Storch oder Ibis - der Nimmersatt (Mycteria ibis)
Stefan Rust
Steckbrief
Der Nimmersatt zählt zur Familie der Störche. Weltweit sind 19 Storchenarten bekannt. Sie sind in allen Erdteilen beheimatet mit Ausnahme von Neuseeland, Ozeanien und der Antarktis. In Europa leben nur Weißstörche und die deutlich selteneren Schwarzstörche. Bekannte afrikanische Vertreter des Storches sind der Wollhalsstorch (Ciconia episcopus), Abdimstorch (Ciconia abdimii), Schwarzstorch (Ciconia nigra), Weißstorch (Ciconia ciconia), Klaffschnabel (Anastomus lamelligerus), Marabu (Leptoptilos crumeniferus), Sattelstorch (Ephippiorhynchus senegalensis) und der Nimmersatt (Mycteria ibis).
Der leicht nach unten gebogene Schnabel hat eine Ähnlichkeit mit dem der Ibisse. Der wissenschaftliche Name des Nimmersatt scheint die Verwandtschaft der Ibisse zu bestätigen, aber doch gehören sie eindeutig zu den Störchen.
Die wissenschaftliche Namensgebung ibis für den Nimmersatt liegt in der Vergangenheit, als in den 1980er Jahren die molekulargenetische Untersuchungsmethode entwickelt wurde. Diese Ermöglichung der exakten Feststellung der Verwandtschaften der Tierarten anhand der im Erbgut gespeicherten Informationen hat die Erforschung des avifaunistischen Stammbaums im wahrsten Sinne des Wortes revolutioniert. Dies ergab, dass unter anderem Ibisse und Störche in eine Ordnung gruppiert wurden welche die wissenschaftliche Bezeichnung ibis für den Nimmersatt rechtfertigte. Die Untersuchung der Storchenverwandtschaft zeigte jedoch, dass diese so genannten DNA-Analysen zu Anfang noch nicht ausgereift waren. 20 Jahre später stellte die Wissenschaft fest, dass die Ibisse, Reiher, Löffler, Hammerkopf und Schuhschnäbel näher mit den Pelikanen als mit den Störchen verwandt sind. Nach weiteren Untersuchungen ergab sich, dass Störche in der Vogelordnung Ciconiiformes ziemlich isoliert sind. Die Storchenvogelordnung ist also nach einem zuerst starken Anwachsen in den 80er-Jahren anhand dieser neuen Erkenntnis plötzlich stark geschrumpft. Nur die lateinische Bezeichnung des Nimmersatt wurde nicht geändert.
Als mühsam ergab sich die Suche nach der Begründung der deutschen Namensgebung „Nimmersatt”. Auf keinen Fall kann behauptet werden, dass er gefräßiger als seine Verwandten ist, und daher Nimmersatt genannt wurde. Im Gegenteil, er wurde von einigen Wissenschaftlern in Bezug auf die Nahrungsaufnahme eher als gemäßigt beschrieben. Wie also kam er auf diesen Namen? Wahrscheinlicher ist ein Hinweis den man von dem ehemaligen Gattungsname Tantalus erhält. Tantalus war einer Legende zur Folge ein griechischer König, der zur Strafe für seinen Hochmut den Göttern gegenüber in der Unterwelt hungern und dursten musste; denn die reifen Früchte an den Bäumen und das Wasser am Boden wichen zurück, sobald er danach griff. Er erlitt die sogenannten Tantalusqualen und wurde nimmer satt. Das Fressverhalten des Nimmersatt-Storche erinnerte vielleicht den namengebenden Naturforscher möglicherweise an diesen altgriechischen Mythos. Denn wenn der Nimmersatt im Wasser schreitet und seinen halbgeöffneten Schnabel darin getaucht hält, scheint er vergeblich auf Beute zu hoffen.
Betrachten wir uns dieses Fressverhalten etwas genauer, so ergibt sich ein höchst ausgeklügeltes System, denn der Schnabel ist an der Spitze mit Tastsinnzellen ausgestattet. Sie veranlassen, dass er sich binnen Millisekunden reflexartig schließt, sobald ein Beutetier, das vom im Wasser stelzenden Schreitvogels aufgescheucht wurde, den Schnabel berührt. Dieses Tastschnabelsystem befähigt den Nimmersatt auch in trüben und schlammigen Wasser Beute zu fangen. Auch erklärt diese Jagdtechnik warum der Nimmersatt bei der Auswahl seiner Jagdgründe flexibler ist und deswegen anderen auf Sicht jagenden Watvögeln klar im Vorteil ist.
Sobald dieser recht häufige Bewohner der flachen Binnengewässer aber auch der Küsten gesättigt ist steht er ruhend mit eingezogenem Kopf am Ufer, beschäftigt sich mit Gefiederpflege oder segelt mühelos im Aufwind umher: er ist nämlich ein ausgezeichneter Flieger. Zwar kann er keine langen Strecken zurücklegen, wie seine Verwandten, Weiß- und Schwarzstorch, aber sein Wanderverhalten richtet sich nach den örtlichen Gegebenheiten. Somit bleiben einige der regionalen Bestände das ganze Jahr über an ihrem Brutgebiet, während andere alljährlich zwischen ihren Brut- und Nichtbrutgebieten pendeln. Daher wird der Nimmersatt als Halbnomadisch bezeichnet.
Die frühere Ansicht der lebenslangen Paarbindung bei Störchen ist überholt. Monogamie gibt es nur bei den territorialen und einzelgängerischen Arten. Bei den in Gruppen und Kolonien brütenden Arten bilden sich jedes Jahr neue Partnerschaften. Im Falle einer vorjährigen erfolgreichen Brut, geschieht es oft, dass beide Vögel zur selbigen Kolonie und sogar zum selben Nest zurückkehren, was dann nicht selten zur Paarbildung derselben Vögel des Vorjahres führt. Außerhalb der Brutzeit gehen beide wieder getrennte Wege.
Die Balzphase bei Störchen ist gekennzeichnet durch das storchentypische Schnabelklappern.
Momentan wird der Nimmersatt in seinem Fortbestand als nicht gefährdet eingestuft. Dies verdankt er seinem großen Verbreitungsgebiet und seiner bemerkenswerten Anpassungsfähigkeit an verschiedene Lebensumstände. Aber wegen allgemeinen Lebensraumverlust und Gewässerverschmutzung sind die Bestandszahlen etwas rückläufig und deswegen ist ein genaues Beobachten der Population erforderlich.
Steckbrief
Namen: Mycteria ibis (Lateinisch) / Yellow-billed Stork (Englisch) / Nimmersatt (Afrikaans)
Familie: Störche - Ciconiidae
Verbreitung: Afrika, südlich der Sahara
Lebensraum: Feuchtgebiete
Größe: 95-105 cm
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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