NUR 24 ZEILEN (24. Folge)
Eine wahre Geschichte über den Krieg, die Liebe und den langen Weg zurück nach Afrika
Geschichte, südliches Afrika, II. Weltkrieg, Internierung, Kurt Falk, Erika von Wietersheim, Gefangenenlager, „nur 24 Zeilen“
Was ist das Geheimnis einer großen Liebe? Wie übersteht sie Trennung und Entfernung? Was bedeutet Heimat und wo ist sie, wenn der Krieg eine Heimkehr unmöglich macht? Eine fesselnde Erzählung die einen neuen Blick auf die Geschichte der Deutschen in Afrika wirft und die zeigt, wie eng verflochten die Fäden sind, die die Kriegsgeneration noch immer mit der heutigen verbinden. Erika von Wietersheim erzählt die Geschichte ihrer Eltern.
HÖLLENSCHIFF DUNERA (Kapitel 8, Teil 5/5)
Kurt berichtet weiter: An Bord befand sich auch eine Gruppe von Talmudjuden. Außer ihrem persönlichen Besitz wurden ihnen mit der Zeit auch ihre Meßgewänder, der Talmud und so weiter entwendet, die sie zum Teil aus brennenden Synagogen in Deutschland gerettet hatten. Immer wieder fiel auf, wie gerade die Juden von der Besatzung sehr schlecht und oft brutal behandelt wurden, ohne daß die befehlshabenden Offiziere, Sergeant John O’Neill und Sergeant Scott, eingriffen. Mein Vater hat später oft erzählt, dass er und seine Kameraden aus Südafrika sich von Anfang an gut mir den jüdischen Internierten verstanden, viele Gespräche, meist philosophische, mit ihnen führten und sich mit ihnen solidarisierten, auch wenn einige jüdische Internierte distanziert blieben. Die schlechte Behandlung der Juden empörte alle zutiefst.
Allein die größte Menschlichkeit erwies der einzige Arzt an Bord, Lieutenant A. Brooks. Er hatte für 2500 Internierte nur einen einzigen Assistenten sowie einen Krankensaal mit 100 Betten. Er bekam für seine Tätigkeit keine Unterstützung vom Militär. Es gelang ihm, eine Rutsche einzubauen, die etwas frische Luft in die unteren Luken führte, wo die meisten Juden untergebracht waren. Ferner gelang es ihm, aus der Reihe der Internierten drei Ärzte zu rekrutieren, sowie ein paar Medizinstudenten. Diesen Menschen ist es zu verdanken, daß keine Epidemie an Bord ausbrach und daß es nur einen einzigen Todesfall gab, nämlich einen 53-jährigen Österreicher, der an Herzversagen starb. Dr. Brooks legte später eine umfassende Beschwerde vor, auch in Bezug auf die Brutalität und den Antisemitismus der Besatzung.
Auch eine kleine Gruppe von etwa zwei Dutzend internierten Kommunisten befindet sich an Bord. Nach späteren Erzählungen versuchen diese immer wieder, in den verschiedenen Häfen über einheimische Schauerleute Briefe nach England an die dort verbliebenen Freunde zu schicken, um sie über die katastrophalen Umstände der Internierung an Bord zu informieren. Mit der Zeit breiten sich tatsächlich Nachrichten über den Internierungsskandal aus. Journalisten berichten kritisch über die Zustände auf der Dunera und die Diskriminierung jüdischer Flüchtlinge, und die Bevölkerung in England beginnt, Fragen zu stellen. Vielen Engländern ist nicht klar, weshalb die Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, die zum Teil schon mehrere Jahre in England gelebt haben, so Knall auf Fall zuerst interniert und dann sogar deportiert worden sind. Und warum hat man das ihnen gegebene Versprechen nicht eingehalten, dass ihre Familien nachkommen können? Viele Frauen haben inzwischen ihre Wohnungen aufgegeben und sitzen auf gepackten Koffern in eiligst eingerichteten Lagern, ohne zu wissen, wo sich ihre Söhne oder Männer befinden. Im britischen Parlament löst die widersinnige und unmenschliche Deportation der enemy aliens eine heftige Auseinandersetzung aus, der Abgeordnete Victor Alexander Cazalet verurteilt im August 1940 im Unterhaus die Tragödie auf der Dunera, Premier Winston Churchill spricht plötzlich von einem „zu beklagenden und bedauernswerten Fehler“.
Die Internierten auf der Dunera wissen nichts von diesen Entwicklungen in England. Die Fahrt geht weiter, erscheint weiterhin ohne Ende. Viele Monate ist die Dunera nun schon unterwegs, schreibt Kurt Ende August. In Wirklichkeit sind genau 47 Tage vergangen, als sie am 26. August 1940 die australische Westküste sichten. Am folgenden Morgen legen sie in Freemantle, südlich von Perth an. Die Zollbeamten sind entsetzt, als sie die wenigen noch übriggebliebenen Gepäckstücke sehen, mehr noch über den schlechten Gesundheitszustand der Gefangenen. Die Reise ist jedoch noch nicht zu Ende. Weiter geht es an der Südküste Australiens entlang. Noch eine Woche vergeht. Am 3. September erreichen sie den Hafen von Melbourne. Hier wird ein Teil der Internierten angewiesen, seine Sachen zusammenzupacken – für viele eine ironische Aufforderung, denn sie besitzen nichts mehr. Dann machen sie sich bereit, das Schiff zu verlassen.
Für Kurt und seine Kameraden ist an diesem Tag die lange Reise auf dem Höllenschiff Dunera zu Ende. 56 Tage, fast zwei Monate, hat sie gedauert. Etwa 350 Internierte werden in Melbourne von Bord geschickt, die meisten von ihnen kriegsgefangene Italiener, kriegsgefangene Seeleute und die Überlebenden der Arandora Star. Für je zehn Mann wird ein Rasierapparat verteilt, denn die Männer sehen schrecklich aus. Doch das Rasieren täuscht nicht darüber hinweg, dass die Kriegsgefangenen aschfahl und abgemagert sind, denn fast zwei Monate sind sie kaum an der frischen Luft gewesen. Für die anderen Internierten geht die Reise noch weiter – bis nach Sydney.
Die Freude, endlich wieder festes Land betreten zu dürfen, ist riesengroß. Die Erleichterung, endlich in Australien angekommen zu sein, unbeschreiblich. Der Weg die Gangway hinunter ist wie ein Weg in ein neues Leben. Am Ende der Gangway steht ein freundlicher älterer australischer Wachposten.
„Wie lange werden wir in Australien bleiben müssen?“, fragen ihn die Internierten. „At least ten years“, ist seine Antwort. Zehn Jahre? Die hoffnungsvollen Männer lachen: „Spätestens Ende des Jahres sind wir hier wieder weg!“ Der Wachposten grinst gelassen und wiederholt: „Ten years.“
Was ist das Geheimnis einer großen Liebe? Wie übersteht sie Trennung und Entfernung? Was bedeutet Heimat und wo ist sie, wenn der Krieg eine Heimkehr unmöglich macht? Eine fesselnde Erzählung die einen neuen Blick auf die Geschichte der Deutschen in Afrika wirft und die zeigt, wie eng verflochten die Fäden sind, die die Kriegsgeneration noch immer mit der heutigen verbinden. Erika von Wietersheim erzählt die Geschichte ihrer Eltern.
HÖLLENSCHIFF DUNERA (Kapitel 8, Teil 5/5)
Kurt berichtet weiter: An Bord befand sich auch eine Gruppe von Talmudjuden. Außer ihrem persönlichen Besitz wurden ihnen mit der Zeit auch ihre Meßgewänder, der Talmud und so weiter entwendet, die sie zum Teil aus brennenden Synagogen in Deutschland gerettet hatten. Immer wieder fiel auf, wie gerade die Juden von der Besatzung sehr schlecht und oft brutal behandelt wurden, ohne daß die befehlshabenden Offiziere, Sergeant John O’Neill und Sergeant Scott, eingriffen. Mein Vater hat später oft erzählt, dass er und seine Kameraden aus Südafrika sich von Anfang an gut mir den jüdischen Internierten verstanden, viele Gespräche, meist philosophische, mit ihnen führten und sich mit ihnen solidarisierten, auch wenn einige jüdische Internierte distanziert blieben. Die schlechte Behandlung der Juden empörte alle zutiefst.
Allein die größte Menschlichkeit erwies der einzige Arzt an Bord, Lieutenant A. Brooks. Er hatte für 2500 Internierte nur einen einzigen Assistenten sowie einen Krankensaal mit 100 Betten. Er bekam für seine Tätigkeit keine Unterstützung vom Militär. Es gelang ihm, eine Rutsche einzubauen, die etwas frische Luft in die unteren Luken führte, wo die meisten Juden untergebracht waren. Ferner gelang es ihm, aus der Reihe der Internierten drei Ärzte zu rekrutieren, sowie ein paar Medizinstudenten. Diesen Menschen ist es zu verdanken, daß keine Epidemie an Bord ausbrach und daß es nur einen einzigen Todesfall gab, nämlich einen 53-jährigen Österreicher, der an Herzversagen starb. Dr. Brooks legte später eine umfassende Beschwerde vor, auch in Bezug auf die Brutalität und den Antisemitismus der Besatzung.
Auch eine kleine Gruppe von etwa zwei Dutzend internierten Kommunisten befindet sich an Bord. Nach späteren Erzählungen versuchen diese immer wieder, in den verschiedenen Häfen über einheimische Schauerleute Briefe nach England an die dort verbliebenen Freunde zu schicken, um sie über die katastrophalen Umstände der Internierung an Bord zu informieren. Mit der Zeit breiten sich tatsächlich Nachrichten über den Internierungsskandal aus. Journalisten berichten kritisch über die Zustände auf der Dunera und die Diskriminierung jüdischer Flüchtlinge, und die Bevölkerung in England beginnt, Fragen zu stellen. Vielen Engländern ist nicht klar, weshalb die Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, die zum Teil schon mehrere Jahre in England gelebt haben, so Knall auf Fall zuerst interniert und dann sogar deportiert worden sind. Und warum hat man das ihnen gegebene Versprechen nicht eingehalten, dass ihre Familien nachkommen können? Viele Frauen haben inzwischen ihre Wohnungen aufgegeben und sitzen auf gepackten Koffern in eiligst eingerichteten Lagern, ohne zu wissen, wo sich ihre Söhne oder Männer befinden. Im britischen Parlament löst die widersinnige und unmenschliche Deportation der enemy aliens eine heftige Auseinandersetzung aus, der Abgeordnete Victor Alexander Cazalet verurteilt im August 1940 im Unterhaus die Tragödie auf der Dunera, Premier Winston Churchill spricht plötzlich von einem „zu beklagenden und bedauernswerten Fehler“.
Die Internierten auf der Dunera wissen nichts von diesen Entwicklungen in England. Die Fahrt geht weiter, erscheint weiterhin ohne Ende. Viele Monate ist die Dunera nun schon unterwegs, schreibt Kurt Ende August. In Wirklichkeit sind genau 47 Tage vergangen, als sie am 26. August 1940 die australische Westküste sichten. Am folgenden Morgen legen sie in Freemantle, südlich von Perth an. Die Zollbeamten sind entsetzt, als sie die wenigen noch übriggebliebenen Gepäckstücke sehen, mehr noch über den schlechten Gesundheitszustand der Gefangenen. Die Reise ist jedoch noch nicht zu Ende. Weiter geht es an der Südküste Australiens entlang. Noch eine Woche vergeht. Am 3. September erreichen sie den Hafen von Melbourne. Hier wird ein Teil der Internierten angewiesen, seine Sachen zusammenzupacken – für viele eine ironische Aufforderung, denn sie besitzen nichts mehr. Dann machen sie sich bereit, das Schiff zu verlassen.
Für Kurt und seine Kameraden ist an diesem Tag die lange Reise auf dem Höllenschiff Dunera zu Ende. 56 Tage, fast zwei Monate, hat sie gedauert. Etwa 350 Internierte werden in Melbourne von Bord geschickt, die meisten von ihnen kriegsgefangene Italiener, kriegsgefangene Seeleute und die Überlebenden der Arandora Star. Für je zehn Mann wird ein Rasierapparat verteilt, denn die Männer sehen schrecklich aus. Doch das Rasieren täuscht nicht darüber hinweg, dass die Kriegsgefangenen aschfahl und abgemagert sind, denn fast zwei Monate sind sie kaum an der frischen Luft gewesen. Für die anderen Internierten geht die Reise noch weiter – bis nach Sydney.
Die Freude, endlich wieder festes Land betreten zu dürfen, ist riesengroß. Die Erleichterung, endlich in Australien angekommen zu sein, unbeschreiblich. Der Weg die Gangway hinunter ist wie ein Weg in ein neues Leben. Am Ende der Gangway steht ein freundlicher älterer australischer Wachposten.
„Wie lange werden wir in Australien bleiben müssen?“, fragen ihn die Internierten. „At least ten years“, ist seine Antwort. Zehn Jahre? Die hoffnungsvollen Männer lachen: „Spätestens Ende des Jahres sind wir hier wieder weg!“ Der Wachposten grinst gelassen und wiederholt: „Ten years.“
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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