NUR 24 ZEILEN (46. Folge)
Eine wahre Geschichte über den Krieg, die Liebe und den langen Weg zurück nach Afrika
Was ist das Geheimnis einer großen Liebe? Wie übersteht sie Trennung und Entfernung? Was bedeutet Heimat und wo ist sie, wenn der Krieg eine Heimkehr unmöglich macht? Eine fesselnde Erzählung die einen neuen Blick auf die Geschichte der Deutschen in Afrika wirft und die zeigt, wie eng verflochten die Fäden sind, die die Kriegsgeneration noch immer mit der heutigen verbinden. Erika von Wietersheim erzählt die Geschichte ihrer Eltern.
IN EINER FREMDEN WELT (Kapitel 15, Teil 2/6)
Am zweiten Advent schreibt er wieder einen Brief. Seit seiner Entlassung aus dem Lager hat er plötzlich wieder die Möglichkeit, über seine Zukunft selbst zu entscheiden, sein Leben in die Hand zu nehmen - und es gibt gleich drei Kontinente, die als Lebensmöglichkeit in Frage kommen. Soll er nach Deutschland, in die zerstörte und doch so sehr vermisste Heimat zurückkehren? Soll er nach Südafrika auswandern, wo er noch Freunde, Bekannte und vor allem Hildegard hat? Oder soll er in Australien bleiben und sich hier als völlig unbekannte Größe ein Leben in einem rein englischsprachigen Raum aufbauen? Die Entscheidung ist nicht einfach, hängt von vielerlei Bürokratie ab, vor allem aber von der zukünftigen Beziehung zu Hildegard. In seinem Brief an sie schreibt er:
Ich bin jetzt schon wieder einige Wochen frei und glücklich, daß ich dem Stacheldraht entronnen bin, zumal über unserer Internierung am Schluß ein unglücklicher Stern gestanden hat, immer wieder kam etwas dazwischen. Und noch immer sind nicht alle meine Kameraden in Australien frei und müssen weiterhin auf ihre Deportierung nach Haus warten.
Ich lebe in einer wunderbaren, bergigen Gegend mit einem Klima wie in Natal, auf einer Milchfarm. Meine Arbeit beschäftigt mich jeden Tag von früh 4 Uhr bis abends 19 Uhr. Ich habe schon viel gelernt und gewöhne mich verhältnismäßig schnell an meinen neuen Beruf. Melken, Füttern, Traktor fahren, Säen sind meine bisherigen Pflichten gewesen. Ich komme gut zurecht und ersetze eine volle Arbeitskraft auf dieser Farm. Meine Arbeitgeber sind Lutheraner, aber keine deutschen, und so lebe ich in englischer Umgebung bei einem „mittelalterlichen“ Ehepaar mit einem dreijährigen Kind. Sie leben sehr zurückgezogen, und das ist mir lieb, denn ich muß mich wie ein neugeborenes Kind erst in dieser Welt wieder zurechtfinden.
Wie genau meine Zukunft aussehen soll, habe ich noch nicht entschieden. Ich würde gern nach Südafrika zurückgehen. Dort könnte ich in der persönlichen Freiheit und Ungebundenheit leben, die ich mir für mein Leben ersehne. Australien ist im Prinzip anti-deutsch eingestellt, obwohl ich hier in einer recht guten Ecke zu Hause bin. Außerdem bist Du in Südafrika, und zu Dir muß ich kommen, ehe ich weitere Entscheidungen treffe. Vielleicht könntest Du mir den Weg ebnen helfen, indem Du mir von den Aussichten schreibst, die sich für Deutsche im Allgemeinen ergeben und für mich im Besonderen. Ich möchte nicht von hier aus direkt ein Gesuch an den südafrikanischen Gesandten in Australien schreiben, da ich nicht Gefahr laufen will, abschlägigen Bescheid zu erhalten.
Von Dir erhoffe ich baldige Nachricht, denn Du kannst jetzt ganz offen und frei Deine Absichten, Pläne, Meinungen und Wünsche mir gegenüber kundtun. Je offener und klarer Du schreibst, desto leichter machst Du es uns beiden. Dein Satz: „Entscheide, wenn Du in Deutschland bist“, ist hinfällig geworden. Es kommt jetzt darauf an, ob wir uns nach sieben Jahren Trennung als Frau und Mann begegnen wollen, die zusammenhalten und der Außenwelt trotzen. Oder war es vielleicht damals zwischen uns ein romantisches, sentimentalisches Gefühl, das uns beide im großen Opernspiel vor der Kulisse des Weltkrieges zusammenführte? Lies meinen letzten Brief aus dem südlichen Afrika, den ich von Lourenço Marques an Dich schickte. Ich schrieb damals vom zersetzenden Einfluß von Raum und Zeit - und: Keine äußere Bindung hat für mich Sinn, wenn die innere Bindung fehlt.
Dies soll ein Weihnachtsbrief sein, vielleicht können wir nächstes Jahr zusammen feiern? Dieses Jahr wird hart sein, da ich nicht nur ohne meine Familie, sondern auch von all den Kameraden aus dem Lager getrennt bin. Könnte ich diese schöne Weihnachtswelt noch einmal in unserem eigenen Heim aufbauen, schon das wäre eine Lebensaufgabe!
Inzwischen geht die Post wieder schneller, und schon am 10. Dezember erhält Hildegard Kurts Luftpostbrief von Ende November. Sie antwortet sofort, allerdings sehr sachlich und zurückhaltend:
Kapstadt, den 10. Dezember 1946
Lieber Kurt!
Heute erhielt ich Deinen Luftpostbrief vom 22. November mit der erfreulichen Nachricht, daß Du nun endlich Deine Freiheit wiedererlangt hast. Wie ich mich für Dich freue! Oft war es mir, als würde dieser Tag niemals eintreten. Ich warte gespannt auf einen Brief, worin Du mir Näheres mitteilen wirst - was Du tust, was Deine Aussichten und Möglichkeiten dort drüben sind usw. Ich verstehe nicht, was das heißt - Du bist für ein Jahr frei? Mußt Du denn das Land nach Ablauf dieser Zeit verlassen? Willst Du auf alle Fälle zurück nach Südafrika?
Ich möchte Dich nicht abschrecken und Dir dennoch sagen, daß es nicht so leicht sein wird. Die hiesige Behörde ist vorläufig nicht begierig, Deutsche ins Land kommen zu lassen, und Du hast doch einen deutschen Paß. Ich schreibe dies, damit Du nicht zu große Hoffnungen aufbaust, aber Du sollst diese Hoffnung auch nicht aufgeben. Sobald ich Näheres weiß, werde ich Dir schreiben. Arbeit würdest Du bestimmt hier bekommen, daran besteht kein Zweifel. Es gibt hier mehr Arbeit, als da Menschen sind, und scheinbar sind die Aussichten jetzt besser als jemals zuvor. Die Schulen reißen sich um Lehrkräfte - Privat- sowie Regierungsschulen.
Was Deine Anfrage betrifft, ob ich Dich nicht während der Sommerferien besuchen könnte, möchte ich sagen: Ich habe mich erkundigt und würde im Dezember kaum einen Platz auf einem Dampfer bekommen haben. Außerdem wäre ich nicht wieder bis zum Schulanfang zurück. Den möchte ich aus folgendem Grund nicht verpassen: Ich bin noch nicht festangestellt und werde, wenn ich mich bewährt habe, erst meine feste Anstellung bekommen, wenn ich 1¼ Jahre unterrichtet habe, das wäre also Ende März. Und auch nur dann wird mir meine Pension ausgezahlt werden - kein Vermögen, dennoch nicht zu verachten.
Was ist das Geheimnis einer großen Liebe? Wie übersteht sie Trennung und Entfernung? Was bedeutet Heimat und wo ist sie, wenn der Krieg eine Heimkehr unmöglich macht? Eine fesselnde Erzählung die einen neuen Blick auf die Geschichte der Deutschen in Afrika wirft und die zeigt, wie eng verflochten die Fäden sind, die die Kriegsgeneration noch immer mit der heutigen verbinden. Erika von Wietersheim erzählt die Geschichte ihrer Eltern.
IN EINER FREMDEN WELT (Kapitel 15, Teil 2/6)
Am zweiten Advent schreibt er wieder einen Brief. Seit seiner Entlassung aus dem Lager hat er plötzlich wieder die Möglichkeit, über seine Zukunft selbst zu entscheiden, sein Leben in die Hand zu nehmen - und es gibt gleich drei Kontinente, die als Lebensmöglichkeit in Frage kommen. Soll er nach Deutschland, in die zerstörte und doch so sehr vermisste Heimat zurückkehren? Soll er nach Südafrika auswandern, wo er noch Freunde, Bekannte und vor allem Hildegard hat? Oder soll er in Australien bleiben und sich hier als völlig unbekannte Größe ein Leben in einem rein englischsprachigen Raum aufbauen? Die Entscheidung ist nicht einfach, hängt von vielerlei Bürokratie ab, vor allem aber von der zukünftigen Beziehung zu Hildegard. In seinem Brief an sie schreibt er:
Ich bin jetzt schon wieder einige Wochen frei und glücklich, daß ich dem Stacheldraht entronnen bin, zumal über unserer Internierung am Schluß ein unglücklicher Stern gestanden hat, immer wieder kam etwas dazwischen. Und noch immer sind nicht alle meine Kameraden in Australien frei und müssen weiterhin auf ihre Deportierung nach Haus warten.
Ich lebe in einer wunderbaren, bergigen Gegend mit einem Klima wie in Natal, auf einer Milchfarm. Meine Arbeit beschäftigt mich jeden Tag von früh 4 Uhr bis abends 19 Uhr. Ich habe schon viel gelernt und gewöhne mich verhältnismäßig schnell an meinen neuen Beruf. Melken, Füttern, Traktor fahren, Säen sind meine bisherigen Pflichten gewesen. Ich komme gut zurecht und ersetze eine volle Arbeitskraft auf dieser Farm. Meine Arbeitgeber sind Lutheraner, aber keine deutschen, und so lebe ich in englischer Umgebung bei einem „mittelalterlichen“ Ehepaar mit einem dreijährigen Kind. Sie leben sehr zurückgezogen, und das ist mir lieb, denn ich muß mich wie ein neugeborenes Kind erst in dieser Welt wieder zurechtfinden.
Wie genau meine Zukunft aussehen soll, habe ich noch nicht entschieden. Ich würde gern nach Südafrika zurückgehen. Dort könnte ich in der persönlichen Freiheit und Ungebundenheit leben, die ich mir für mein Leben ersehne. Australien ist im Prinzip anti-deutsch eingestellt, obwohl ich hier in einer recht guten Ecke zu Hause bin. Außerdem bist Du in Südafrika, und zu Dir muß ich kommen, ehe ich weitere Entscheidungen treffe. Vielleicht könntest Du mir den Weg ebnen helfen, indem Du mir von den Aussichten schreibst, die sich für Deutsche im Allgemeinen ergeben und für mich im Besonderen. Ich möchte nicht von hier aus direkt ein Gesuch an den südafrikanischen Gesandten in Australien schreiben, da ich nicht Gefahr laufen will, abschlägigen Bescheid zu erhalten.
Von Dir erhoffe ich baldige Nachricht, denn Du kannst jetzt ganz offen und frei Deine Absichten, Pläne, Meinungen und Wünsche mir gegenüber kundtun. Je offener und klarer Du schreibst, desto leichter machst Du es uns beiden. Dein Satz: „Entscheide, wenn Du in Deutschland bist“, ist hinfällig geworden. Es kommt jetzt darauf an, ob wir uns nach sieben Jahren Trennung als Frau und Mann begegnen wollen, die zusammenhalten und der Außenwelt trotzen. Oder war es vielleicht damals zwischen uns ein romantisches, sentimentalisches Gefühl, das uns beide im großen Opernspiel vor der Kulisse des Weltkrieges zusammenführte? Lies meinen letzten Brief aus dem südlichen Afrika, den ich von Lourenço Marques an Dich schickte. Ich schrieb damals vom zersetzenden Einfluß von Raum und Zeit - und: Keine äußere Bindung hat für mich Sinn, wenn die innere Bindung fehlt.
Dies soll ein Weihnachtsbrief sein, vielleicht können wir nächstes Jahr zusammen feiern? Dieses Jahr wird hart sein, da ich nicht nur ohne meine Familie, sondern auch von all den Kameraden aus dem Lager getrennt bin. Könnte ich diese schöne Weihnachtswelt noch einmal in unserem eigenen Heim aufbauen, schon das wäre eine Lebensaufgabe!
Inzwischen geht die Post wieder schneller, und schon am 10. Dezember erhält Hildegard Kurts Luftpostbrief von Ende November. Sie antwortet sofort, allerdings sehr sachlich und zurückhaltend:
Kapstadt, den 10. Dezember 1946
Lieber Kurt!
Heute erhielt ich Deinen Luftpostbrief vom 22. November mit der erfreulichen Nachricht, daß Du nun endlich Deine Freiheit wiedererlangt hast. Wie ich mich für Dich freue! Oft war es mir, als würde dieser Tag niemals eintreten. Ich warte gespannt auf einen Brief, worin Du mir Näheres mitteilen wirst - was Du tust, was Deine Aussichten und Möglichkeiten dort drüben sind usw. Ich verstehe nicht, was das heißt - Du bist für ein Jahr frei? Mußt Du denn das Land nach Ablauf dieser Zeit verlassen? Willst Du auf alle Fälle zurück nach Südafrika?
Ich möchte Dich nicht abschrecken und Dir dennoch sagen, daß es nicht so leicht sein wird. Die hiesige Behörde ist vorläufig nicht begierig, Deutsche ins Land kommen zu lassen, und Du hast doch einen deutschen Paß. Ich schreibe dies, damit Du nicht zu große Hoffnungen aufbaust, aber Du sollst diese Hoffnung auch nicht aufgeben. Sobald ich Näheres weiß, werde ich Dir schreiben. Arbeit würdest Du bestimmt hier bekommen, daran besteht kein Zweifel. Es gibt hier mehr Arbeit, als da Menschen sind, und scheinbar sind die Aussichten jetzt besser als jemals zuvor. Die Schulen reißen sich um Lehrkräfte - Privat- sowie Regierungsschulen.
Was Deine Anfrage betrifft, ob ich Dich nicht während der Sommerferien besuchen könnte, möchte ich sagen: Ich habe mich erkundigt und würde im Dezember kaum einen Platz auf einem Dampfer bekommen haben. Außerdem wäre ich nicht wieder bis zum Schulanfang zurück. Den möchte ich aus folgendem Grund nicht verpassen: Ich bin noch nicht festangestellt und werde, wenn ich mich bewährt habe, erst meine feste Anstellung bekommen, wenn ich 1¼ Jahre unterrichtet habe, das wäre also Ende März. Und auch nur dann wird mir meine Pension ausgezahlt werden - kein Vermögen, dennoch nicht zu verachten.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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