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Tief durchatmen: Wie die Corona-Krise Luft und Klima beeinflusst
Tief durchatmen: Wie die Corona-Krise Luft und Klima beeinflusst

Tief durchatmen: Wie die Corona-Krise Luft und Klima beeinflusst

Claudia Reiter
Berlin/Rom (dpa) - Der Flug in den Osterurlaub fällt wegen der Corona-Krise aus. Autoreisen schnell übers Wochenende zur See und Bustouren - all das gehört in eine andere Zeit, in die Zeit vor Corona. Große Fahrzeugbauer wie VW, BMW und Daimler schließen vorübergehend ihre Werke. Optimisten sagen, neben den schlimmen gesundheitlichen Folgen der Covid-19-Pandemie und Wirtschaftseinbrüchen gebe es auch gute Seiten: Die Luft in den Städten wird sauberer, wenn weniger produziert und gefahren wird. Das helfe womöglich gar dem Klima.
Was ein Stopp für Autos und Fabriken bewirken kann, zeigte zuerst die US-Raumfahrtbehörde Nasa vor rund drei Wochen mit Satellitenbildern aus China. Dort wurde die Region um die Metropole Wuhan nach dem ersten Ausbruch von Sars-CoV-2 im Januar unter Quarantäne gestellt. Von Wuhan aus habe sich der Rückgang des Ausstoßes von Stickstoffdioxid, kurz NO2, über weitere Regionen Chinas ausgebreitet, erläuterten die Experten.
In China verzeichnete das Nationale Statistikamt zudem für die ersten zwei Monate 2020 einen um rund sechs Prozent geringeren Abbau des Energieträgers Kohle im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. US-Forscher vom Center for Research on Energy and Clean Air berichteten über einen sinkenden Ausstoß des klimaschädlichen Verbrennungsgases Kohlendioxid, kurz CO2, durch den Shut-Down in dem asiatischen Riesenland.
Unlängst meldete die Europäische Raumfahrtagentur Esa dann ebenfalls für Norditalien Rückgänge des Gases NO2, das bei der Verbrennung fossiler Stoffe wie Kohle und Öl etwa im Verkehr und bei der Produktion entsteht. Italien ist in Europa am härtesten von dem Virus getroffen. Das Mittelmeerland hat früher als andere EU-Staaten Ausgangssperren verhängt und große Teile des öffentlichen Lebens stillgelegt. In Städten wie Rom konnte man plötzlich freudig durchatmen, nachdem es Anfang 2020 Smog gegeben hatte. Die Luft roch nach Frühling statt nach Bussen und Mopeds.
Klima-Experten und Bundesumweltministerin Svenja Schulze mahnten allerdings allgemein, dass ein kurzes Absinken der Schadstoffwerte kein langfristiger Gewinn für den Klimaschutz sein müsse. Der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, sprach mit Blick auf weniger Reisen in Deutschland von einem „Einmaleffekt“ bei Treibhausgasen. „Nach der Krise sind diese Emissionen wieder da.“ Ähnlich hatte sich zuvor ein Experte seiner Behörde geäußert: „Und wenn man die Wirtschaftskrisen ansieht, dann kam es nach den Einbrüchen mit niedrigen Emissionen danach zu einem noch stärkeren Anziehen der Konjunktur und höheren Emissionen.“ Der Konsum werde oft nachgeholt.
Nicht nur aus ökonomischer Sicht ist genau das häufig die Hoffnung. Dann ziehen jedoch auch die Abgaswerte neu an. „Die Chinesen produzieren wieder“, sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, Marcel Fratzscher, im Deutschlandfunk. „Die fangen jetzt langsam wieder an. Wir sind vielleicht knapp zwei Monate hinter China, vielleicht ein bisschen weniger.“ Die große Hoffnung sei, dass es nicht schlimmer wird oder nicht länger dauere als auch in China. „Aber darauf verlassen kann man sich sicherlich nicht.“
Die Esa belegte diese Entwicklung in China, erst ein Absinken, dann das Ansteigen von NO2, in Bildern, die am 19. März präsentiert wurden. Sie stammen vom Satelliten Copernicus Sentinel-5P. Wobei die Esa-Experten darauf hinwiesen, dass die Aufnahmen nur Hinweise gäben. Es spielten auch andere Faktoren eine Rolle, etwa das Wetter.
Andere Experten mahnen gleichfalls zur Vorsicht bei der Interpretation von Satellitenbildern. Sie ersetzten keine Schadstoffmessungen nah am Boden, zeigten also nicht, welche Qualität die eingeatmete Luft aufweise, hieß es. Vielmehr sei dort der Schadstoffgehalt in der «Luftsäule» von unten bis oben erfasst. „Sie sind ein Indiz, jedoch kein Beweis“, sagte Ute Dauert, Fachgebietsleiterin beim Umweltbundesamt.
Ob die Luft in Deutschland durch weniger Fahrten und das vorübergehende Schließen industrieller Anlagen wirklich zeitweise sauberer wird, sei bisher kaum vorherzusagen. Seriös lasse sich der Corona-Effekt auf die Luftqualität nicht schnell messen, erläuterte Dauert. „Man kann sich das erst später angucken, wenn alle Daten wirklich vorliegen“, betonte sie. „Abgerechnet wird zum Jahresende.“
Denn bei den Bilanzen spiele zum Beispiel das Wetter eine Rolle: Bei einer austauscharmen Wetterlage reichern sich Schadstoffe in der Luft an. Kräftiger Wind hilft hingegen, die Schadstoffe zu verteilen. Hinzu kämen aktuell auch Einträge von Feinstaub aus der Landwirtschaft, der bei der Düngung der Felder gebildet werde. Alle diese Aspekte spielten eine Rolle. Erst wenn alle Daten zusammen seien, könne man die Effekte der Veränderungen durch die Maßnahmen der Corona-Krise bewerten, sagt Dauert.
Nach Einschätzung der Denkfabrik Agora Energiewende wird Deutschland als Folge der Corona-Krise jedenfalls sein Klimaschutz-Ziel für das Jahr 2020 erreichen. Es könnten je nach Ausmaß der Krise nicht nur wie angestrebt 40 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 ausgestoßen werden, sondern sogar bis zu 45 Prozent weniger, sagte Agora-Direktor Patrick Graichen am Freitag in Berlin.
Bei langfristigen Klimaprognosen fürchten einige Fachleute hingegen, dass der Corona-Effekt negativ sein könnte: Die Virus-Krise könnte die des Klimas von der Agenda der Politik verdrängen.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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