Reiz zu Neuaufbruch
Zusammen mit Theunis Keulder vom Namibischen Institut für Demokratie (NID) hat der ehemalige Vizeminister, Wahldirektor und Hochschullehrer Tötemeyer vor interessiertem Publikum seine umstrittene Schrift „Obstacles to Reconiciliation and Stability in the Namibian State and Society“ vorgestellt (Hindernisse zur Versöhnung und Stabilität im namibischen Staat und der Gesellschaft). „Die Schrift soll provozieren und hoffentlich zu konstruktivem Diskurs beitragen“, sagte Tötemeyer freimütig, nachdem er unverblümt Regierung und Gesellschaft kritisiert und angegriffen hatte. Keulder hatte zur Einführung schon betont, dass die Demokratie kontinuierliche Diskussion, Bestandsaufnahme und Beurteilung erfordere. Nach 23 Jahren namibischer Souveränität nimmt Tötemeyer in der Schrift eine unverblümte Bestandsaufnahme vor, weil er Politik und Gesellschaft verfahren und verkrustet versteht. „Die Herausforderung besteht darin, wie wir die Defizite und Mängel am besten überwinden, um unsere verfassungsmäßige Demokratie zu stabilisieren und erhalten.“
Dazu geht er die neuralgischen Bereiche systematisch an, von den Themen Tribalismus, Ethnozentrismus und Rassismus über das Wertesystem der Gesellschaft zur Frage nach dem Stellenwert der Demokratie im Rahmen der Dominanz , der Hegemonie und der Einparteienherrschaft (SWAPO) bis zur Frage nationaler Aussöhnung. Der politische Analyst möchte wissen, ob Namibia überhaupt den „Lackmus-Test“ eines funktionierenden Rechtsstaates bestehen könne. Mit dringenden Fragen entblößt Tötemeyer die derzeitige sozio-politische Ordnung als anfechtbar. So bemängelt er, dass die hohen Ideale, mit denen Namibia seine Unabhängigkeit angetreten hat, dem Werteverfall gewichen sind. „Ich befasse mich ausführlich mit der Korruption und ihrer Auswirkung auf den Niedergang der Moral in unserer Gesellschaft. Namibia krankt an einer moralischen Rezession und Krise.“ Das gehe allein schon aus der Antwort auf die Frage hervor, wer die eigentlichen Nutznießer der post-kolonialen Ära seien. „Sind es die noch vorherrschenden Weißen mit schwarzen Mitbürgern in der Mittelklasse und Oberschicht, die neureiche Elite?“ Er weist darauf hin, wie der Graben zwischen der schwarzen Mittelklasse und Oberschicht und den schwarzen Arbeitern immer tiefer aufklafft. Auf diesem Weg könnten weder soziopolitischer Zusammenhalt noch Gleichheit hergestellt werden. Hier setzt er noch eins darauf: „Solange BEE (black economic empowerment) und Korrekturmaßnahmen (affirmative action) auf der Rasse basieren, können wir uns nicht als nicht-rassistische Gesellschaft bezeichnen.“
Die Schrift (ISBN978-99916-865-9-2) wurde vom NID herausgegeben und dürfte sowohl im Institut und auch im Buchhandel erhältlich sein.
Eberhard Hofmann, Windhoek
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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