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Pistorius: Zweites mildes Urteil sorgt für Ernüchterung
Pistorius: Zweites mildes Urteil sorgt für Ernüchterung

Pistorius: Zweites mildes Urteil sorgt für Ernüchterung

Bianca Ahrens
Zur letzten Anhörung vor drei Wochen hatte Oscar Pistorius noch einmal alle Register gezogen. Auf Anweisung seines Anwaltes hatte der beidseitig beinamputierte Sprinter, der am Valentinstag 2013 seine Freundin Reeva Steenkamp im Badezimmer seines Hauses in Pretoria erschoss, seine Prothesen abgeschnallt und war vor den Augen der Prozessbesucher und Fernsehkameras auf seinen Stümpfen schluchzend hin- und hergehumpelt.


Peinlich berührt schauten viele der Anwesenden damals ob des unwürdigen Spektakels zu Boden; einige weibliche Fans des einstigen südafrikanischen Nationalhelden in der Besuchergalerie begannen leise zu weinen. Es war eine Selbstdemütigung sondergleichen, aber auch der Versuch, aller Welt noch einmal zu zeigen, wie verwundbar er gerade in der Tatnacht gewesen sei, als der heute 29-Jährige nach eigenem Bekunden einen vermeintlichen Einbrecher in seiner verschlossenen Toilette wähnte und angeblich mit seiner Freundin verwechselte. Im Gegensatz zu dieser Version hatte die Staatsanwaltschaft bis zuletzt darauf beharrt, dass Pistorius seine Freundin im Streit erschossen habe und deshalb ein Mörder sei.


Am Ende erfüllte der dramatische Auftritt des einstigen südafrikanischen Nationalhelden dann doch seinen Zweck – und beeindruckte zumindest die abermals Vorsitzende Richterin Thokozile Masipa. Nachdem diese ihn schon Ende 2014 in erster Instanz nur wegen fahrlässiger Tötung verurteilt und ausgesprochen milde fünf Jahre Haft gegen ihn verhängt hatte, erhielt Pistorius gestern von der Richterin im Anschluss an ein Berufungsverfahren nur eine minimal erhöhte Haftstrafe von sechs Jahren - diesmal allerdings wegen „Mordes“, was im deutschen Strafrecht dem Tatbestand des Totschlags entspricht.


Zuvor hatte im Dezember 2014 das Höchste Berufungsgericht Südafrikas in Bloemfontein eine deutliche Verschärfung der Strafe angemahnt und dies damit begründet, dass der Angeklagte eine klar kriminelle Absicht hatte, als er am Valentinstag 2013 viermal durch die von innen verriegelte Toilettentür geschossen und dabei seine Freundin getötet hatte. Die Mindeststrafe für eine solch vorsätzliche Tötung liegt in Südafrika eigentlich bei 15 Jahren; bei mildernden Umständen kann sie allerdings reduziert werden. Dass dies nun in derart drastischem Ausmaß geschah, mutet unter vielen Experten sensationell an – und dürfte vor allem die Eltern und Angehörigen des Opfers bitter enttäuschen, die eine weit härtere Strafe erwartet hatten. Um dies zu erreichen, hatten Barry und June Steenkamp am Ende sogar eine Veröffentlichung der Fotos ihrer ermordeten Tochter erwirkt. Der Vater der Getöten hatte in seinem Schlussplädoyer im vergangenen Monat ausdrücklich eine sehr viel härtere Strafe gefordert. Pistorius müsse für sein Verbrechen zahlen.


Verblüffend ist das abermals sehr milde Urteil auch deshalb, weil Richterin Masipa nach einstimmiger Meinung des Berufungsgerichts im Hauptverfahren einen grundlegenden juristischen Fehler begangen hatte: Als Pistorius die Schüsse abgab, habe er demnach nämlich gewusst, dass sich eine Person in der verriegelten Toilette befand - und in dem winzigen Raum mit hoher Wahrscheinlichkeit von der stark zerstörerischen Munition getötet würde. „Die Schlussfolgerung, dass der Angeklagte eine mögliche Tötung nicht vorhersehen konnte und somit keine Tötungsabsicht vorlag, sei somit nicht zutreffend gewesen“, hieß es im Urteil des Berufungsgerichtes. Auch sei es zum Tatbestand des vorsätzlichen Handelns nicht nötig, dass ein Täter wisse, wer sein Opfer ist. „Eine Person, die eine Bombe in eine Menschenmenge wirft, weiß nicht um die Identität der Opfer, aber hat dennoch die eindeutige Absicht, diese zu töten.“


Pistorius wurde der Nachrichtenagentur Reuters zufolge nach dem Urteilsspruch umgehend in das Kgosi-Mampuru-II-Gefängnis in Pretoria zurückgebracht, das er erst im Oktober nach nur einem Jahr Haftzeit verlassen hatte, um den Rest seiner Strafe im Hausarrest auf dem Anwesen seines Onkel Arnolds zu verbüßen. Vieles deutet darauf hin, dass dies nun der wirklich letzte Akt in dem Marathonprozess gegen den einstigen Spitzensportler war. Zwar könnte Pistorius einen Berufungsantrag gegen das leicht höhere Strafmaß stellen, allerdings dürfte dies angesichts des abermals nur geringen Strafmaßes sehr unwahrscheinlich sein. Eher wird mit weiteren juristischen Aktivitäten der Staatsanwaltschaft gerechnet, da die neue Strafe beträchtlich von der Norm bei einer vorsätzlichen Tötung abweicht.


Für Südafrika war der nun zu Ende gegangene Prozess ein Drama von geradezu epischer Dimension, der die Menschen am Kap über drei Jahre lang in Atem hielt und monatelang die Gespräche im Land dominierte. Umso ernüchternder ist für viele nun das von den allermeisten als zu milde empfundene Urteil. Was bleibt, ist, dass Pistorius als „schnellster Mann ohne Beine“ Sportgeschichte geschrieben hat. Wegen eines genetischen Defekts waren ihm seine beiden Unterschenkel schon im Säuglingsalter amputiert worden. Nach einer Vielzahl von Goldmedaillen bei den Paralympics war er schließlich 2012 als erster doppelt amputierter Sprinter bei den Olympischen Spielen in London gegen die Topläufer der Welt angetreten. Die Tat in der Nacht zum Valentinstag 2013 hatte seine Ausnahmekarriere dann aber jäh beendet. Es gilt als ausgeschlossen, dass er international jemals wieder antreten wird.


Wolfgang Drechsler, Kapstadt

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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