NUR 24 ZEILEN (52. Folge)
Eine wahre Geschichte über den Krieg, die Liebe und den langen Weg zurück nach Afrika
DIE KETTE REISST (Kapitel 16, Teil 2/4)
In dieser Situation bildet Hildegard zunehmend eine Ausnahme, indem sie ihrem deutschen Freund hinter dem Stacheldraht treu bleibt. Aber von Jahr zu Jahr fühlt sie sich einsamer. Sie ist überzeugt, dass Kurt im fernen Australien nicht wissen und erst recht nicht nachempfinden kann, wie sich ein neues südafrikanisches Bewusstsein auch in ihr entwickelt. Sie ist ratlos, wie sie ihm ihren Gesinnungswandel vermitteln soll, denn dieser muss auf ihn wie ein Verrat an ihren gemeinsamen Interessen vor dem Krieg wirken. In einem Brief schreibt sie viele Jahre später an Kurt:
Schon in Stellenbosch hatte ich mich oft einsam gefühlt, doch dann kam ich nach Kapstadt, und hier war es noch viel, viel schlimmer. Zuerst war ich einige Wochen in einer Pension, die wenig schön war. In den ersten Tagen war ich in einem Zimmer, in dem ich keine Nacht geschlafen habe. Wenn ich es zumachte, kam keine Luft ins Zimmer, ließ ich es offen stehen, erwachte ich bei jedem Geräusch und glaubte, es wollte einer hereinklettern.
Bald konnte ich in das Hauptgebäude ziehen. Das Zimmer war lang und schmal. Im Dach nisteten die Tauben, die einen schon in aller Frühe mit ihrem Gurren weckten. Eine Fensterscheibe fehlte, der Südost wehte immer lustig herein. Von den Wänden fiel die Tapete herunter, die Matratze auf dem Bett, das dauernd auseinanderzufallen drohte, war wie Berg und Tal, des Nachts liefen die Mäuse im Zimmer hin und her und piepsten mir ein Ständchen. Da saß ich nun des Abends und mir war es nicht immer froh zumute. Alleine auszugehen hatte ich Angst – es führte ein langer, dunkler Weg von der Straße zum Haus. Zu jener Zeit geschah es öfter, daß Mädels gerade in der Gegend angefallen wurden, und auf das Erlebnis habe ich verzichtet.
So war es Abend für Abend. Im Haus war keiner, mit dem ich mich vernünftig hätte unterhalten können, die wenigen, die einen grüßten, besonders die Männer, waren unangenehme Typen. Und die anderen sahen durch einen hindurch wie durch ein Fenster. Ich hatte keine Ruhe zu lesen oder mir eine Handarbeit vorzunehmen. Selbst wenn ich mich bis spät hingesetzt und gearbeitet habe, war es nicht das Richtige. Das war ja tausend Mal schlimmer als in den einsamsten Augenblicken in Stellenbosch! Da war ich aktiv, hatte viel Beschäftigung, kam ich viel unter Menschen, und das hat mir über den Weg geholfen. Aber hier – immer allein. Wenn ich von der Schule kam, starrten die vier Wände mich an, bis ich zu Bett ging. Dann ging ich meistens nachmittags in die Stadt und irrte so lange wie möglich herum.
Es fiel mir immer schwerer, Dir zu schreiben. Auch Deine Briefe kamen so selten, es vergingen oft Monate ohne Nachricht, dann kam mal ein ganzer Stoß Briefe, doch die rechte Verbindung fehlte, der Weg zu Dir. Deine Erlebnisse, die Du in den Briefen beschriebst, lagen Monate zurück und hatten keinen Bezug zur Gegenwart – ich konnte nichts miterleben, nur nacherleben, ohne zu wissen, was inzwischen geschehen war und vielleicht schon alles verändert hatte. Die Nähe und Verbundenheit hatten sich davongemacht.
Vor zehn Jahren waren wir doch auch so selten allein gewesen, immer nur mit anderen, und immer war alles so ungewiß und so unerfüllt. Oft hatte ich gedacht, Du hättest mich so lieb wie ich Dich. Wie oft aber auch nicht! Wir hatten nur diese ganz wenigen Augenblicke damals im Auto, ehe wir dann auseinandergingen. Ach Kurt, wenn ich jetzt wieder daran denke – es war hart. Ich wußte nicht, wo Du warst, was aus Dir werden würde. Und in einem gewissen Sinn warst Du mir doch noch fremd – ich weiß es noch genau, daß ich beim ersten Brief lange, lange hin und her überlegt habe, bis ich es fertiggebracht habe, Dir zu schreiben „Ich habe Dich lieb!“
In meinem Zimmer standen keine Blumen mehr. Wie wenig habe ich mich noch darum gekümmert! Manchmal hat Mrs Kirsten, meine Zimmernachbarin, sich noch meiner erbarmt und einige in mein Zimmer gestellt.
Zu Hause ging es auch nicht gut. Ich hatte mich von der Mutter entfremdet. Du weißt ja, wie sie denkt und fühlt, und daß sie sich dann wohl oft gefragt hat – wo will denn das Mädel hin? Mit den Geschwistern, besonders mit Bäbsi, hat es dann auch nicht geklappt. Es hat mir auch wehgetan, daß diejüngeren sich vor mir verheiratet haben. Es gab so viele wohlmeinende Leute, die sagten: Und du hast noch keinen abgekriegt? Das hört man nicht gern, wenn man allmählich auf die Dreißig zugeht!
Ich habe mit allem, was ich hier gehabt habe, nicht glücklich werden können, ich hätte nicht mehr lange so weitermachen können. Oft, wenn ich von der Schule nach Hause kam, dachte ich, es würde vielleicht ein Brief von Dir da sein. Oder wenn ein Telefonanruf kam, ging ich aufgeregt hin und dachte, Du könntest es sein. Aber Angst davor hatte ich auch, denn ich wußte nicht, was dann folgen würde. So wollte ich manchmal gar nicht hinschauen, ob ein Brief für mich da war, und ebenso oft wäre ich am liebsten nicht ans Telefon gegangen.
Ich werde diese furchtbaren Nächte nicht vergessen, die in letzter Zeit immer öfter und öfter vorkamen – ich träumte von Dir und wollte zu Dir und konnte es einfach nicht. Dann bin ich aufgewacht und habe die ganze Nacht geweint und war dann den ganzen folgenden Tag so schwermütig! Dann war es wieder lange gut, und plötzlich kam es wieder! Ich wäre aber eher zugrunde gegangen, ehe ich es irgendeiner Menschenseele gestanden hätte. Auch meine Freundin Lotte hat oft versucht, etwas aus mir herauszubekommen – ohne Erfolg. Das letzte Mal, als ich bei ihr war, sagte sie zu mir, ich sei so verschlossen gewesen, daß sie einfach nichts mehr mit mir anzufangen wußte. Ich war in einer tiefen, dunklen Schlucht gefangen.
In dieser Situation bildet Hildegard zunehmend eine Ausnahme, indem sie ihrem deutschen Freund hinter dem Stacheldraht treu bleibt. Aber von Jahr zu Jahr fühlt sie sich einsamer. Sie ist überzeugt, dass Kurt im fernen Australien nicht wissen und erst recht nicht nachempfinden kann, wie sich ein neues südafrikanisches Bewusstsein auch in ihr entwickelt. Sie ist ratlos, wie sie ihm ihren Gesinnungswandel vermitteln soll, denn dieser muss auf ihn wie ein Verrat an ihren gemeinsamen Interessen vor dem Krieg wirken. In einem Brief schreibt sie viele Jahre später an Kurt:
Schon in Stellenbosch hatte ich mich oft einsam gefühlt, doch dann kam ich nach Kapstadt, und hier war es noch viel, viel schlimmer. Zuerst war ich einige Wochen in einer Pension, die wenig schön war. In den ersten Tagen war ich in einem Zimmer, in dem ich keine Nacht geschlafen habe. Wenn ich es zumachte, kam keine Luft ins Zimmer, ließ ich es offen stehen, erwachte ich bei jedem Geräusch und glaubte, es wollte einer hereinklettern.
Bald konnte ich in das Hauptgebäude ziehen. Das Zimmer war lang und schmal. Im Dach nisteten die Tauben, die einen schon in aller Frühe mit ihrem Gurren weckten. Eine Fensterscheibe fehlte, der Südost wehte immer lustig herein. Von den Wänden fiel die Tapete herunter, die Matratze auf dem Bett, das dauernd auseinanderzufallen drohte, war wie Berg und Tal, des Nachts liefen die Mäuse im Zimmer hin und her und piepsten mir ein Ständchen. Da saß ich nun des Abends und mir war es nicht immer froh zumute. Alleine auszugehen hatte ich Angst – es führte ein langer, dunkler Weg von der Straße zum Haus. Zu jener Zeit geschah es öfter, daß Mädels gerade in der Gegend angefallen wurden, und auf das Erlebnis habe ich verzichtet.
So war es Abend für Abend. Im Haus war keiner, mit dem ich mich vernünftig hätte unterhalten können, die wenigen, die einen grüßten, besonders die Männer, waren unangenehme Typen. Und die anderen sahen durch einen hindurch wie durch ein Fenster. Ich hatte keine Ruhe zu lesen oder mir eine Handarbeit vorzunehmen. Selbst wenn ich mich bis spät hingesetzt und gearbeitet habe, war es nicht das Richtige. Das war ja tausend Mal schlimmer als in den einsamsten Augenblicken in Stellenbosch! Da war ich aktiv, hatte viel Beschäftigung, kam ich viel unter Menschen, und das hat mir über den Weg geholfen. Aber hier – immer allein. Wenn ich von der Schule kam, starrten die vier Wände mich an, bis ich zu Bett ging. Dann ging ich meistens nachmittags in die Stadt und irrte so lange wie möglich herum.
Es fiel mir immer schwerer, Dir zu schreiben. Auch Deine Briefe kamen so selten, es vergingen oft Monate ohne Nachricht, dann kam mal ein ganzer Stoß Briefe, doch die rechte Verbindung fehlte, der Weg zu Dir. Deine Erlebnisse, die Du in den Briefen beschriebst, lagen Monate zurück und hatten keinen Bezug zur Gegenwart – ich konnte nichts miterleben, nur nacherleben, ohne zu wissen, was inzwischen geschehen war und vielleicht schon alles verändert hatte. Die Nähe und Verbundenheit hatten sich davongemacht.
Vor zehn Jahren waren wir doch auch so selten allein gewesen, immer nur mit anderen, und immer war alles so ungewiß und so unerfüllt. Oft hatte ich gedacht, Du hättest mich so lieb wie ich Dich. Wie oft aber auch nicht! Wir hatten nur diese ganz wenigen Augenblicke damals im Auto, ehe wir dann auseinandergingen. Ach Kurt, wenn ich jetzt wieder daran denke – es war hart. Ich wußte nicht, wo Du warst, was aus Dir werden würde. Und in einem gewissen Sinn warst Du mir doch noch fremd – ich weiß es noch genau, daß ich beim ersten Brief lange, lange hin und her überlegt habe, bis ich es fertiggebracht habe, Dir zu schreiben „Ich habe Dich lieb!“
In meinem Zimmer standen keine Blumen mehr. Wie wenig habe ich mich noch darum gekümmert! Manchmal hat Mrs Kirsten, meine Zimmernachbarin, sich noch meiner erbarmt und einige in mein Zimmer gestellt.
Zu Hause ging es auch nicht gut. Ich hatte mich von der Mutter entfremdet. Du weißt ja, wie sie denkt und fühlt, und daß sie sich dann wohl oft gefragt hat – wo will denn das Mädel hin? Mit den Geschwistern, besonders mit Bäbsi, hat es dann auch nicht geklappt. Es hat mir auch wehgetan, daß diejüngeren sich vor mir verheiratet haben. Es gab so viele wohlmeinende Leute, die sagten: Und du hast noch keinen abgekriegt? Das hört man nicht gern, wenn man allmählich auf die Dreißig zugeht!
Ich habe mit allem, was ich hier gehabt habe, nicht glücklich werden können, ich hätte nicht mehr lange so weitermachen können. Oft, wenn ich von der Schule nach Hause kam, dachte ich, es würde vielleicht ein Brief von Dir da sein. Oder wenn ein Telefonanruf kam, ging ich aufgeregt hin und dachte, Du könntest es sein. Aber Angst davor hatte ich auch, denn ich wußte nicht, was dann folgen würde. So wollte ich manchmal gar nicht hinschauen, ob ein Brief für mich da war, und ebenso oft wäre ich am liebsten nicht ans Telefon gegangen.
Ich werde diese furchtbaren Nächte nicht vergessen, die in letzter Zeit immer öfter und öfter vorkamen – ich träumte von Dir und wollte zu Dir und konnte es einfach nicht. Dann bin ich aufgewacht und habe die ganze Nacht geweint und war dann den ganzen folgenden Tag so schwermütig! Dann war es wieder lange gut, und plötzlich kam es wieder! Ich wäre aber eher zugrunde gegangen, ehe ich es irgendeiner Menschenseele gestanden hätte. Auch meine Freundin Lotte hat oft versucht, etwas aus mir herauszubekommen – ohne Erfolg. Das letzte Mal, als ich bei ihr war, sagte sie zu mir, ich sei so verschlossen gewesen, daß sie einfach nichts mehr mit mir anzufangen wußte. Ich war in einer tiefen, dunklen Schlucht gefangen.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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