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Verschmitzter Erzähler Scherz

,Er war verheiratet und wohl recht glücklich, denn seine Frau farmte etwa 400 Meilen entfernt im Sandfeld und er sah sie nie." - Leicht zugänglich, durchtrieben und mit unverwechselbarem Lokalkolorit - eine Leseprobe aus den Erzählungen des Karakulfell-Käufers Ernst Rudolf Scherz. Von 1933 bis Anfang der achtziger Jahre lebte und wirkte der gelernte Chemiker mit seiner Frau Anneliese, eine Berufsfotografin, im alten Südwestafrika.

Er war stets aufnahmefähig für das Flair, die Situationskomik der Menschen und für die Lehren der Entbehrung (sprich Mangel an Komfort), die er auf seinen Händler-, aber auch bei seinen wissenschaftlichen Forschungsreisen erfuhr. Scherz prägte sich die Merkmale und Schrullen von Mitmenschen ein und gab sie schon zu Lebzeiten gern am abendlichen Lagerfeuer zum Besten. Sein großes Verdienst ist es, dass er diese Stories und Anekdoten über wunderliche Käuze, über die Ausstrahlung von "Urtypen" des alten Südwestafrika niedergeschrieben hat.

Der Erzähler Scherz ist in den 314 Stories meistens selbst am Wort, lässt seine Helden jedoch ebenso gern im Originalton reden.

Südwester Geschichten am Lagerfeuer erzählt von Ernst Rudolf Scherz. Herausgeber: Basler Afrika Bibliographien, Basel 2005. Druck: Typoprint (Pty) Ltd. Windhoek, Namibia. ISBN 3 905141 876, ISSN 1660-9638. Unverbindlicher Richtpreis: N$ 175,--.

Der broschürte Band umfasst 120 Seiten, zum Teil illustriert mit ausgewählten Fotografien von den Scherzens. Der Autor hat die ersten Geschichten im März und April 1965 aufgezeichnet und später zur Sammlung von 314 Stories ausgeweitet, wobei es sich bei manchen lediglich um einen Dreizeiler handelt, derweil die längste der Geschichten kaum eineinhalb Seiten überschreitet.

Der Leser, der dem Land fern steht, erfährt hier viel Milieu aus dem alten Südwestafrika, aus dessen Landescharakter sich selbst im Wandel politisch turbulenter Zeiten allerhand Merkmale bis in die Ära Namibia hinein fortgepflanzt haben. Für den einheimischen Namibier wird der Wieder-Erkennungswert dieses Buches wesentlich darin gesteigert, dass viele Akteure, die Scherz auftreten lässt, sehr bekannt sind, ja, dass man sie vielleicht noch persönlich erlebt hat. Hier und da verbirgt er die Identität von wirklichen Personen hinter einem Kürzel, weil Scherzens verschmitzte, aber niemals unsympathische Schilderung der Menschen mitunter die Grenzen der Diskretion herausfordert. Wer ihnen nachgehen möchte, kann sich in den Quellen der Basler Afrika Bibliographien noch vertraulich kundig machen.

Diese Erzählungen mögen nicht der Hauptnachlass der Scherzens sein. Da sind die Erfassung von Felsmalereien und Gravuren, die Jahresberichte, Beiträge zur Wissenschaftlichen Gesellschaft und die Aufnahmen ethnischer Frisuren, die schon lange verschwunden sind, um nur einiges zu nennen. Dennoch, die "Geschichten" können zum Hausbuch werden.

Die Verhältnisse von vor 60 bis 80 Jahren widerspiegeln sich in manch zwischenmenschlichen Redewendung und Schilderung von Weißen untereinander und zwischen Weißen und Schwarzen. So ist der Emigrant Scherz, der NS-Gegner war, in den Worten eines Engländers dennoch ein "bloody German", woraus der Autor dem Briten gutmütig Bildungsmangel bescheinigt. Auch der patriarchalische Umgangston der Kolonialzeit mit Schwarzen klingt in einigen Erzählungen an. Der unterhaltsame Band bietet im Nachwort über die "Erzählkultur im deutschsprachigen Namibia" noch eine rückblickende Interpretation. Die Textkritik von Dr. Stephan Mühr will die Lagerfeuergeschichten für die Nachwelt einordnen, die das eventuell nicht allein schafft. Es gibt nützliche Hinweise, aber ebenso Erstaunliches. Im Gelehrtenton, süffisant und überschraubt, spricht die Kritik von der "kolonialapologetischen Identität der Südwester", von "modernitätsabgewandter Lagerfeuer-Idyllik" als eine Art "reduktionistisches Vermeidungssyndrom". Wahrlich, Worte wie aus deutscher Eiche geschnitzt. Nicht inhaltlich, aber stilistisch und in der Überheblichkeit erinnern sie an die verkrampften Wortschöpfungen der NS-Epoche kurz vor ihrem Untergang, lingua tertii imperii. Aber das Lesen bleibt ja freiwillig.

Ein kritisches Psychogramm der Südwester bietet sich nach den Stories durchaus an. Dafür gibt es ansonsten eine lebendige und zugängliche Sprache. Scherz hat sie beherrscht.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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