NUR 24 ZEILEN (36. Folge)
Eine wahre Geschichte über den Krieg, die Liebe und den langen Weg zurück nach Afrika
LAGERLEBEN (Kapitel 12, Teil 1/3)
Das vierte Jahr in Gefangenschaft beginnt; es ist das dritte Jahr in Australien. Immer schmerzlicher wird Kurt bewusst, wie unterschiedlich Hildegard und er ihre Leben führen; sie ist frei, beweglich, lässt sich vom Strom treiben, schwimmt mal oben, mal unten – er kann an ihren Erlebnissen nur durch die Briefe teilhaben. Um ihr wenigstens im Geist nah zu bleiben, beschäftigt er sich weiterhin mit der afrikaansen Kultur. Aber richtig anfreunden kann er sich immer noch nicht mit ihrer Literatur – den Afrikaanern fehlen noch ihre Dichter und Denker, schreibt er.
Der Krieg in Europa spitzt sich zu, die Schiffe zwischen Südafrika und Australien fahren noch seltener, die Briefe brauchen weiterhin Monate, um von einem Kontinent zum anderen zu gelangen. Und dennoch halten die Zeilen aus Stellenbosch Kurt aufrecht und hoffnungsvoll. Die immer länger sich dahinziehende Zeit des Getrenntseins hat seine Liebe nicht verringert, im Gegenteil, sie ist stärker geworden, weil sie sich in schwierigsten Zeiten bewährt hat. Seine einzige Angst ist, dass das Lagerleben ihn zu stark verändert, dass er eines Tages nicht mehr derselbe Mann sein wird, den Hildegard seit der Zeit des Abschieds in Erinnerung behalten hat. Er trifft daher später im Jahr eine wichtige Entscheidung. Im Februar schreibt er:
Aus Deinen Briefen und Worten spürt man immer wieder den Rhythmus und Wechsel des freien Lebens. Dieser ist uns verlorengegangen, wir vermissen ihn seit Jahren. Durch Deine lebendigen Briefe nehme ich aber an Deinem Leben teil und kann mich mit Dir für ein paar Augenblicke an Dingen freuen, wenn auch immer ein paar Monate später. Dann bist Du mir manchmal so nahe, so gegenwärtig, daß ich das Gefühl habe, daß Du im gleichen Augenblick mit Deinen Gedanken in Australien bist. Daß ich immer wieder diese bindende Kraft spüre, bedeutet für mich sehr viel und hilft mir immer wieder von neuem, die Zukunft nicht zu vergessen, zu glauben, zu hoffen und mich zu freuen.
Am 26. Februar 1943 schreibt Hildegard aus Kapstadt einen sehr tröstlichen Brief, auch wenn es weiterhin Verlobungen und Hochzeiten in ihrem Freundeskreis gibt. Für die letzte Verlobungsfeier hat sie sich ein hellgrünes Leinenkleid genäht. Dazu trägt sie den geknüpften Gürtel aus Australien, der von allen bewundert wird. Dein letzter Brief, schreibt sie, den ich vor einigen Tagen erhalten habe, klang so schwer, und es tut mir bitter weh, daß ich Dir gar nicht, aber auch gar nicht helfen kann. Ich wollte, ich könnte einmal ganz schnell zu Dir kommen, dann wäre ein Weilchen alles gut. Aber so kann ich Dir nur schreiben: halte den Kopf hoch, auch das Interniertsein wird einmal ein Ende haben. Daß Du überhaupt einmal den Kopf hängenlassen würdest, habe ich mir gar nicht vorstellen können. Du warst immer so stark und zielbewußt, zu Dir habe ich Vertrauen und in Dir finde ich einen Halt wie bei keinem anderen Menschen, es macht gar nichts, daß Du so weit weg bist. – Auch für mich wird es immer schwerer, in die Zukunft zu schauen, da man keine Richtschnur mehr hat, und doch, Kurt, ich tue es oft und gern, es hilft mir über die Gegenwart hinweg. In Südafrika ist man zwar weiterhin nicht direkt von den Zerstörungen des Kriegs betroffen, aber gegenwärtig ist er doch. Zum Beispiel werden jetzt regelmäßig Verdunkelungsmaßnahmen angeordnet. Da während des Kriegs ab und zu deutsche Schiffe und U-Boote um das Kap der Guten Hoffnung fahren, sollen die südafrikanischen Städte gegen mögliche Angriffe geschützt werden. Hildegards jüngste Schwester Ursula beschreibt die Situation in Kapstadt:
„Keine Straßenlampe durfte brennen, und vor allen Fenstern mußten schwarze Gardinen angebracht werden, damit kein Lichtschein durchdrang. Die Regierung war sehr streng, was die Einhaltung dieser Vorsichtsmaßnahme betraf, und schickte regelmäßig Kontrolleure durch die Stadt.“ Da die Mereisens eine deutsche Familie waren, wurden sie besonders streng bewacht. „Es wurden auch regelmäßig Übungen abgehalten, die Sirenen heulten, und alle mußten sich in Kellern oder anderen zugewiesenen Orten verstecken, bis die ALL-CLEAR Sirene ertönte.
Es kam auch vor, dass deutsche Schiffe in der Tafelbucht versenkt wurden. Eines dieser Schiffe war die ‚Watussie‘. Auf diesem Schiff befand sich auch eine große Anzahl Frauen und Kinder, die eine Zeitlang in Kapstadt untergebracht werden mussten. Auch hier übernahm unsere Mutter die Verantwortung für ihr Wohlergehen. Kurz nach ihrer Landung in Kapstadt gebar eine der Frauen ein Kind, ein Mädchen, das Watussie genannt wurde.
In der Adderley Straße vor dem Hauptpostamt wurde eine Geldsammelstelle aufgebaut mit einem Bild von Hitler und Chamberlain. Jedes Mal, wenn jemand Geld einwarf, schlug Chamberlain Hitler auf den Kopf. Eines Abends steckt eine der deutschen Frauen, die auf der ‚Watussie‘ waren, das Ding in Brand. Sie wurde verhaftet, und Erna Mereis mußte schlichten und die Frau aus den Schwierigkeiten holen. Sie hätte das Ding nur aus Spaß angesteckt, meinte sie, und da viele Polizisten deutschfreundlich waren, ging es noch einmal gut.“
Das vierte Jahr in Gefangenschaft beginnt; es ist das dritte Jahr in Australien. Immer schmerzlicher wird Kurt bewusst, wie unterschiedlich Hildegard und er ihre Leben führen; sie ist frei, beweglich, lässt sich vom Strom treiben, schwimmt mal oben, mal unten – er kann an ihren Erlebnissen nur durch die Briefe teilhaben. Um ihr wenigstens im Geist nah zu bleiben, beschäftigt er sich weiterhin mit der afrikaansen Kultur. Aber richtig anfreunden kann er sich immer noch nicht mit ihrer Literatur – den Afrikaanern fehlen noch ihre Dichter und Denker, schreibt er.
Der Krieg in Europa spitzt sich zu, die Schiffe zwischen Südafrika und Australien fahren noch seltener, die Briefe brauchen weiterhin Monate, um von einem Kontinent zum anderen zu gelangen. Und dennoch halten die Zeilen aus Stellenbosch Kurt aufrecht und hoffnungsvoll. Die immer länger sich dahinziehende Zeit des Getrenntseins hat seine Liebe nicht verringert, im Gegenteil, sie ist stärker geworden, weil sie sich in schwierigsten Zeiten bewährt hat. Seine einzige Angst ist, dass das Lagerleben ihn zu stark verändert, dass er eines Tages nicht mehr derselbe Mann sein wird, den Hildegard seit der Zeit des Abschieds in Erinnerung behalten hat. Er trifft daher später im Jahr eine wichtige Entscheidung. Im Februar schreibt er:
Aus Deinen Briefen und Worten spürt man immer wieder den Rhythmus und Wechsel des freien Lebens. Dieser ist uns verlorengegangen, wir vermissen ihn seit Jahren. Durch Deine lebendigen Briefe nehme ich aber an Deinem Leben teil und kann mich mit Dir für ein paar Augenblicke an Dingen freuen, wenn auch immer ein paar Monate später. Dann bist Du mir manchmal so nahe, so gegenwärtig, daß ich das Gefühl habe, daß Du im gleichen Augenblick mit Deinen Gedanken in Australien bist. Daß ich immer wieder diese bindende Kraft spüre, bedeutet für mich sehr viel und hilft mir immer wieder von neuem, die Zukunft nicht zu vergessen, zu glauben, zu hoffen und mich zu freuen.
Am 26. Februar 1943 schreibt Hildegard aus Kapstadt einen sehr tröstlichen Brief, auch wenn es weiterhin Verlobungen und Hochzeiten in ihrem Freundeskreis gibt. Für die letzte Verlobungsfeier hat sie sich ein hellgrünes Leinenkleid genäht. Dazu trägt sie den geknüpften Gürtel aus Australien, der von allen bewundert wird. Dein letzter Brief, schreibt sie, den ich vor einigen Tagen erhalten habe, klang so schwer, und es tut mir bitter weh, daß ich Dir gar nicht, aber auch gar nicht helfen kann. Ich wollte, ich könnte einmal ganz schnell zu Dir kommen, dann wäre ein Weilchen alles gut. Aber so kann ich Dir nur schreiben: halte den Kopf hoch, auch das Interniertsein wird einmal ein Ende haben. Daß Du überhaupt einmal den Kopf hängenlassen würdest, habe ich mir gar nicht vorstellen können. Du warst immer so stark und zielbewußt, zu Dir habe ich Vertrauen und in Dir finde ich einen Halt wie bei keinem anderen Menschen, es macht gar nichts, daß Du so weit weg bist. – Auch für mich wird es immer schwerer, in die Zukunft zu schauen, da man keine Richtschnur mehr hat, und doch, Kurt, ich tue es oft und gern, es hilft mir über die Gegenwart hinweg. In Südafrika ist man zwar weiterhin nicht direkt von den Zerstörungen des Kriegs betroffen, aber gegenwärtig ist er doch. Zum Beispiel werden jetzt regelmäßig Verdunkelungsmaßnahmen angeordnet. Da während des Kriegs ab und zu deutsche Schiffe und U-Boote um das Kap der Guten Hoffnung fahren, sollen die südafrikanischen Städte gegen mögliche Angriffe geschützt werden. Hildegards jüngste Schwester Ursula beschreibt die Situation in Kapstadt:
„Keine Straßenlampe durfte brennen, und vor allen Fenstern mußten schwarze Gardinen angebracht werden, damit kein Lichtschein durchdrang. Die Regierung war sehr streng, was die Einhaltung dieser Vorsichtsmaßnahme betraf, und schickte regelmäßig Kontrolleure durch die Stadt.“ Da die Mereisens eine deutsche Familie waren, wurden sie besonders streng bewacht. „Es wurden auch regelmäßig Übungen abgehalten, die Sirenen heulten, und alle mußten sich in Kellern oder anderen zugewiesenen Orten verstecken, bis die ALL-CLEAR Sirene ertönte.
Es kam auch vor, dass deutsche Schiffe in der Tafelbucht versenkt wurden. Eines dieser Schiffe war die ‚Watussie‘. Auf diesem Schiff befand sich auch eine große Anzahl Frauen und Kinder, die eine Zeitlang in Kapstadt untergebracht werden mussten. Auch hier übernahm unsere Mutter die Verantwortung für ihr Wohlergehen. Kurz nach ihrer Landung in Kapstadt gebar eine der Frauen ein Kind, ein Mädchen, das Watussie genannt wurde.
In der Adderley Straße vor dem Hauptpostamt wurde eine Geldsammelstelle aufgebaut mit einem Bild von Hitler und Chamberlain. Jedes Mal, wenn jemand Geld einwarf, schlug Chamberlain Hitler auf den Kopf. Eines Abends steckt eine der deutschen Frauen, die auf der ‚Watussie‘ waren, das Ding in Brand. Sie wurde verhaftet, und Erna Mereis mußte schlichten und die Frau aus den Schwierigkeiten holen. Sie hätte das Ding nur aus Spaß angesteckt, meinte sie, und da viele Polizisten deutschfreundlich waren, ging es noch einmal gut.“
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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