NUR 24 ZEILEN (34. Folge)
Eine wahre Geschichte über den Krieg, die Liebe und den langen Weg zurück nach Afrika
STILLSTAND UND AUFBRUCH (Kapitel 11, Teil 2/3)
Eines Tages kommen ein paar Neue ins Lager – es ist ein Ereignis, man wird aus dem Einerlei herausgerissen, neue Gesichter, neue Nachrichten, neue Geschichten, aber auch das geht vorüber, die Neuen gewöhnen sich an das geordnete Lagerleben und marschieren mit, und schon bald merkt niemand mehr, dass sich in der Besetzung etwas geändert hat.
Dann müssen sie schon wieder umziehen. Das Lager Murchison, auch in Victoria, am Warangasee gelegen, ist ihr sechstes Lager und eines der größten Internierungslager in Australien mit jeweils 1000 Internierten in vier Compounds. Kurt wohnt im C-Compound, in dem hauptsächlich deutsche Internierte untergebracht sind. Es scheint keine großen Unterschiede zum vorigen Lager zu geben. Er schreibt nur: In unserem neuen Lager spielen wir auch Tennis, und wir haben jetzt auch Turngeräte. Es wird jetzt viel Theater gespielt, Chor und Orchester genießen hohes Ansehen, und ich habe wieder angefangen, Ziehharmonika zu spielen.
Im Lager hat Kurt reichlich Zeit, um immer wieder über seine Fernbeziehung zu Hildegard nachzudenken. Für ihn ist, trotz der langen räumlichen Trennung, die Beziehung inniger und fester geworden. Aber gilt das auch für sie? Sie ist jung, frei, an der Universität und in einem Alter, in dem sie neue Erfahrungen macht, neue Menschen kennenlernt, sich verändert, sich weiterentwickelt – Studium, Studentenheim, Reisen gehören jetzt zu ihrem Leben, sie erlebt Dinge, die er schwer nachvollziehen kann, lernt Menschen kennen, die ihm nicht nur persönlich, sondern auch in ihrer Mentalität fremd sind. Die ersten Zweifel kommen in ihm auf, ob ihre Liebe, ihre Beziehung diese Situation aushalten kann. Ganz bewusst teilt er seine Gedanken und Zweifel seiner Geliebten mit. Denn ihm ist es wichtig, dass jeder von ihnen, aber besonders Hildegard, frei bleibt, sich zu verändern, sich weiterzuentwickeln und eigene Entscheidungen für ihr Leben zu treffen. Ihre Beziehung soll nicht auf einer Verpflichtung, sondern auf Liebe und Zuneigung gründen:
In den 2½ Jahren, die ich von Südafrika fort bin, hat sich in meinem Verhältnis zu Dir nichts geändert, die Bindungen zu Dir sind nur noch fester und enger geworden. Aber ich vergesse dabei nicht, daß Du seit unserem Abschied viel mehr als ich erlebt haben wirst. Du stehst in der Arbeit und zwischen Menschen, mit denen Du lebst und zusammen tätig bist. Wir dagegen sind in unserer Entwicklung durch völlige Abschließung von außen nicht viel weitergekommen, und es könnte der Fall eingetreten sein, daß wir beide durch zu lange und zu weite räumliche Entfernung uns verschieden entwickelt haben. Das ist gut so, und es würde mich freuen. Aber ich möchte Dir offen schreiben, daß Du zu dieser Entwicklung ja sagen sollst. Gerade, weil ich Dich liebe, bitte ich Dich, frei zu handeln und aus eigener Entscheidung Dich zu entschließen, wenn es notwendig sein sollte. Wenn Du mir über die lange Zeit der Trennung jedoch erhalten bleiben solltest, dann würde ich dies als das größte Geschenk meines Lebens ansehen. Ich bin froh, dass ich Dir dies schreiben kann, weil ich immer Klarheit zwischen uns haben möchte. So soll uns in erster Linie keine Verpflichtung binden, sondern herzliche Zuneigung und Liebe.
Kurt ist überzeugt davon, dass man mit Menschen, die man liebt, auch über weite Entfernungen in einem lebendigen gedanklichen Austausch bleiben kann, und diese Überzeugung bildet eine Grundlage seiner Lebenskraft. Ich glaube nicht nur an solche Dinge, schreibt er, sondern ich habe schon mein ganzes Leben hindurch das Bewußtsein einmal stärker, einmal schwächer gehabt, daß Freunde und Vertraute, wie meine Mutter und Brüder, mich in ihrem Bewußtsein haben und an mich denken, mir das Beste wünschen und damit in mir ein Gefühl der Geborgenheit schaffen, das man manches Mal im Lager so notwendig braucht.
Anfang September sind genau drei Jahre vergangen, seitdem Kurt Südafrika verlassen hat und die beiden Liebenden zum letzten Mal miteinander gesprochen haben. Fast wie durch ein Wunder haben bisher die Briefe, auch wenn sie oft wochenlang auf dem Ozean unterwegs waren, Zeit und Raum überwunden; auch wenn sich beide immer weniger vorstellen können, wie eine gemeinsame Zukunft konkret aussehen kann. Doch die Hoffnung, dieses Unkraut, das nicht vergeht, überbrückt lange, ja unendliche Zeiten.
Hildegards Briefe, in denen sie sehr konkret über ihr Leben als Studentin schreibt, vermögen es, die Beziehung nicht nur aus der Vergangenheit lebendig zu erhalten, sondern in die Gegenwart zu retten.
Wieder habe ich über Deinen Briefen gesessen und nacherlebt, was Du mir zu schreiben wußtest von Dir und Deiner Umgebung – von den frischen bunten Blumen, die immer in Deinem Zimmer stehen, von Deinen Erlebnissen an der Universität. Das bringt Dich mir nahe, und so ist es plötzlich die Gegenwart, nicht die Zeit vor drei Jahren, die unser Verhältnis neu formt und gestaltet. Die Zeit wird immer wieder von Dir in Deinen Briefen überwunden und Du wirst mir immer wieder aufs Neue geschenkt.
Ahnungslos von den Geschehnissen in Europa schreibt er:
Ich sehe in diesem Zusammenhang zwei Dinge: Wir auf der anderen Seite der Erdkugel gehen einem ungewissen Schicksal entgegen, unser Weg ist völlig ungewiß und unklar. Doch Deutschland geht sicher seinen Weg.
Eines Tages kommen ein paar Neue ins Lager – es ist ein Ereignis, man wird aus dem Einerlei herausgerissen, neue Gesichter, neue Nachrichten, neue Geschichten, aber auch das geht vorüber, die Neuen gewöhnen sich an das geordnete Lagerleben und marschieren mit, und schon bald merkt niemand mehr, dass sich in der Besetzung etwas geändert hat.
Dann müssen sie schon wieder umziehen. Das Lager Murchison, auch in Victoria, am Warangasee gelegen, ist ihr sechstes Lager und eines der größten Internierungslager in Australien mit jeweils 1000 Internierten in vier Compounds. Kurt wohnt im C-Compound, in dem hauptsächlich deutsche Internierte untergebracht sind. Es scheint keine großen Unterschiede zum vorigen Lager zu geben. Er schreibt nur: In unserem neuen Lager spielen wir auch Tennis, und wir haben jetzt auch Turngeräte. Es wird jetzt viel Theater gespielt, Chor und Orchester genießen hohes Ansehen, und ich habe wieder angefangen, Ziehharmonika zu spielen.
Im Lager hat Kurt reichlich Zeit, um immer wieder über seine Fernbeziehung zu Hildegard nachzudenken. Für ihn ist, trotz der langen räumlichen Trennung, die Beziehung inniger und fester geworden. Aber gilt das auch für sie? Sie ist jung, frei, an der Universität und in einem Alter, in dem sie neue Erfahrungen macht, neue Menschen kennenlernt, sich verändert, sich weiterentwickelt – Studium, Studentenheim, Reisen gehören jetzt zu ihrem Leben, sie erlebt Dinge, die er schwer nachvollziehen kann, lernt Menschen kennen, die ihm nicht nur persönlich, sondern auch in ihrer Mentalität fremd sind. Die ersten Zweifel kommen in ihm auf, ob ihre Liebe, ihre Beziehung diese Situation aushalten kann. Ganz bewusst teilt er seine Gedanken und Zweifel seiner Geliebten mit. Denn ihm ist es wichtig, dass jeder von ihnen, aber besonders Hildegard, frei bleibt, sich zu verändern, sich weiterzuentwickeln und eigene Entscheidungen für ihr Leben zu treffen. Ihre Beziehung soll nicht auf einer Verpflichtung, sondern auf Liebe und Zuneigung gründen:
In den 2½ Jahren, die ich von Südafrika fort bin, hat sich in meinem Verhältnis zu Dir nichts geändert, die Bindungen zu Dir sind nur noch fester und enger geworden. Aber ich vergesse dabei nicht, daß Du seit unserem Abschied viel mehr als ich erlebt haben wirst. Du stehst in der Arbeit und zwischen Menschen, mit denen Du lebst und zusammen tätig bist. Wir dagegen sind in unserer Entwicklung durch völlige Abschließung von außen nicht viel weitergekommen, und es könnte der Fall eingetreten sein, daß wir beide durch zu lange und zu weite räumliche Entfernung uns verschieden entwickelt haben. Das ist gut so, und es würde mich freuen. Aber ich möchte Dir offen schreiben, daß Du zu dieser Entwicklung ja sagen sollst. Gerade, weil ich Dich liebe, bitte ich Dich, frei zu handeln und aus eigener Entscheidung Dich zu entschließen, wenn es notwendig sein sollte. Wenn Du mir über die lange Zeit der Trennung jedoch erhalten bleiben solltest, dann würde ich dies als das größte Geschenk meines Lebens ansehen. Ich bin froh, dass ich Dir dies schreiben kann, weil ich immer Klarheit zwischen uns haben möchte. So soll uns in erster Linie keine Verpflichtung binden, sondern herzliche Zuneigung und Liebe.
Kurt ist überzeugt davon, dass man mit Menschen, die man liebt, auch über weite Entfernungen in einem lebendigen gedanklichen Austausch bleiben kann, und diese Überzeugung bildet eine Grundlage seiner Lebenskraft. Ich glaube nicht nur an solche Dinge, schreibt er, sondern ich habe schon mein ganzes Leben hindurch das Bewußtsein einmal stärker, einmal schwächer gehabt, daß Freunde und Vertraute, wie meine Mutter und Brüder, mich in ihrem Bewußtsein haben und an mich denken, mir das Beste wünschen und damit in mir ein Gefühl der Geborgenheit schaffen, das man manches Mal im Lager so notwendig braucht.
Anfang September sind genau drei Jahre vergangen, seitdem Kurt Südafrika verlassen hat und die beiden Liebenden zum letzten Mal miteinander gesprochen haben. Fast wie durch ein Wunder haben bisher die Briefe, auch wenn sie oft wochenlang auf dem Ozean unterwegs waren, Zeit und Raum überwunden; auch wenn sich beide immer weniger vorstellen können, wie eine gemeinsame Zukunft konkret aussehen kann. Doch die Hoffnung, dieses Unkraut, das nicht vergeht, überbrückt lange, ja unendliche Zeiten.
Hildegards Briefe, in denen sie sehr konkret über ihr Leben als Studentin schreibt, vermögen es, die Beziehung nicht nur aus der Vergangenheit lebendig zu erhalten, sondern in die Gegenwart zu retten.
Wieder habe ich über Deinen Briefen gesessen und nacherlebt, was Du mir zu schreiben wußtest von Dir und Deiner Umgebung – von den frischen bunten Blumen, die immer in Deinem Zimmer stehen, von Deinen Erlebnissen an der Universität. Das bringt Dich mir nahe, und so ist es plötzlich die Gegenwart, nicht die Zeit vor drei Jahren, die unser Verhältnis neu formt und gestaltet. Die Zeit wird immer wieder von Dir in Deinen Briefen überwunden und Du wirst mir immer wieder aufs Neue geschenkt.
Ahnungslos von den Geschehnissen in Europa schreibt er:
Ich sehe in diesem Zusammenhang zwei Dinge: Wir auf der anderen Seite der Erdkugel gehen einem ungewissen Schicksal entgegen, unser Weg ist völlig ungewiß und unklar. Doch Deutschland geht sicher seinen Weg.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen