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Peter Pan - ein paradiesisches Sozialprojekt bröckelt

Das Sozialprojekt Peter Pan bei Omaruru steht seit Anfang des Jahres im Kreuzfeuer der Kritik, nachdem die AZ Zustände und Hintergründe öffentlich gemacht und dabei Widersprüche aufgedeckt hatte. Dabei stieß die AZ auf ein Geflecht aus Missständen, Lügen und Angst, das nur schwer zu entwirren ist. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über den Recherchestand.

Es begann mit einem Anruf. Am anderen Ende der Leitung war Ralph Mertens. Der 39-jährige Münchner war sauer, hatte er doch gerade eine Reise von über 15000 Kilometern hinter sich. Und das nicht bequem mit dem Flugzeug, sondern per Fahrrad. Über Osteuropa und die Türkei, Nord- und Ostafrika war er seit Mai 2003 bis ins südliche Afrika nach Omaruru geradelt und hatte dabei auch Station in gefährlichen Regionen wie dem Irak und dem Sudan gemacht - und das alles für einen guten Zweck. Ralph Mertens dokumentierte seine Reise in Dias, nach seiner Rückkehr nach Deutschland wollte er diese präsentieren und mit einem Teil des Erlöses das Projekt Peter Pan bei Omaruru unterstützen.

Doch es sollte anders kommen. Als Ralph Mertens und seine Reisepartnerin Renata Volkmann im November 2004 in Omaruru und auf Peter Pan eintrafen, waren sie geschockt, als sie nichts von dem vorfanden, was sie erwartet hatten. Sie stellten ihr Engagement ein und begannen stattdessen, die Hintergründe von Peter Pan etwas näher zu beleuchten.

Rückblende: Anfang 2003 lernte Mertens den katholischen Pater Johannes Neudegger kennen, der ihn für das Projekt Peter Pan begeisterte. Der heute 77-Jährige war lange Jahre in Afrika im Dienst und hatte sich vor allem der Unterstützung unversorgter Kinder verschrieben. Im Omaruru beteiligte er sich an mehreren Projekten und kaufte unter anderem im Jahr 2001 die Farm Peter Pan von Brian Enslin und setzte Marieta und Hyron Schouw als Betreiber ein. Bezahlt wurde die Immobilie im Wert von 550000 N$ nach Angaben des Geistlichen, dem der Erwerb von Privatbesitz nicht gestattet ist, durch Spendengelder. Er selbst habe die Farm dann - auf Grund des Armutsgelübdes - "nach wenigen Stunden dem Peter-Pan-Trust" überschrieben. Über die Zusammensetzung und Registrierung dieses Trusts schweigen sich sowohl die Familie Schouw als auch Neudegger selbst bis heute aus.

Gegenüber Ralph Mertens berichtete Neudegger, dass es sich um ein Waisenhaus handele, was der Fahrradfahrer auch - fälschlicherweise, wie sich später herausstellte - auf seiner Homepage so vermittelte. Doch Neudegger hatte in Deutschland noch mehr in die Wege geleitet: Dem Jugendamt in Neu-Ulm präsentierte er Peter Pan als Resozialisierungsstelle für schwer erziehbare Jugendliche - mit Erfolg, wurden doch zwei deutsche Jungen auf die Farm geschickt, ein weiterer nahm dort durch Vermittlung einer Verwandten eine Auszeit. Außerdem hatte der katholische Geistliche Peter Pan gemeinsam mit der Missionsstation Waldfrieden bei Omaruru, auf der er auch tätig gewesen war, als Anbieter des so genannten "Anderen Dienst im Ausland", einem Wehrersatzdienst, beim deutschen Familienministerium registrieren lassen. Als Träger gab er dabei den von ihm mit gegründeten gemeinnützigen Verein Miteinander Neue Wege Gehen e.V. an. Peter Pan - es mutet an wie ein Sozialparadies.

Doch das Paradies bröckelt: Mertens und andere Augenzeugen berichten von einer völlig verdreckten Wohnstätte der Arbeiter, offensichtlich rassistischen Betreibern und keinen Kindern - was Mertens bei einem Waisenhaus erwartet hatte. Die zu der Zeit noch anwesenden schwer erziehbaren Jugendlichen berichten von Aussagen der - übrigens über keinerlei pädagogische Ausbildung verfügenden - Marieta Schouw, nach denen "Hitler nur im falschen Land" gewesen und sie selbst Hitlers Schwester sei, die man "mal vergasen sehen" sollte. Die schwer erziehbaren Jugendlichen, eigentlich zur Resozialisierung nach Peter Pan geschickt, sprechen außerdem von Schlägen, Drogenmissbrauch, Betrug und Verwahrlosung. Stockhiebe in der Schule, der Betreiber im Drogenrausch, Spendenkleider, die nicht verteilt, sondern verkauft und polizeiliche Aussagen, die erzwungen werden. Man habe ihnen sogar Geld und Belohnungen geboten, um andere Personen, darunter auch Hyron Schouw, "aus dem Weg zu schaffen".

In Deutschland weiß und merkt man zunächst nichts von den Missständen, Pater Johannes deckt seine priesterliche Kutte des Schweigens über das, was auch er eigentlich wissen und gesehen haben muss. Erst als Christopher Gulde, ein 24-Jähriger aus Süddeutschland, seinen freiwilligen Aufenthalt als Helfer auf Peter Pan vorzeitig abbricht und dem zuständigen Jugendamt Bericht erstattet, werden auch dort die Behörden hellhörig. Die weitere Entsendung von Jugendlichen wird zunächst eingestellt, weil Neudegger dem Jugendamt keine Genehmigung für sein Projekt vorweisen kann.

Gegen Gulde wird umgehend mit scharfen Geschützen gefeuert: Er habe auf Peter Pan ein Mädchen missbraucht, zunächst war sogar von Vergewaltigung die Rede, wird im Umfeld von Peter Pan verbreitet. Beweise gibt es nicht. Pater Johannes streitet nach außen die Vorfälle ab, nimmt aber in privaten, der AZ vorliegenden E-Mails Bezug darauf. Als Gulde gegenüber der AZ weiter auspackt, greift Schouw ihn persönlich an, diffamiert seine Familie, ihn selbst und sein Umfeld - haltlos oder im falschen Zusammenhang, wie sich herausstellen sollte. Doch die Schlinge um den Hals von Peter Pan und Pater Neudegger zieht sich weiter zu. Neue Zeugen tauchen auf, bringen Steinschmuggel, Geldwäsche und sogar Pädophilie ins Gespräch. In einem der AZ vorliegenden Schriftstück aus einer hohen Stelle der katholischen Kirche wird Neudegger angedroht, ihn wegen seiner unsachgemäß geführten Projekte auffliegen zu lassen.

Unterdessen hat auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Untersuchungen angestellt. Das dort registrierte Projekt "Peter Pan Farm RCM Waldfrieden", in das jugendliche Ersatzdienstleistende entsendet werden sollen, wird vom Träger, dem Verein Miteinander Neue Wege Gehen e.V., abgemeldet. Die beiden aus Deutschland nach Waldfrieden geschickten Ersatzdienstleistenden haben in der vergangenen Woche nach nur vier Monaten in einer geheimen Aktion die Flucht von der Missionsstation ergriffen und bereiten derzeit in Deutschland eine eidesstattliche Erklärung zu den Vorfällen vor. Ohnehin war der angemeldete Projektname fraglich - laut Aussage des für Waldfrieden verantwortlichen Abtes Gottfried Sieber aus Inkamana in Südafrika stehen die Missionsstation und Peter Pan in keiner Beziehung.

Viele Fragen bleiben vorerst offen. Aus Angst schweigen wichtige Zeugen. Neudegger und Familie Schouw verweigern Antworten und kommunizieren mit der AZ nur noch über einen Anwalt. Neudegger droht mit "langjährigen Juristenfreunden", sachdienliche Hinweise oder Klarstellungen erhofft man von ihm vergebens. Doch noch sind nicht alle Zeugenaussagen be- und ausgewertet, noch nicht alle Vorgänge geprüft. Klar ist allerdings schon jetzt: Die Fassade des vermeintlich funktionierenden Sozialprojekts ist gekippt.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-17

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