Spurensuche: In Lüderitzbucht lebt Geschichte auf
Von Konny von Schmettau, Swakopmund
Erhaben und unerschütterlich steht die Felsenkirche zu Lüderitzbucht auf dem felsigen Grund des Diamantberges und überblickt seit mehr als 100 Jahren die Große Bucht, die malerischen Häuser der Stadt und den imposanten Tiefseehafen, in dem zuweilen Container- und Kreuzfahrtschiffe anlegen und die verträumte Stadt mit quirligem Leben füllen. Hier wurde im Jahre 1884 die Reichsflagge gehisst, womit der Grundstein für die deutsche Kolonie Deutsch-Südwestafrika gelegt wurde.
Im Jahre 1911 hatte der Stadtrat beschlossen, eine Evangelisch-lutherische Kirche errichten zu lassen, die von jedem Haus der Gründerstadt aus zu sehen sein sollte, um die Gemeinde zum Gottesdienst zu rufen und an den christlichen Glauben zu mahnen. Noch im selben Jahr wurde der Grundstein gelegt. Architekt und Bauherr war der landesweit bekannte Albert Bause, das Dach indes fertigte der deutsche Klempnermeister Wilhelm Meckel, der aus der Altmark stammte. Aus Deutschland kamen u.a. das Taufbecken und ein dreiteiliges Lutherfenster, Kaiserin Victoria stiftete die wertvolle Altarbibel und Kaiser Wilhelm II. die Buntglasfenster.
Stolz überblickte das imposante Bauwerk, im Volksmund malerisch als „Felsenkirche“ bezeichnet, schon weniger Monate später das tosende Meer, bekrönt von einem leuchtenden Kupferdach mit einer sich verjüngenden Spitze, deren Mittelpunkt eine handgetriebene Kugel aus dem selben Material wohl den Erdball symbolisieren sollte. Am 4. August 1912 fand die feierliche Einweihung statt.
Es war Albert Bause, der ein ganzes Jahrhundert lang ob dieses wunderschönen Bauwerkes gepriesen und in jeglicher Literatur erwähnt wurde. – Bis zu jedem Tag im September 2012, als das Kupferdach erneuert werden sollte, genau 100 Jahre nach der Errichtung. Dachdecker war der ebenfalls aus dem Osten Deutschlands stammende Dietmar Pistorius, dessen Prognose, dass in dem Dach oder der Turmspitze nach alter Handwerkstradition mit großer Wahrscheinlichkeit etwas ganz Besonderes zu finden sei, Recht behielt.
Entsprechend warteten die Lüderitzbuchter höchst gespannt darauf, was Pistorius wohl entdecken würde. Und sie wurden nicht enttäuscht, denn in der sich verjüngenden Spitze war eine Pergamentrolle verborgen, die eine „Lüderitzbuchter Zeitung“ mit Berichten über die Grundsteinlegung, das Protokoll der entscheidenden Stadtratssitzung und einen 100 Jahre alten, von Wilhelm Meckel handgeschriebenen Brief an „die nachfolgenden Generationen“ enthielt.
21 Tage, so schrieb Meckel, hatte er am Turmdach in 27 Metern Höhe gebaut, mehrfach unterbrochen vom tosenden Wind, auf dem Felsen über dem wilden Atlantik. Kunstvoll wurde das Kupferblech per Hand bearbeitet, bis es die gewünschte Form erhielt. Kugel und Spitze legen ein beredtes Zeugnis seines handwerklichen Geschicks ab.
Mit diesem Brief tauchte der bis dahin weitgehend unerwähnte Klempnermeister wie Phönix aus der Asche aus der Vergangenheit auf und die Berichte über den sensationellen Fund fanden ihren Weg von Namibia aus in alle Welt.
So auch nach Dresden, wo ein über seine Familiengeschichte recherchierender Herr eines Tages im Jahre 2014 wieder einmal seinen Nachnamen bei einer Internet-Suchmaschine eingab – und bei der Erwähnung des Namens Klempnermeister Wilhelm Meckel sofort wusste, dass es sich um seinen verstorbenen Großvater handelte.
81 Jahre alt, körperlich wie geistig fit und überaus interessiert an der bewegten Familiengeschichte, schrieb der Dresdener Johannes Meckel nach Namibia und bat die Autorin der Zeitungsberichte und Mitfinderin des historischen Briefes, für ihn und seine Enkeltochter Anne Perschel eine Reise durch Namibia zu organisieren und die beiden auf ihrer Spurensuche zu begleiten.
Neben der Erkundung der schönsten Ecken Namibias standen natürlich Lüderitzbucht und die Recherche an wichtigster Stelle. Endlich standen Enkel und Ur-Ur-Enkelin mit Tränen in den Augen im Kirchenschiff und bewunderten die von ihrem Ahnen gefertigte Turmspitze, die, gemeinsam mit der gerahmten Kopie des historischen Briefes, im Foyer der Felsenkirche einen Ehrenplatz erhalten hatte.
Die Kirchengemeinde hatte als Überraschung einen kleinen Empfang vorbereitet und Kirchenvorstand Erich Looser auch den Originalbrief mitgebracht. Nachdem man sich ausgiebig ausgetauscht hatte, brachte Johannes Meckel nun seinerseits die Lüderitzbuchter zum Staunen, denn er hatte einen ebenfalls 100 Jahre alten Brief dabei: Handgeschrieben von seiner Großmutter Olga Meckel, auf dem selben Briefkopf des Klempnermeisters, verfasst während eines Erholungsurlaubs, den sie ihren Kindern im Städtchen Aus verbrachte.
Voller Aufregung lauschten die Lüderitzbuchter dem Dresdener, der den in Sütterlin geschriebenen Brief fließend mit einem Schmunzeln verlas, denn Großmutter Meckel beschrieb die stürmischen Winter an der Bucht und gewährte ungeahnte Einblicke in das gesellschaftliche Leben der damaligen Zeit.
Noch größer war die Überraschung, als Johannes Meckel ein Hochzeitsfoto seiner Großeltern hervor holte, denn bis dato hatte niemand ein Foto des Dacherbauers gesehen. Inzwischen hängt eine Kopie besagten Fotos ehrenvoll neben dem historischen Brief in der Felsenkirche.
Doch damit war die Recherche noch lange nicht zu Ende. Gisela Schmidt öffnete außerhalb der Besuchszeiten das kleine Lüderitzbuchter Museum, Ulf Grunewald vom Nest Hotel brachte historische Karten und Dokumente zum Vorschein. Trudi Stols hatte in der Swakopmunder Sam-Cohen-Bibliothek nach Quellen geforscht und Werner Hillebrecht gewährte Einblicke in die Windhoeker Nationalbibliothek.
Nach und nach setzte sich aus den Puzzlestücken ein Gesamtbild zusammen. Als Wilhelm Meckel nach Deutsch-Südwestafrika kam, hatte er zunächst in Swakopmund bei der Schutztruppe gedient, wahrscheinlich in der 2. Eisenbahnbaukompanie, und war am Bau der Landungsbrücke beteiligt. 1908 heiratete er seine Frau Olga.
In der „Lüderitzbuchter Zeitung“ fand man den ersten Hinweis auf den Aufenthalt der Familie in Lüderitzbucht in Form einer Anzeige über die Geschäftsverlegung von der Diazstraße in die Moltkestraße. Ab 1913 befand sich die Werkstatt in der Ringstraße Nr. 17, gegenüber dem Kaiserlichen Bezirksgericht, das heute als Teil der Stadtverwaltung dient. Derzeit ist die Nummer 17 am unteren Ende der Straße zu finden, die später umbenannt wurde. Gegenüber dem ehemaligen Bezirksgerichts finden sich noch Hausnummern, die auf eine Umnummerierung des Straßenzuges hindeuten.
Klempnermeister Wilhelm Meckel erlitt einen tragischen Tod. Sein lebloser Körper wurde 1913 von den Wellen an den Strand gespült, drei Wochen vor der Geburt seiner Tochter Lieselotte.
Olga Meckel führte das Geschäft zunächst allein weiter, heiratete dann den Klempnermeister Herrmann Kirsch aus Windhoek, der jedoch 1916 ebenfalls verstarb. 1914 wurde sie mit ihren inzwischen fünf Kindern in Pietermaritzburg interniert und 1919 nach Deutschland repatriiert.
Die Nachfahren, namentlich Johannes Meckel und Anne Perschel, suchen nun nach Spuren einer Tochter von Albert Friedrich Wilhelm Meckel, geboren am 1.10.1870, und Olga Johanna Christiana, geb. Seidel, verwitwete Meckel, später verheiratete Kirsch. Das Mädchen Lieselotte Wilhelmine Meckel, geboren in Lüderitzbucht am 1.10.1913, wurde bei der Repatriierung ihrer Mutter 1919 in Lüderitzbucht zurückgelassen und angeblich von einer wohlhabenden englischen Familie adoptiert. Wo ist sie verblieben?
Für die Nachkommen des Klempnermeisters bleibt die Geschichte durch Fotos und Dokumente lebendig und die Spurensuche im heutigen Namibia wird noch lange ein aufregendes Thema im Familienrat sein. Ur-Ur-Enkelin Anne plant bereits den nächsten Aufenthalt mit ihrer Familie.
Erhaben und unerschütterlich steht die Felsenkirche zu Lüderitzbucht auf dem felsigen Grund des Diamantberges und überblickt seit mehr als 100 Jahren die Große Bucht, die malerischen Häuser der Stadt und den imposanten Tiefseehafen, in dem zuweilen Container- und Kreuzfahrtschiffe anlegen und die verträumte Stadt mit quirligem Leben füllen. Hier wurde im Jahre 1884 die Reichsflagge gehisst, womit der Grundstein für die deutsche Kolonie Deutsch-Südwestafrika gelegt wurde.
Im Jahre 1911 hatte der Stadtrat beschlossen, eine Evangelisch-lutherische Kirche errichten zu lassen, die von jedem Haus der Gründerstadt aus zu sehen sein sollte, um die Gemeinde zum Gottesdienst zu rufen und an den christlichen Glauben zu mahnen. Noch im selben Jahr wurde der Grundstein gelegt. Architekt und Bauherr war der landesweit bekannte Albert Bause, das Dach indes fertigte der deutsche Klempnermeister Wilhelm Meckel, der aus der Altmark stammte. Aus Deutschland kamen u.a. das Taufbecken und ein dreiteiliges Lutherfenster, Kaiserin Victoria stiftete die wertvolle Altarbibel und Kaiser Wilhelm II. die Buntglasfenster.
Stolz überblickte das imposante Bauwerk, im Volksmund malerisch als „Felsenkirche“ bezeichnet, schon weniger Monate später das tosende Meer, bekrönt von einem leuchtenden Kupferdach mit einer sich verjüngenden Spitze, deren Mittelpunkt eine handgetriebene Kugel aus dem selben Material wohl den Erdball symbolisieren sollte. Am 4. August 1912 fand die feierliche Einweihung statt.
Es war Albert Bause, der ein ganzes Jahrhundert lang ob dieses wunderschönen Bauwerkes gepriesen und in jeglicher Literatur erwähnt wurde. – Bis zu jedem Tag im September 2012, als das Kupferdach erneuert werden sollte, genau 100 Jahre nach der Errichtung. Dachdecker war der ebenfalls aus dem Osten Deutschlands stammende Dietmar Pistorius, dessen Prognose, dass in dem Dach oder der Turmspitze nach alter Handwerkstradition mit großer Wahrscheinlichkeit etwas ganz Besonderes zu finden sei, Recht behielt.
Entsprechend warteten die Lüderitzbuchter höchst gespannt darauf, was Pistorius wohl entdecken würde. Und sie wurden nicht enttäuscht, denn in der sich verjüngenden Spitze war eine Pergamentrolle verborgen, die eine „Lüderitzbuchter Zeitung“ mit Berichten über die Grundsteinlegung, das Protokoll der entscheidenden Stadtratssitzung und einen 100 Jahre alten, von Wilhelm Meckel handgeschriebenen Brief an „die nachfolgenden Generationen“ enthielt.
21 Tage, so schrieb Meckel, hatte er am Turmdach in 27 Metern Höhe gebaut, mehrfach unterbrochen vom tosenden Wind, auf dem Felsen über dem wilden Atlantik. Kunstvoll wurde das Kupferblech per Hand bearbeitet, bis es die gewünschte Form erhielt. Kugel und Spitze legen ein beredtes Zeugnis seines handwerklichen Geschicks ab.
Mit diesem Brief tauchte der bis dahin weitgehend unerwähnte Klempnermeister wie Phönix aus der Asche aus der Vergangenheit auf und die Berichte über den sensationellen Fund fanden ihren Weg von Namibia aus in alle Welt.
So auch nach Dresden, wo ein über seine Familiengeschichte recherchierender Herr eines Tages im Jahre 2014 wieder einmal seinen Nachnamen bei einer Internet-Suchmaschine eingab – und bei der Erwähnung des Namens Klempnermeister Wilhelm Meckel sofort wusste, dass es sich um seinen verstorbenen Großvater handelte.
81 Jahre alt, körperlich wie geistig fit und überaus interessiert an der bewegten Familiengeschichte, schrieb der Dresdener Johannes Meckel nach Namibia und bat die Autorin der Zeitungsberichte und Mitfinderin des historischen Briefes, für ihn und seine Enkeltochter Anne Perschel eine Reise durch Namibia zu organisieren und die beiden auf ihrer Spurensuche zu begleiten.
Neben der Erkundung der schönsten Ecken Namibias standen natürlich Lüderitzbucht und die Recherche an wichtigster Stelle. Endlich standen Enkel und Ur-Ur-Enkelin mit Tränen in den Augen im Kirchenschiff und bewunderten die von ihrem Ahnen gefertigte Turmspitze, die, gemeinsam mit der gerahmten Kopie des historischen Briefes, im Foyer der Felsenkirche einen Ehrenplatz erhalten hatte.
Die Kirchengemeinde hatte als Überraschung einen kleinen Empfang vorbereitet und Kirchenvorstand Erich Looser auch den Originalbrief mitgebracht. Nachdem man sich ausgiebig ausgetauscht hatte, brachte Johannes Meckel nun seinerseits die Lüderitzbuchter zum Staunen, denn er hatte einen ebenfalls 100 Jahre alten Brief dabei: Handgeschrieben von seiner Großmutter Olga Meckel, auf dem selben Briefkopf des Klempnermeisters, verfasst während eines Erholungsurlaubs, den sie ihren Kindern im Städtchen Aus verbrachte.
Voller Aufregung lauschten die Lüderitzbuchter dem Dresdener, der den in Sütterlin geschriebenen Brief fließend mit einem Schmunzeln verlas, denn Großmutter Meckel beschrieb die stürmischen Winter an der Bucht und gewährte ungeahnte Einblicke in das gesellschaftliche Leben der damaligen Zeit.
Noch größer war die Überraschung, als Johannes Meckel ein Hochzeitsfoto seiner Großeltern hervor holte, denn bis dato hatte niemand ein Foto des Dacherbauers gesehen. Inzwischen hängt eine Kopie besagten Fotos ehrenvoll neben dem historischen Brief in der Felsenkirche.
Doch damit war die Recherche noch lange nicht zu Ende. Gisela Schmidt öffnete außerhalb der Besuchszeiten das kleine Lüderitzbuchter Museum, Ulf Grunewald vom Nest Hotel brachte historische Karten und Dokumente zum Vorschein. Trudi Stols hatte in der Swakopmunder Sam-Cohen-Bibliothek nach Quellen geforscht und Werner Hillebrecht gewährte Einblicke in die Windhoeker Nationalbibliothek.
Nach und nach setzte sich aus den Puzzlestücken ein Gesamtbild zusammen. Als Wilhelm Meckel nach Deutsch-Südwestafrika kam, hatte er zunächst in Swakopmund bei der Schutztruppe gedient, wahrscheinlich in der 2. Eisenbahnbaukompanie, und war am Bau der Landungsbrücke beteiligt. 1908 heiratete er seine Frau Olga.
In der „Lüderitzbuchter Zeitung“ fand man den ersten Hinweis auf den Aufenthalt der Familie in Lüderitzbucht in Form einer Anzeige über die Geschäftsverlegung von der Diazstraße in die Moltkestraße. Ab 1913 befand sich die Werkstatt in der Ringstraße Nr. 17, gegenüber dem Kaiserlichen Bezirksgericht, das heute als Teil der Stadtverwaltung dient. Derzeit ist die Nummer 17 am unteren Ende der Straße zu finden, die später umbenannt wurde. Gegenüber dem ehemaligen Bezirksgerichts finden sich noch Hausnummern, die auf eine Umnummerierung des Straßenzuges hindeuten.
Klempnermeister Wilhelm Meckel erlitt einen tragischen Tod. Sein lebloser Körper wurde 1913 von den Wellen an den Strand gespült, drei Wochen vor der Geburt seiner Tochter Lieselotte.
Olga Meckel führte das Geschäft zunächst allein weiter, heiratete dann den Klempnermeister Herrmann Kirsch aus Windhoek, der jedoch 1916 ebenfalls verstarb. 1914 wurde sie mit ihren inzwischen fünf Kindern in Pietermaritzburg interniert und 1919 nach Deutschland repatriiert.
Die Nachfahren, namentlich Johannes Meckel und Anne Perschel, suchen nun nach Spuren einer Tochter von Albert Friedrich Wilhelm Meckel, geboren am 1.10.1870, und Olga Johanna Christiana, geb. Seidel, verwitwete Meckel, später verheiratete Kirsch. Das Mädchen Lieselotte Wilhelmine Meckel, geboren in Lüderitzbucht am 1.10.1913, wurde bei der Repatriierung ihrer Mutter 1919 in Lüderitzbucht zurückgelassen und angeblich von einer wohlhabenden englischen Familie adoptiert. Wo ist sie verblieben?
Für die Nachkommen des Klempnermeisters bleibt die Geschichte durch Fotos und Dokumente lebendig und die Spurensuche im heutigen Namibia wird noch lange ein aufregendes Thema im Familienrat sein. Ur-Ur-Enkelin Anne plant bereits den nächsten Aufenthalt mit ihrer Familie.
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Allgemeine Zeitung
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