San erkunden die Pyrenäen
Leute fragen, die Ahnung haben – simpel formuliert war das der Grund für Tilman Lenssen-Erz und Andreas Pastoors, nach Namibia zu kommen. Die deutschen Wissenschaftler brauchen für ein Forschungsprojekt die Unterstützung von Fährtenlesern und dachten an die San. Fünf Jahre ist es mittlerweile her, dass das Projekt langsam ins Rollen kam, nun steht es kurz vor dem Höhepunkt: Lenssen-Erz und Pastoors befinden sich gerade nahe Tsumkwe und bereiten sich mit drei Buschleuten auf eine Reise in die Pyrenäen vor.
„Die San sind die besten Fährtenleser der Welt, denn bis vor kurzem war es für sie einfach noch existenziell notwendig“, sagt Lenssen-Erz. Er arbeitet bei der Forschungsstelle Afrika der Uni Köln, sein Kollege ist am Neanderthal-Museum in Mettmann tätig. Dass die drei Auserwählten – zwei Fährtenleser und ein Übersetzer – allerdings nun nicht die Spuren in der heimatlichen Kalahari interpretieren sollen, sondern mit den Forschern in einen für sie völlig fremden Naturraum reisen, sieht der Deutsche nicht als Problem an. „Letztlich geht es um Spuren des Homo sapiens sapiens, also um Spuren des Menschen. Die können sie interpretieren, ganz gleich ob in Frankreich, Namibia oder anderswo“, sagt er. „Wir wollen ihnen aber auch Tiere aus der Region zeigen, beispielsweise Bären. Und es sind Ausflüge geplant, damit sie die südfranzösische Natur kennenlernen. Das wird sicher auch für die San interessant.“
Einen Großteil der Zeit wird das Team jedoch unter der Erde verbringen. Denn die Spuren befinden sich in sechs abgelegenen Höhlen der Pyrenäen. Dort haben vor rund 12000 bis 15000 Jahren vorzeitliche Jäger Fuß- und Handspuren hinterlassen. Für Archäologen sind es kostbare Schätze der Vergangenheit. Einige davon sind seit Jahrtausenden unverändert und exzellent erhalten, von anderen wiederum gibt es nur kleine Stücke – ein Tribut an den Tourismus. Die Bilderhöhle von Niaux ist zum Beispiel eine Attraktion. In dem weit verzweigten Höhlensystem befinden sich zahlreiche gut erhaltene Felszeichnungen von Wisenten, Steinböcken oder Hirschen.
Die Urmenschen haben nicht in den Höhlen gelebt, sondern dort ihre Kunst hinterlassen. Letztlich geht es darum, ihre kulturellen Erzeugnisse besser zu verstehen. Was haben sie mit den Höhlenbildern gemacht? Die San, die nach Angaben von Lenssen-Erz das gleiche Honorar wie mitreisende europäische Wissenschaftler verdienen, sollen den Kontext der Entstehung beleuchten, indem sie die Spuren deuten: War der Mensch in Eile, war er vielleicht krank, hat er Lasten getragen etc. Es geht um konkretes Verhalten in einer konkreten Situation. Lenssen-Erz und Pastoors wiederum sind Experten für Höhlenkunst und Felsbildmalerei.
Mit Spurenlesern zu arbeiten ist in der Wissenschaft nicht neu. Kontakt zu den drei San-Jägern Tsamkxao Cigae, C/wi /Kunta und C/wi G/aqo De!u haben die Deutschen über die Anthropologin Megan Biesele geknüpft. Sie ist laut Lenssen-Erz seit 40 Jahren mit der Gruppe in Kontakt, spricht ihre Sprache und kennt die Gewohnheiten. Vielleicht können die Wochen in den Pyrenäen sogar der Einstieg in eine längere Zusammenarbeit werden. „Wir möchten gern von den drei San-Jägern etwas über die Systematik des Spurenlesens lernen. Wie bilden sie Hypothesen, aus welchen Merkmalen ziehen sie welche Schlüsse? Das sind spannende Fragen für uns“, erklärt Lenssen-Erz. Keine Frage: Auch aus interkulturellen Gesichtspunkten ist das Projekt, das übrigens vom deutsch-französischen Fernsehsender Arte für eine abendfüllende Dokumentation begleitet wird, eine Herausforderung. Zwar kennen die deutschen Forscher Tsamkxao Cigae, C/wi /Kunta und C/wi G/aqo De!u schon seit ein paar Jahren, ein gemeinsamer Abstieg in die Höhlen ist aber doch speziell. In Botswana wollen sie daher einen kleinen Probelauf in Tropfsteinhöhlen absolvieren. „Eine solche Höhlenerfahrung zu teilen ist etwas Besonderes. Da unten – das ist einfach eine andere Welt“, findet Lenssen-Erz.
Bis Ende Juni bleibt die ungewöhnliche Truppe in Namibia, dann geht es über Deutschland nach Frankreich. Welche Erkenntnisse dort unter der Erde auf die deutschen Forscher warten, darüber soll nicht spekuliert werden. „Als Archäologe lebt man mit dem Gedanken, dass man auch mal ins Leere greifen kann. Für uns gibt es keine Erfolgsgarantie, es könnte letztlich auch ein sehr mageres Ergebnis herauskommen“, sagt Lenssen-Erz. Und fügt dann aber dazu: „Das glaube ich aber nicht. Nie im Leben.“
Weitere Infos
Wer mehr über das Projekt wissen möchte, sollte sich im Internet die Seite www.trackingincaves.com ansehen. Dort gibt es auch Links zu den Blogs der Forscher. Infos rund ums Spurenlesen selbst gibt es unter anderem im Buch „Die Kunst des Fährtenlesens“ des südafrikanischen Forschers Louis Liebenberg, der auch die deutschen Forscher inspiriert hat. Liebenberg hat lange Zeit mit den San verbracht und sieht in ihren Fähigkeiten die Basis wissenschaftlichen Denkens. Die Forschungsreisenden twittern außerdem unter dem Profilnamen TrackingInCaves (Hashtag #cavetracking). Ein Twitterfeed läuft auch auf der Homepage ein. In Echtzeit und mit Fotos versehen lassen sich dort die aktuellen Nöte und Abenteuer des Teams miterleben – angefangen vom Diesel, das in Tsumkwe ausgegangen ist, bis zum Filmteam, das durch den namibischen Zoll will.
Von Alexandra Schröder, Windhoek
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Allgemeine Zeitung
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