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„Unausgegoren, unversöhnlich, fast verbrecherisch“

Betr.: Kontroverse um Kolonialgeschichte (AZ, 2.1.2018)
Es ist erfreulich, dass die AZ endlich aus diesem unglaublichen Dokument veröffentlicht, das durchweg von anti-imperialistischen und neo-kommunistischen Phrasen durchsetzt ist. Auch mir lag das Protokoll des Namibischen Museumsverbandes (MAN) bereits seit Anfang November 2018 vor, ich kenne also sehr genau seinen Inhalt und glaube deshalb, mich als Historiker auch sachlich und angemessen dazu äußern zu können.

Zunächst gilt der Satz: Wer Geschichte nicht kennt, kann auch die Zukunft nicht gestalten. Das sollte man vor allem von Museumswissenschaftlern erwarten dürfen. Wer also einzelne Segmente der Geschichte herausschneiden und löschen will, handelt absolut ahistorisch. Auf Namibia bezogen heißt das: Wer die deutsche Kolonialzeit und die südafrikanische Mandatsherrschaft ausradieren will, beschränkt die Vergangenheit des Landes auf die Jahre bis 1884 und dann erst wieder auf die Zeit ab 1990. Dazwischen war nichts - oder ein Interregnum?

Diese Art von „Geschichtsaufarbeitung“ kennen wir eigentlich nur aus Diktaturen, vor allem kommunistischen, doch weil die SWAPO und ihr verbundene Genossen - dazu dürfen vermutlich auch die meisten Mitglieder der MAN gehören - ja immer noch vom untergegangenen „real existierenden Sozialismus“ träumen, passt die Sichtweise ins Bild. Dabei wird man zur Kenntnis nehmen müssen, dass nach dem Ende des Kommunismus in der Sowjetunion die Denkmäler von Persönlichkeiten aus der russischen Geschichte von der Zeit vor 1917 wie Pilze aus dem Boden sprießen. Insbesondere der letzte Zar, Nikolaus II., wird in einer Weise verehrt, wie er sich das bei seiner Abdankung kaum vorgestellt haben dürfte. Aber das ist den Genossen in Namibia vermutlich nicht bekannt, die immer noch von der Sowjetunion schwärmen und teilweise gar nicht begriffen haben, dass es diese seit fast 30 Jahren nicht mehr gibt.

So wurde ich noch vor rund zehn Jahren am Flughafen Windhoek bei der Einreise von einem Passbeamten gefragt, ob ich aus West- oder Ostdeutschland käme. Als ich ihm sagte, das Land sei doch seit 1990 vereint, war er verwundert und meinte: „Hoffentlich sozialistisch!“ Als ich dies verneinte, antwortete er wütend, dann hätten die Imperialisten und Faschisten ja gewonnen... Und genau diese Denkweise geistert heute immer noch in den Köpfen zahlreicher Repräsentanten des namibischen Regimes - von einer wirklichen Demokratie kann man da ja längst nicht mehr sprechen - und zeigt, wes Geistes Kind sie sind.

Wenn im Protokoll des MAN auf andere afrikanische Staaten verwiesen wird, so mag das für einige wenige Diktaturen unter ihnen vielleicht gelten, viele andere Beispiele stehen aber umgekehrt für vergleichsweise pragmatische Lösungen. In Daressalam (Tansania) steht beispielsweise bis heute unangetastet das Askari-Denkmal, das nicht den deutschen, sondern den britischen Askaris gewidmet ist und 1928 von den Briten errichtet worden war. Andere Denkmäler und Gedenkstätten aus der deutschen Kolonialzeit werden selbstverständlich erhalten und gepflegt. Überhaupt sind es gerade die ehemaligen deutschen Kolonien, in denen Relikte der einstigen europäischen Machthaber bis heute keinerlei Anstoß erregen. Das gilt nicht nur für Tansania (das ehemalige Deutsch-Ostafrika), sondern vor allem für Togo, wo die deutsche Kolonialzeit in Form zahlreicher Bauwerke erhalten geblieben ist. Das Grab eines deutschen Gouverneurs, der dort verstarb, wird bis heute gepflegt. Auch in Kamerun zeugen etliche Überbleibsel bis heute ungeschoren von der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft. So gibt es in Buea am früheren Amtssitz des deutschen Gouverneurs noch den Bismarckbrunnen, und am Kap Nachtigal (benannt nach dem deutschen Reichskommissar Gustav Nachtigal!) steht nach wie vor der 1901 erbaute Bismarckturm, der wenige Jahre später zu einem Leuchtturm ausgebaut wurde. Und in Namibia will man die Namen Bismarcks und Nachtigals tilgen...! Auch in vielen ehemaligen britischen Kolonien Afrika findet man noch zahlreiche Denkmäler aus jenen Tagen, die eine lange Liste ergäben. Am beeindruckendsten aber dürfte wohl der „Place des gouverneurs“ in Bamako, der Hauptstadt Malis, sein, wo Marmordenkmäler mit Porträtreliefs an die einstigen Gouverneure von Französisch-Sudan erinnern.

Die Beispiele ließen sich beliebig ergänzen, wobei Südafrika noch nicht berücksichtigt ist, wo man erheblich sachlicher mit der Geschichte von 1652 bis 1994 umgeht. Zwar gibt es immer wieder Heißsporne, die Kolonialdenkmäler stürzen wollen, aber letztlich setzt sich meistens auf allen Seiten die Vernunft durch, zumal neben den Weißen inzwischen auch die meisten Coloureds (Farbigen) und ebenso viele gemäßigte Schwarze durchaus die für sie eher folgenreiche Vergangenheit dennoch als Teil der Geschichte ihres Landes ansehen. Zu den wenigen Unverbesserlichen gehört leider auch der im MAN-Protokoll erwähnte Professor Rassool von der Universität West-Kap, der jedoch hier nicht genügend Mitstreiter für seine Geschichtsklitterungen findet und sich daher wohl Namibia als Opfer auserkoren hat, wo man ihm vermutlich mehr Gehör schenken wird.

Doch was er jetzt im Protokoll des MAN zum Ausdruck brachte, für das er ja mitverantwortlich zeichnet, ist nicht nur unausgegoren, sondern auch unversöhnlich, ja fast schon verbrecherisch („Museen abbrennen“). Aber wie der Herr, so’ s Gescherr - soll heißen: die SWAPO ist sein bester Lehrmeister; sie erkennt ja bis heute nicht einmal den ehemaligen SWATF-Angehörigen den Veteranen-Status zu - ein Unding ohnegleichen, das aber wiederum kennzeichnend für Diktaturen ist! So dürfen sie auch nicht Bestandteil der Geschichte des Landes sein.

Als Deutschland-Repräsentant der Namibia Wissenschaftlichen Gesellschaft bin ich insbesondere auch darüber empört, dass diese zu den von MAN angeprangerten Organisationen gehören soll, wogegen ich mich nachdrücklich wehre - und das umso mehr auch als studierter Historiker, der mal gelernt hat, Geschichte objektiv zu bewerten und nicht mit sozial-psychologischen „Erkenntnissen“ im Sinne eines jeweiligen Zeitgeistes, seit einigen Jahren auch als “political correctness“ bezeichnet.

Wolfgang Reith, Kapstadt

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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