NUR 24 ZEILEN (45. Folge)
Eine wahre Geschichte über den Krieg, die Liebe und den langen Weg zurück nach Afrika
IN EINER FREMDEN WELT (Kapitel 15, Teil 1/6)
Nach sieben Jahren hinter Stacheldraht beginnt für Kurt ein neues Leben – ohne seine Kameraden aus dem Lager, ohne Familie, ohne Besitz, ohne Geld, aber auch endlich ohne Stacheldraht. Von dem Kontinent Australien, auf dem er seit sechs Jahren lebt, kennt er nichts außer einer Vielzahl von Gefangenenlagern und australischen Aufsichtsbeamten. Jetzt ist er endlich in Freiheit! Er hat die Möglichkeit zu arbeiten, Geld zu verdienen, unzensierte Briefe zu schreiben! Während die Briefe der letzten Monate einen fast gebrochenen Mann zeigen, der sich gequält und ohne Lebensmut aufrecht hält, sprudelt in den nächsten Briefen neue Lebensfreude. Eigentlich ist es unglaublich – nach sieben Jahren Gefangenschaft, nach dem Verlust seiner gesamten Familie, nach dem Zusammenbruch all seiner Ideale und Träume kann er schreiben: Ich bin innerlich nicht zerbrochen, bin guten Mutes und zu jedem Anfang bereit.
Da die Gefangenen auf der Arandora Star alles verloren haben, werden sie von der australischen Regierung mit Anzug, Hut und sechs australischen Pfund ausgestattet, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Kurt meldet sich zunächst auf einer Farm im südlichen Queensland, wo er für zwei Pfund die Woche als Cowboy und Melkjunge angestellt wird. Sein neuer Boss ist ein australischer Farmer namens Arthur Schubring, Ende dreißig, verheiratet, streng gläubiger Lutheraner und über einen Pastor in Sydney als Arbeitgeber vermittelt. In einem Brief an seinen Lagerkameraden Hans Daniels, der sich im November noch immer im Internierungslager befindet, schildert er seine ersten Eindrücke: Am ersten Tag kam mir alles so fremd und ungewohnt vor, dass ich am liebsten gleich wieder ins Lager zurückgelaufen wäre. Aber schon am selben Abend fuhren wir nach Sydney. Der Zug war übervoll, an Schlafen war nicht zu denken. Am nächsten Morgen schauten wir uns Sydney an. Nach einem guten Mittagessen war ich so müde, daß ich mich im Botanischen Garten zum Schlafen hinlegte. Das war nichts Besonderes, Gesinnungsgenossen lagen um mich herum, und ich fühlte mich sauwohl.
Abends ging es wieder auf die Bahn, nach Brisbane. Es wurde immer wärmer und wärmer, und ich war überglücklich, daß ich einen dünnen Anzug erhalten hatte. Hier kann jeder anziehen, was er will, und auf der Bahn wird grundsätzlich das schlechteste Zeug getragen. Es ist ja ständig staubig und schmutzig. Alle Menschen auf der Bahn begegneten uns freundlich, obwohl sie wußten, daß wir Deutsche sind, sie waren kameradschaftlich und taktvoll zu uns. Es ist schon eine große Sache, in die menschliche Gesellschaft zurückzukehren; ich bin unendlich glücklich und froh.
Brisbane ist in seinem Leben und Treiben Durban ähnlich. Die Menschen sind frei, natürlich und hilfsbereit, ihre Kleidung ist sehr einfach, Hemd und Hose ist das Alltägliche. Bemerkenswert war für mich, daß Frauen keine Strümpfe tragen, das ist hier Mode! Von Brisbane ging es noch einmal 2 ½ Stunden nach Boonah.
Heute Morgen sah ich meine neue Umgebung zum ersten Mal! Es war unfaßbar! Was sich meinem Auge offenbarte, war eine deutsche Mittelgebirgslandschaft mit grünen Wiesen, reichen Feldern und Viehherden, die Häuser an die Ausläufer der Berge angeschmiegt.
Heute Morgen traf ich auch meinen neuen Boss. Ein junger Kerl. Spricht kein Wort Deutsch. Sehr freundlich. Er kam mit einem Traktor an und fragte mich gleich, ob ich das Fahrzeug bedienen könne. Ich sagte natürlich ja, und heute Abend fahre ich hoch auf dem Traktor zu meinem neuen Zuhause. Ich bin wieder ein Mensch. Das haben wir oft hinter dem Stacheldraht nicht mehr gewußt.
Einen Tag zuvor, am 22. November 1946, hat er bereits an Hildegard einen ersten Brief aus der Freiheit geschrieben, auf einer Schreibmaschine. Seine neue Adresse:
Kurt Falk, c.o. Mr Schubring,
Milford via Boonah, Queensland, Australia
Meine liebe Hildegard!
Wie ich Dir in meinem letzten Brief mitteilte, wollte ich Dir erst wieder schreiben, wenn ich endlich die Freiheit wiedererlangt habe. Nun, ich bin frei und lebe in Queensland, südwestlich von Brisbane, auf einer Farm als Farmhilfe. Dieser Brief soll Dich nur kurz mit meiner neuen Lage vertraut machen; weitere Post folgt, wenn ich mich eingewöhnt habe.
Ich habe ein Jahr Zeit, mich zu entscheiden, was ich zu tun gedenke. Ich habe mich für diese Möglichkeit entschieden, um vor allen Dingen mein Verhältnis zu Dir zu klären und eine persönliche Begegnung mit Dir zu erreichen. Zu diesem Entschluß bin ich auch gekommen aufgrund Deines nachdenklichen Briefes vor einigen Monaten.
Auf meinen Papieren hier in Australien habe ich immer deutlich die Absicht ausgesprochen, nach Südafrika zurückzukehren. Von australischer Seite gibt es dagegen keine Bedenken. Entscheidend ist jedoch die Einreiseerlaubnis nach Südafrika. Die australischen Behörden haben mir auch die Möglichkeit gegeben, hierzubleiben, und auch Du könntest sofort hierherkommen.
Heute steht für uns beide die Frage: Sind wir uns als Menschen begegnet, die eine echt empfundene Neigung zueinander hegten, oder waren wir überwältigt von dem großen Geschehen, das damals die Welt bewegte? Sind wir zwei Menschen, die eine Welt zusammen wieder aufbauen können in ihrer Art, oder waren wir abhängig von einer größeren Welt, die uns die Grundlage zu unserem gegenseitigen Bekenntnis gegeben hat? Stehen wir zu dem, was uns damals bewegte, auch wenn diese Welt zerbrochen ist?
Ich kann auf alles mit einem uneingeschränkten Ja antworten, denn ich kenne Dich länger als nur diese kurzen, wenn auch schönsten Tage meines Lebens vor meiner Abfahrt. Vielleicht denkst Du, ich bin die letzten Jahre stehengeblieben, bin hinter dem Draht konserviert worden. Das stimmt nicht. Mein Verhältnis zu Dir hat unendliche Wandlungen durchgemacht und Bewährungen durchlaufen müssen. Ich weiß zwar immer noch nichts über meine Zukunft, aber ich bin der gleiche Mensch geblieben wie früher. Ach, wärst Du doch hier und ich könnte Dich bei der Hand nehmen und in diese schöne Landschaft hinein wandern! Auf diesen Augenblick werde ich warten, ohne Kompromisse und Einschränkungen.
Nach sieben Jahren hinter Stacheldraht beginnt für Kurt ein neues Leben – ohne seine Kameraden aus dem Lager, ohne Familie, ohne Besitz, ohne Geld, aber auch endlich ohne Stacheldraht. Von dem Kontinent Australien, auf dem er seit sechs Jahren lebt, kennt er nichts außer einer Vielzahl von Gefangenenlagern und australischen Aufsichtsbeamten. Jetzt ist er endlich in Freiheit! Er hat die Möglichkeit zu arbeiten, Geld zu verdienen, unzensierte Briefe zu schreiben! Während die Briefe der letzten Monate einen fast gebrochenen Mann zeigen, der sich gequält und ohne Lebensmut aufrecht hält, sprudelt in den nächsten Briefen neue Lebensfreude. Eigentlich ist es unglaublich – nach sieben Jahren Gefangenschaft, nach dem Verlust seiner gesamten Familie, nach dem Zusammenbruch all seiner Ideale und Träume kann er schreiben: Ich bin innerlich nicht zerbrochen, bin guten Mutes und zu jedem Anfang bereit.
Da die Gefangenen auf der Arandora Star alles verloren haben, werden sie von der australischen Regierung mit Anzug, Hut und sechs australischen Pfund ausgestattet, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Kurt meldet sich zunächst auf einer Farm im südlichen Queensland, wo er für zwei Pfund die Woche als Cowboy und Melkjunge angestellt wird. Sein neuer Boss ist ein australischer Farmer namens Arthur Schubring, Ende dreißig, verheiratet, streng gläubiger Lutheraner und über einen Pastor in Sydney als Arbeitgeber vermittelt. In einem Brief an seinen Lagerkameraden Hans Daniels, der sich im November noch immer im Internierungslager befindet, schildert er seine ersten Eindrücke: Am ersten Tag kam mir alles so fremd und ungewohnt vor, dass ich am liebsten gleich wieder ins Lager zurückgelaufen wäre. Aber schon am selben Abend fuhren wir nach Sydney. Der Zug war übervoll, an Schlafen war nicht zu denken. Am nächsten Morgen schauten wir uns Sydney an. Nach einem guten Mittagessen war ich so müde, daß ich mich im Botanischen Garten zum Schlafen hinlegte. Das war nichts Besonderes, Gesinnungsgenossen lagen um mich herum, und ich fühlte mich sauwohl.
Abends ging es wieder auf die Bahn, nach Brisbane. Es wurde immer wärmer und wärmer, und ich war überglücklich, daß ich einen dünnen Anzug erhalten hatte. Hier kann jeder anziehen, was er will, und auf der Bahn wird grundsätzlich das schlechteste Zeug getragen. Es ist ja ständig staubig und schmutzig. Alle Menschen auf der Bahn begegneten uns freundlich, obwohl sie wußten, daß wir Deutsche sind, sie waren kameradschaftlich und taktvoll zu uns. Es ist schon eine große Sache, in die menschliche Gesellschaft zurückzukehren; ich bin unendlich glücklich und froh.
Brisbane ist in seinem Leben und Treiben Durban ähnlich. Die Menschen sind frei, natürlich und hilfsbereit, ihre Kleidung ist sehr einfach, Hemd und Hose ist das Alltägliche. Bemerkenswert war für mich, daß Frauen keine Strümpfe tragen, das ist hier Mode! Von Brisbane ging es noch einmal 2 ½ Stunden nach Boonah.
Heute Morgen sah ich meine neue Umgebung zum ersten Mal! Es war unfaßbar! Was sich meinem Auge offenbarte, war eine deutsche Mittelgebirgslandschaft mit grünen Wiesen, reichen Feldern und Viehherden, die Häuser an die Ausläufer der Berge angeschmiegt.
Heute Morgen traf ich auch meinen neuen Boss. Ein junger Kerl. Spricht kein Wort Deutsch. Sehr freundlich. Er kam mit einem Traktor an und fragte mich gleich, ob ich das Fahrzeug bedienen könne. Ich sagte natürlich ja, und heute Abend fahre ich hoch auf dem Traktor zu meinem neuen Zuhause. Ich bin wieder ein Mensch. Das haben wir oft hinter dem Stacheldraht nicht mehr gewußt.
Einen Tag zuvor, am 22. November 1946, hat er bereits an Hildegard einen ersten Brief aus der Freiheit geschrieben, auf einer Schreibmaschine. Seine neue Adresse:
Kurt Falk, c.o. Mr Schubring,
Milford via Boonah, Queensland, Australia
Meine liebe Hildegard!
Wie ich Dir in meinem letzten Brief mitteilte, wollte ich Dir erst wieder schreiben, wenn ich endlich die Freiheit wiedererlangt habe. Nun, ich bin frei und lebe in Queensland, südwestlich von Brisbane, auf einer Farm als Farmhilfe. Dieser Brief soll Dich nur kurz mit meiner neuen Lage vertraut machen; weitere Post folgt, wenn ich mich eingewöhnt habe.
Ich habe ein Jahr Zeit, mich zu entscheiden, was ich zu tun gedenke. Ich habe mich für diese Möglichkeit entschieden, um vor allen Dingen mein Verhältnis zu Dir zu klären und eine persönliche Begegnung mit Dir zu erreichen. Zu diesem Entschluß bin ich auch gekommen aufgrund Deines nachdenklichen Briefes vor einigen Monaten.
Auf meinen Papieren hier in Australien habe ich immer deutlich die Absicht ausgesprochen, nach Südafrika zurückzukehren. Von australischer Seite gibt es dagegen keine Bedenken. Entscheidend ist jedoch die Einreiseerlaubnis nach Südafrika. Die australischen Behörden haben mir auch die Möglichkeit gegeben, hierzubleiben, und auch Du könntest sofort hierherkommen.
Heute steht für uns beide die Frage: Sind wir uns als Menschen begegnet, die eine echt empfundene Neigung zueinander hegten, oder waren wir überwältigt von dem großen Geschehen, das damals die Welt bewegte? Sind wir zwei Menschen, die eine Welt zusammen wieder aufbauen können in ihrer Art, oder waren wir abhängig von einer größeren Welt, die uns die Grundlage zu unserem gegenseitigen Bekenntnis gegeben hat? Stehen wir zu dem, was uns damals bewegte, auch wenn diese Welt zerbrochen ist?
Ich kann auf alles mit einem uneingeschränkten Ja antworten, denn ich kenne Dich länger als nur diese kurzen, wenn auch schönsten Tage meines Lebens vor meiner Abfahrt. Vielleicht denkst Du, ich bin die letzten Jahre stehengeblieben, bin hinter dem Draht konserviert worden. Das stimmt nicht. Mein Verhältnis zu Dir hat unendliche Wandlungen durchgemacht und Bewährungen durchlaufen müssen. Ich weiß zwar immer noch nichts über meine Zukunft, aber ich bin der gleiche Mensch geblieben wie früher. Ach, wärst Du doch hier und ich könnte Dich bei der Hand nehmen und in diese schöne Landschaft hinein wandern! Auf diesen Augenblick werde ich warten, ohne Kompromisse und Einschränkungen.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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