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Superathleten im Federkleid

Für die meisten Leute sind sie "die Ratten der Lüfte": Tauben können zur Plage werden, sie sind dreckig, oft aufdringlich und statt einem lieblichen Zwitschern pressen sie ein erbärmliches Gurren aus ihrem Schnabel. Nicht so die Tauben von Charles Visser. Ratten der Lüfte? Nein, für den 36-jährigen Anwalt aus Windhoek sind die grauen Vögel vielmehr die Galopp-Pferde des Himmels. Charles Visser züchtet Renntauben. Eine Geschichte über Federvieh, Millionenbeträge und High-Tech-Geräte.

"Renntaubenzüchten ist mehr als ein Hobby", erklärt Visser, "ich würde sagen, es ist ein Sport. Und ich nehme ihn ernst". Daran besteht kein Zweifel. Bevor der junge Familienvater sich morgens in die Kanzlei aufmacht, begrüßt er seine gefiederten Schützlinge und schaut nach dem Rechten. "So ungefähr eine Stunde lang", hält er sich nach dem Frühstück bei den Tauben auf. Nach Feierabend sind es dann "zwei bis drei Stunden", die er mit den Tieren verbringt, ab Freitagnachmittag ist er "das ganze Wochenende" mit seinen teuren Haustieren beschäftigt. Was sagt denn Misses Visser dazu? "Sie weiß immer, wo ich bin", sagt Mister Visser und deutet in Richtung Taubenschlag, der sich direkt hinter dem Haus befindet. "Ich treib mich nicht in Pubs rum, sondern bin zu Hause - stellen Sie sich vor, ich wäre ein passionierter Dartspieler. Das wäre schwieriger für das Familienleben!" Außerdem ist Charles Vissers Liebe zu den Tauben nicht aus einer Laune heraus entstanden.Die Leidenschaft für die Vogelzucht wurde ihm von seinem Vater vererbt, der wiederum von seinem Vater von Klein auf an die Tauben herangeführt wurde. "Wir sind Taubenzüchter in der dritten Generation", erzählt Visser. Und die vierte Generation sei auch schon mit dem Renntaubenvirus infiziert, sagt er, während sein kleiner Sohn Bram durch das Wohnzimmer rast. Es sei ja auch nichts Außergewöhnliches daran: "Der Mensch hat im Laufe der Jahrtausende viele Tiere gezähmt: Pferde, Hunde, Elefanten - und eben auch Tauben."

Schon die Pharaonen in Ägypten haben sich mit Brieftauben Botschaften übermittelt, die Schweizer Armee hatte noch bis 1997 eine Brieftaubenstaffel, und im französischen Lille steht ein Denkmal für die rund 20 000 tapferen Brieftauben, die im Ersten Weltkrieg vom Feind gerupft wurden. Im Laufe der Jahrhunderte verdrängten Post, Telefon, Faxgerät und E-Mail das Vögelchen aus ihrem Job als Nachrichtenüberbringer. Dem Absturz in die Arbeitslosigkeit beugten die neuen Karrieren als Renntauben vor. "Fliegen ist natürlich. Wir zwingen die Tauben zu nichts, was sie nicht wollen", so Charles Visser.

"Ich zeige Ihnen jetzt die Luxusunterkünfte", sagt der Züchter und präsentiert zwei überdimensionale Gartenhütten - die Tauben-"Lofts". In dem einen Loft wohnen die "Racer": die bis zu einem Jahr alten Jungtiere und erfahrene Renntauben, insgesamt 60 Vögel. Unter dem Dach sind mehrere Schlupflöcher, durch die sie rein und raus kommen. Im Nachbarloft befindet sich das "Altersheim", wo die ausgedienten Renntauben nach ihrer fünf bis sechs Jahre dauernden Karriere gehalten werden und den schnellen Nachwuchs ausbrüten. Eine große Voliere spannt sich vor das Häuschen und bietet 40 Tauben Platz. "Die Lofts sind sauber und hygienisch", sagt der stolze Besitzer. Jeden Tag wischt, saugt und fegt ein junger Mann durch die Behausungen. Visser hat ihn als seinen "Loft-Manager" eingestellt, damit die Tauben auch während seiner Abwesenheit in guten Händen sind. Ein Blick in die Lofts macht den hohen Anspruch des Züchters deutlich. Hier ein paar Federn, dort ein frischer Klecks - ansonsten sind die Holzkammern frisch gepflegt. Die Tauben laufen gurrend auf dem Boden herum oder sitzen in ihren Boxen. Bereitwillig lassen sie sich anfassen. Bram greift sich sofort eine Taube und begutachtet sie.Charles Visser deutet auf kleine Holzbretter, die sich im Racer-Loft unter den Schlupflöchern befinden. "Das sind die High-Tech-Stationen", sagt er. Hier werden bei den Rennen Minicomputer angebracht, die jede Taube direkt bei ihrem Eintreffen registrieren. "Das funktioniert so ähnlich wie an der Supermarktkasse", erklärt der Züchter. Jede Taube trage zwei Ringe; auf einem sind Clubinitialen, Land, Geburtsdatum und Nummer des Vogels eingetragen. In dem anderen befindet sich ein Mikrochip. Wenn die Taube in das Loft flattert, sendet der Chip ein Signal an die Station - der Vogel wird gescannt wie eine Flasche Milch am Barcode-Automaten. Unter der Woche ist die Gerätschaft nicht aufgebaut, erst am Wochenende, wenn die Rennen anstehen, wird gescannt.

Die Rennen: Charles Visser erzählt davon mit dem heiligen Ernst eines Fußballtrainers, der seine Mannschaft für das Weltmeisterschaftsfinale aufstellen muss. Als eines von 20 Mitgliedern des "Windhoek Racing Pidgeons Club" trifft er sich mit seinen Vereinskameraden am Freitagabend. Davor steht die Auswahl der besten Racer an. "Du suchst dir also zehn Tauben aus. Sie sind fit, sie sind gesund, sie sind motiviert. Du hast dein Team". Keine leichte Aufgabe, so ein Team zusammen zu stellen, meint Charles Visser. "Du musst deine Tauben kennen, du musst die Tricks kennen, du brauchst Erfahrung". Visser kennt die Tricks.

Steht das Team, werden die zehn Tauben in einen Korb gepackt und ins Vereinsheim gefahren. Dort werden sie registriert, und dann in einen "Tauben-Truck" verladen. Sind alle Vögel der Clubmitglieder gescannt und im Truck verstaut, werden die Tauben in das rund 300 Kilometer von Windhoek entfernte Gibeon transportiert. Unterwegs können die Vögel essen und trinken, "aber das tun sie nicht, wenn sie optimal vorbereitet sind", sagt Visser. Nach Sonnenaufgang werden die Tauben dann gleichzeitig freigelassen - das Rennen beginnt, zu Hause warten nervös die Züchter.

Wie finden die Tauben zurück nach Windhoek und warum beeilen sie sich dabei? "Es gibt drei Dinge, die man über Tauben wissen muss", sagt Charles Visser beschwörend: "Erstens, sie wissen ihre häusliche Umgebung, also ihr Loft, zu schätzen und wollen dort hin zurück. Zweitens haben sie einen Lebenspartner, und wenn sie von ihm getrennt sind machen sie sich Sorgen, was dieser wohl so alleine im Taubenschlag treibt. Drittens, sie lieben ihren Züchter." Wie sie über weite Strecken ihr Ziel finden, sei Instinktsache. Was sie am stärksten motiviert, sei ihre Libido. Mit bis zu 90 Stundenkilometer rasen die Tauben nach Hause; zu Heim, Hausherr, Henne oder Hahn.

Weibchen seien dabei die zäheren und konzentrierteren Flieger, erzählt Visser, während die Männchen sich oft mehr Zeit ließen und sich unterwegs in Angebereien verlören.

Haben die Tauben dann ihr Heimatloft erreicht und schlüpfen in ihr Zuhause, werden sie per Ring und Scan-Station registriert. Am Samstagnachmittag gehen die Clubmitglieder dann mit ihren Minicomputern unterm Arm wieder ins Vereinsheim, um die Ergebnisse zu vergleichen. Die unterschiedlichen Entfernungen der Lofts werden durch eine Rechenformel berücksichtigt. Der Züchter mit der schnellsten Taube gewinnt und streicht das Preisgeld ein. "Bei uns geht es nicht um große Summen" meint Charles Visser, "wir sind ja nur ein kleiner Verein. Wir vergeben für jedes Rennen Punkte und küren am Ende der Saison dann einen Meister".

An anderen Orten sind die Wetteinsätze für Tauben mit denen von Pferderennen zu vergleichen - vor allem beim "Million Dollar Race" im südafrikanischen Sun City, wo sich tausende von Tauben ein so genanntes "One-Loft-Race" liefern, das heißt das gleiche Ziel haben. Profi-Züchter aus aller Welt lassen ihr wertvolles Federvieh dort gegeneinander antreten. "Darin liegt die Zukunft des Sports", sagt Visser.

Ob vielleicht mal eine seiner Tauben das große Rennen für sich entscheiden wird? Visser schüttelt den Kopf: Beim letzten Sun City Race haben die europäischen Vögel die Konkurrenz abgehängt. Der Anwalt aus Windhoek wird seinen Sport aber weiterhin ernst betreiben, die Tricks über die Jahre hinweg an seinen Sohn weitergeben und das große Ziel verfolgen: "Vielleicht gelingt es mir ja eines Tages", meint Visser und lächelt, "den absoluten Superathleten zu züchten".

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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