Räuber mit Imageproblem
Von Undine Konrad, Windhoek
Suchend schaut Florian Weise in die Weite. Nichts. „Komm, komm, komm“, ruft er von der Holzplattform oberhalb des 16 Hektar großen Geheges aus voller Brust in den Busch. Nichts. „Witzig, wie die sich verändert haben, seitdem sie erwachsen sind“, spricht er dann wie ein Papa über seinen flügge gewordenen Nachwuchs. Weise ist der Ziehvater der 14 Wildhunde, die 2010 als verwaiste Welpen in der N/a`an ku sê Foundation landeten. Sie stellten den Biologen vor eine schwierige Frage: „Was machen wir mit ihnen?“ Er organisierte einen Workshop zum Austausch mit Experten. Gemeinsam mussten sie sich eingestehen, dass es an grundlegendem wissenschaftlichen Wissen fehlt. Das war die Geburtsstunde eines in diesem Land bislang einmaligen Forschungsprojektes.
18 Monate läuft das „Namibia African Wild Dog Project“ nun. Untersucht werden die wild lebenden Rudel im Nordosten des Landes, der einzigen Gegend, in der sie anscheinend noch vorkommen. Analysiert wird ein 3500 Quadratkilometer großer Streifen zwischen Etoscha und Kaudum, das Mangetti-Gebiet. Hier sollen sie seit 20 Jahren sesshaft sein. Doch selbst wie viele es aktuell gibt, ist unbekannt. Die Schätzungen in Studien schwanken zwischen 160 und 1600 verbliebenen Tieren in Namibia, erzählt Florian Weise, der leitende Wissenschaftler des Forschungsvorhabens. Einzig fest steht: Wildhunde sind die zweitbedrohteste große Raubtierart in Afrika, nach dem Äthiopischen Wolf.
An dem Projekt arbeiten als gleichberechtigte Partner die N/a`an ku sê Foundation, die AfriCat Foundation und die Namibia Nature Foundation (NNF). Wertvolle Unterstützung leisten das Ministerium für Umwelt und Tourismus (MET) sowie die Namibia Development Corporation (NDC). MET-Angestellte fotografieren zum Beispiel jeden Wildhund, den sie sehen, und auch dessen gerissene Opfer, erzählt Weise dankbar. NDC notiere jeden gesichteten Wildhund, stelle Fahrzeuge und Arbeitsräume im Norden zur Verfügung. „Das Schöne ist: Es geht nicht um Profilierung, sondern darum, etwas herauszufinden“, lobt er. „Auch nach anderthalb Jahren reden wir alle noch miteinander, selbst Farmer machen mit.“
Für die Wissenschaftler dreht sich alles um die Kernfrage: Kann sich der kleine vorhandene Bestand aus sich heraus erhalten? Denn in einem Rudel - als Zuchteinheit gesehen - zeugt nur ein Paar Nachwuchs. „Der Knackpunkt ist die Gruppengröße von mindestens fünf erwachsenen Tieren“, sagt Weise. Denn wenn ein Weibchen Junge bekommt, wird mindestens ein weiteres Rudelmitglied als Bewacher abgestellt, um den Erfolg der Aufzucht zu steigern. „Dann sind es schon zwei, die nicht mehr jagen“, rechnet der Biologe vor. Bei durchschnittlich zwölf Jungen pro Wurf wird es für die nur drei jagdfähigen Tiere zunehmend eng, alle Mäuler zu stopfen. Die Experten wollten daher zunächst ermitteln, wie viele Gruppen sich im Studiengebiet aufhalten und aus wie vielen erwachsenen Tieren diese jeweils bestehen.
Florian Weise und seine Kollegen haben an sämtlichen Wasserlöchern im Mangetti-Gebiet Wildkameras angebracht. Diese lösen bei Bewegung aus, selbst nachts. Anhand des einzigartigen Fellmusters, das jedem Tier von Geburt an unveränderlich gegeben ist, können die Wissenschaftler Individuen identifizieren und deren Routen nachvollziehen.
„Im Moment sind uns vier Gruppen bekannt“, sagt Weise. Dem Anschein nach besteht eine aus drei erwachsenen Tieren, eine aus vier Erwachsenen, eine aus fünf und eine aus 13 geschlechtsreifen Mitgliedern. Letzteres Rudel hat elf Welpen. In der Gruppe mit vier Erwachsenen gibt es zwei Welpen, in jener mit fünf Erwachsenen dreimal Nachwuchs. Der Biologe geht davon aus, dass lediglich eine sehr kleine Zahl von Jungtieren überlebt.
Selbst unter idealeren N/a`an ku sê-Bedingungen ist 2010 ein Weibchen gestorben. Die restlichen 13 haben es geschafft. Zutraulich sind sie nicht mehr, neugierig hingegen schon. Dass sie den Ruf von „Papa Flo“ so komplett ignorieren, lässt ihn vermuten: „Die sind wahrscheinlich mit etwas beschäftigt, was spannender ist.“ Er läuft einige hundert Meter außen am Zaun entlang. Dahin, wo einer ihrer Lieblingsplätze ist. Und er behält Recht. Kaum erkennbar dösen sie im hohen Gras. Namen haben sie keine, sondern Nummern. „Kommt her, ihr Nasenbären“, ruft eise. Als einzelne Wildhunde sich träge erheben, ist das Rätsel gelöst: „Dicke Bäuche“, erklärt der Wissenschaftler: „Sie verdauen.“
Um zu wissen, was Wildhunde in freier Natur fressen, hat er Kotproben an verlassenen Bauten genommen. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: definitiv auch Rind. „Sie richten auf Farmland extremen Schaden an“, weiß Florian Weise. Gerade in den ersten drei Monaten, in denen die Jungtiere den Bau kaum verlassen, wird bis zu dreimal täglich in recht kleinem Radius gejagt. In Gebieten, in denen infolge von Wilderei - etwa durch streunende Hunde - kaum noch natürliche Beute existiert, werden auch Rinder gerissen. Und zwar nach der typischen Wildhunde-Strategie: die Beute hetzend und dann im Schockzustand am lebendigen Leibe zerreißend, um schnell vor eigenen Fressfeinden flüchten zu können. Einige Farmer sprechen von „Terroristen der Natur“ und greifen trotz des 1972 verhängten Schutzes dieser Spezie zur Waffe. „Der Wildhund hat ein Imageproblem“, formuliert es Weise. „Viele finden ihn hässlich, und er ist ein effektiver und dadurch scheinbar brutaler Jäger.“ Dazu kommt: Durch die gewaltigen Distanzen, die er zurücklegt - pro Nacht bis zu 70 Kilometer - wird ein und dasselbe Tier innerhalb kürzester Zeit an vielen Orten gesichtet. Fälschlicher Weise wird daraus auf eine wachsende Zahl von Wildhunden geschlossen. Dennoch sind erstaunlich viele Landbesitzer tolerant, weil sie um den bedrohten Status der Art wissen, erzählt Weise.
Unter seinen „13 Wilden“ auf N/a`an ku sê erkennt er prompt das ranghöchste Weibchen an einem großen weißen Punkt auf dem Allerwertesten wieder. Zwei andere Tiere eröffnen ein hörbares Winseln. „Die unterhalten sich miteinander“, übersetzt er: „Sie fragen sich: Was ist hier los? Warum werden wir beim Schlafen gestört?“ Ein schwedischer Professor für Phonetik war jüngst vor Ort, um Tonaufnahmen von der Kommunikation der Wildhunde zu machen. Weise selbst hat ihr Wachstum dokumentiert. Als drei der Männchen im Jahr 2010 nach Schlangenbissen behandelt werden mussten, wurden die gewonnenen Erkenntnisse in einem medizinischen Fachmagazin veröffentlicht. „Unsere 13 haben auch einen wissenschaftlichen Nutzen“, unterstreicht er.
Suchend schaut Florian Weise in die Weite. Nichts. „Komm, komm, komm“, ruft er von der Holzplattform oberhalb des 16 Hektar großen Geheges aus voller Brust in den Busch. Nichts. „Witzig, wie die sich verändert haben, seitdem sie erwachsen sind“, spricht er dann wie ein Papa über seinen flügge gewordenen Nachwuchs. Weise ist der Ziehvater der 14 Wildhunde, die 2010 als verwaiste Welpen in der N/a`an ku sê Foundation landeten. Sie stellten den Biologen vor eine schwierige Frage: „Was machen wir mit ihnen?“ Er organisierte einen Workshop zum Austausch mit Experten. Gemeinsam mussten sie sich eingestehen, dass es an grundlegendem wissenschaftlichen Wissen fehlt. Das war die Geburtsstunde eines in diesem Land bislang einmaligen Forschungsprojektes.
18 Monate läuft das „Namibia African Wild Dog Project“ nun. Untersucht werden die wild lebenden Rudel im Nordosten des Landes, der einzigen Gegend, in der sie anscheinend noch vorkommen. Analysiert wird ein 3500 Quadratkilometer großer Streifen zwischen Etoscha und Kaudum, das Mangetti-Gebiet. Hier sollen sie seit 20 Jahren sesshaft sein. Doch selbst wie viele es aktuell gibt, ist unbekannt. Die Schätzungen in Studien schwanken zwischen 160 und 1600 verbliebenen Tieren in Namibia, erzählt Florian Weise, der leitende Wissenschaftler des Forschungsvorhabens. Einzig fest steht: Wildhunde sind die zweitbedrohteste große Raubtierart in Afrika, nach dem Äthiopischen Wolf.
An dem Projekt arbeiten als gleichberechtigte Partner die N/a`an ku sê Foundation, die AfriCat Foundation und die Namibia Nature Foundation (NNF). Wertvolle Unterstützung leisten das Ministerium für Umwelt und Tourismus (MET) sowie die Namibia Development Corporation (NDC). MET-Angestellte fotografieren zum Beispiel jeden Wildhund, den sie sehen, und auch dessen gerissene Opfer, erzählt Weise dankbar. NDC notiere jeden gesichteten Wildhund, stelle Fahrzeuge und Arbeitsräume im Norden zur Verfügung. „Das Schöne ist: Es geht nicht um Profilierung, sondern darum, etwas herauszufinden“, lobt er. „Auch nach anderthalb Jahren reden wir alle noch miteinander, selbst Farmer machen mit.“
Für die Wissenschaftler dreht sich alles um die Kernfrage: Kann sich der kleine vorhandene Bestand aus sich heraus erhalten? Denn in einem Rudel - als Zuchteinheit gesehen - zeugt nur ein Paar Nachwuchs. „Der Knackpunkt ist die Gruppengröße von mindestens fünf erwachsenen Tieren“, sagt Weise. Denn wenn ein Weibchen Junge bekommt, wird mindestens ein weiteres Rudelmitglied als Bewacher abgestellt, um den Erfolg der Aufzucht zu steigern. „Dann sind es schon zwei, die nicht mehr jagen“, rechnet der Biologe vor. Bei durchschnittlich zwölf Jungen pro Wurf wird es für die nur drei jagdfähigen Tiere zunehmend eng, alle Mäuler zu stopfen. Die Experten wollten daher zunächst ermitteln, wie viele Gruppen sich im Studiengebiet aufhalten und aus wie vielen erwachsenen Tieren diese jeweils bestehen.
Florian Weise und seine Kollegen haben an sämtlichen Wasserlöchern im Mangetti-Gebiet Wildkameras angebracht. Diese lösen bei Bewegung aus, selbst nachts. Anhand des einzigartigen Fellmusters, das jedem Tier von Geburt an unveränderlich gegeben ist, können die Wissenschaftler Individuen identifizieren und deren Routen nachvollziehen.
„Im Moment sind uns vier Gruppen bekannt“, sagt Weise. Dem Anschein nach besteht eine aus drei erwachsenen Tieren, eine aus vier Erwachsenen, eine aus fünf und eine aus 13 geschlechtsreifen Mitgliedern. Letzteres Rudel hat elf Welpen. In der Gruppe mit vier Erwachsenen gibt es zwei Welpen, in jener mit fünf Erwachsenen dreimal Nachwuchs. Der Biologe geht davon aus, dass lediglich eine sehr kleine Zahl von Jungtieren überlebt.
Selbst unter idealeren N/a`an ku sê-Bedingungen ist 2010 ein Weibchen gestorben. Die restlichen 13 haben es geschafft. Zutraulich sind sie nicht mehr, neugierig hingegen schon. Dass sie den Ruf von „Papa Flo“ so komplett ignorieren, lässt ihn vermuten: „Die sind wahrscheinlich mit etwas beschäftigt, was spannender ist.“ Er läuft einige hundert Meter außen am Zaun entlang. Dahin, wo einer ihrer Lieblingsplätze ist. Und er behält Recht. Kaum erkennbar dösen sie im hohen Gras. Namen haben sie keine, sondern Nummern. „Kommt her, ihr Nasenbären“, ruft eise. Als einzelne Wildhunde sich träge erheben, ist das Rätsel gelöst: „Dicke Bäuche“, erklärt der Wissenschaftler: „Sie verdauen.“
Um zu wissen, was Wildhunde in freier Natur fressen, hat er Kotproben an verlassenen Bauten genommen. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: definitiv auch Rind. „Sie richten auf Farmland extremen Schaden an“, weiß Florian Weise. Gerade in den ersten drei Monaten, in denen die Jungtiere den Bau kaum verlassen, wird bis zu dreimal täglich in recht kleinem Radius gejagt. In Gebieten, in denen infolge von Wilderei - etwa durch streunende Hunde - kaum noch natürliche Beute existiert, werden auch Rinder gerissen. Und zwar nach der typischen Wildhunde-Strategie: die Beute hetzend und dann im Schockzustand am lebendigen Leibe zerreißend, um schnell vor eigenen Fressfeinden flüchten zu können. Einige Farmer sprechen von „Terroristen der Natur“ und greifen trotz des 1972 verhängten Schutzes dieser Spezie zur Waffe. „Der Wildhund hat ein Imageproblem“, formuliert es Weise. „Viele finden ihn hässlich, und er ist ein effektiver und dadurch scheinbar brutaler Jäger.“ Dazu kommt: Durch die gewaltigen Distanzen, die er zurücklegt - pro Nacht bis zu 70 Kilometer - wird ein und dasselbe Tier innerhalb kürzester Zeit an vielen Orten gesichtet. Fälschlicher Weise wird daraus auf eine wachsende Zahl von Wildhunden geschlossen. Dennoch sind erstaunlich viele Landbesitzer tolerant, weil sie um den bedrohten Status der Art wissen, erzählt Weise.
Unter seinen „13 Wilden“ auf N/a`an ku sê erkennt er prompt das ranghöchste Weibchen an einem großen weißen Punkt auf dem Allerwertesten wieder. Zwei andere Tiere eröffnen ein hörbares Winseln. „Die unterhalten sich miteinander“, übersetzt er: „Sie fragen sich: Was ist hier los? Warum werden wir beim Schlafen gestört?“ Ein schwedischer Professor für Phonetik war jüngst vor Ort, um Tonaufnahmen von der Kommunikation der Wildhunde zu machen. Weise selbst hat ihr Wachstum dokumentiert. Als drei der Männchen im Jahr 2010 nach Schlangenbissen behandelt werden mussten, wurden die gewonnenen Erkenntnisse in einem medizinischen Fachmagazin veröffentlicht. „Unsere 13 haben auch einen wissenschaftlichen Nutzen“, unterstreicht er.
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Allgemeine Zeitung
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