NUR 24 ZEILEN (61. Folge) 26.05
Eine wahre Geschichte über den Krieg, die Liebe und den langen Weg zurück nach Afrika
Was ist das Geheimnis einer großen Liebe? Wie übersteht sie Trennung und Entfernung? Was bedeutet Heimat und wo ist sie, wenn der Krieg eine Heimkehr unmöglich macht? Eine fesselnde Erzählung die einen neuen Blick auf die Geschichte der Deutschen in Afrika wirft und die zeigt, wie eng verflochten die Fäden sind, die die Kriegsgeneration noch immer mit der heutigen verbinden. Erika von Wietersheim erzählt die Geschichte ihrer Eltern Hildegard und Kurt Falke.
EPILOG (Kapitel 19, Teil 1/2)
Die Geschwister unserer Mutter hatten damals wenig Verständnis für ihre plötzliche Entscheidung und ihr Verlobter natürlich auch nicht. Einige meinten, dass sie sich mit unserem Vater nur unter dem Druck ihrer Eltern verlobt habe, die endlich einen deutschen Schwiegersohn gewollt hätten. Aber diese Unstimmigkeiten konnten ihre unbändige Freude und das Glück nicht trüben. Beide fühlten sich wie neu geboren, schmiedeten gemeinsame Zukunftspläne, und unsere Mutter konnte es plötzlich kaum erwarten, nach Südwestafrika zu ziehen.
In den nächsten zwölf Jahren wurden vier Falk-Kinder geboren, gleichzeitig bauten unsere Eltern gemeinsam mit der Schulgemeinschaft die Deutsche Schule Lüderitz bis zum 12. Schuljahr auf, also bis zur Universitätszulassung. Während dieser Zeit verdoppelte sich die Schülerzahl, man errichtete ein neues Schülerheim mit 170 Betten und die Schule wurde eine Schule am Meer, die im ganzen Land einen guten Ruf genoss.
Im Jahr 1961, nach dreizehn Jahren in Namibia, entschlossen sich unsere Eltern, nach Deutschland umzusiedeln. Für unseren Vater war es nach sechsundzwanzig Jahren die Rückkehr in seine geliebte Heimat, für unsere Mutter der erste Besuch im Land ihrer längst vergangenen Träume. Wahlheimat wurde Schleswig-Holstein. Sachsen kam zu der Zeit nicht in Frage, da es zur DDR gehörte, und in Schleswig-Holstein hatten sie das Meer nicht weit, die Ebenen, die Weite, die verhältnismäßig dünne Besiedlung und die Möglichkeit, in einer Kleinstadt oder auf dem Land zu wohnen. Unser Vater bekam in Pinneberg eine Stelle als verbeamteter Lehrer und Schulleiter und konnte seine Altersversorgung regeln.
Unsere Mutter freute sich auf die Begegnung mit dem Land ihrer Großeltern, wir Kinder freuten uns auf das Land, das wir hauptsächlich aus Märchenbüchern kannten, und unser Vater wollte das moderne Deutschland mit seinen neuen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen kennenlernen, in Konzerte gehen, Vorträge hören, wandern und durch grüne Landschaften fahren. Auch hoffte er, dass der Umzug nach Deutschland es seinen Kindern ermöglichen würde, ohne den inneren Zwiespalt unserer Mutter in einer einheitlichen Kultur und Sprache aufzuwachsen.
Trotz ihrer Heirat mit einem Deutschen und dem Umzug nach Deutschland glaube ich heute, dass unsere Mutter nie richtig „deutsch“ geworden ist, sondern immer einen lebendigeren Bezug zum Englischen und Afrikaansen hatte. Sie kannte zahlreiche englische Lieder und Musicals, konnte aus englischen Gedichten zitieren, liebte Shakespeare, Oscar Wilde und Bernard Shaw, sie zählte auf Englisch – und sie fluchte auf Englisch! Mit Engländern und Afrikaanern war sie locker, entspannt, lässig, in einer Unterhaltung mit Deutschen, besonders Deutschen aus der Bundesrepublik, war sie immer ein wenig angespannt.
Auch in ihrer Grundhaltung dem Leben gegenüber war sie eher „englisch“. Während unser Vater alles genau und ausführlich durchsprechen oder diskutieren musste, liebte unsere Mutter das Understatement. Unser Vater hatte einen eher groben sächsischen Humor, sie liebte den feinen Humor der Briten, er konnte sich stundenlang über weltanschauliche Fragen erregen, unsere Mutter war mehr down to earth.
Unserem Vater hat es gefallen, dass sie anders war, als es vielleicht eine deutsche Frau gewesen wäre, sie forderte ihn heraus, gegen den Strich zu denken, auch andere Sprachen tiefer als nur in direkter Übersetzung zu verstehen und Zugang zu ihrer südafrikanisch geprägten Welt zu finden.
Das Leben in Deutschland war für unsere Mutter eine Enttäuschung. Sie hatte es sich anders vorgestellt, das Wetter nicht so trüb, das Leben nicht so hektisch, die Norddeutschen nicht so zurückhaltend. Die Heimat ihrer Großeltern konnte sie nicht besuchen, da Schlesien hinter dem Eisernen Vorhang lag, und die Besuche in die Heimat unseres Vaters, nach Leipzig, waren eher ein bürokratischer Alptraum als eine Freude. Es gab auch immer wieder Konflikte aufgrund der kritischen Haltung, die viele Menschen in Deutschland damals gegenüber dem Apartheidsstaat Südafrika hatten und damit automatisch auch ihr gegenüber.
Unser Vater und wir Kinder dagegen fühlten uns in Deutschland wohl, wir fanden gute Freunde, kamen in der Schule zurecht und genossen den freiheitlichen Lebensstil der sechziger Jahre. Als aber 1966 die Stelle des Schulleiters an der Deutschen Schule Pretoria in der Afrika Post ausgeschrieben wurde, bewarb sich unser Vater seiner Frau zuliebe auf diesen Posten, der wiederum den Aufbau einer deutschen Schule im Ausland bedeuten würde. 1966 zog die ganze Familie zurück nach Afrika, dieses Mal nach Pretoria, in die Hauptstadt Südafrikas. Noch einmal bauten unsere Eltern eine deutsche Schule im südlichen Afrika bis zur 12. Klasse auf.
Was ist das Geheimnis einer großen Liebe? Wie übersteht sie Trennung und Entfernung? Was bedeutet Heimat und wo ist sie, wenn der Krieg eine Heimkehr unmöglich macht? Eine fesselnde Erzählung die einen neuen Blick auf die Geschichte der Deutschen in Afrika wirft und die zeigt, wie eng verflochten die Fäden sind, die die Kriegsgeneration noch immer mit der heutigen verbinden. Erika von Wietersheim erzählt die Geschichte ihrer Eltern Hildegard und Kurt Falke.
EPILOG (Kapitel 19, Teil 1/2)
Die Geschwister unserer Mutter hatten damals wenig Verständnis für ihre plötzliche Entscheidung und ihr Verlobter natürlich auch nicht. Einige meinten, dass sie sich mit unserem Vater nur unter dem Druck ihrer Eltern verlobt habe, die endlich einen deutschen Schwiegersohn gewollt hätten. Aber diese Unstimmigkeiten konnten ihre unbändige Freude und das Glück nicht trüben. Beide fühlten sich wie neu geboren, schmiedeten gemeinsame Zukunftspläne, und unsere Mutter konnte es plötzlich kaum erwarten, nach Südwestafrika zu ziehen.
In den nächsten zwölf Jahren wurden vier Falk-Kinder geboren, gleichzeitig bauten unsere Eltern gemeinsam mit der Schulgemeinschaft die Deutsche Schule Lüderitz bis zum 12. Schuljahr auf, also bis zur Universitätszulassung. Während dieser Zeit verdoppelte sich die Schülerzahl, man errichtete ein neues Schülerheim mit 170 Betten und die Schule wurde eine Schule am Meer, die im ganzen Land einen guten Ruf genoss.
Im Jahr 1961, nach dreizehn Jahren in Namibia, entschlossen sich unsere Eltern, nach Deutschland umzusiedeln. Für unseren Vater war es nach sechsundzwanzig Jahren die Rückkehr in seine geliebte Heimat, für unsere Mutter der erste Besuch im Land ihrer längst vergangenen Träume. Wahlheimat wurde Schleswig-Holstein. Sachsen kam zu der Zeit nicht in Frage, da es zur DDR gehörte, und in Schleswig-Holstein hatten sie das Meer nicht weit, die Ebenen, die Weite, die verhältnismäßig dünne Besiedlung und die Möglichkeit, in einer Kleinstadt oder auf dem Land zu wohnen. Unser Vater bekam in Pinneberg eine Stelle als verbeamteter Lehrer und Schulleiter und konnte seine Altersversorgung regeln.
Unsere Mutter freute sich auf die Begegnung mit dem Land ihrer Großeltern, wir Kinder freuten uns auf das Land, das wir hauptsächlich aus Märchenbüchern kannten, und unser Vater wollte das moderne Deutschland mit seinen neuen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen kennenlernen, in Konzerte gehen, Vorträge hören, wandern und durch grüne Landschaften fahren. Auch hoffte er, dass der Umzug nach Deutschland es seinen Kindern ermöglichen würde, ohne den inneren Zwiespalt unserer Mutter in einer einheitlichen Kultur und Sprache aufzuwachsen.
Trotz ihrer Heirat mit einem Deutschen und dem Umzug nach Deutschland glaube ich heute, dass unsere Mutter nie richtig „deutsch“ geworden ist, sondern immer einen lebendigeren Bezug zum Englischen und Afrikaansen hatte. Sie kannte zahlreiche englische Lieder und Musicals, konnte aus englischen Gedichten zitieren, liebte Shakespeare, Oscar Wilde und Bernard Shaw, sie zählte auf Englisch – und sie fluchte auf Englisch! Mit Engländern und Afrikaanern war sie locker, entspannt, lässig, in einer Unterhaltung mit Deutschen, besonders Deutschen aus der Bundesrepublik, war sie immer ein wenig angespannt.
Auch in ihrer Grundhaltung dem Leben gegenüber war sie eher „englisch“. Während unser Vater alles genau und ausführlich durchsprechen oder diskutieren musste, liebte unsere Mutter das Understatement. Unser Vater hatte einen eher groben sächsischen Humor, sie liebte den feinen Humor der Briten, er konnte sich stundenlang über weltanschauliche Fragen erregen, unsere Mutter war mehr down to earth.
Unserem Vater hat es gefallen, dass sie anders war, als es vielleicht eine deutsche Frau gewesen wäre, sie forderte ihn heraus, gegen den Strich zu denken, auch andere Sprachen tiefer als nur in direkter Übersetzung zu verstehen und Zugang zu ihrer südafrikanisch geprägten Welt zu finden.
Das Leben in Deutschland war für unsere Mutter eine Enttäuschung. Sie hatte es sich anders vorgestellt, das Wetter nicht so trüb, das Leben nicht so hektisch, die Norddeutschen nicht so zurückhaltend. Die Heimat ihrer Großeltern konnte sie nicht besuchen, da Schlesien hinter dem Eisernen Vorhang lag, und die Besuche in die Heimat unseres Vaters, nach Leipzig, waren eher ein bürokratischer Alptraum als eine Freude. Es gab auch immer wieder Konflikte aufgrund der kritischen Haltung, die viele Menschen in Deutschland damals gegenüber dem Apartheidsstaat Südafrika hatten und damit automatisch auch ihr gegenüber.
Unser Vater und wir Kinder dagegen fühlten uns in Deutschland wohl, wir fanden gute Freunde, kamen in der Schule zurecht und genossen den freiheitlichen Lebensstil der sechziger Jahre. Als aber 1966 die Stelle des Schulleiters an der Deutschen Schule Pretoria in der Afrika Post ausgeschrieben wurde, bewarb sich unser Vater seiner Frau zuliebe auf diesen Posten, der wiederum den Aufbau einer deutschen Schule im Ausland bedeuten würde. 1966 zog die ganze Familie zurück nach Afrika, dieses Mal nach Pretoria, in die Hauptstadt Südafrikas. Noch einmal bauten unsere Eltern eine deutsche Schule im südlichen Afrika bis zur 12. Klasse auf.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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