Siege fördern Sprachunterricht am Kap: "Deutschland Weltmeister"
Das Achtelfinale: Deutschland gegen England, Sonntag, 27. Juni, 15.45 Uhr, Aintree Road 1A, Vredehoek, Kapstadt. Die letzten Stücke Fleisch liegen noch auf dem Grill, die verfügbaren Plätze auf Sofas, Stühlen, Bänken und Kissen sind nahezu restlos vergeben, die "Hasenohren"-Antennen der drei Fernseher im Raum werden ein letztes Mal justiert, die Mannschaften in Bloemfontein sind eingelaufen und man wartet auf die deutsche Nationalhymne. Gut 20 Leute füllen das Wohnzimmer der 3-Zimmer-Wohnung. "Private Viewing" hat den Vorteil, dass man tatsächlich mal die Kommentare versteht und außerdem nicht Stunden vor dem Anpfiff irgendwo anstehen oder Plätze wärmen muss.
Kurz vor knapp hat uns der Babysitter abgesagt; Nolusindi ist in der Kirche und der Gottesdienst dauert heute bis halb vier - das ist der Nachteil mit den Spielen am Sonntag. Unserem Freund Hans und seiner Frau ist das gleiche passiert, deshalb sitzen nun auch Janosch, 20 Monate, im Deutschland T-Shirt und Lotta, knapp sechs Monate, mit auf der Couch. Die Blonde mit dem Kölner Akzent, die sich beim letzten Spiel im Paulaner Brauhaus noch über die "Deutschland ist ein geiles Land"-Rufe gewundert hat, ist auch wieder da. Sie trägt diesmal schwarz-rot-goldenen Lidschatten und hat Lotta die Deutschland-Farben auf die Wange gemalt. Gastgeberin Melanie trägt ihr "Halbzeitschnittchen"-T-Shirt. Reiseunternehmerin Gaby hat ihren Flaggenumhang und Mütze vergessen und wird prompt wieder nach Hause geschickt, ihre Ausrüstung zu holen.
Auch in der Aintreestraße ist die Stimmung gespannt. Mike motzt seine Freundin Michaela an, die zwecks Empfangsoptimierung nochmal an den Hasenohren herumzupft und kurzfristig für einen Bildausfall bei Fernseher Nummer 3 sorgt. Kurz vor Anpfiff stolpert noch meine Freundin Elena mit Mann durch die Tür. "Babysitter zu spät, typisch, ausgerechnet heute", keucht sie. Kindermädchen sind stark gefragt während der WM. Das scheint auch Elenas Babysitter erkannt zu haben - und hat ihren Preis prompt nach oben geschraubt. "Heute will sie 80 Rand die Stunde statt 50 Rand wie bisher", ärgert sich Elena. "Jetzt hat schon die Nanny WM-Preise!" So ist das eben bei der Weltmeisterschaft: Je weiter das favorisierte Team kommt, desto konzentrierter das Interesse.
Das wissen auch die Verkäufer diverser WM-Utensilien. Da mit dem Ausscheiden eines jeden Teams das relevante Angebot kleiner wird - wer kauft jetzt schon noch England-Fahnen oder Frankreich-Perücken? - müssen die Fans der sich weiter qualifizierten Mannschaften entsprechend mehr hinlegen. Als ich auf der Fanmeile vor dem Holland-Kamerun-Spiel einen Deutschland-Helm entdeckte, sollte dieser 300 Rand kosten. Natürlich war es der letzte Helm, den der Verkäufer hatte. Fünf Tage später war der Helm bereits 50 Rand teurer und der Verkäufer ebenso beharrlich wie kurz angebunden: Es sei der letzte, außerdem ist Deutschland im Viertelfinale. Sollte es Jogi Löws Team ins Finale schaffen, kostet der Helm dann vermutlich 500 Rand... Dabei haben sich die Fan-Helme bei weitem nicht so durchgesetzt wie ihr berühmt-berüchtigtes südafrikanisches Fanartikel-Pendant, die Vuvuzela.
Die Aintreestraße 1A ist nahezu Vuvuzela-frei, Ohrenstöpsel - ein weiterer überraschender Verkaufsschlager dieser WM - sind daher unnötig. 1A ist auch das Spiel der deutschen Mannschaft - und die angespannte Stimmung spätestens nach dem dritten Tor gegen England gelöst. Selbst der brasilianische Freund des "Halbzeitschnittchens", er trägt einen grünen und einen schwarz-rot-goldenen Ärmel, ist beeindruckt. Ich empfinde persönliche Genugtuung, nicht nur wegen der Fußball-Historie, sondern auch wegen der Engländer, die im Deutschland-Serbien-Spiel in Port Elizabeth mit weiß-roter Flagge vor uns saßen und natürlich für die Serben jubelten. Ihr könnt nach Hause fahren!
Mit dem Abpfiff des Spiels beginnt für deutsche Fans der Run auf Tickets fürs Viertelfinale. Mein ehemaliger Nachbar, ein Amerikaner, bietet vier Tickets für den Deutschland-Argentinien-Showdown von Freunden aus USA an, die "überraschenderweise" nicht kommen können. So überaschend ist das wohl nicht, vermutlich haben die Freunde darauf spekuliert, dass die USA unter Umständen selbst zum Viertelfinale in Greenpoint einlaufen könnte. Seit Beginn der Knock-out-Runden blüht der Tauschmarkt: Wer sich mit dem Weiterkommen seines Teams verkalkuliert hat, versucht, Tickets an entsprechende Fans loszuwerden. Der ungenehmigte Ticket-Weiterkauf wird von der FIFA übrigens hart geahndet, was aber viele nicht davon abhält, mit Tickets auffällig-unauffällig in der Hand den Fanwalk auf der Suche nach Abnehmern auf- und abzuschlendern.
Das Viertelfinale: Deutschland gegen Argentinien, Samstag, 3. Juli, 15 Uhr, Greenpoint-Stadion, Kapstadt. Bastian Schweinsteiger hatte Recht. Die Argentinier setzen sich wirklich gerne zusammen, ungeachtet ihrer eigenen Platzkarten. Eineinhalb Stunden vor Anpfiff sieht es auf der Fanmeile noch so aus, als seien die Deutschen in der Überzahl. Auch viele Südafrikaner tragen heute Schwarz-rot-gold. Beim Eintritt ins Stadion korrigiert sich das Bild. Eine hüpfende, trommelnde, singende und Arme werfende Menge in Blau dominiert die Ränge. Die argentinischen Fans haben die Deutschen in Sachen Pünktlichkeit geschlagen und sind rechtzeitig erschienen, um ihre Flaggen und Banner auszubreiten. Über unsere Plätze hinweg haben sie ein großes Plakat mit dem Konterfei Maradonas gespannt. Auf Anfrage machen sie Platz, wenn auch widerwillig.
Drei junge Zivildienstleistende, die ihr soziales Jahr in Südafrika ableisten, fragen uns nach dem deutschen Fanblock. Der ist in Spuren auf der anderen Seite des Stadions zu ahnen, also bleiben sie erstmal bei uns, weil sie sich in der Masse der Argentinier etwas verloren fühlen. Die wenigen deutschen Fanclub-Flaggen und ein "Tschüss Maradona"-Banner gehen in der Flut argentinischer Parolen und Flaggen unter. Die starke Präsenz der hauptsächlich männlichen Fans von Maradonas Truppe hat auch etwas Einschüchterndes an sich. Nervös schicke ich eine SMS an Freunde vor dem Fernseher. "Wir sitzen mitten im argentinischen Block, die singen und tanzen wie verrückt, ich hoffe wir gewinnen."
Drei Minuten nach Anpfiff hat sich das Blatt gewendet. Eine SMS aus Deutschland: "Und, singen sie noch?" Damit sind jetzt die Deutschen an der Reihe. "Ihr seid nur ein Rumpsteak Lieferant!", singen die Zivis vor uns. Die blaue Meute um uns wird nicht nur merklich leiser während des Spielverlaufs, sondern reduziert sich auch nach und nach mit dem Eintreffen verspäteter Deutschland-Fans, die sich ihre Sitze erst freiräumen lassen mussten. Polizisten und FIFA-Freiwillige waren mehr als deutlich.
Nach dem Abpfiff verlassen die argentinischen Fans das Stadion so früh wie sie gekommen sind, während im deutschen Fanblock die Party noch lange anhält. Vor dem Stadion versuchen einige geknickte Fans in Blau, ihre Tickets fürs Halbfinale in Durban zu verkaufen. Ansonsten sind die Kneipen entlang der Somerset Road nahezu Argentinier-frei. Das "Fireman's Arms", ein traditioneller englischer Pub, sonst eher gefüllt mit Rugby -und Cricket-Fans, ist an diesem Abend fest in der Hand deutscher Fußball-Fans aus Kapstadt und Namibia. Für die Namibier hat sich die Anreise gelohnt. Die einzigen gut gelaunten Gesichter in den Farben der Albiceleste sind Südafrikaner, die es nicht kümmert, dass sie an diesem Tag aufs falsche Pferd gesetzt haben. Ihre Landsmänner, die sich am Samstag in Schwarz-rot-gold gehüllt haben, freuen sich, an diesem Abend zu den Gewinnern zu gehören und frischen stolz ihr Deutsch auf. "Deutschland Weltmeister" hört man häufig an diesem Abend - nicht nur aus dem Mund von "echten" Deutschen.
Angela Naumann, Kapstadt
Kurz vor knapp hat uns der Babysitter abgesagt; Nolusindi ist in der Kirche und der Gottesdienst dauert heute bis halb vier - das ist der Nachteil mit den Spielen am Sonntag. Unserem Freund Hans und seiner Frau ist das gleiche passiert, deshalb sitzen nun auch Janosch, 20 Monate, im Deutschland T-Shirt und Lotta, knapp sechs Monate, mit auf der Couch. Die Blonde mit dem Kölner Akzent, die sich beim letzten Spiel im Paulaner Brauhaus noch über die "Deutschland ist ein geiles Land"-Rufe gewundert hat, ist auch wieder da. Sie trägt diesmal schwarz-rot-goldenen Lidschatten und hat Lotta die Deutschland-Farben auf die Wange gemalt. Gastgeberin Melanie trägt ihr "Halbzeitschnittchen"-T-Shirt. Reiseunternehmerin Gaby hat ihren Flaggenumhang und Mütze vergessen und wird prompt wieder nach Hause geschickt, ihre Ausrüstung zu holen.
Auch in der Aintreestraße ist die Stimmung gespannt. Mike motzt seine Freundin Michaela an, die zwecks Empfangsoptimierung nochmal an den Hasenohren herumzupft und kurzfristig für einen Bildausfall bei Fernseher Nummer 3 sorgt. Kurz vor Anpfiff stolpert noch meine Freundin Elena mit Mann durch die Tür. "Babysitter zu spät, typisch, ausgerechnet heute", keucht sie. Kindermädchen sind stark gefragt während der WM. Das scheint auch Elenas Babysitter erkannt zu haben - und hat ihren Preis prompt nach oben geschraubt. "Heute will sie 80 Rand die Stunde statt 50 Rand wie bisher", ärgert sich Elena. "Jetzt hat schon die Nanny WM-Preise!" So ist das eben bei der Weltmeisterschaft: Je weiter das favorisierte Team kommt, desto konzentrierter das Interesse.
Das wissen auch die Verkäufer diverser WM-Utensilien. Da mit dem Ausscheiden eines jeden Teams das relevante Angebot kleiner wird - wer kauft jetzt schon noch England-Fahnen oder Frankreich-Perücken? - müssen die Fans der sich weiter qualifizierten Mannschaften entsprechend mehr hinlegen. Als ich auf der Fanmeile vor dem Holland-Kamerun-Spiel einen Deutschland-Helm entdeckte, sollte dieser 300 Rand kosten. Natürlich war es der letzte Helm, den der Verkäufer hatte. Fünf Tage später war der Helm bereits 50 Rand teurer und der Verkäufer ebenso beharrlich wie kurz angebunden: Es sei der letzte, außerdem ist Deutschland im Viertelfinale. Sollte es Jogi Löws Team ins Finale schaffen, kostet der Helm dann vermutlich 500 Rand... Dabei haben sich die Fan-Helme bei weitem nicht so durchgesetzt wie ihr berühmt-berüchtigtes südafrikanisches Fanartikel-Pendant, die Vuvuzela.
Die Aintreestraße 1A ist nahezu Vuvuzela-frei, Ohrenstöpsel - ein weiterer überraschender Verkaufsschlager dieser WM - sind daher unnötig. 1A ist auch das Spiel der deutschen Mannschaft - und die angespannte Stimmung spätestens nach dem dritten Tor gegen England gelöst. Selbst der brasilianische Freund des "Halbzeitschnittchens", er trägt einen grünen und einen schwarz-rot-goldenen Ärmel, ist beeindruckt. Ich empfinde persönliche Genugtuung, nicht nur wegen der Fußball-Historie, sondern auch wegen der Engländer, die im Deutschland-Serbien-Spiel in Port Elizabeth mit weiß-roter Flagge vor uns saßen und natürlich für die Serben jubelten. Ihr könnt nach Hause fahren!
Mit dem Abpfiff des Spiels beginnt für deutsche Fans der Run auf Tickets fürs Viertelfinale. Mein ehemaliger Nachbar, ein Amerikaner, bietet vier Tickets für den Deutschland-Argentinien-Showdown von Freunden aus USA an, die "überraschenderweise" nicht kommen können. So überaschend ist das wohl nicht, vermutlich haben die Freunde darauf spekuliert, dass die USA unter Umständen selbst zum Viertelfinale in Greenpoint einlaufen könnte. Seit Beginn der Knock-out-Runden blüht der Tauschmarkt: Wer sich mit dem Weiterkommen seines Teams verkalkuliert hat, versucht, Tickets an entsprechende Fans loszuwerden. Der ungenehmigte Ticket-Weiterkauf wird von der FIFA übrigens hart geahndet, was aber viele nicht davon abhält, mit Tickets auffällig-unauffällig in der Hand den Fanwalk auf der Suche nach Abnehmern auf- und abzuschlendern.
Das Viertelfinale: Deutschland gegen Argentinien, Samstag, 3. Juli, 15 Uhr, Greenpoint-Stadion, Kapstadt. Bastian Schweinsteiger hatte Recht. Die Argentinier setzen sich wirklich gerne zusammen, ungeachtet ihrer eigenen Platzkarten. Eineinhalb Stunden vor Anpfiff sieht es auf der Fanmeile noch so aus, als seien die Deutschen in der Überzahl. Auch viele Südafrikaner tragen heute Schwarz-rot-gold. Beim Eintritt ins Stadion korrigiert sich das Bild. Eine hüpfende, trommelnde, singende und Arme werfende Menge in Blau dominiert die Ränge. Die argentinischen Fans haben die Deutschen in Sachen Pünktlichkeit geschlagen und sind rechtzeitig erschienen, um ihre Flaggen und Banner auszubreiten. Über unsere Plätze hinweg haben sie ein großes Plakat mit dem Konterfei Maradonas gespannt. Auf Anfrage machen sie Platz, wenn auch widerwillig.
Drei junge Zivildienstleistende, die ihr soziales Jahr in Südafrika ableisten, fragen uns nach dem deutschen Fanblock. Der ist in Spuren auf der anderen Seite des Stadions zu ahnen, also bleiben sie erstmal bei uns, weil sie sich in der Masse der Argentinier etwas verloren fühlen. Die wenigen deutschen Fanclub-Flaggen und ein "Tschüss Maradona"-Banner gehen in der Flut argentinischer Parolen und Flaggen unter. Die starke Präsenz der hauptsächlich männlichen Fans von Maradonas Truppe hat auch etwas Einschüchterndes an sich. Nervös schicke ich eine SMS an Freunde vor dem Fernseher. "Wir sitzen mitten im argentinischen Block, die singen und tanzen wie verrückt, ich hoffe wir gewinnen."
Drei Minuten nach Anpfiff hat sich das Blatt gewendet. Eine SMS aus Deutschland: "Und, singen sie noch?" Damit sind jetzt die Deutschen an der Reihe. "Ihr seid nur ein Rumpsteak Lieferant!", singen die Zivis vor uns. Die blaue Meute um uns wird nicht nur merklich leiser während des Spielverlaufs, sondern reduziert sich auch nach und nach mit dem Eintreffen verspäteter Deutschland-Fans, die sich ihre Sitze erst freiräumen lassen mussten. Polizisten und FIFA-Freiwillige waren mehr als deutlich.
Nach dem Abpfiff verlassen die argentinischen Fans das Stadion so früh wie sie gekommen sind, während im deutschen Fanblock die Party noch lange anhält. Vor dem Stadion versuchen einige geknickte Fans in Blau, ihre Tickets fürs Halbfinale in Durban zu verkaufen. Ansonsten sind die Kneipen entlang der Somerset Road nahezu Argentinier-frei. Das "Fireman's Arms", ein traditioneller englischer Pub, sonst eher gefüllt mit Rugby -und Cricket-Fans, ist an diesem Abend fest in der Hand deutscher Fußball-Fans aus Kapstadt und Namibia. Für die Namibier hat sich die Anreise gelohnt. Die einzigen gut gelaunten Gesichter in den Farben der Albiceleste sind Südafrikaner, die es nicht kümmert, dass sie an diesem Tag aufs falsche Pferd gesetzt haben. Ihre Landsmänner, die sich am Samstag in Schwarz-rot-gold gehüllt haben, freuen sich, an diesem Abend zu den Gewinnern zu gehören und frischen stolz ihr Deutsch auf. "Deutschland Weltmeister" hört man häufig an diesem Abend - nicht nur aus dem Mund von "echten" Deutschen.
Angela Naumann, Kapstadt
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Allgemeine Zeitung
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