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Schleichender Justizverfall

Die Zahlen, die sich der Ständige Parlamentsausschuss für Verfassungs- und Justizfragen Ende letzter Woche hat anhören müssen, brauchen wir nicht wiederholen. Was die Generalstaatsanklägerin Martha Imalwa und Generalinspektor Sebastian Ndeitunga über den Stand der Strafverfahren vorzutragen hatten, ist eine Bankrotterklärung, eine nationale Krise. Wohl dem, der nichts mit der Polizei oder der Justiz zu tun haben muss.

Für tausende straffällige Untersuchungshäftlinge und für so viele im Zivilleben geschädigte Personen mahlen die Mühlen der Gerechtigkeit in Namibia nicht nur langsam, sie mahlen gar nicht. - Justice delayed is justice denied ( Verzögerte Justiz ist verweigerte Justiz). Die Aussichtslosigkeit, dass ein Strafverfahren, aber auch manches Zivilverfahren, zeitig und gründlich und also gerecht abgehandelt werden kann, schreckt viele Klienten davor ab, überhaupt auf ihr Recht zu bestehen, geschweige denn es einzuklagen. Für den Straftäter stehen die Chancen ausgezeichnet, dass er infolge schlampiger und lückenhafter Untersuchung der Polizei vor Gericht leicht freigesprochen wird, also davonkommt, wenn sein Fall denn überhaupt verhandelt wird. Für ihn mag das löcherige Polizeisystem und die überforderte, zuweilen inkompetente, Justiz eine Ermutigung sein, die vorige Straftat zu wiederholen. Seine Chancen stehen gut, dass er erneut davonkommt. Die Schilderung Imalwas und Ndeitungas geben außerdem keinen Hoffnungsschimmer, dass sich irgendwo bei der Überlastung der Gerichte, bei der inflationären Anhäufung ungeklärter Straffälle und nicht abgehandelter Verfahren eine Besserung abzeichnet. Im Gegenteil die Statistiken besagen, dass die Justitia tatsächlich "dem Koma" (AZ-Überschrift, 18. Nov. 2005) anheim fällt.

Direkten Anschauungsunterricht für diesen Zustand hat die AZ zuletzt in den hoffnungslos überfüllten Polizeizellen der Hauptwache in Katutura gesehen. Die Gefängnisse sind landesweit zwischen 50% und 70% überbelegt, unter Anderem weil die Untersuchungs- und Strafverfahren nicht vorangehen. Die des Hochverrats angeklagten Caprivier haben über sechs Jahre auf ihr Verfahren gewartet. Ihr Fall ist bekannt, aber unzählige andere, nicht unbedingt kleinere Fälle, hinken ebenfalls Jahre hinterher.

Neben dem Parlament und der Staatsexekutive (Kabinett) ist die Justiz der dritte unentbehrliche Pfeiler unserer Demokratie. Die Gerichte haben die Gesellschaft schon vor mancher Torheit und vor Machtmissbrauch der Staatsexekutive beschützt. Es ist nicht so, dass die Justiz zusammengebrochen wäre. Jüngst hat sie im Avid-SSC-Investmentverfahren Vorbildliches geleistet. Fähige Kräfte sind vorhanden, aber sie bleiben häufig isoliert, weil sie auf die Zuarbeit schwacher Gesetzeshüter angewiesen sind.

Nicht nur aus dem Parlament, sondern auch aus den Reihen der Juristenbranche und darüber hinaus sind enorme Anstrengungen zur Sanierung gefragt. Wir dürfen nicht resignieren.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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