden an Bord geht es besonders schlecht, vor allem denjenigen, die immer noch Gold oder Wertsachen bei sich haben. Es geschieht immer wieder nachts, dass die Wachmannschaften zu ihnen kommen und sie zwingen, ihnen diese zu übergeben.
Schon im Emigrantenlager in England hat sich unter einem Dr. Eichenberg eine Lagerführung gebildet. Am dritten Tag der Fahrt geht dieser zusammen mit einem Professor G. Erler und einem Jerry von Grünewaldt zum Kommandanten, um sich als Abgesandter der Gefangenen wegen der Plündereien zu beschweren und eine Verbesserung der Unterbringung zu erreichen. Als sie zum Intelligence Officer auf dem Schiff vorgelassen werden, gibt es jedoch eine böse Wiederbegegnung. Dieser ist nämlich kein anderer als der Schweizer Offizier Captain Brandt, der in England im Race Course in Lingfield für den angestifteten Brand der Gefangenen, die nach dem gescheiterten Tunnelbau in Isolationshaft saßen, Rede und Antwort stehen musste. Er hat den für ihn peinlichen Vorfall nicht vergessen, erkennt die Gefangenen sofort wieder, und seine Chance, sich an ihnen zu rächen, ist gekommen. Statt die drei Männer anzuhören, lässt er sie sofort wegen Anstiftung zur Meuterei festnehmen und zu 28 Tagen Einzelhaft verurteilen. Die drei Männer müssen ihre Haft in winzigen Zellen tief im Schiffsboden absitzen, die an der einen Seite noch durch die schräge und nasse Schiffswand begrenzt werden. Es ist dunkel, nur das Licht einer Birne im Gang schimmert durch die Ritzen. Damit der hineingestellte, nur einmal am Tag geleerte Latrineneimer nicht umfällt, sitzen sie bei Seegang Tag und Nacht in einer Ecke ihrer Zellen auf dem rohen Deck und halten ihn mit einem Arm fest; nur bei ruhiger See können sie sich auf den Boden legen und die Turnschuhe als Kopfkissen benutzen. Durch Schreien an der Schiffswand können sie sich mühsam verständigen. Um sich die lange, dunkle Zeit zu vertreiben, ritzen sie Schachbretter auf den Boden und spielen Schach mit Figuren, die sie aus gekautem Brot geknetet haben.
Die unfreiwilligen Passagiere werden weiterhin nicht informiert, wohin die Deportation geht, und sie spekulieren endlos darüber. Die meisten tippen auf Kanada. Als es aber immer heißer wird und nach vierzehn Tagen immer noch kein Land in Sicht ist, nehmen sie an, dass sie sich Richtung Süden entlang der afrikanischen Westküste bewegen. Offensichtlich kommt Kanada nicht mehr in Frage, wie die Seeleute auch schon am Kurs festgestellt haben. Nun tippt man auf Australien.
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Allgemeine Zeitung
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