NUR 24 ZEILEN (35. Folge)
Eine wahre Geschichte über den Krieg, die Liebe und den langen Weg zurück nach Afrika
STILLSTAND UND AUFBRUCH (Kapitel 11, Teil 3/3)
Ob Kurt ahnt oder in irgendeiner Form erfährt, auf welche Weise Deutschland tatsächlich seinen Weg geht? Ob er weiß, dass Anfang dieses Jahres in einer Berliner Villa am Großen Wannsee die später berüchtigte Wannseekonferenz stattgefunden hat, bei der über die Durchführung der „Endlösung der Judenfrage“ beraten wurde? Ob er weiß, dass Ende März Lübeck als erste deutsche Großstadt von der britischen Royal Air Force bombardiert und im April auch Rostock zum großen Teil zerstört worden ist? Dass auch Luftangriffe der Amerikaner auf deutsche Städte begonnen haben? Ob er weiß, dass der erfolgreiche Generalfeldmarschall Erwin Rommel mit seinem Afrikakorps von Feldmarschall Bernard Montgomery zum Rückzug gezwungen wurde, nachdem mehr als 100000 Soldaten allein während dieses Afrikafeldzugs gefallen sind?
Kurt schreibt im Oktober: In diesem Lager ist an sich alles in Ordnung. Von zu Hause habe ich gute Nachrichten. Doch das Jahr endet in einer Stimmung der zunehmenden Hoffnungslosigkeit unter den internierten Männern. Ein viertes Jahr hinter Stacheldraht liegt vor ihnen. Im vergangenen Jahr hatten sie einmal für kurze Zeit gehofft, dass man sie als Kriegsgefangene austauschen würde, so wie es mit deutschen Internierten in Südafrika geschehen war, denn auch in ihrem Lager war man mit Fragebögen an die Internierten wegen einer möglichen Rückführung nach Deutschland herangetreten. Aber daraus ist nichts geworden.
Das Planen und Gestalten der Zukunft, früher die Triebfeder unseres Tuns und Handelns, ist für uns schon lange weggefallen, schreibt er. Wir leben nur noch in der Gegenwart, und man muß aufpassen, daß man nicht völlig gleichgültig allem Zukünftigen gegenübersteht. Abends im Bett freue ich mich, daß ich den Tag hinter mich gebracht habe, und ich schlafe mit dem glückseligen Gedanken ein, daß ich nun 10 Stunden der Gegenwart und Umgebung entrissen bin. Jeder von uns muß aufpassen, daß er sich nicht gehenläßt, weil wir gereizt und nervös geworden sind und jeder seine Kameraden mit seinen guten und schlechten Seiten genau kennt. Diese völlige innere Freiheit und Losgelöstheit von Zeit, Zukunft und Zeiträumen haben wir diesen Jahren der Gefangenschaft zu verdanken.
In Stellenbosch wird Hildegard vom Krieg kaum beeinträchtigt, aber es geht ihr nicht immer gut. Sie steht treu zu Kurt, aber die beiden sind jetzt schon seit Jahren getrennt, seine Briefe erhält sie in Abständen von Monaten und eine gemeinsame Zukunft wird immer ungewisser. Um sie herum verlieben sich Freunde und Freundinnen, einige verloben sich, schmieden unbeschwert von Krieg und Not Zukunftspläne, während Hildegard in Kurts Briefen die ganze Schwere, Trauer und die Ungewissheiten des Kriegs miterlebt. Sie fühlt sich zunehmend einsam und isoliert. Und manchmal schleicht sich sogar ein wenig Bitterkeit und Missgunst in ihr Herz, wenn sie andere glücklich sieht: Manchmal habe ich es anderen nicht gegönnt, wenn sie sich so freuten.
Zum Glück trifft irgendwann wieder ein Brief aus Australien ein, und einige Wochen lang geht es ihr besser. Zum Geburtstag erhält sie sogar endlich den selbstgeknüpften Gürtel, den Kurt schon im Bauch eines Tintenfisches gesehen hat. Du hast mir damit eine riesengroße Freude gemacht, schreibt sie, und Du kannst mir glauben, daß ich ihn viel tragen werde, weil er so schön ist und weil ich ihn von Dir habe.
Am 27. Dezember 1942 schreibt sie einen Antwortbrief, einen der wenigen, die erhalten sind. Darin sinniert auch sie über das Kriegsende und den Sinn des Kriegs, den sie zunehmend kritisch sieht. Vorsichtig teilt sie dies Kurt mit. Ihr ist klar, dass sie beide diesen Weltkrieg nur am Rand erleben und dass sie dankbar sein können, von seinen brutalen Auswirkungen verschont zu bleiben. Dennoch erlebt sie einige Dinge als schmerzhaft. Sie beobachtet, wie ältere und junge Frauen regelmäßig zu den Internierungslagern in Südafrika fahren und dort Verlobte, Söhne und Ehemänner besuchen, etwas, das ihr aufgrund von Kurts Flucht versagt ist. Gleichzeitig beobachtet sie weiterhin, wie Freunde sich verloben und heiraten, während sie jetzt schon über drei Jahre lang von ihrem Liebsten getrennt ist, ohne Hoffnung auf ein Ende des Wartens.
Mein lieber Kurt!
Obwohl wir nun schon so lange Krieg haben, stellen wir die Frage, ob das kommende Jahr uns den Frieden bringt, nicht mehr mit solcher Ungeduld wie zu Anfang. Vielleicht haben wir uns an den Zustand gewöhnt, vielleicht sind wir zu der Erkenntnis gekommen, daß wir kein Recht haben, diese Frage zu stellen, denn für uns bedeutet der Krieg bisher lediglich, daß wir auf ein paar Lebensmittel verzichten müssen.
Wenn ich in mein Inneres schaue, komme ich immer wieder zu einer Erkenntnis, vor der ich zurückschrecke und doch nicht anders kann – daß ich nicht mehr so empfinde wie früher, daß ich den Krieg mit seinem Elend, dem Schmerz und Leid, das er mit sich bringt, jetzt kalt und herzlos beurteile und ich ihn ganz und gar ablehne. Ich war selber darüber erschrocken.
In Stellenbosch leben wir sorglos in den Tag hinein, nehmen alles, wie es kommt, man wird im allgemeinen Strom mitgerissen, kommt gar nicht dazu, einmal still in sich Einkehr zu halten – und im Großen und Ganzen ist alles recht oberflächlich. Das ist mir eigentlich erst in den letzten Tagen zu Bewußtsein gekommen.
Hier fahren mehrere Frauen nach Pretoria, um ihre Männer im Interniertenlager zu besuchen. Wie gern würde ich zu Dir fahren, um Dich mal wiederzusehen! Und Ralph Bellstedt und auch Ernst Tauber haben sich verlobt.
Ob Kurt ahnt oder in irgendeiner Form erfährt, auf welche Weise Deutschland tatsächlich seinen Weg geht? Ob er weiß, dass Anfang dieses Jahres in einer Berliner Villa am Großen Wannsee die später berüchtigte Wannseekonferenz stattgefunden hat, bei der über die Durchführung der „Endlösung der Judenfrage“ beraten wurde? Ob er weiß, dass Ende März Lübeck als erste deutsche Großstadt von der britischen Royal Air Force bombardiert und im April auch Rostock zum großen Teil zerstört worden ist? Dass auch Luftangriffe der Amerikaner auf deutsche Städte begonnen haben? Ob er weiß, dass der erfolgreiche Generalfeldmarschall Erwin Rommel mit seinem Afrikakorps von Feldmarschall Bernard Montgomery zum Rückzug gezwungen wurde, nachdem mehr als 100000 Soldaten allein während dieses Afrikafeldzugs gefallen sind?
Kurt schreibt im Oktober: In diesem Lager ist an sich alles in Ordnung. Von zu Hause habe ich gute Nachrichten. Doch das Jahr endet in einer Stimmung der zunehmenden Hoffnungslosigkeit unter den internierten Männern. Ein viertes Jahr hinter Stacheldraht liegt vor ihnen. Im vergangenen Jahr hatten sie einmal für kurze Zeit gehofft, dass man sie als Kriegsgefangene austauschen würde, so wie es mit deutschen Internierten in Südafrika geschehen war, denn auch in ihrem Lager war man mit Fragebögen an die Internierten wegen einer möglichen Rückführung nach Deutschland herangetreten. Aber daraus ist nichts geworden.
Das Planen und Gestalten der Zukunft, früher die Triebfeder unseres Tuns und Handelns, ist für uns schon lange weggefallen, schreibt er. Wir leben nur noch in der Gegenwart, und man muß aufpassen, daß man nicht völlig gleichgültig allem Zukünftigen gegenübersteht. Abends im Bett freue ich mich, daß ich den Tag hinter mich gebracht habe, und ich schlafe mit dem glückseligen Gedanken ein, daß ich nun 10 Stunden der Gegenwart und Umgebung entrissen bin. Jeder von uns muß aufpassen, daß er sich nicht gehenläßt, weil wir gereizt und nervös geworden sind und jeder seine Kameraden mit seinen guten und schlechten Seiten genau kennt. Diese völlige innere Freiheit und Losgelöstheit von Zeit, Zukunft und Zeiträumen haben wir diesen Jahren der Gefangenschaft zu verdanken.
In Stellenbosch wird Hildegard vom Krieg kaum beeinträchtigt, aber es geht ihr nicht immer gut. Sie steht treu zu Kurt, aber die beiden sind jetzt schon seit Jahren getrennt, seine Briefe erhält sie in Abständen von Monaten und eine gemeinsame Zukunft wird immer ungewisser. Um sie herum verlieben sich Freunde und Freundinnen, einige verloben sich, schmieden unbeschwert von Krieg und Not Zukunftspläne, während Hildegard in Kurts Briefen die ganze Schwere, Trauer und die Ungewissheiten des Kriegs miterlebt. Sie fühlt sich zunehmend einsam und isoliert. Und manchmal schleicht sich sogar ein wenig Bitterkeit und Missgunst in ihr Herz, wenn sie andere glücklich sieht: Manchmal habe ich es anderen nicht gegönnt, wenn sie sich so freuten.
Zum Glück trifft irgendwann wieder ein Brief aus Australien ein, und einige Wochen lang geht es ihr besser. Zum Geburtstag erhält sie sogar endlich den selbstgeknüpften Gürtel, den Kurt schon im Bauch eines Tintenfisches gesehen hat. Du hast mir damit eine riesengroße Freude gemacht, schreibt sie, und Du kannst mir glauben, daß ich ihn viel tragen werde, weil er so schön ist und weil ich ihn von Dir habe.
Am 27. Dezember 1942 schreibt sie einen Antwortbrief, einen der wenigen, die erhalten sind. Darin sinniert auch sie über das Kriegsende und den Sinn des Kriegs, den sie zunehmend kritisch sieht. Vorsichtig teilt sie dies Kurt mit. Ihr ist klar, dass sie beide diesen Weltkrieg nur am Rand erleben und dass sie dankbar sein können, von seinen brutalen Auswirkungen verschont zu bleiben. Dennoch erlebt sie einige Dinge als schmerzhaft. Sie beobachtet, wie ältere und junge Frauen regelmäßig zu den Internierungslagern in Südafrika fahren und dort Verlobte, Söhne und Ehemänner besuchen, etwas, das ihr aufgrund von Kurts Flucht versagt ist. Gleichzeitig beobachtet sie weiterhin, wie Freunde sich verloben und heiraten, während sie jetzt schon über drei Jahre lang von ihrem Liebsten getrennt ist, ohne Hoffnung auf ein Ende des Wartens.
Mein lieber Kurt!
Obwohl wir nun schon so lange Krieg haben, stellen wir die Frage, ob das kommende Jahr uns den Frieden bringt, nicht mehr mit solcher Ungeduld wie zu Anfang. Vielleicht haben wir uns an den Zustand gewöhnt, vielleicht sind wir zu der Erkenntnis gekommen, daß wir kein Recht haben, diese Frage zu stellen, denn für uns bedeutet der Krieg bisher lediglich, daß wir auf ein paar Lebensmittel verzichten müssen.
Wenn ich in mein Inneres schaue, komme ich immer wieder zu einer Erkenntnis, vor der ich zurückschrecke und doch nicht anders kann – daß ich nicht mehr so empfinde wie früher, daß ich den Krieg mit seinem Elend, dem Schmerz und Leid, das er mit sich bringt, jetzt kalt und herzlos beurteile und ich ihn ganz und gar ablehne. Ich war selber darüber erschrocken.
In Stellenbosch leben wir sorglos in den Tag hinein, nehmen alles, wie es kommt, man wird im allgemeinen Strom mitgerissen, kommt gar nicht dazu, einmal still in sich Einkehr zu halten – und im Großen und Ganzen ist alles recht oberflächlich. Das ist mir eigentlich erst in den letzten Tagen zu Bewußtsein gekommen.
Hier fahren mehrere Frauen nach Pretoria, um ihre Männer im Interniertenlager zu besuchen. Wie gern würde ich zu Dir fahren, um Dich mal wiederzusehen! Und Ralph Bellstedt und auch Ernst Tauber haben sich verlobt.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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