Sechs Ampeln, zwölf Millionen Einwohner
Am vergangenen Mittwoch hat das Bundeskabinett für einen Einsatz der Bundeswehr im Kongo entschieden. Ein Besuch in Kinshasa, wo die Truppe stationiert werden soll.
Das fängt ja gut an. Eben noch hatte der füllige Libanese in der Lederjacke den Verlust seines Koffers Achsel zuckend akzeptiert. Doch nun redet er sich immer lauter in Rage. Und der schwarze Beamte, der an einem kleinen Plastiktisch die Verlustmeldungen notiert, gerät nun seinerseits in Wut und schreit noch lauter zurück. Mit geballter Faust bauen sich beide voreinander auf. Erst im letzten Moment verhindern zwei herbeigeeilte Sicherheitsleute Schlimmeres. "Nur nicht gleich zur Ankunft ein ,rumble in the jungle' raunzt ein Ingenieur aus Südafrika, dessen Gepäck auch fehlt. Ach ja, der legendäre Boxkampf zwischen Muhammad Ali und George Foreman: 1974 lieferten sie sich hier in Kinshasa, in einer schwülen Tropennacht, den denkwürdigsten Fight aller Zeiten. Damals hieß der Kongo noch Zaire und wurde von Langzeit-Diktator Mobutu Sese Seko beherrscht.
Dabei hatte zunächst alles fast reibungslos geklappt. Flug SA 050 aus Johannesburg war nach einer sanften Schleife über dem mächtigen Kongostrom pünktlich in Kinshasa gelandet. Und auch die Abfertigung war verblüffend schnell erledigt, wenn man einmal vom zähen Stochern der Zöllner nach etwas Bakschisch absieht. Ärgerlich nur, dass auch der eigene Koffer fehlt. Ohne Klamotten im Kongo. Dabei lastet über Kinshasa im April eine brütende Hitze, die Sonne steht fast im Zenit. Bei der hohen Luftfeuchtigkeit könnte man zweimal am Tag die Hemden wechseln.
Sei's drum. Der Kongo hat schon immer seine eigenen Gesetze geschrieben. In den drei Jahrzehnten, die seit dem Kampf der Schwergewichts-Giganten vergangen sind, ist das Land denn auch wie ein angeschlagener Boxer umhergetaumelt, ohne jemals richtig auf die Beine zu kommen. Nun soll die Bundeswehr helfen, das afrikanische Land, das so groß ist wie Westeuropa, zu stabilisieren. Am Mittwoch entschied das Bundeskabinett über die Entsendung deutscher Truppen nach Kinshasa. Ein Besuch in der Hauptstadt des Kongo zeigt, was sie erwartet. Sie werden den täglichen Kampf gegen Armut und staatliche Willkür aus nächster Nähe erleben.
Kinshasa ist ein Mega-Slum
Kinshasa, die Stadt am Kongo, die einst so berühmte Sportereignisse ausrichtete, hat sich mittlerweile in einen Mega-Slum verwandelt. Viele Bewohner sprechen längst nicht mehr von "Kin la belle", "Kinshasa, der Schönen", sondern von "Kin la poubelle" - Kinshasa, der Abfallkübel. Datieren können die "Kinois", wie sich Kinshasas Bewohner nennen, den Beginn des Niedergangs genau: auf das Jahr 1991. Damals brandschatzten die Truppen Mobutus ihre eigene Hauptstadt, weil der Diktator wieder einmal längere Zeit keinen Sold zahlte. "Diese und eine spätere Plünderung waren eine tiefe Zäsur im Bewusstsein der Bewohner", sagt Gilbert Mutamba, der heute Parfüm und Wein aus Südafrika in den Kongo importiert und die Metropole aus besseren Tagen kennt.
Fünf bis sechs Millionen Einwohner hat Kinshasa offiziell. Inoffiziell sind es wohl doppelt so viele. Der lange Krieg im rohstoffreichen Osten des Kongo hat die Menschen hierher an den mächtigen Kongostrom gespült, ganz in den Westen des Riesenlandes. Noch immer ächzt die Stadt unter den Flüchtlingen. Von ihrem Hinterland ist Kinshasa abgeschnitten wie West-Berlin zur Zeit der Mauer. Die Beweglichkeit der Bundeswehr wird das erheblich begrenzen. Aus Angst vor einer Invasion ließ Diktator Mobutu die Infrastruktur absichtlich zerfallen; der Urwald hat sie sich zurückgeholt. Früher verfügte der Kongo über 120000 Kilometer Straße, von denen ein Viertel asphaltiert waren - ein Verdienst der ansonsten nicht eben zimperlichen belgischen Kolonialherren. Heute, nach Jahrzehnten von Bürgerkrieg und Verfall, dem über drei Millionen Menschen zum Opfer fielen, sind 95 Prozent davon kaum noch nutzbar.
Auch in Kinshasa selbst quält sich der Verkehr am Tage über den zweispurigen Boulevard des 30. Juni, die einstige Prachtstraße. Für die 20 Kilometer zum Flughafen braucht der Wagen tagsüber eine Stunde oder mehr. Die Straßen sind so verstopft, dass die Autos oft auf die Seite ausweichen und hupend über die Bürgersteige brettern. Es gibt in Kinshasa weder Stadtpläne noch Straßenschilder. Ampeln zählt die Hauptstadt nur sechs - von denen gegenwärtig drei funktionieren. Geregelt wird der Verkehr von Polizisten, die von einem der großen Betonklötze in der Kreuzungsmitte des Boulevards den Verkehr dirigieren.
Allerdings gibt es im Kongo nun erstmals Hoffnung. Seit 2003 herrscht Frieden, eine Übergangsregierung aus den früheren Erzfeinden regiert - mit Joseph Kabila, dem Sohn des einstigen Rebellenführers Laurent Kabila, an der Spitze. Vor einigen Monaten wurde eine neue Verfassung verabschiedet. Am 30. Juli, hat die Wahlkommission entschieden, sollen die mehrfach verschobenen Wahlen endgültig stattfinden. Es wären die ersten seit der Unabhängigkeit von Belgien im Jahre 1960.
Damit es während des Urnengangs ruhig bleibt und einigermaßen fair zugeht, hat die UNO, die bereits 16000 Blauhelme im unruhigen Osten des Kongos stationiert hat, die EU gebeten, in Kinshasa mit einer Einsatztruppe Präsenz zu zeigen. Die Bundeswehr soll den Einsatz führen. Wenn nach dem Kabinett auch der Bundestag Anfang Juni zustimmt, könnten die ersten deutschen Soldaten bereits Ende Juni in Kinshasa Posten beziehen - theoretisch für rund vier Monate.
Ihr Hauptquartier würden die rund 500 Bundeswehrsoldaten, darunter Fernmelder und Pioniere, sowie etwa 280 Unterstützuhngskräfte für Sanität und Logistik wohl im Zentrum der kongolesischen Kapitale nahe des Stadtflughafens N'dolo aufschlagen. Er geriet vor zehn Jahren in die Schlagzeilen, als eine russische Transportmaschine in einen gleich nebenan gelegenen Markt stürzte und hunderte von Menschen in den Tod riss.
Immerhin: Eine andere Gefahr, die in afrikanischen Metropolen wie Lagos, Nairobi oder Johannesburg allgegenwärtig ist, müssen die Deutschen hier nicht fürchten - brutale Banden. Besucher treffen auf eine ungewöhnlich urbane, entspannte Mentalität der Kinois. "Das kommt daher, dass sich die so unterschiedlichen Menschen des Landes hier vermischt haben und die ethnische Herkunft an Bedeutung verloren hat", erklärt Luc-Roger Mbala, Journalist bei "L'Observateur" diesen Umstand. "Der Kinois fragt nie, zu welchem Stamm jemand gehört. Das ist den meisten völlig egal."
In Kinshasas Vororten wie Matonge, Bandal oder Barumbu werden Besucher auch nicht angepöbelt. Und sogar nächtliche Spaziergänge in den belebten, aber dunklen Gassen Kinshasas sind kein Problem. Anderseits klagen manche Einheimische über einen Verfall der Sitten. Die Mädchen, die heute in Matonge oder der City ausgehen, würden immer jünger, heißt es, und die Grauzone zwischen Verführung und Prostitution verwische immer mehr. Über Aids wird in Kinshasa ohnehin kaum gesprochen. Die Menschen haben anscheinend andere Sorgen.
Wirtschaft am Boden
Obendrein liegt die Wirtschaft am Boden. Produziert wird in Kinshasa noch immer kaum etwas. An der Straße nach Süden, zu den nahe gelegenen Stromschnellen des Kongo, den meterhohen Katarakts, reiht sich eine Fabrikruine an die andere. Die Landwirtschaft produziert auch nur für den lokalen Bedarf. Der Rest wird importiert - oder herbeigeschmuggelt, oft vom gegenüberliegenden Ufer des Kongos: Beim Einbrechen der Dunkelheit werden am Ufer die Pirogen, einbäumige Boote, für die Überfahrt präpariert. Gegenüber leuchten die Lichter der Schwesterstadt Brazzaville, die Hauptstadt der Republik Kongo.
Wer Geld hat, kann in Kinshasa dennoch alles kaufen. Das Sortiment der Supermärkte ist groß - von belgischer Schokolade bis zu Dessous. Die afrikanischen Märkte versorgen eine ganz andere Klientel: Gleich um die Ecke vom "Hotel Memling", der teuersten Adresse am Ort, gibt es im Muti-Shop traditionelle afrikanische Heilmittel. Der Besucher muss sich bücken, weil Antilopenhörner und ausgeweidete Affen von der Decke baumeln. Die Regale sind voll mit den verschiedensten Rinden, Wurzeln und Gemüsesorten. Affenfleisch gilt im Kongo als Delikatesse. Diese Vorliebe und der illegale Handel mit Gorillazehen bedrohen inzwischen das Überleben der Bonobos, einer schwarzhaarigen Spezies, die mit dem Schimpansen verwandt ist.
Besonders gut lässt sich der gnadenlose Niedergang Kinshasas über die letzten Jahrzehnte bei einem morgendlichen Besuch am letzten Reisetag im Zoo ablesen. Ein paar Jungen triezen mit Holzstöcken einen Mandrill-Affen, eine Pavian-Art. Eine Gruppe Männer trinkt gleich nebenan das lokale Primus-Bier aus Halbliterflaschen. "Freitag ist kein guter Tag" sagt der grauhaarige Wärter. Er füttert die letzten Tiere, die noch nicht an Hunger und Krankheit eingegangen sind mit Speiseresten aus Restaurants. Mobutus alter Tierpark: rostzerfressene Käfige, elende Kreaturen - für manche ein Spiegel des Landes.
Kinshasa wartet, wie die Stadt es so oft getan hat. Sie wartet auf die Wahl, die, das hoffen die Kinois, alles in dem kaputten Land ganz schnell und dauerhaft zum Besseren wenden wird. Derweil treibt das Leben so träge dahin wie die Hyazintheninseln auf dem mächtigen Kongostrom.
Das fängt ja gut an. Eben noch hatte der füllige Libanese in der Lederjacke den Verlust seines Koffers Achsel zuckend akzeptiert. Doch nun redet er sich immer lauter in Rage. Und der schwarze Beamte, der an einem kleinen Plastiktisch die Verlustmeldungen notiert, gerät nun seinerseits in Wut und schreit noch lauter zurück. Mit geballter Faust bauen sich beide voreinander auf. Erst im letzten Moment verhindern zwei herbeigeeilte Sicherheitsleute Schlimmeres. "Nur nicht gleich zur Ankunft ein ,rumble in the jungle' raunzt ein Ingenieur aus Südafrika, dessen Gepäck auch fehlt. Ach ja, der legendäre Boxkampf zwischen Muhammad Ali und George Foreman: 1974 lieferten sie sich hier in Kinshasa, in einer schwülen Tropennacht, den denkwürdigsten Fight aller Zeiten. Damals hieß der Kongo noch Zaire und wurde von Langzeit-Diktator Mobutu Sese Seko beherrscht.
Dabei hatte zunächst alles fast reibungslos geklappt. Flug SA 050 aus Johannesburg war nach einer sanften Schleife über dem mächtigen Kongostrom pünktlich in Kinshasa gelandet. Und auch die Abfertigung war verblüffend schnell erledigt, wenn man einmal vom zähen Stochern der Zöllner nach etwas Bakschisch absieht. Ärgerlich nur, dass auch der eigene Koffer fehlt. Ohne Klamotten im Kongo. Dabei lastet über Kinshasa im April eine brütende Hitze, die Sonne steht fast im Zenit. Bei der hohen Luftfeuchtigkeit könnte man zweimal am Tag die Hemden wechseln.
Sei's drum. Der Kongo hat schon immer seine eigenen Gesetze geschrieben. In den drei Jahrzehnten, die seit dem Kampf der Schwergewichts-Giganten vergangen sind, ist das Land denn auch wie ein angeschlagener Boxer umhergetaumelt, ohne jemals richtig auf die Beine zu kommen. Nun soll die Bundeswehr helfen, das afrikanische Land, das so groß ist wie Westeuropa, zu stabilisieren. Am Mittwoch entschied das Bundeskabinett über die Entsendung deutscher Truppen nach Kinshasa. Ein Besuch in der Hauptstadt des Kongo zeigt, was sie erwartet. Sie werden den täglichen Kampf gegen Armut und staatliche Willkür aus nächster Nähe erleben.
Kinshasa ist ein Mega-Slum
Kinshasa, die Stadt am Kongo, die einst so berühmte Sportereignisse ausrichtete, hat sich mittlerweile in einen Mega-Slum verwandelt. Viele Bewohner sprechen längst nicht mehr von "Kin la belle", "Kinshasa, der Schönen", sondern von "Kin la poubelle" - Kinshasa, der Abfallkübel. Datieren können die "Kinois", wie sich Kinshasas Bewohner nennen, den Beginn des Niedergangs genau: auf das Jahr 1991. Damals brandschatzten die Truppen Mobutus ihre eigene Hauptstadt, weil der Diktator wieder einmal längere Zeit keinen Sold zahlte. "Diese und eine spätere Plünderung waren eine tiefe Zäsur im Bewusstsein der Bewohner", sagt Gilbert Mutamba, der heute Parfüm und Wein aus Südafrika in den Kongo importiert und die Metropole aus besseren Tagen kennt.
Fünf bis sechs Millionen Einwohner hat Kinshasa offiziell. Inoffiziell sind es wohl doppelt so viele. Der lange Krieg im rohstoffreichen Osten des Kongo hat die Menschen hierher an den mächtigen Kongostrom gespült, ganz in den Westen des Riesenlandes. Noch immer ächzt die Stadt unter den Flüchtlingen. Von ihrem Hinterland ist Kinshasa abgeschnitten wie West-Berlin zur Zeit der Mauer. Die Beweglichkeit der Bundeswehr wird das erheblich begrenzen. Aus Angst vor einer Invasion ließ Diktator Mobutu die Infrastruktur absichtlich zerfallen; der Urwald hat sie sich zurückgeholt. Früher verfügte der Kongo über 120000 Kilometer Straße, von denen ein Viertel asphaltiert waren - ein Verdienst der ansonsten nicht eben zimperlichen belgischen Kolonialherren. Heute, nach Jahrzehnten von Bürgerkrieg und Verfall, dem über drei Millionen Menschen zum Opfer fielen, sind 95 Prozent davon kaum noch nutzbar.
Auch in Kinshasa selbst quält sich der Verkehr am Tage über den zweispurigen Boulevard des 30. Juni, die einstige Prachtstraße. Für die 20 Kilometer zum Flughafen braucht der Wagen tagsüber eine Stunde oder mehr. Die Straßen sind so verstopft, dass die Autos oft auf die Seite ausweichen und hupend über die Bürgersteige brettern. Es gibt in Kinshasa weder Stadtpläne noch Straßenschilder. Ampeln zählt die Hauptstadt nur sechs - von denen gegenwärtig drei funktionieren. Geregelt wird der Verkehr von Polizisten, die von einem der großen Betonklötze in der Kreuzungsmitte des Boulevards den Verkehr dirigieren.
Allerdings gibt es im Kongo nun erstmals Hoffnung. Seit 2003 herrscht Frieden, eine Übergangsregierung aus den früheren Erzfeinden regiert - mit Joseph Kabila, dem Sohn des einstigen Rebellenführers Laurent Kabila, an der Spitze. Vor einigen Monaten wurde eine neue Verfassung verabschiedet. Am 30. Juli, hat die Wahlkommission entschieden, sollen die mehrfach verschobenen Wahlen endgültig stattfinden. Es wären die ersten seit der Unabhängigkeit von Belgien im Jahre 1960.
Damit es während des Urnengangs ruhig bleibt und einigermaßen fair zugeht, hat die UNO, die bereits 16000 Blauhelme im unruhigen Osten des Kongos stationiert hat, die EU gebeten, in Kinshasa mit einer Einsatztruppe Präsenz zu zeigen. Die Bundeswehr soll den Einsatz führen. Wenn nach dem Kabinett auch der Bundestag Anfang Juni zustimmt, könnten die ersten deutschen Soldaten bereits Ende Juni in Kinshasa Posten beziehen - theoretisch für rund vier Monate.
Ihr Hauptquartier würden die rund 500 Bundeswehrsoldaten, darunter Fernmelder und Pioniere, sowie etwa 280 Unterstützuhngskräfte für Sanität und Logistik wohl im Zentrum der kongolesischen Kapitale nahe des Stadtflughafens N'dolo aufschlagen. Er geriet vor zehn Jahren in die Schlagzeilen, als eine russische Transportmaschine in einen gleich nebenan gelegenen Markt stürzte und hunderte von Menschen in den Tod riss.
Immerhin: Eine andere Gefahr, die in afrikanischen Metropolen wie Lagos, Nairobi oder Johannesburg allgegenwärtig ist, müssen die Deutschen hier nicht fürchten - brutale Banden. Besucher treffen auf eine ungewöhnlich urbane, entspannte Mentalität der Kinois. "Das kommt daher, dass sich die so unterschiedlichen Menschen des Landes hier vermischt haben und die ethnische Herkunft an Bedeutung verloren hat", erklärt Luc-Roger Mbala, Journalist bei "L'Observateur" diesen Umstand. "Der Kinois fragt nie, zu welchem Stamm jemand gehört. Das ist den meisten völlig egal."
In Kinshasas Vororten wie Matonge, Bandal oder Barumbu werden Besucher auch nicht angepöbelt. Und sogar nächtliche Spaziergänge in den belebten, aber dunklen Gassen Kinshasas sind kein Problem. Anderseits klagen manche Einheimische über einen Verfall der Sitten. Die Mädchen, die heute in Matonge oder der City ausgehen, würden immer jünger, heißt es, und die Grauzone zwischen Verführung und Prostitution verwische immer mehr. Über Aids wird in Kinshasa ohnehin kaum gesprochen. Die Menschen haben anscheinend andere Sorgen.
Wirtschaft am Boden
Obendrein liegt die Wirtschaft am Boden. Produziert wird in Kinshasa noch immer kaum etwas. An der Straße nach Süden, zu den nahe gelegenen Stromschnellen des Kongo, den meterhohen Katarakts, reiht sich eine Fabrikruine an die andere. Die Landwirtschaft produziert auch nur für den lokalen Bedarf. Der Rest wird importiert - oder herbeigeschmuggelt, oft vom gegenüberliegenden Ufer des Kongos: Beim Einbrechen der Dunkelheit werden am Ufer die Pirogen, einbäumige Boote, für die Überfahrt präpariert. Gegenüber leuchten die Lichter der Schwesterstadt Brazzaville, die Hauptstadt der Republik Kongo.
Wer Geld hat, kann in Kinshasa dennoch alles kaufen. Das Sortiment der Supermärkte ist groß - von belgischer Schokolade bis zu Dessous. Die afrikanischen Märkte versorgen eine ganz andere Klientel: Gleich um die Ecke vom "Hotel Memling", der teuersten Adresse am Ort, gibt es im Muti-Shop traditionelle afrikanische Heilmittel. Der Besucher muss sich bücken, weil Antilopenhörner und ausgeweidete Affen von der Decke baumeln. Die Regale sind voll mit den verschiedensten Rinden, Wurzeln und Gemüsesorten. Affenfleisch gilt im Kongo als Delikatesse. Diese Vorliebe und der illegale Handel mit Gorillazehen bedrohen inzwischen das Überleben der Bonobos, einer schwarzhaarigen Spezies, die mit dem Schimpansen verwandt ist.
Besonders gut lässt sich der gnadenlose Niedergang Kinshasas über die letzten Jahrzehnte bei einem morgendlichen Besuch am letzten Reisetag im Zoo ablesen. Ein paar Jungen triezen mit Holzstöcken einen Mandrill-Affen, eine Pavian-Art. Eine Gruppe Männer trinkt gleich nebenan das lokale Primus-Bier aus Halbliterflaschen. "Freitag ist kein guter Tag" sagt der grauhaarige Wärter. Er füttert die letzten Tiere, die noch nicht an Hunger und Krankheit eingegangen sind mit Speiseresten aus Restaurants. Mobutus alter Tierpark: rostzerfressene Käfige, elende Kreaturen - für manche ein Spiegel des Landes.
Kinshasa wartet, wie die Stadt es so oft getan hat. Sie wartet auf die Wahl, die, das hoffen die Kinois, alles in dem kaputten Land ganz schnell und dauerhaft zum Besseren wenden wird. Derweil treibt das Leben so träge dahin wie die Hyazintheninseln auf dem mächtigen Kongostrom.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen