NUR 24 ZEILEN (29. Folge)
Eine wahre Geschichte über den Krieg, die Liebe und den langen Weg zurück nach Afrika
Geschichte, südliches Afrika, II. Weltkrieg, Internierung, Kurt Falk, Erika von Wietersheim, Gefangenenlager, „nur 24 Zeilen“
Was ist das Geheimnis einer großen Liebe? Wie übersteht sie Trennung und Entfernung? Was bedeutet Heimat und wo ist sie, wenn der Krieg eine Heimkehr unmöglich macht? Eine fesselnde Erzählung die einen neuen Blick auf die Geschichte der Deutschen in Afrika wirft und die zeigt, wie eng verflochten die Fäden sind, die die Kriegsgeneration noch immer mit der heutigen verbinden. Erika von Wietersheim erzählt die Geschichte ihrer Eltern Hildegard und Kurt Falk .
DAS ZWEITE LANGE JAHR (Kapitel 10, Teil 1/4)
In Australien befinden sich inzwischen mehr als 1600 Kriegsgefangene, in Europa führen die Menschen weiterhin Krieg. Hitlers Kriegsführung wird immer aggressiver; skrupellos setzt er Menschen und Kriegsmaterial für seine Ziele ein. Von alldem hört man im Lager auch im Jahr 1941 wenig; wenn von außen Nachrichten über Deutschland ins Lager dringen, werden sie wahrscheinlich als Propaganda abgetan. Nur einmal, im April 1941, erwähnt Kurt in einem Brief, dass er in einer Zeitung den Vormarsch der deutschen Truppen im Balkan verfolgt habe. Wir haben über den Balkanfeldzug in den Zeitungen gelesen, und viele mir bekannte Städte, durch die wir als Jugendgruppe gewandert sind, wurden genannt.
Die Gefangenen schlagen sich mit ihren eigenen Problemen herum: Mit der Post, die unregelmäßig kommt, mit Geldmangel und der Schwierigkeit, sich zu kaufen, was sie für das tägliche Leben brauchen, wie Rasierklingen und Seife. Ab und zu erhalten die Lagerinsassen kleine Bargeldbeträge und verschiedene Artikel für das tägliche Leben von deutschsprachigen Australiern, die sich um die deutschen Gefangenen auf ihrem Kontinent kümmern. Einmal bekommen sie sogar einen Geldbetrag aus Deutschland.
Immer wieder vergehen Wochen, manchmal Monate, bis ein Brief im Lager eintrifft. Aus Deutschland hört Kurt gar nichts mehr. Dennoch schreibt er regelmäßig Briefe nach Hause und nach Südafrika. Mit Fragen, Berichten, Reflexionen, ab und zu auch mit einem Gedicht, versucht er die innere Bindung zu seiner fernen Freundin am Kap lebendig zu halten.
Hildegard arbeitet inzwischen schon über ein Jahr an der deutschen Schule in Kapstadt als Aushilfslehrerin, mit Begeisterung und mit Erfolg. Anfang des Jahres 1941 wird sie gebeten, ein weiteres Jahr an der Schule zu bleiben, denn das Ende des Kriegs ist nicht in Sicht. Ein einziger Brief von ihr ist aus dieser Zeit erhalten, in ihm spürt man, wie jung sie noch ist.
Mein lieber Kurt!
Gestern erhielt ich zu meiner Freude wieder einen Brief von Dir. Leider nur eine Seite, aber lieber erhalte ich nur eine Seite als überhaupt keinen Brief!
Nach den Schulferien habe ich mich wieder an das Arbeitsleben gewöhnen müssen. Was mir schwerfällt, ist morgens die Auftakelei – gutes Kleid, lange seidene Strümpfe. Aber das wird alles abgeworfen, sobald ich nach Hause komme. Dann laufe ich in Shorts und barfuß herum, und als ich es mir heute Nachmittag im Feigenbaum bequem gemacht habe (die Feigen sind jetzt reif und schmecken frisch vom Baum am besten), da habe ich überlegt, ob meine Schüler wohl noch Respekt vor mir hätten, wenn sie mich so überraschten?
Ich bin selber ganz erstaunt, daß ich es fertiggebracht habe, in der Schule so ›gesetzt‹ zu sein. Es ist noch gar nicht lange her, daß ich Räuber und Prinzessin gespielt habe, und auch jetzt noch bin ich das einzige Mädel am Strand, das nicht mit tadellos frisiertem Haar wieder aus dem Wasser herauskommt. Denn wenn ich mich mit den Wellen herumbalge, will ich nicht aufpassen, dass ich ja nicht naß werde. Außerdem ist es mir egal, was die jungen Herren, die am Strand liegen, von mir denken, wenn meine Haare etwas wild aussehen.
Ein halbes Jahr sind die Internierten jetzt im Lager. Einige haben Gemüsebeete angelegt, andere Blumen um die Hütten gepflanzt. Anfang Februar schreibt Kurt Hildegard einen Geburtstagsbrief. Sie wird am 29. März neunzehn Jahre alt.
Meine liebe Hildegard!
Ich kenne Dich jetzt länger als fünf Jahre und seit mehr als zwei Jahren begleite ich Dich bewußt auf Deinem Weg. Ich habe viel Gewinn und Kraft vor allem in letzter Zeit daraus gezogen. Dafür danke ich Dir am heutigen Tage und wünsche Dir und mir für das nächste Jahr ein Zusammentreffen – dieser Wunsch liegt uns beiden tief in der Seele verborgen.
Ohne sie sehen zu können, mit ihr zu sprechen und ihr nahe zu sein, bedeutet Liebe für Kurt dennoch eine tiefe innere Verbundenheit, die er und Hildegard schon bei ihrer ersten Begegnung gespürt haben. Diese über die Entfernung aufrechtzuerhalten ist sein inniger Wunsch. Obwohl ihm die vorgeschriebenen 24 Zeilen enge Grenzen stecken, berichtet er, sooft er darf, über seine Gedanken, Gefühle, aber auch von seinem Alltag, seinen Kameraden. Als Hildegard einmal in einem Brief bedauert, dass sie sich eigentlich noch gar nicht richtig kennengelernt haben, schreibt er:
Es ist zu Beginn viel wichtiger, daß wir uns in Gedanken gut verstehen und die gegenwärtige Trennung als einen Prüfstein unserer Beziehung sehen. Daß ich mich Dir heute viel näher und verwandter fühle als vor 1½ Jahren, ist für mich ein Beweis, daß wir uns in unserer Haltung innerlich verwandt sind. Bis zu unserem Wiedersehen muß jeder von uns beiden seinen eigenen Weg gehen, die Zeit nutzen und sich auf die Zukunft vorbereiten. Alles andere können wir entscheiden, wenn die von uns ersehnte Begegnung stattfindet. Eins steht jedoch bei mir über allem: Deine Hilfe und Deine Treue in meiner heutigen Lage! Sie lassen mich Dir gegenüber so dankbar werden wie kaum einem anderen Menschen gegenüber. Auf der Grundlage dieser Liebe und Dankbarkeit werde ich immer versuchen zu handeln und zu entscheiden. Und wenn es sein soll, ein ganzes Leben lang.
Da Hildegard die Familie Falk überhaupt nicht kennt, berichtet Kurt auch ab und zu über seine Brüder, die Tanten, die geliebte Mutter, von der er seit Monaten nichts mehr gehört hat. Als er Anfang März endlich einen Brief von ihr aus Leipzig erhält, ist die Freude so groß, dass er sofort einen Brief nach Südafrika schreibt. Alle 24 Zeilen des kleinen Briefformats nutzt er aus, um seiner Freundin von seiner Mutter zu erzählen: Ich wünsche mir so sehr, dass Ihr Euch eines Tages kennenlernen werdet.
Am 27. März 1941 wird Kurt dreißig Jahre alt – ein Tag, an dem er auf drei Jahrzehnte zurückblickt: Kindheit, Jugend und Arbeit. Dass er in dieser Zeit nur so kurz im Arbeitsleben gestanden, so wenig geschaffen hat, bedrückt ihn. Umso mehr freut ihn, dass Hildegard die Möglichkeit hat, schon so früh in ihrem Leben berufstätig zu sein, und dabei erfolgreich ist.
Meine liebe Hildegard!
Meinen Geburtstag habe ich wiederum in einem neuen Erdteil gefeiert. Ich bin nun ins 4. Jahrzehnt gekommen, habe die Hälfte meines Lebens hinter mir und so wenig wirklich geschaffen – bis 24 habe ich gelernt und von den letzten sechs Jahren habe ich anderthalb Jahre völlig unproduktiv im Lager gesessen. Du hast in Deinem Alter schon so viel geleistet und gearbeitet, daß ich Dir nur Glück wünschen kann. Ich freue mich so darüber, daß Dir Deine Arbeit gelingt, daß Du hilfst, daß Du Dich einsetzt, daß Du diese für viele so schwere Zeit bewußt erlebst.
Was ist das Geheimnis einer großen Liebe? Wie übersteht sie Trennung und Entfernung? Was bedeutet Heimat und wo ist sie, wenn der Krieg eine Heimkehr unmöglich macht? Eine fesselnde Erzählung die einen neuen Blick auf die Geschichte der Deutschen in Afrika wirft und die zeigt, wie eng verflochten die Fäden sind, die die Kriegsgeneration noch immer mit der heutigen verbinden. Erika von Wietersheim erzählt die Geschichte ihrer Eltern Hildegard und Kurt Falk .
DAS ZWEITE LANGE JAHR (Kapitel 10, Teil 1/4)
In Australien befinden sich inzwischen mehr als 1600 Kriegsgefangene, in Europa führen die Menschen weiterhin Krieg. Hitlers Kriegsführung wird immer aggressiver; skrupellos setzt er Menschen und Kriegsmaterial für seine Ziele ein. Von alldem hört man im Lager auch im Jahr 1941 wenig; wenn von außen Nachrichten über Deutschland ins Lager dringen, werden sie wahrscheinlich als Propaganda abgetan. Nur einmal, im April 1941, erwähnt Kurt in einem Brief, dass er in einer Zeitung den Vormarsch der deutschen Truppen im Balkan verfolgt habe. Wir haben über den Balkanfeldzug in den Zeitungen gelesen, und viele mir bekannte Städte, durch die wir als Jugendgruppe gewandert sind, wurden genannt.
Die Gefangenen schlagen sich mit ihren eigenen Problemen herum: Mit der Post, die unregelmäßig kommt, mit Geldmangel und der Schwierigkeit, sich zu kaufen, was sie für das tägliche Leben brauchen, wie Rasierklingen und Seife. Ab und zu erhalten die Lagerinsassen kleine Bargeldbeträge und verschiedene Artikel für das tägliche Leben von deutschsprachigen Australiern, die sich um die deutschen Gefangenen auf ihrem Kontinent kümmern. Einmal bekommen sie sogar einen Geldbetrag aus Deutschland.
Immer wieder vergehen Wochen, manchmal Monate, bis ein Brief im Lager eintrifft. Aus Deutschland hört Kurt gar nichts mehr. Dennoch schreibt er regelmäßig Briefe nach Hause und nach Südafrika. Mit Fragen, Berichten, Reflexionen, ab und zu auch mit einem Gedicht, versucht er die innere Bindung zu seiner fernen Freundin am Kap lebendig zu halten.
Hildegard arbeitet inzwischen schon über ein Jahr an der deutschen Schule in Kapstadt als Aushilfslehrerin, mit Begeisterung und mit Erfolg. Anfang des Jahres 1941 wird sie gebeten, ein weiteres Jahr an der Schule zu bleiben, denn das Ende des Kriegs ist nicht in Sicht. Ein einziger Brief von ihr ist aus dieser Zeit erhalten, in ihm spürt man, wie jung sie noch ist.
Mein lieber Kurt!
Gestern erhielt ich zu meiner Freude wieder einen Brief von Dir. Leider nur eine Seite, aber lieber erhalte ich nur eine Seite als überhaupt keinen Brief!
Nach den Schulferien habe ich mich wieder an das Arbeitsleben gewöhnen müssen. Was mir schwerfällt, ist morgens die Auftakelei – gutes Kleid, lange seidene Strümpfe. Aber das wird alles abgeworfen, sobald ich nach Hause komme. Dann laufe ich in Shorts und barfuß herum, und als ich es mir heute Nachmittag im Feigenbaum bequem gemacht habe (die Feigen sind jetzt reif und schmecken frisch vom Baum am besten), da habe ich überlegt, ob meine Schüler wohl noch Respekt vor mir hätten, wenn sie mich so überraschten?
Ich bin selber ganz erstaunt, daß ich es fertiggebracht habe, in der Schule so ›gesetzt‹ zu sein. Es ist noch gar nicht lange her, daß ich Räuber und Prinzessin gespielt habe, und auch jetzt noch bin ich das einzige Mädel am Strand, das nicht mit tadellos frisiertem Haar wieder aus dem Wasser herauskommt. Denn wenn ich mich mit den Wellen herumbalge, will ich nicht aufpassen, dass ich ja nicht naß werde. Außerdem ist es mir egal, was die jungen Herren, die am Strand liegen, von mir denken, wenn meine Haare etwas wild aussehen.
Ein halbes Jahr sind die Internierten jetzt im Lager. Einige haben Gemüsebeete angelegt, andere Blumen um die Hütten gepflanzt. Anfang Februar schreibt Kurt Hildegard einen Geburtstagsbrief. Sie wird am 29. März neunzehn Jahre alt.
Meine liebe Hildegard!
Ich kenne Dich jetzt länger als fünf Jahre und seit mehr als zwei Jahren begleite ich Dich bewußt auf Deinem Weg. Ich habe viel Gewinn und Kraft vor allem in letzter Zeit daraus gezogen. Dafür danke ich Dir am heutigen Tage und wünsche Dir und mir für das nächste Jahr ein Zusammentreffen – dieser Wunsch liegt uns beiden tief in der Seele verborgen.
Ohne sie sehen zu können, mit ihr zu sprechen und ihr nahe zu sein, bedeutet Liebe für Kurt dennoch eine tiefe innere Verbundenheit, die er und Hildegard schon bei ihrer ersten Begegnung gespürt haben. Diese über die Entfernung aufrechtzuerhalten ist sein inniger Wunsch. Obwohl ihm die vorgeschriebenen 24 Zeilen enge Grenzen stecken, berichtet er, sooft er darf, über seine Gedanken, Gefühle, aber auch von seinem Alltag, seinen Kameraden. Als Hildegard einmal in einem Brief bedauert, dass sie sich eigentlich noch gar nicht richtig kennengelernt haben, schreibt er:
Es ist zu Beginn viel wichtiger, daß wir uns in Gedanken gut verstehen und die gegenwärtige Trennung als einen Prüfstein unserer Beziehung sehen. Daß ich mich Dir heute viel näher und verwandter fühle als vor 1½ Jahren, ist für mich ein Beweis, daß wir uns in unserer Haltung innerlich verwandt sind. Bis zu unserem Wiedersehen muß jeder von uns beiden seinen eigenen Weg gehen, die Zeit nutzen und sich auf die Zukunft vorbereiten. Alles andere können wir entscheiden, wenn die von uns ersehnte Begegnung stattfindet. Eins steht jedoch bei mir über allem: Deine Hilfe und Deine Treue in meiner heutigen Lage! Sie lassen mich Dir gegenüber so dankbar werden wie kaum einem anderen Menschen gegenüber. Auf der Grundlage dieser Liebe und Dankbarkeit werde ich immer versuchen zu handeln und zu entscheiden. Und wenn es sein soll, ein ganzes Leben lang.
Da Hildegard die Familie Falk überhaupt nicht kennt, berichtet Kurt auch ab und zu über seine Brüder, die Tanten, die geliebte Mutter, von der er seit Monaten nichts mehr gehört hat. Als er Anfang März endlich einen Brief von ihr aus Leipzig erhält, ist die Freude so groß, dass er sofort einen Brief nach Südafrika schreibt. Alle 24 Zeilen des kleinen Briefformats nutzt er aus, um seiner Freundin von seiner Mutter zu erzählen: Ich wünsche mir so sehr, dass Ihr Euch eines Tages kennenlernen werdet.
Am 27. März 1941 wird Kurt dreißig Jahre alt – ein Tag, an dem er auf drei Jahrzehnte zurückblickt: Kindheit, Jugend und Arbeit. Dass er in dieser Zeit nur so kurz im Arbeitsleben gestanden, so wenig geschaffen hat, bedrückt ihn. Umso mehr freut ihn, dass Hildegard die Möglichkeit hat, schon so früh in ihrem Leben berufstätig zu sein, und dabei erfolgreich ist.
Meine liebe Hildegard!
Meinen Geburtstag habe ich wiederum in einem neuen Erdteil gefeiert. Ich bin nun ins 4. Jahrzehnt gekommen, habe die Hälfte meines Lebens hinter mir und so wenig wirklich geschaffen – bis 24 habe ich gelernt und von den letzten sechs Jahren habe ich anderthalb Jahre völlig unproduktiv im Lager gesessen. Du hast in Deinem Alter schon so viel geleistet und gearbeitet, daß ich Dir nur Glück wünschen kann. Ich freue mich so darüber, daß Dir Deine Arbeit gelingt, daß Du hilfst, daß Du Dich einsetzt, daß Du diese für viele so schwere Zeit bewußt erlebst.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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