Unterstützung für ganz besondere Kinder
Die Einrichtung „Side by Side“ in Katutura unterstützt Kinder mit Behinderung und ihre Familien. Menschen mit Einschränkungen müssen in Namibia vielen Vorurteilen und Schwierigkeiten entgegentreten. Hier aber trifft man auf Hilfsbereitschaft und Respekt – und auf ganz besondere Kinder.
Von Katharina Moser
Windhoek
Als ein Mädchen anfängt zu weinen, nimmt Michelle Zeelie sie liebevoll an der Hand. „Manchmal hat sie starke Schmerzen“, sagt sie entschuldigend. Zeelie ist Sozialarbeiterin und Betreuerin bei „Side by Side“, einer gemeinnützigen Einrichtung in Katutura, die behinderte Kinder und ihre Familien unterstützt. Es ist ein sonniger Vormittag, und bei offener Tür sitzen sieben Kinder im kleinen Klassenzimmer der Einrichtung und malen. Zeelie lächelt einem von ihnen zu. „Ich bin wieder und wieder beeindruckt, wie unglaublich schlau er ist. In ihm heben sich alle Vorurteile auf.“
Die Organisation wurde 2013 von der Deutschen Sandra Hollweg gegründet und ist seitdem ständig gewachsen. Inzwischen kümmert sich ein Team von zehn Frauen um die kleinen Schützlinge und deren Familien. Die Einrichtung unterhält ein Tageszentrum, das Kinder mit schwereren Behinderungen in ihren alltäglichen Bedürfnissen versorgt. Die Sozialarbeiter besuchen die Familien zuhause und gehen in die „Neurodevelopmental Clinic“, um sich präventiv an Kinder mit voraussichtlichen Entwicklungsstörungen zu wenden. Neben einem Vorschulprogramm, das die Jüngsten auf einen regulären Schulbesuch vorbereitet, gibt es seit neuestem auch eine kleine eigene Schule. Die sieben Schüler sollen eine Chance auf Schulbildung erhalten, obwohl ihnen der Zugang zu einer normalen Schule versagt ist. Außerdem bietet „Side by Side“ Aufklärung für Eltern an. „Wenn ich unsere wichtigste Aufgabe zusammenfassen müsste, wäre es Bildung. Wir klären die Familien betroffener Kinder auf: Wie sie mit ihren Kindern umgehen sollten und wie man sie fördern kann. Die Menschen in Namibia wissen einfach zu wenig.“
Die Einrichtung finanziert sich fast ausschließlich über Sponsoren. „Manchmal wissen wir nicht, ob wir nächsten Monat noch da sind.“ Denn als gemeinnützige Organisation fordert sie von den Eltern nur einen symbolhaften Betrag von hundert Namibia-Dollar, der dazu dient, den elterlichen Einsatz aufrechtzuerhalten. Jede Woche kommen Kinder dazu, und Zeelie merkt, dass der Bedarf in der Stadt hoch ist. „Dabei sind wir die einzige Einrichtung dieser Art in diesem Land. In Namibia liegen wir noch so weit zurück, was die Unterstützung behinderter Menschen angeht.“ Die Organisation hat sich auch das Ziel, mehr „Disability Awareness“ zu schaffen, auf die Fahnen geschrieben. „In Namibia ist ein Bewusstsein für Menschen mit Behinderung so gut wie nicht vorhanden. Die Leute wollen keinen kennen, der betroffen ist. Sie werden ignoriert oder verachtet. Es gibt hier ein großes Stigma auf alle Menschen, die mit Einschränkungen geboren sind“, so Zeelie empört, und nimmt einen ihrer Schützlinge an die Hand, der dem Gespräch mit großen Augen folgt. „In manchen Gegenden geht das Unverständnis so weit, dass die Betroffenen ausgestoßen oder verletzt werden. Manche Volkskulturen sind mit der Konfrontation mit einem nicht „normalen“ Menschen nicht vereinbar. Es gab sogar mal einen Fall im Norden, wo ein Vater sein behindertes Kind lebendig begraben hat. Diesem Unverständnis müssen wir entgegentreten.“
Das Team um Zeelie besteht aus sechs Angestellten, doch die Organisation ist auch auf Freiwillige angewiesen. Finanziell erhalte die Organisation kaum Unterstützung von der Regierung.
Eines wunden Punktes des Projekts ist sich Zeelie bewusst. „In Namibia gibt es keine Inklusion. Die Schulen in diesem Land sind noch nicht so weit. Sie haben weder das nötige Wissen, noch die Ressourcen, um Kinder mit Einschränkungen unterrichten. Das muss sich ändern.“ Während die Kinder in der Einrichtung wohlbehütet sind, wird es für sie mit dem Alter deutlich schwerer. Die Schule vor Ort geht bis zur siebten Klasse, und bei älteren Heranwachsenden, die zu alt sind, um in das Zentrum zur Therapie zu kommen, macht das Team Ortsbesuche zuhause. Doch für die meisten der Kinder sieht die Zukunft nicht rosig aus. „Wir gehen schon in Betriebe und klären auf, dass sie ebenfalls sehr gute Arbeitnehmer sind. Aber dennoch werden die meisten der Kinder keine Arbeit finden. Die namibische Gesellschaft sieht keinen Platz für sie vor.“ Umso stolzer ist sie, dass eine der Angestellten selbst mit einer Behinderung geboren wurde. „Die Eltern lieben es, mit ihr zu sprechen, denn an ihr können sie sehen, was eines Tages aus ihren Kindern werden kann.“
„Side by Side hat mir sehr geholfen“, so Natasha Nakale, eine Mutter, deren fünfjähriges Kind Gerline in die Einrichtung kommt. Sie erzählt, wie schwer es am Anfang war, als sie erfuhr, dass das Gehirn des Mädchens zu 65 Prozent geschädigt ist. „Als dies diagnostiziert wurde, wusste ich nicht, wie es weitergehen sollte. Ich war so verzweifelt, dass ich überlegt habe, mich vor ein vorbeifahrendes Auto zu werfen. Aber dann wurde mir klar, ich kann auch das schaffen.“ Zumindest gab ihre Familie all ihre Unterstützung. „Aber die Leute auf der Straße haben große Vorurteile. Einmal lief ich auf der Straße an zwei Frauen vorbei und hörte sie sagen, ‚Was ist denn mit diesem Kind passiert, hat ihre Mutter sie hinfallen oder sich verbrennen lassen?‘ Ich habe ihnen gesagt, wenn sie etwas wissen wollen, sollen sie nur fragen. Sie haben sich entschuldigt, dass ich das hören konnte, aber ich habe mir gedacht, es geht doch vielmehr darum, dass sie überhaupt nicht wissen, wovon sie reden!“, so die Mutter, während sie die Fünfjährige auf dem Schoß hat. Das Mädchen kann nicht laufen und nur wenig sprechen, aber mehrere Operationen und Therapien haben ihr geholfen. Inzwischen kann sie mit anderen kommunizieren, sich selbstständig bewegen und geht voller Freude in die Schule der Einrichtung. Ihre Mutter strahlt eine besondere Stärke und Resilienz aus, die sie auch im Kontakt mit den anderen Müttern hier gelernt hat. „Früher wollte ich ihre Fehlbildungen gerne verstecken, habe ihr immer lange Kleidung angezogen, damit man es nicht so sieht. Aber dann habe ich aufgehört, denn wenn ich nicht für meine Tochter und die anderen Kinder spreche, wer tut es dann? Es ist nichts, wofür man sich schämen soll, und die Leute müssen doch lernen, dass es so etwas gibt.“ Ihr Kind spielt neben seinen zwei Geschwistern eine ganz besondere Rolle in ihrem Leben. „Durch sie habe ich gelernt, für mich selbst zu sorgen.“ Ihre Botschaft an andere Eltern ist klar: „Ich rate allen, für unsere Kinder zu sprechen, ihre Augen zu sein. Lasst uns aufhören, unsere Kinder als Entschuldigung zu benutzen!“
Für ihre Tochter sieht Natasha eine große Zukunft. „Diese Kinder sind ganz besonders. Meine Tochter wird ein hell leuchtender Stern sein. Sie wird laufen und sprechen können, unabhängig sein und für alle sprechen, die es nicht können!“
Auch Zeelie ist überzeugt, dass das Gute, das „Side by Side“ leistet, von Dauer ist. „Manchmal fragen die Leute nach der Nachhaltigkeit unseres Projekts. Was bleibt von uns, wenn wir schließen müssen? Das kann ich sagen: All die Eltern unserer Schützlinge wissen, was sie zu tun haben. Sie wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Das bleibt. Wir können den Menschen hier beibringen, dass Kinder unterschiedlich und vielfältig sind, und dass das nichts Schlimmes ist.“
Windhoek
Als ein Mädchen anfängt zu weinen, nimmt Michelle Zeelie sie liebevoll an der Hand. „Manchmal hat sie starke Schmerzen“, sagt sie entschuldigend. Zeelie ist Sozialarbeiterin und Betreuerin bei „Side by Side“, einer gemeinnützigen Einrichtung in Katutura, die behinderte Kinder und ihre Familien unterstützt. Es ist ein sonniger Vormittag, und bei offener Tür sitzen sieben Kinder im kleinen Klassenzimmer der Einrichtung und malen. Zeelie lächelt einem von ihnen zu. „Ich bin wieder und wieder beeindruckt, wie unglaublich schlau er ist. In ihm heben sich alle Vorurteile auf.“
Die Organisation wurde 2013 von der Deutschen Sandra Hollweg gegründet und ist seitdem ständig gewachsen. Inzwischen kümmert sich ein Team von zehn Frauen um die kleinen Schützlinge und deren Familien. Die Einrichtung unterhält ein Tageszentrum, das Kinder mit schwereren Behinderungen in ihren alltäglichen Bedürfnissen versorgt. Die Sozialarbeiter besuchen die Familien zuhause und gehen in die „Neurodevelopmental Clinic“, um sich präventiv an Kinder mit voraussichtlichen Entwicklungsstörungen zu wenden. Neben einem Vorschulprogramm, das die Jüngsten auf einen regulären Schulbesuch vorbereitet, gibt es seit neuestem auch eine kleine eigene Schule. Die sieben Schüler sollen eine Chance auf Schulbildung erhalten, obwohl ihnen der Zugang zu einer normalen Schule versagt ist. Außerdem bietet „Side by Side“ Aufklärung für Eltern an. „Wenn ich unsere wichtigste Aufgabe zusammenfassen müsste, wäre es Bildung. Wir klären die Familien betroffener Kinder auf: Wie sie mit ihren Kindern umgehen sollten und wie man sie fördern kann. Die Menschen in Namibia wissen einfach zu wenig.“
Die Einrichtung finanziert sich fast ausschließlich über Sponsoren. „Manchmal wissen wir nicht, ob wir nächsten Monat noch da sind.“ Denn als gemeinnützige Organisation fordert sie von den Eltern nur einen symbolhaften Betrag von hundert Namibia-Dollar, der dazu dient, den elterlichen Einsatz aufrechtzuerhalten. Jede Woche kommen Kinder dazu, und Zeelie merkt, dass der Bedarf in der Stadt hoch ist. „Dabei sind wir die einzige Einrichtung dieser Art in diesem Land. In Namibia liegen wir noch so weit zurück, was die Unterstützung behinderter Menschen angeht.“ Die Organisation hat sich auch das Ziel, mehr „Disability Awareness“ zu schaffen, auf die Fahnen geschrieben. „In Namibia ist ein Bewusstsein für Menschen mit Behinderung so gut wie nicht vorhanden. Die Leute wollen keinen kennen, der betroffen ist. Sie werden ignoriert oder verachtet. Es gibt hier ein großes Stigma auf alle Menschen, die mit Einschränkungen geboren sind“, so Zeelie empört, und nimmt einen ihrer Schützlinge an die Hand, der dem Gespräch mit großen Augen folgt. „In manchen Gegenden geht das Unverständnis so weit, dass die Betroffenen ausgestoßen oder verletzt werden. Manche Volkskulturen sind mit der Konfrontation mit einem nicht „normalen“ Menschen nicht vereinbar. Es gab sogar mal einen Fall im Norden, wo ein Vater sein behindertes Kind lebendig begraben hat. Diesem Unverständnis müssen wir entgegentreten.“
Das Team um Zeelie besteht aus sechs Angestellten, doch die Organisation ist auch auf Freiwillige angewiesen. Finanziell erhalte die Organisation kaum Unterstützung von der Regierung.
Eines wunden Punktes des Projekts ist sich Zeelie bewusst. „In Namibia gibt es keine Inklusion. Die Schulen in diesem Land sind noch nicht so weit. Sie haben weder das nötige Wissen, noch die Ressourcen, um Kinder mit Einschränkungen unterrichten. Das muss sich ändern.“ Während die Kinder in der Einrichtung wohlbehütet sind, wird es für sie mit dem Alter deutlich schwerer. Die Schule vor Ort geht bis zur siebten Klasse, und bei älteren Heranwachsenden, die zu alt sind, um in das Zentrum zur Therapie zu kommen, macht das Team Ortsbesuche zuhause. Doch für die meisten der Kinder sieht die Zukunft nicht rosig aus. „Wir gehen schon in Betriebe und klären auf, dass sie ebenfalls sehr gute Arbeitnehmer sind. Aber dennoch werden die meisten der Kinder keine Arbeit finden. Die namibische Gesellschaft sieht keinen Platz für sie vor.“ Umso stolzer ist sie, dass eine der Angestellten selbst mit einer Behinderung geboren wurde. „Die Eltern lieben es, mit ihr zu sprechen, denn an ihr können sie sehen, was eines Tages aus ihren Kindern werden kann.“
„Side by Side hat mir sehr geholfen“, so Natasha Nakale, eine Mutter, deren fünfjähriges Kind Gerline in die Einrichtung kommt. Sie erzählt, wie schwer es am Anfang war, als sie erfuhr, dass das Gehirn des Mädchens zu 65 Prozent geschädigt ist. „Als dies diagnostiziert wurde, wusste ich nicht, wie es weitergehen sollte. Ich war so verzweifelt, dass ich überlegt habe, mich vor ein vorbeifahrendes Auto zu werfen. Aber dann wurde mir klar, ich kann auch das schaffen.“ Zumindest gab ihre Familie all ihre Unterstützung. „Aber die Leute auf der Straße haben große Vorurteile. Einmal lief ich auf der Straße an zwei Frauen vorbei und hörte sie sagen, ‚Was ist denn mit diesem Kind passiert, hat ihre Mutter sie hinfallen oder sich verbrennen lassen?‘ Ich habe ihnen gesagt, wenn sie etwas wissen wollen, sollen sie nur fragen. Sie haben sich entschuldigt, dass ich das hören konnte, aber ich habe mir gedacht, es geht doch vielmehr darum, dass sie überhaupt nicht wissen, wovon sie reden!“, so die Mutter, während sie die Fünfjährige auf dem Schoß hat. Das Mädchen kann nicht laufen und nur wenig sprechen, aber mehrere Operationen und Therapien haben ihr geholfen. Inzwischen kann sie mit anderen kommunizieren, sich selbstständig bewegen und geht voller Freude in die Schule der Einrichtung. Ihre Mutter strahlt eine besondere Stärke und Resilienz aus, die sie auch im Kontakt mit den anderen Müttern hier gelernt hat. „Früher wollte ich ihre Fehlbildungen gerne verstecken, habe ihr immer lange Kleidung angezogen, damit man es nicht so sieht. Aber dann habe ich aufgehört, denn wenn ich nicht für meine Tochter und die anderen Kinder spreche, wer tut es dann? Es ist nichts, wofür man sich schämen soll, und die Leute müssen doch lernen, dass es so etwas gibt.“ Ihr Kind spielt neben seinen zwei Geschwistern eine ganz besondere Rolle in ihrem Leben. „Durch sie habe ich gelernt, für mich selbst zu sorgen.“ Ihre Botschaft an andere Eltern ist klar: „Ich rate allen, für unsere Kinder zu sprechen, ihre Augen zu sein. Lasst uns aufhören, unsere Kinder als Entschuldigung zu benutzen!“
Für ihre Tochter sieht Natasha eine große Zukunft. „Diese Kinder sind ganz besonders. Meine Tochter wird ein hell leuchtender Stern sein. Sie wird laufen und sprechen können, unabhängig sein und für alle sprechen, die es nicht können!“
Auch Zeelie ist überzeugt, dass das Gute, das „Side by Side“ leistet, von Dauer ist. „Manchmal fragen die Leute nach der Nachhaltigkeit unseres Projekts. Was bleibt von uns, wenn wir schließen müssen? Das kann ich sagen: All die Eltern unserer Schützlinge wissen, was sie zu tun haben. Sie wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Das bleibt. Wir können den Menschen hier beibringen, dass Kinder unterschiedlich und vielfältig sind, und dass das nichts Schlimmes ist.“
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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