Politische Doktorarbeit wider das Vergessen ehemaliger Häftlinge
Wer sich im Rahmen eines sozialwissenschaftlichen Studiums zu einer Feldforschung in Namibia entschließt, muss damit rechnen, dass dies nur der Anfang einer tieferen und dauerhafteren Beziehung zum Land und seinen Menschen ist. Justine Hunter ist keinesfalls die erste, die davon zeugt. 1997/98 kam sie erstmals zu Recherchen für ihre Magisterarbeit nach Namibia. 2004 schloss sie ihre daran anknüpfende Doktorarbeit ab, die jetzt in überarbeiteter (Kurz-)Fassung veröffentlicht wurde (Absurdität am Rande: aufgrund eines Schreibfehlers in der Geburtsurkunde muss die Studie aus rechtlichen Gründen unter dem Vornamen Gustine publiziert werden).
Inzwischen leitet die Politikwissenschaftlerin das Namibia Institute for Democracy (NID) und ist damit integraler Teil zivilgesellschaftlicher Aktivitäten geworden. Auch wenn politikwissenschaftliche Dissertationen nur selten politisch relevant sind, ist es die vorliegende unzweifelhaft. Da Hunter zudem ohne akademisches Kauderwelsch auskommt, erhöht sich der Gebrauchs- und Nutzwert ihrer Ergebnisse auch für ein am Thema interessiertes breiteres Publikum deutlich - was nicht von allzu vielen Dissertationen behauptet werden kann.
Justine Hunter nimmt sich mit den Menschenrechtsverletzungen der SWAPO im Exil - die den Hauptteil der Arbeit ausmachen - eines Tabuthemas an, das zuvor jenseits der unmittelbar Betroffenen nur von Pastor Siegfried Groth mit seiner 1995 erschienenen "Namibischen Passion" und in ähnlich couragierter Form vor Ort von dem früheren Theologieprofessor an der Universität Namibia Christo Lombard aufgegriffen wurde. Sie machten sich zu Advokaten der so genannten Ex-Gefangenen ("ex-detainees"), die das Martyrium in Gefangenschaft der eigenen Befreiungsorganisation überlebten, aber bisher keinerlei Rehabilitierung oder auch nur öffentliche Form der Anerkennung des ihnen zugefügten Leids und Unrechts erfuhren. In einem Vorwort vermerkt Pastor Groth zu Recht, dass seine Pionierleistungen durch die wissenschaftliche Vertiefung zusätzliches Gewicht finden.
Unterdrücktes KapitelDabei vermeidet die Verfasserin, sich allzu vordergründig einseitig auf eine moralisch simplifizierende Position der Schuldzuweisung festlegen zu lassen. Ohne Relativierungen, die als Schutzbehauptung für die SWAPO ausgelegt werden könnten, weist sie jedoch darauf hin, "dass das Apartheidsystem als Verbrechen gegen die Menschlichkeit internationale Ächtung erfahren hat und seine politisch motivierten Gewalttaten zumindest in ihren Grundzügen seit mindestens dreißig Jahren zum Allgemeinwissen gehören. Dagegen ist die Interniertenfrage ein verstecktes und unterdrücktes Kapitel der jüngsten Geschichte, welches im Namen zahlreicher Betroffener und der kritischen Betrachtung internationaler Solidarität unverzüglicher Anerkennung bedarf." (S. 25f.)
Das Ergebnis ist eine empirisch gründliche Bestandsaufnahme, die zahlreiche bislang unbekannte Details dokumentiert und Quellentexte erschließt, welche die Geschichte der Unterdrückung in den Reihen der Befreiungsbewegung seit den 1960er Jahren verfolgt. Dabei wird die Hypothese vertreten, "dass die friedliche politische Transition und Versöhnungspolitik mit ihrer Straffreiheit für Menschenrechtsverbrecher ein unverarbeitetes Vermächtnis der politischen Gewalt hinterlässt. Zu den Stolpersteinen für die Konsolidierung der namibischen Demokratie zählen Elemente einer politischen Kultur, welche in dem hierarchisch-autoritären Klima sowohl des menschenverachtenden Apartheidsystems als auch des militärischen Befreiungskampfes ausgebildet und zementiert wurden und daher als deren Erbe zu verstehen sind." (S. 20)
Die Studie wirft im Zuge der Bilanzierung solcher Hypothek auch weiteres Licht auf die erheblich massiveren Menschenrechtsverletzungen unter dem südafrikanischen Besatzungsregime und widmet sich insbesondere den Aktivitäten von Koevoet und den von Wouter Basson und anderen zu verantwortenden Gräueltaten. Sie erinnern nochmals eindringlich daran, dass es scheinheilig wäre, nur die Menschenrechtsverletzungen der Befreiungsbewegung anzuprangern und die ungleich systematischeren Ausmaße der institutionalisierten südafrikanischen Repression zu übergehen.
Eine Nachahmung der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC), hält Hunter aus verschiedenen Gründen für wenig Erfolg versprechend. Jedoch bedauert sie, dass die namibische Regierung die Möglichkeit einer engen Zusammenarbeit mit der TRC zurück wies. So scheint ihr die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission als Ergebnis zivilgesellschaftlicher Initiativen eine Möglichkeit, die dem Vorbild südamerikanischer Länder folgen könnte (S. 146). Zugleich weist sie aber auch darauf hin, dass in diesen Ländern die jeweiligen Elternkomitees bei der Klärung des Schicksals von Vermissten in ihren Einflussmöglichkeiten dadurch begünstigt wurden, dass unter den Betroffenen vor allem Angehörige der Mittelschicht waren (S. 115).
Gefangene ihrer SolidaritätAuch fanden diese Initiativen in der Katholischen Kirche häufig ein wichtiges Element der Unterstützung. Im Falle Namibias hingegen erwiesen sich die Kirchen als "Gefangene ihrer Solidarität" - so der Titel des ersten Abschnitts eines eigenen Kapitels zu deren zögerlicher Haltung (S. 196). Mit Sorgfalt und Akribie lässt die Verfasserin auch hier wie in den anderen Teilen der Arbeit die Quellen weit gehend für sich selbst sprechen, um die unrühmliche Rolle der meisten Beteiligten zu dokumentieren.
Hunter stellt abschließend fest, "dass den Mindestanforderungen für Aufarbeitungsprozesse ... in Namibia nicht entsprochen wird" (S. 210). Stattdessen "dient als Vergessensanspruch getarnte selektive Geschichtsverweigerung dem Alleinvertretungsanspruch der Regierungspartei auf hegemonialen Machterhalt" (S. 211). Dabei insistiert sie, dass "auch die kritische Historiographie dazu beitragen kann, dass der Anspruch der Opfer auf einen Platz in der Geschichte nicht ungehört verhallen muss" (S. 213).
Mit ihrer umfangreichen Dokumentation vermag sie selber den Beleg dafür zu erbringen. Der einzige Wermutstropfen ist die Abfassung in deutscher Sprache. Das Buch von Siegfried Groth erlangte - wie auch von Justine Hunter ausführlich dokumentiert - in Namibia erst die ihm zustehende Bedeutung, als 1996 eine englische Fassung die Brisanz der Inhalte zugänglich machte und wie eine Bombe einschlug. Auch diese Dissertation könnte wohl leider nur in einer der Bevölkerungsmehrheit vertrauten Sprache gesellschaftspolitisch relevant werden und damit zu dem von den Autorin selbst angeführten Potential verdrängter Konflikterinnerungen beitragen, "das nationale Schweigen zu durchbrechen" (S. 214).
Inzwischen leitet die Politikwissenschaftlerin das Namibia Institute for Democracy (NID) und ist damit integraler Teil zivilgesellschaftlicher Aktivitäten geworden. Auch wenn politikwissenschaftliche Dissertationen nur selten politisch relevant sind, ist es die vorliegende unzweifelhaft. Da Hunter zudem ohne akademisches Kauderwelsch auskommt, erhöht sich der Gebrauchs- und Nutzwert ihrer Ergebnisse auch für ein am Thema interessiertes breiteres Publikum deutlich - was nicht von allzu vielen Dissertationen behauptet werden kann.
Justine Hunter nimmt sich mit den Menschenrechtsverletzungen der SWAPO im Exil - die den Hauptteil der Arbeit ausmachen - eines Tabuthemas an, das zuvor jenseits der unmittelbar Betroffenen nur von Pastor Siegfried Groth mit seiner 1995 erschienenen "Namibischen Passion" und in ähnlich couragierter Form vor Ort von dem früheren Theologieprofessor an der Universität Namibia Christo Lombard aufgegriffen wurde. Sie machten sich zu Advokaten der so genannten Ex-Gefangenen ("ex-detainees"), die das Martyrium in Gefangenschaft der eigenen Befreiungsorganisation überlebten, aber bisher keinerlei Rehabilitierung oder auch nur öffentliche Form der Anerkennung des ihnen zugefügten Leids und Unrechts erfuhren. In einem Vorwort vermerkt Pastor Groth zu Recht, dass seine Pionierleistungen durch die wissenschaftliche Vertiefung zusätzliches Gewicht finden.
Unterdrücktes KapitelDabei vermeidet die Verfasserin, sich allzu vordergründig einseitig auf eine moralisch simplifizierende Position der Schuldzuweisung festlegen zu lassen. Ohne Relativierungen, die als Schutzbehauptung für die SWAPO ausgelegt werden könnten, weist sie jedoch darauf hin, "dass das Apartheidsystem als Verbrechen gegen die Menschlichkeit internationale Ächtung erfahren hat und seine politisch motivierten Gewalttaten zumindest in ihren Grundzügen seit mindestens dreißig Jahren zum Allgemeinwissen gehören. Dagegen ist die Interniertenfrage ein verstecktes und unterdrücktes Kapitel der jüngsten Geschichte, welches im Namen zahlreicher Betroffener und der kritischen Betrachtung internationaler Solidarität unverzüglicher Anerkennung bedarf." (S. 25f.)
Das Ergebnis ist eine empirisch gründliche Bestandsaufnahme, die zahlreiche bislang unbekannte Details dokumentiert und Quellentexte erschließt, welche die Geschichte der Unterdrückung in den Reihen der Befreiungsbewegung seit den 1960er Jahren verfolgt. Dabei wird die Hypothese vertreten, "dass die friedliche politische Transition und Versöhnungspolitik mit ihrer Straffreiheit für Menschenrechtsverbrecher ein unverarbeitetes Vermächtnis der politischen Gewalt hinterlässt. Zu den Stolpersteinen für die Konsolidierung der namibischen Demokratie zählen Elemente einer politischen Kultur, welche in dem hierarchisch-autoritären Klima sowohl des menschenverachtenden Apartheidsystems als auch des militärischen Befreiungskampfes ausgebildet und zementiert wurden und daher als deren Erbe zu verstehen sind." (S. 20)
Die Studie wirft im Zuge der Bilanzierung solcher Hypothek auch weiteres Licht auf die erheblich massiveren Menschenrechtsverletzungen unter dem südafrikanischen Besatzungsregime und widmet sich insbesondere den Aktivitäten von Koevoet und den von Wouter Basson und anderen zu verantwortenden Gräueltaten. Sie erinnern nochmals eindringlich daran, dass es scheinheilig wäre, nur die Menschenrechtsverletzungen der Befreiungsbewegung anzuprangern und die ungleich systematischeren Ausmaße der institutionalisierten südafrikanischen Repression zu übergehen.
Eine Nachahmung der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC), hält Hunter aus verschiedenen Gründen für wenig Erfolg versprechend. Jedoch bedauert sie, dass die namibische Regierung die Möglichkeit einer engen Zusammenarbeit mit der TRC zurück wies. So scheint ihr die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission als Ergebnis zivilgesellschaftlicher Initiativen eine Möglichkeit, die dem Vorbild südamerikanischer Länder folgen könnte (S. 146). Zugleich weist sie aber auch darauf hin, dass in diesen Ländern die jeweiligen Elternkomitees bei der Klärung des Schicksals von Vermissten in ihren Einflussmöglichkeiten dadurch begünstigt wurden, dass unter den Betroffenen vor allem Angehörige der Mittelschicht waren (S. 115).
Gefangene ihrer SolidaritätAuch fanden diese Initiativen in der Katholischen Kirche häufig ein wichtiges Element der Unterstützung. Im Falle Namibias hingegen erwiesen sich die Kirchen als "Gefangene ihrer Solidarität" - so der Titel des ersten Abschnitts eines eigenen Kapitels zu deren zögerlicher Haltung (S. 196). Mit Sorgfalt und Akribie lässt die Verfasserin auch hier wie in den anderen Teilen der Arbeit die Quellen weit gehend für sich selbst sprechen, um die unrühmliche Rolle der meisten Beteiligten zu dokumentieren.
Hunter stellt abschließend fest, "dass den Mindestanforderungen für Aufarbeitungsprozesse ... in Namibia nicht entsprochen wird" (S. 210). Stattdessen "dient als Vergessensanspruch getarnte selektive Geschichtsverweigerung dem Alleinvertretungsanspruch der Regierungspartei auf hegemonialen Machterhalt" (S. 211). Dabei insistiert sie, dass "auch die kritische Historiographie dazu beitragen kann, dass der Anspruch der Opfer auf einen Platz in der Geschichte nicht ungehört verhallen muss" (S. 213).
Mit ihrer umfangreichen Dokumentation vermag sie selber den Beleg dafür zu erbringen. Der einzige Wermutstropfen ist die Abfassung in deutscher Sprache. Das Buch von Siegfried Groth erlangte - wie auch von Justine Hunter ausführlich dokumentiert - in Namibia erst die ihm zustehende Bedeutung, als 1996 eine englische Fassung die Brisanz der Inhalte zugänglich machte und wie eine Bombe einschlug. Auch diese Dissertation könnte wohl leider nur in einer der Bevölkerungsmehrheit vertrauten Sprache gesellschaftspolitisch relevant werden und damit zu dem von den Autorin selbst angeführten Potential verdrängter Konflikterinnerungen beitragen, "das nationale Schweigen zu durchbrechen" (S. 214).
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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