Straßenkunst mal anders
Von Thomas Haslböck, Windhoek
„Das ist alles ein bisschen provisorisch, ‚work in progress‘ sozusagen“, meint UNAM-Dozentin Frauke Stegmann. Aber dafür hat sie Verständnis – immerhin stecken ihre Studenten mitten in den Examensvorbereitungen. Da ist es nicht so einfach, quasi nebenher noch ein Kunstprojekt auf die Beine zu stellen. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist die Expertin beeindruckt von den kreativen Ideen und der selbstständigen Herangehensweise ihrer 24 Kursteilnehmer. Denn die Aufgabe, die Stegmann ihnen gegeben hat, ist komplex. Die Studenten sollten Kunst aus der Galerie herausholen und im Rahmen des Projekts „Diver City“ in die Straßen Windhoeks tragen. „Site-specific intervention“, so nennt sich das. Etwas schwerfällig ließe sich der Ausdruck mit „standortspezifischer Eingriff“ übersetzen.
Stegmann versucht, den Begriff etwas genauer zu erläutern. „Kunst, das sind nicht nur Bilder und Skulpturen, sondern das ist Querdenken“, meint sie. Im Hörsaal alleine hätte sie ihren Studenten das kaum deutlich machen können. Darum mussten sie ausrücken und sich in der Stadt umsehen, um dort besondere Ecken ausfindig zu machen – danach galt es, deren Bedeutung und Kontext künstlerisch zu unterstreichen. „Um so etwas hinzubekommen, muss man sein Umfeld aber erst einmal beobachten und analysieren – da gehört eine gewisse Reife dazu“, sagt Stegmann.
Dass ihre Studenten diese Reife besitzen, haben sie bewiesen: Von Olympia bis Katutura, vom Rivierbett bis zur Häuserschlucht waren die Jungkünstler aktiv. Für die Ewigkeit sind die kleinen Eingriffe natürlich nicht gemacht – das gehört zum Konzept. So hatten Kunstfreunde auch nur einen Tag Zeit, die insgesamt 24 Stätten zu besuchen. Zu diesem Zwecke organisierte die UNAM in Zusammenarbeit mit Jacques Mushaandja vom John Muafangejo Art Centre sogar eine eigene „Diver-City“-Tour. Die Teilnehmer konnten unter anderem folgende Impressionen mitnehmen.
Kurzbeschreibung: Pro Rider
Künstler: Trianus Nakale
Das war zu kontrovers: Erst hat die Stadtverwaltung dem Studenten Trianus Nakale verboten, sein Kunstwerk gegenüber der Alten Feste aufzustellen, dann sind Randalierer darüber hergefallen. Zwei braune Pappsilhouetten des Reiterdenkmals und eine Pappschablone mit demselben Motive liegen nun umgeknickt und verbogen herum. Trianus versucht notdürftig, sein Kunstwerk wieder herzurichten. Die Schablone lehnt er an eine Palme, die Pappaufsteller biegt er gerade. Auf einer der beiden Reitersilhouetten steht in weißer Schrift viele Male das Wort „Restore“. Das heißt so viel wie „Gebt es zurück!“
„In Namibia wird ständig auf andere gedeutet – Rassismus und Tribalismus spalten unsere Gesellschaft“, meint Trianus Nakale. Das Reiterdenkmal und seine Beseitigung stehen sinnbildlich für diese Problematik. „Ich kann verstehen, dass das Monument die Herero und Nama gestört hat. Es verweist immerhin auf den Kolonialkrieg“, sagt der Student. Eines dürfe dabei aber nicht vergessen werden: Die Statuen von Hosea Kutako und Hendrik Witbooi werden auch weiterhin an die Geschichte der beiden Völker erinnern. Die deutsche Volksgruppe hingegen habe man durch die Demontage vor den Kopf gestoßen. „Das sind genauso Namibier. Doch sie fühlen sich hier mehr und mehr unerwünscht“, mutmaßt Trianus. Seine Forderung: Stellt neue Statuen auf, aber ersetzt damit nicht die alten Denkmäler – denn auch sie sind ein Teil dieses Landes.
Kurzbeschreibung: Banner saying „Fine Art“
Künstler: Filip Watjen
Windhoek ist für Filip Watjen aus Bremen eigentlich eine fremde Stadt. Gar nicht so einfach, als Gaststudent eine geeignete Ecke aufzuspüren, um dort künstlerisch zu intervenieren. Zu keinem Ort hat Filip einen wirklich persönlichen Bezug. Aber er hat einen anderen Zugang gefunden: Sein Großcousin arbeitet hier als Arzt und bringt viele Geschichten mit nach Hause. Diese Erzählungen haben Filip neugierig gemacht – darum hat er einfach mal im Staatskrankenhaus vorbeigeschaut. „Heidewitz, da war was los“, erinnert sich der Student. Schnell war klar: Wenn schon Kunst, dann hier.
So einfach war es aber dann doch nicht. „Ich konnte kaum Informationen über das Staatskrankenhaus finden – es gibt zu wenig Literatur“, erzählt Filip. Den Bogen zwischen Kunst und Krankenpflege hat der Student daher mit einem Zitat der berühmten Krankenschwester Florence Nightingale geschlagen. Als „schönste aller Künste“ bezeichnete sie einst ihre Arbeit – denn was bedeute schon die Arbeit an toter Leinwand im Vergleich zur Arbeit am lebendigen Körper. Gleich doppelt ließ Filip diesen Satz in sein Werk einfließen. Auf die erwähnte tote Leinwand hat er die Worte „Fine Art“ („Schöne Kunst“) geschrieben. Über dem Krankenhauseingang platziert, sollte das gelbe Banner die Besucher daran erinnern, dass die Arbeit im Hospital der Wertschätzung bedürfe. Gehalten hat’s nicht, der Wind hat den Schriftzug runtergeblasen. Filip stört das kaum: „Wenn die Leinwand nur einem auf den Kopf gefallen ist und der darüber nachgedacht hat, war es die Mühe schon wert.“
Kurzbeschreibung: Clay Foot
Künstler: Alfred Muifi
„Soll ich was dazu sagen?“, fragt Alfred Muifi, bevor er auf den großen Felsbrocken inmitten des Riviers nahe der Hochlandstraße kraxelt. Das Gras, das um den Stein herum wuchert, ist dicht und buschig. An manchen Stellen wirkt es saftig grün – anderswo durstig braun. „Das hier war mein Schulweg“, beginnt Alfred zu erklären. Idyllisch wirkt diese Oase inmitten einer verdreckten Stadt – doch der Eindruck trügt. „Man muss genauer hinsehen“, meint der Künstler und deutet auf den wuchtigen Fuß aus Lehm, der neben ihm auf dem Fels steht. Wirkt die Skulptur zunächst massiv und kräftig, so fallen bald die von Zehen und Rist abgesplitterten Tonscherben auf. „Das zeigt, wie fragil unsere Umwelt ist: Was sauber und intakt wirkt, ist eigentlich schon kaputt. Etwas Schönes kann so schnell zerstört werden“, sagt Alfred zum Publikum. Da wird es plötzlich sichtbar: Die Grasbüschel vermögen kaum die vielen Flaschen und Plastiktüten zu verdecken, die das Flussbett verschmutzen. Dann deutet Alfred zum Uferbereich – dort glänzen weiße Phosphorablagerungen in der Sonne. „Für mich waren das immer wunderschöne Kristalle. Schade, dass der Dreck sie so entstellt“, meint er. Ein Besucher nimmt Alfred auch diese Illusion. „Phosphor deutet selbst schon auf Verschmutzung hin“, klärt der Mann auf.
Kurzbeschreibung: Eggs
Künstler: Actofel Ilovu
Was symbolisieren wohl die riesigen weißen Eier, die da in einem an der Decke baumelnden Nest aus Metall, Holz, Bast und braunem Gras liegen? Sind es etwa Zutaten für eine schlichte Mahlzeit? Passen würd‘s: Zu Apartheidszeiten befand sich an diesem Ort nämlich eine Großküche für Arbeitsmigranten. Aber dem Künstler Actofel Ilovu geht es nicht darum, was einmal war, sondern was jetzt ist. Heutzutage beherbergt der halb aus grauem Beton und halb aus rötlichen Ziegeln bestehende Zweckbau das Katutura Community Arts Centre. Die Namen, die in rosa Buchstaben auf den Eiern stehen, verweisen auf Studenten, die derzeit hier studieren. Bis Sem, Frans und all die anderen jedoch schlüpfen, dauert es noch ein bisschen. „Hier erhalten sie ihre Ausbildung, hier wird ihre Zukunft ausgebrütet“, erläutert Actofel. Allerdings bleiben nicht alle im Nest. Auf dem betonsteinernen Boden liegt ein zerbrochenes Ei – aus der zersplitterten Schale quillt gelblicher Dotter. „Nicht jeder hält bis zum Schluss durch. Wie ein Ei aus dem Nest fallen kann, so verlassen manche Studenten auch das Arts Centre vorzeitig“, meint der Künstler.
Wer allerdings hier flügge wird, der gelangt zum Erfolg. Symbolisiert hat Actofel das durch farbige Schnüre, die vom Nest weg in eine große Halle führen und dort in einen dunklen Schacht münden. Wärmlich-modriger Kellergeruch dringt aus dem unterirdischen Tunnel, der dort seinen Anfang nimmt. Das Gewölbe führt direkt zum Craft Center – auf dem schnellsten Wege.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen