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Schutzpatron der jungen Demokratie am Kap

Heute feiert Desmond Tutu seinen 80. Geburtstag. Nach wie vor ist er weder willig noch fähig, zu den Missständen in seiner Heimat zu schweigen. Sein Wutausbruch über die Einreiseverweigerung für den Dalai Lama ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür.
Dass der kleine Mann mit dem ansteckenden Lachen viel Temperament hat, weiß in Südafrika eigentlich jeder. Doch dass sich Desmond Tutu nach allem, was er in den letzten acht Jahrzehnten erlebt hat, noch einmal derart empören kann, wo er offiziell doch längst im selbst verordneten Ruhestand lebt, ist schon bemerkenswert - und ein Glück für Südafrika. Seine Leidenschaft für Demokratie und Gerechtigkeit hat der Friedensnobelpreisträger jedenfalls nicht verloren. Gerde deshalb ist er nun auch so wütend darüber, dass ausgerechnet der von ihm jahrelang protegierte Afrikanische Nationalkongress (ANC), Südafrikas frühere Widerstandsbewegung und heutige Regierung, dem Dalai Lama, einem anderen Friedensnobelpreisträger, die Einreise nach Südafrika verwehrt hat. Der sollte dort eigentlich heute zu Tutus 80. Geburtstag die Festrede halten. Doch daraus wird nun wohl nichts.
Wochenlang hatte Südafrikas Regierung den Visumsantrag des spirituellen Führers der Tibeter zuvor ignoriert - so lange bis dieser am Dienstag seinen Besuch schließlich absagte, um "allen Betroffenen weitere Unannehmlichkeiten zu ersparen". Dass der ANC nun plötzlich behauptet, er habe das Visum doch gar nicht abgelehnt und hätte es in allerletzter Minute doch noch erteilen wollten, empört Tutu eher noch mehr. Zumal dem Dalai Lama schon vor zwei Jahren die Einreise nach Südafrika verwehrt worden war - ausgerechnet von jenem Land, das sich unter Nelson Mandela die Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben und geschworen hatte, stets auf Seiten der Armen und Unterdrückten zu kämpfen. Für das von China besetzte Tibet scheint das heute aber ebenso wenig zu gelten, wie für die Menschen in Libyen, Kuba oder Simbabwe. Die Diktatoren dort sind alle enge Freunde des ANC "Wir werden für die Ablösung dieser Regierung beten, genau wie wir einst für das Ende der Apartheidregierung beteten" schäumt Tutu nun. "Denn diese Regierung ist schlimmer als das Apartheidregime, schon weil man von dem solche Dinge erwarten durfte".
Nie hat man Tutu in den letzten Jahren derart aufgebracht erlebt wie in dieser Woche. Immer wieder erhebt er auf der Pressekonferenz zum Dalai Lama-Fiasko den Zeigefinger aber auch seine Stimme, etwa als er in den Saal ruft: "Hey, Mister Zuma, Sie und ihre Regierung vertreten mich nicht. Sie vertreten allein sich und ihre eigenen Interessen." Später erzählt der frühere Erzbischof von Kapstadt dann auch noch wie "angewidert" er gewesen sei, als er Zumas Regierungsansprache im Parlament verfolgt habe und "dieser Präsident", wie Tutu ihn tituliert, mit keinem einzigen Wort den Kampf der religiösen Führer gegen die Apartheid erwähnt habe. "Der ANC scheint zu glauben, er allein habe uns die Freiheit gebracht. Und alle anderen seien im Befreiungskampf nur Statisten gewesen".
Tutus Abrechnung mit den Erben Mandelas und deren Machtgier, Arroganz und Eigensucht ist das i-Tüpfelchen auf einem wohl beispiellosen Public Relations Desaster für Südafrika - und den regierenden ANC. 17 Jahre nach der Machtübernahme hat die frühere Widerstandsbewegung bei seinem einstigen Chefanwalt den letzten Kredit verspielt - und sich nach dessen Einschöätzung als eine hochautoritäre Bewegung entlarvt, der nicht das Wohl der jungen Demokratie sondern allein der Machterhalt am Herzen liegt, mit welchen Mitteln auch immer.
Seit Mandelas Rückzug ins Private ist Tutu zum moralischen Gewissen der "Regenbogennation" geworden, wie er das "neue Südafrika" einst beschrieb. Jeder Staatsgast möchte heute mit ihm sprechen - und seine Einschätzung der Lage zu hören. Denn eine seiner Stärken ist es stets gewesen, bei allen Mahnungen auch die positiven Seiten zu sehen. Als Tutu vor 14 Jahren erfuhr, dass er an Prostatakrebs litt, ließ er sich zumindest nach außen überhaupt nicht aus der Fassung bringen "Es hätte viel schlimmer kommen können" scherzte er damals. "Ich hätte mein Gedächtnis verlieren können".
Dass Tutu nahtlos von Mandela übernahm und zum Schutzpatron der jungen Demokratie am Kap mutierte, ist keine Überraschung. Er selbst hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass sein christliches Selbstverständnis und der Wunsch um Aussöhnung alle Parteiloyalitäten übersteigt. In der erzkonservativen Bergbaustadt Klerksdorp, südwestlich von Johannesburg, geboren, arbeitete Tutu zuerst als Lehrer. 1961 wurde er Priester und stieg in der Kirchenhierarchie rasch auf. Weltweit bekannt wurde Tutu in den früheren Achtzigerjahren mit der Ernennung zum ersten schwarzen Bischof von Johannesburg. 1986 wurde er zum Erzbischof von Kapstadt gewählt. Wegen seiner Verdienste um den Befreiungskampf erhielt er 1984 den Friedensnobelpreis.
Damals hatte Tutu, der zugibt, die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit zu lieben, den Part des Politikers nur widerstrebend gespielt. Doch als das Apartheidregime 1985 quasi die gesamte Opposition verbot, sah er sich als Stellvertreter für alle jene, die damals keine Stimme hatten. Anders als viele seiner damaligen Mitstreiter hat er sich aber auch im "befreiten" Südafrika nie gescheut, seine alten Verbündeten in der Anti-Apartheidbewegung und vorneweg den ANC zu kritisieren, zumal wenn diese ihre Ideale eklatant für einen dicken Scheck aus China oder Libyen verraten.
Noch ist seine Wut über die Ohrfeige des ANC für den Dalai Lama nicht wirklich verraucht. Auch wenn er, wie er gestern mit seinem berühmten Kichern sagte, vor einem Wutausbruch öfter mal bis zehn zählen wolle. Wird er trotz Ruhestands nun also doch bis zum letzten Atemzug seine Meinung kundtun? "Wir sagen immer, der Mensch haben einen freien Willen habe. Doch das stimmt so nicht ganz" sagt er nachdenklich. "Es ist wie Martin Luther einst sagte: hier stehe ich und kann nicht anders." (Ende)
Oder alternativer Schluss: Und dann kommt doch noch sein bekannter Optimismus zum Vorschein: "Wir schaffen das - trotz allem. Denn wir haben hier tolle Menschen. Gebt uns noch nicht auf".

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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